Mittwoch, 31. Juli 2013

Urlaub auf Sparflamme

Sind wir so sehr gealtert, gesetzt oder antrieblos ? Die Entscheidung ist uns in diesem Jahr leicht gefallen, Urlaub auf Sparflamme zu machen. Keine Herumdiskutierei, wo wir Urlaub machen wollen, keine Herumtelefoniererei, welche Ferienwohnungen frei sind, kein Buchungsstress.

Die Weiterbildung meiner Göttergattin, die genau mit dem Ferienbeginn in NRW geendet hat, war ein echter Zeitfresser. Zu vieles ist liegen geblieben. Teile unseres Gartens sehen wie ein halber Urwald aus. Unser Vorgarten ist so überwuchert von Unkraut, dass er komplett neu gestaltet werden muss.

Mit Genuß habe ich Freitag und Samstag die Staumeldungen in meinen Ohren zergehen lassen. Auf der A61 vor der Ahrtalbrücke alles dicht. Bei der Rheinböllen 25 Kilometer Stau. Weiter südlich, wurden bei Karlsruhe genauso die 25 Kilometer Stau erreicht. Das Stauchaos war demgegenüber auf dem Kölner Autobahnring schon normal. Vor dem Kreuz Leverkusen ging gar nichts mehr, das Kreuz Heumar war dicht. Stoßstange an Stoßstange genauso vor dem Autobahnkreuz Aachen. Dieses gestreßte Studium der Staumeldungen konnte ich mir ersparen. Dies war bisweilen so kompliziert wie eine Doktorarbeit in Verkehrswissenschaften, bei Bruchsal oder bei Sindelfingen oder bei Ahrensburg oder bei Cloppenburg die Autobahn zu verlassen und über Bundesstraßen elegant die Staus so zu umfahren, dass wir wieder auf der richtigen Autobahn in der richtigen Richtung landeten.

Damit der Urlaub auf Sparflamme vor sich her köchelt, haben wir eine Angewohnheit beibehalten: wir schonen unser Auto, das 225.000 Kilometer auf dem Buckel hat, indem wir einen Leihwagen mieten und ganz viel durch die Gegend düsen können. Diesmal ist es ein schnittiger Opel Insignia, der beim Beschleunigen abzieht wie eine Rakete,  der sich butterweich schalten läßt und auf der Straße liegt wie ein Brett. Existenziell wichtig ist bei der momentanen Witterung, dass der Leihwagen den Luxus einer Klimaanlage hat, denn unser eigenes Auto verwandelt sich bei Hitzewellen in einen Backofen.

In der Nachbarschaft, an Elternstammtischen oder am Arbeitsplatz werden wir mit unseren Urlaubseindrücken nicht mithalten können. Phantasialand anstelle Mallorca, Rheinromantik anstelle Badebuchten auf Kreta, Maare in der Eifel anstelle Noblesse an der Côte d’azur. Dass es uns zu Industriedenkmälern im Ruhrgebiet zieht, dürfen wir wahrscheinlich niemandem erzählen. Urlaub und Ruhrgebiet ? Das ist geradezu provozierend und rebellisch, dies mit Sandstränden rund ums Mittelmeer gleichzusetzen.

Bodensee, Costa Brava und Ostsee – das war unsere letzten drei wunderschönen Urlaubsziele. Haben unsere Antriebe nachgelassen, für längere Zeit einmal im Jahr wegzufahren und viel schönere Gegenden kennen zu lernen ? Nun ist es soweit, dass wir keine Koffer packen müssen. All diese Mühsal entfällt, als Vorstufe dafür den Wäscheberg so zu erledigen, dass dieser in die Koffer hinein gezwängt werden kann. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass wir etwas absolut überlebenswichtiges vergessen haben, so dass wir am Urlaubsort improvisieren müssen oder in einer Nacht-und-Nebel-Aktion überlebenswichtige Teile heran schaffen müssen. Dass die Ferienwohnung genau unseren Vorstellungen entspricht, was wir brauchen, darum brauchen wir uns ebenso nicht zu sorgen.

