Freitag, 25. Januar 2013

Winterrückblicke


Für rheinische Verhältnisse hat der Winter voll aufgedreht. Nun liegt seit zehn Tagen Schnee. Die Temperaturen sind kaum über Null Grad geklettert. Schal, Winterjacke und gefütterte Schuhe sind angesagt. Draußen bringt die frostklare Luft meinen Körper auf Touren. Drinnen genieße ich es, im Warmen zu sitzen. Die erträgliche Kälte passt zu der Jahreszeit. Ich nehme mir die Zeit zurück zu blicken auf vergangene Winter, in denen das Wetter seine Eigenheiten gezeigt hat.

Rückblickend auf meine Kindheit, habe ich die Winter bis 1970 so in Erinnerung, wie sich derzeit der Winter festgesetzt hat: mit jede Menge Schnee, Eis, Kälte. Wir sind ganz viel Schlitten gefahren, und in unserer Nachbarstadt gab es diverse Hänge den Berg herunter, die wir bis zum Abwinken heruntergefahren sind.

Der Winter 1973/1974 lief nach einem Schema ab, dem viele Winter folgen sollten. Schon früh, Ende November, setzte Schneefall ein. Der blieb sogar liegen. Dann setzte sich die Sonne durch und die Nächte wurden eisig kalt. Dieses Winter-Intermezzo war nach einigen Tagen vorbei. Es regnete. Der Westwind wehte milde Temperaturen herbei. Daran sollte sich über den ganzen Winter nichts ändern. Der Himmel war mal bewölkt, mal Regen, mal Sonne, durchaus mit Abwechslungen gesegnet, brachte aber keinerlei Kälte, geschweige denn Schnee. Erst in den letzten Zügen, als sich alle auf den Frühling freuten, drehte der Winter auf. Aprilwetter im März. Schneeschauern folgte blauer Himmel. Die höher stehende Sonne heizte diesen schnell wieder weg, und über Nacht kehrte das weißen Kleid des Schnees wieder zurück.

Die Schneekatastrophe des Winters 1978/1979 ging in die Geschichte ein. Während Norddeutschland im Schnee versank, ließ sich der Winter Zeit, bis er ins Rheinland einkehrte. Es geschah an einem Morgen zwischen Weihnachten und Neujahr. Morgens regnete es und das Thermometer zeigte +8 Grad an. Etwas weniger als im Stundenrhythmus sank die Temperatur um ein Grad. Abends gegen 20 Uhr war die Null-Grad-Marke erreicht und der Regen war in Schnee übergegangen. Zur üblichen Uhrzeit legte ich mich ins Bett. Als ich morgens aufwachte, sah ich den Schnee, der reichlich gefallen war, aber glücklicherweise nicht in dem Umfang, in dem ich ihn im Fernsehen im Norden gesehen hatte. Dort waren manche Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten, Bundeswehr und Katastrophenschutz waren im Dauereinsatz. Mit den Schneemassen mussten einige Gegenden aus der Luft versorgt werden. Als ich nach draußen zum Thermometer schritt, gefror mir das Blut in meinen Adern: es war -16 Grad. Ich weiß nicht, ob es jemals in einer solch kurzen Zeit einen derartigen Temperatursprung gegeben hat (nicht nur im Winter).

Nach mehreren Wintern, die ähnlich wie derjenige im Jahr 1973/1974 verliefen, verdienten die aufeinander folgenden Winter 1984/1985 und 1985/1986 wieder ihren Namen. Dabei ist der 11. Januar 1985 ein Datum im Rheinland, an das man sich hierzulande sehr lange zurück  erinnert. Über den Feldern der Euskirchener Börde bildete sich bei -10 Grad eine Nebelbank, die auch die Autobahn A61 erreichte. Von einem Moment auf den anderen, verwandelte sich die Fahrbahn in eine spiegelglatte Fläche. Auf einer Länge von 20 Kilometern von Weilerswist bis Rheinbach raste ein Auto in das nächste und die Massenkarambolage nahm kein Ende. Die Rettungskräfte erlebten Szenen, die aus einem Horrorfilm stammen könnten. LKW’s fuhren ungebremst in die bereits verunglückten Fahrzeuge hinein. Manche LKW’s brannten, weil deren Ladung sich entzündet hatte. Stück für Stück mussten die Autowracks seziert werden. Manche Blechknäuel waren so unentwirrbar, dass die Menschen mit Schneidbrennern befreit werden mussten. 13 Menschen wurden bei diesem Massenunfall getötet.

Der Winter 1985/1986 war zwar schneearm, aber dafür eiskalt. Anfang Januar war es -17 Grad kalt. In diesem Winter hatte ich mächtig gefroren, denn seit einem halben Jahr wohnte ich in einer Mietwohnung, die zwar kostengünstig war, aber dafür ohne Heizung. Ich behalf mich mit einem elektrischen Heizofen. Doch dieser heizte so schlecht, dass ich Dauergast auf der Couch unter der warmen Decke war. Und ich wurde arm wie eine Kirchenmaus, als die Stromabrechnung ins Haus flatterte.

Ende der 90er Jahre, als unsere großen Kinder noch klein waren, konnten wir ihnen kaum einen Schneespaziergang oder eine Schlittenfahrt bieten. Wir mussten wegfahren, denn eine ausreichende Menge Schnee blieb nicht liegen. Zusätzlich musste das Timing stimmen, dass wir an den wenigen Schneetagen nichts anderes vorhatten. In dieser Zeit erinnere ich mich an einen wunderschönen Spaziergang durchs Hohe Venn am Baraque Michel in Belgien. Die Eisflächen des Hochmoors waren gefroren, die Sonne spiegelte sich im Eis. Die Hochmoorvegetation glitzerte im Schnee. Eis und Schnee schufen ein Kunstwerk aus dieser Landschaft.

Nicht so groß wie im Winter 1978/1979, aber um so folgenschwerer war der Temperatursturz im Winter 1993/1994. Als ich in der Vorweihnachtszeit unser Haus zum Büro verließ, war es +16 Grad. Nachmittags staunte aus meinem Bürofenster nicht schlecht: es schneite. Zu Hause registrierte ich dann, dass es nur noch +1 Grad war. Die Begleiterscheinungen des Temperatursturzes zeigten sich nicht bei uns, sondern im Schwarzwald, in den Vogesen, in der Schwäbischen Alb, im Pfälzerwald, bis zu Hunsrück und Eifel hin: es regnete sintflutartig. Über Nebenflüsse sammelte sich das Wasser im Rhein. Mit dem Weihnachtshochwasser sollten wir als Begrüßung in unserem Haus, wohin wir umgezogen waren, eine Rekordhochwasser erleben. Bis zu den Knien stand das Wasser im Keller. Pumpen waren im Dauerbetrieb und bekamen alles Wasser nicht weggeschafft. Tag und Nacht musste ich aufpassen, dass die Pumpen auch liefen. Das Hochwasser zog sich bis ins neue Jahr hinein, so dass das Grundwasser uns vierzehn Tage lang in unserem Keller begleitete.

1996/1997 war der einzige Winter in den 90er Jahren, der das Prädikat „Winter“ verdiente. Er taugte für ein paar Tage Schlittenfahren, und von Anfang Dezember bis Ende Februar ließ sich der Frost nicht vertreiben. Dennoch schoben sich die Tiefdruckgebiete von Westen gegen den Kältepol an. Für wenige Tage gewannen die Tiefs die Oberhand, bis die Kälte sie wieder verdrängt. Das Ergebnis: Eisregen. Ich kann mich an keinen anderen Winter erinnern, in denen so häufig ein Eispanzer die Natur, die Straßen und die Gehwege bedeckte und das Alltagsleben lahm legte. Ganze Tage konnten wir uns nicht vor die Haustüre trauen. Glücklicherweise kann ich mich an keine gravierenden Stürze oder Unfälle erinnern.

In den 2000er-Jahren kehrten allmählich Frost und Schnee zurück. Dabei hatte ich mich an einem Januartag im Winter 2005/2006 verkalkuliert. Über mehrere Tage hinweg war es morgens leicht gefroren, tagsüber schien die Sonne und mit +5 bis +6 Grad konnte man es in der Sonne aushalten. So wie in der wärmeren Jahreszeit, packte mich die Lust aufs Fahrradfahren. Ich hatte Sehnsucht auf die Niederlande. Das Trekking-Rad in den Regional-Express, auf nach Aachen, von dort aus 33 Kilometer über die schnurgerade Nationalstraße nach Maastricht. Der Wetterbericht hatte Schauer – keinen Dauerregen - angekündigt, was mich nicht weiter störte, denn es gab ja Regenbekleidung. In Maastricht saß ich im Café, ich nippte an meinem Kaffee, schaute durch das Fenster auf den einmalig schönen Platz mit der St. Servatius-Kirche – und sah Regentropfen. Macht nichts, dachte ich mir, denn das Regenzeug hatte ich ja mitgenommen. Auf der Rückfahrt, an der Peripherie von Maastricht, erneut Regentropfen, ich zog die Regenbekleidung über. Mächtiger Anstieg in den nächsten Ort, das war Cadier en Keer. Auf dem Höhenzug angekommen, war der Regen in Schnee übergegangen. Und der verstärkte sich, so dass ich mich durch dichtes Schneetreiben hindurch kämpfen musste, das keine Lust verspürte aufzuhören. Etwas weniger als 30 Kilometer musste ich noch bis Aachen schaffen. Es war nicht nur der Schneematsch auf dem Fahrradweg, der mir zu schaffen machte, es waren vor allem meine ledernen Fingerhandschuhe, die – vollkommen durchnässt - meine Finger zu Eis erstarren ließen. Beim Fahrradfahren ist Kälte an Fingern, Ohren, Nase und Zehen unerträglich. Meine warmen, dicken Fausthandschuhe hatte ich zu Hause gelassen. Meine Finger froren so sehr, dass ich mir bald Soldaten in Stalingrad vorstellte, wie sie bei -30 Grad Frost in den Schützengraben lagen und vor Kälte verreckten. Ich weiß bis heute nicht, wie ich es geschafft habe, in Aachen anzukommen, ohne vor Erfrierungen wahnsinnig geworden zu sein.