Urlaub auf Sparflamme. Wir erholen uns, indem wir nicht so richtig in Urlaub fahren. Ein paar Tage Legoland Günzburg, diese Tradition halten wir aufrecht. Bei exponierten Reisezielen werden die Urlaubsdiskussionen aus dem Ruder laufen. Andere machen eine Rundreise durch die USA. Oder eine Kreuzfahrt durchs Mittelmeer. Oder an den Stränden auf den Malediven. Oder nach Thailand. Zwischen den Weltbildern liegen Größenordnungen. Ich muss nicht die USA gesehen haben, weil mir nach den letzten Abhörskandalen die USA suspekt erscheint. Eine Kreuzfahrt durchs Mittelmeer wäre mir langweilig, weil ich immer nur das Meer sehen würde. Ähnlich langweilig wäre es mir auf den Malediven, weil dort ganz viel Meer mit viel zu wenig Land ist. Thailand könnte vielleicht sogar interessant sein, weil mir die boomende Wirtschaft ein Begriff ist. Trotz Thailand werden Urlaubsdiskussionen über derartige Urlaubszeile mich befremden. Kultur und Identität des Landes sind komplett anders, das Vergleichen und Abwägen zu Bekanntem gestaltet sich schwieriger.

Unabhängig vom Reiseziel, hat dies auch mit dem Anspruch des Urlaubers zu tun, was er erleben will. Viele Urlauber wollen etwas erleben, sie wollen Land und Leute kennen lernen, sie tauchen in die Faszination fremder Städte und Gegenden ein. Viele Urlauber wollen aber nichts erleben. Sie wollen ausspannen, abschalten vom Alltag, ihren Kopf freibekommen und die Seele baumeln lassen. In die Andersartigkeit fremder Kulturen einzutauchen, überfordert sie.

Beide Urlaubertypen haben ihre Daseinsberechtigung. Ob wir an der Ostsee, an der Costa Brava, am Bodensee oder zu Hause Urlaub gemacht haben, darüber werde ich mich auf Augenhöhe nur mit dem ersten Urlaubertypen unterhalten können. Dabei erwarte ich von dem anderen Urlauber, dass dieser ein Stück Abgedrehtheit mitbringt, um Rheinromantik oder die Eifelmaare als potenzielles Urlaubsziel zu begreifen.

Wir sind spontan, denken von einem Tag zum nächsten. Heute haben wir das Phantasialand in Brühl besucht. Solche Freizeitparks sind zwar nicht mein Ding, dem Rest der Familie hat es aber bestens gefallen. Wohin wir mit unserem Opel Insignia fahren, werden wir Morgen spontan entscheiden. In unserem Urlaub auf Sparflamme gibt es im Rheinland noch so viel schönes zu entdecken.

Freitag, 26. Juli 2013

die Memoiren von Chateaubriand


Dichter und Politiker, eine seltene Kombination ? Die deutsche Nation kann dazu nichts beisteuern. In unseren Nachbarländern entdecke ich immerhin Vaclav Havel. Er schrieb Theaterstücke, widersetzte sich dem kommunistischen Machtapparat und  wurde nach den Revolutionen in den osteuropäischen Staaten Ende der 80er der erste Präsident der tschechischen Republik. Dichter und Politiker – mir fallen nur seltene Staatsmänner ein. In der griechischen Antike war es Perikles, der einer Rednerschule entstammte und politische Strukturen schuf, die der heutigen Demokratie größtenteils überlegen war. In der römischen Antike war es Ceasar, der fleißig sein Tagebuch über gallischen Krieg („de bello gallico“) schrieb, worin er sehr viele wertvolle Details – zum Beispiel über die Römer am Rhein – der Nachwelt überlieferte. In der Gegenwart prallen mit der Romantik von Dichtern und dem Machterhaltungstrieb von Politikern Gegensätze aufeinander, die unvereinbar aussehen, so dass ich keinen einzigen Dichter kenne, der gleichzeitig Politiker ist.