Dem kalten Winter 2005/2006 folgte – natürlich – ein milder Winter 2006/2007. Die milden Temperaturen ließen die Wetterküche brodeln. Mitte Januar sammelte sich die Energie in der Atmosphäre, die sich mit dem Orkan Kyrill entlud. Die Schäden im Rheinland waren riesig. Besonders im Kottenforst hatte sich der russische Prediger ausgetobt und tiefe Schneisen umgeknickter Bäume hinterlassen.

Drei Jahre nacheinander – von Ende 2008 bis Anfang 2011 – trat nun das ein, was ich nicht mehr für möglich gehalten hatte: knackig kalte Winter mit jede Menge Schnee. Dabei war der Winter 2009/2010 mit den Schneemengen sogar rekordverdächtig. Das war des Guten wirklich zu viel. Ich fühlte mich in meiner Bewegungsfreiheit eingeengt. Ich kam wenig zur Türe hinaus und vermied es, mich über die wenigen schneefreien Wege fortzubewegen. Eine Bekannte war über eine gefrorene Schneefläche gestürzt und lag rund eine Woche im Krankenhaus. Unser großes Mädchen feierte im Januar ihren 18. Geburtstag. Reihenweise sagten eingeladene Gäste aus dem Siebengebirge ab, weil sie eingeschneit waren. Mitte März war ich endlich froh, mit meinem Rennrad eine erste Tour durch den Kottenforst drehen zu können. Rund eine Woche lang herrschten satte Plusgrade, die wärmende Frühlingssonne schien vom Himmel. Doch, oben im Kottenforst angekommen, wurde die Rennradtour zum unüberwindlichen Hindernis, weil nicht abgeschmolzene Schneereste mir komplett den Weg versperrten.

Im vorletzten Winter 2010/2011 geschah das Wunder: weiße Weihnacht. Oder genauer ausgedrückt: eine richtige weiße Weihnacht. Morgens am Heiligabend regnete es noch, mittags wurde daraus Schnee, der bis in die Nacht anhielt. Bis zum neuen Jahr blieb der Schnee liegen. Falsch ausgedrückt: wenn man die Prognosen der Meteorologen bewertet, waren weitere Weihnachtsfeste weiß. Des öfteren hatten die Wetterfrösche im Fernsehen drei bis vier Tage vorher eine weiße Weihnacht vorher gesagt. Zwei Tage vorher waren es noch ein Prozentsatz von 80%. Ein Tag vorher schrumpften der Kreis der Beglückten noch ein Stückchen weiter: in de Mittelgebirgen oberhalb von 600 bis 700 Metern könne man mit einer weißen Weihnacht rechnen. Aber: wer wohnte schon in Eifel, Sauerland oder Westerwald auf einer solchen Höhe ? Die Wettervorhersage war zu einer Mogelpackung entartet.

Kälte und Schnee genieße ich in diesem Winter. Der Winter hält sich, wenngleich ab Sonntag eine Milderung einsetzen soll. Das Winterwetter beeinträchtigt mich nicht. Im letzten Winter war dies grundverschieden. Wieder einmal war der Winter viel zu mild geraten. Mit Ausnahme von rund drei Wochen, die es in sich hatten. Der Himmel war aufgerissen. Es war so kalt, dass der Himmel stahlblau war. Gleich mehrere Nächte hintereinander wurde es -15 Grad kalt. Wenn Wind aufkam, war die Kälte schneidend bis unerträglich. Ich konnte es mir kaum vorstellen, wie es die Menschen in Moskau oder wie es Beate in Schweden aushalten kann. 