Cheateaubriand war ein solches seltenes Exemplar. Geboren 1768 , war er als Adliger dem Ruf Napoleons gefolgt, als hoher Beamter in seiner Verwaltung tätig zu sein. Dieser Ruf ereilte ihn 1800, als er nach Amerika gereist war und danach in England als Lehrer für Französisch seinen Lebensunterhalt bestritt. In England schrieb er seine ersten Erzählungen. Den literarischen Durchbruch erzielte er mit dem Abriss über das Christentum  „le génie du christianisme“, welches er in England begonnen hatte und während der Zeit Napoleons 1802 beendet hatte. In diesem Werk „le génie du christianisme“ stellt er seine eigenen Überzeugungen des Christentums dar, seine Art von Ästhetik und Philosophie, wie er das Christentum gesehen hatte, revolutionäre Ansätze des Christentums, die er in die Bewegungen der französischen Revolution transferierte. Dieses Buch wurde ein Bestseller in Frankreich. Nachdem Napoleon seinen Untergang bei Waterloo erlebt hatte, wurde er unter König Ludwig XVIII ab 1815 Abgeordneter des Oberhauses.

Aus heutiger Sicht könnte man ihn als Europa-Politiker bezeichnen, denn er war während seiner Abgeordnetenzeit gleichzeitig Botschafter, und zwar nacheinander in London, Berlin und Stockholm. 1822 war er Deligierter auf dem Kongress von Verona, auf dem die Besetzung Spaniens durch Frankreich gebilligt wurde. Von 1823-1824 war er Außenminister.

Schloß Combourg; Quelle: Wikipedia
Der Geist des Adligen Francois-René de Chateaubriand ist über Jahrhunderte hinweg im Schloss Combourg in der Bretagne konserviert worden. Chateaubriand schafft es, dass in seiner politischen Karriere seine Erinnerungen um das Schloss Combourg kreisen. So notiert er beispielsweise in Philadelphia in Amerika: „Die Straße die wir entlangfuhren und die mehr angedeutet als ausgebaut war, durchquerte ziemlich flaches Land. Fast keine Bäume, nur hier und da ein paar Farmen, weit auseinanderliegende Dörfer, ein Klima wie in Frankreich, Schwalben die über die Gewässer dahinflogen wie über die Teiche von Combourg.“ Das Schloss erhebt sich mit seinen beiden mächtigen Türmen über der Ortschaft Combourg . Im Schloss kann man das Kinderzimmer von Chateaubriand besichtigen, dessen Ausblick vom Turm aus er in seinen Memoiren beschreibt. Ein Raum ist der Pressefreiheit gewidmet, für dessen Engagement Chateaubriand einige Monate sogar im Gefängnis verbracht hatte.

Obschon Chateaubriand Adliger war, wurde er kaum reich. Als Botschafter musste er Feste veranstalten, zu denen er nur einen kleinen Obolus vom französischen Staat zurück erhielt. Seine Reisen quer durch Europa kosteten mehr als sein Abgeordnetengehalt hergab. Er musste einen Teil seiner Bibliothek verkaufen, damit er umgekehrt den Druck seiner Bücher finanzieren konnte.  