Wochen später, geisterten Zeitungsberichte umher, dass unser Stromnetz um Haaresbreite dem Super-GAU entkommen war: dem Zusammenbruch. Demnach hätte es wochenlang dauern können, bis das Stromnetz flächendeckend wieder in Gang gesetzt worden wäre.

Nun kuschele ich mich an der Heizung. Und ich lasse auf mich zukommen, dass der Winter ab nächsten Sonntag – wenn die Wetterfrösche Recht behalten – eine Atempause einlegen wird.

6 Kommentare:

  1. Hallo Dieter, an den Jahreswechsel 1978/1979 kann ich mich noch sehr sehr gut erinnern! An Neujahr hatte ich Dienst beim Fernmeldeamt auf der Reuterstraße in Bonn, Silvester hatte ich hier zuhause in W. gefeiert. Wegen des Schneechaos' fuhr mein Vater mich von W. nach Bonn, natürlich das Wetter miteinkalkuliert, es war die Hölle! Eine Stunde zu spät im Dienst, weil auf den Straßen nichts mehr ging! Und die Bonner waren auch alle viel zu spär, obwohl sie keine 60-km-Fahrt hinter sich hatten! Nach Dienstende fuhr keine Straßenbahn am Bonner Talweg ab! Zu Fuß an den Busbahnhof war ja kein großes Problem, aber auch die Busse fuhren sehr unreglemäßig und ich war müde und wollte in meine kleine Wohnung in Bonn-Duisdorf... Ich habe diesen Tag nie vergessen,

    Heute war es wirklich auch bitterkalt mit dem Ostwind noch dazu! Ich alte die "Wetterlagen" auch immer fest für unsere Dorfzeitung, ich findes es sehr interessant, habe dazu schon einige Artikelchen in unserer Dorfzeitung geschrieben, zum Beispiel vom Sturm "Kyrill"... als mein Sohn ausgrechnet an diesem Tag die Zeche Zollverein in Essen mit der Oberstufe besichtigt hat und dann von Edssen nur noch nach Duisburg gekommen ist...
    Ja, die Winter sind eben unberechenbar.
    LG Marita

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  2. Das ist doch das Schöne am Bloggen, dass man immer auf Dinge stößt, die sich ideal ergänzen, finde ich. Dies nun im Hinblick auf deine Zeilen auf meinem Blog. :-)

    Super, Dieter, dass du die vergangenen Winter hast Revue passieren lassen und deine Anekdoten dazu verfasst hast.
    So einige Winter mit viel Eis und Schnee und kalten Temperaturen sind mir auch noch gut in Erinnerung, wo ohne das Aufziehen von Schneeketten kein Autofahren möglich war.
    Aber jetzt haben uns die kalten Temperaturen auch schon wieder eine ganz Zeit lang im Griff und für Sonntag ist Eisregen angekündigt. Schau mer mal.....


    Liebe Grüße
    Christa

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  3. An den Winter kann ich mich auch noch sehr gut erinnern...so war es das erste Mal dass ich Schneefrei in der Schule hatte. Ein paar Tage durften wir im Radio den Durchsagen lauschen wann vom Kultusministerium wieder zur Schule gerufen wurde^^

    Bin aber erstaunt wie gut du dich an diese ganzen (sämtliche) Einzeilheiten der Winter erinnern kannst. War sehr interessant.

    Schönes Wochenende und herzliche Grüsse

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  4. Joli parc enneigé qui invite à la balade silencieuse entre les beaux arbres
    Bon dimanche!

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  5. Danke für diesen winterlichen Rückblick. Als Kind aus Badisch-Sibirien war ich ja rechte Winter gewohnt. 1961, am 2. Januar, kam ich mit meiner Familie nach Bonn. An die Winter hab ich wenig Erinnerungen... Na klar, den von Silvester 78/79, den von 1985, als mein Bruder von Wahn nach Afrika auswanderte, 1986/87, als wir unser Haus umbauten & nicht voran kamen und 1996, als alle meine Lorbeerbäume erfroren, weil wir sie nicht rechtzeitig einräumten ( 2009 ) ist das noch einmal passiert. An das Hochwasser kann ich mich auch noch erinnern, den wir wohnen in einem Altrheinarm. Genug der Erinnerungen...
    Ich blogge zwar zu ganz anderen Sujets, werde aber immer wieder mal vorbeischauen.
    LG
    Astrid

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  6. Danke für die kleine winterliche Zeitreise Dieter. Ab den 90ern konnte ich mich dann auch mehr oder minder etwas erinnern. Davor habe ich als Kind nicht so sehr auf solche Dinge geachtet :-)

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