Er selbst unterteilte sein Leben in drei Abschnitte: als Reisender, als Politiker und als Schriftsteller. Seine Memoiren sind jede Menge Stoff. Insgesamt dreißig (!!!) Jahre hat Chateaubriand an seinen eigenen Memoiren geschrieben. Mit der Knappheit meiner eigenen Zeit tue ich mich schwer, dicke Wälzer zu lesen. Das waren insgesamt 782 Seiten, die ich in mich hinein gesogen habe. Mit so viel Seiten war ich rund drei Wochen blockiert. Trotz der hohen Seitenzahl:  die Memoiren haben mich in den Bann gezogen, Chateaubriand hatte viel zu sagen, es war spannend wie im Roman, seine Formulierungen waren literarisch brillant. Viele Herrscher aus Europa kannte er persönlich. Er bewegte sich quer durch die Epochen – Napoleon, Wiener Kongreß und Restaurationszeit (in der Frankreich einen unabhängigen revolutionären Weg genommen hatte). Er war ein Unruhegeist, der ständig in Bewegung sein musste. Seine Kommunikationsfähigkeit quer durch Europa mit dem direkten Draht zum französischen König muss grenzenlos gewesen sein – im prähistorischen Zeitalter ohne Handys oder Smartphones.

Grab von Chateaubriand; Quelle: Wikipedia
1848, als ein kleines Stückchen Französische Revolution Deutschland erreichte, sich aber nicht durchsetzte, starb Chateaubriand. Ab 1830 hatte sich Chateaubriand aus der Politik zurückgezogen. Weitere Essays über Geschichte, Literatur und Politik hatte er bis zu seinem Tod geschrieben.

Dem Meer verbunden, hatte Chateaubriand  in seinem Testament bestimmt, dass er direkt vor der Küste seiner Geburtsstadt Saint-Malo begraben werden wollte. Sein Grab erhebt sich hoch über den felsigen Klippen der Bretagne und schaut auf das Meer hinab. Die Stimmung über diesem Grab ist einzigartig.

Den Deutschen dürfte Chateaubriand übrigens weniger mit seinen Memoiren bekannt sein. Er war Feinschmecker und hatte einen eigenen Koch, der ihn während seiner Tätigkeiten im Ausland begleitete. Das Steak, wie Chateaubriand es mochte, musste von innen stets saftig sein. Sein Koch entfernte die äußeren Stücke des Fleisches, so dass der saftige Inhalt übrig blieb.

Chateaubriand ist also nicht nur eine Symbiose als Dichter und Politiker – sondern auch als Feinschmecker.

Sonntag, 21. Juli 2013

Altenberger Dom

Die Wurzeln liegen in Frankreich. Klostergründungen haben den Geist des Mittelalters geprägt. Bedeutende Klostergründungen haben sich von Burgund aus nach ganz Europa ausgebreitet. So der Zisterzienserorden, der seinen Namen nach dem Gründungskloster Cîteaux (1098) trägt und die Regeln des Heiligen Benedikt von Armut und Entsagung umsetzte. Von Cîteaux aus wurden Tochterklöster gegründet, unter anderem in Morimond in den französischen Ardennen (1115). Morimond wiederum gründete weitere Tochterklöster: eine der Gründungen war das Kloster Altenberg, das sich in der Einsamkeit des Dhünntales im Bergischen Land niederließ. Das war 1145, als eine (noch) kleine Basilika im romanischen Baustil entstand. 1255 wurde die Klosterkirche grundlegend umgebaut – in gotischem Stil. In den Formen, wie sie bis heute erhalten sind, entstand der Altenberger Dom im 14. Jahrhundert. Neben dem Kölner Dom ist  der Altenberger Dom die bedeutendste gotische Kathedrale im Rheinland.


Mit der Abfahrt ins Tal habe ich den Dom vom Chor aus gesehen.


Die hohen Kirchenfenster dokumentieren den gotischen Stil wie aus einem Guß.


Alle großen gotischen Kathedralen stehen mit ihren Türmen nach Westen. Mit dem Armutsgelübde der Zisterzienster haben die Erbauer auf Türme verzichtet.


Die Querverstrebungen findet man genauso am Kölner Dom oder an der Notre-Dame in Paris.


Gemäß dem Armutsgelübde der Zisterzienser ist das Innere schlicht gehalten.


… und das Eingangsportal.


Der Domladen war geschlossen.



In den früheren Klostergebäuden können Ausflugstouristen beköstigt und verwöhnt werden.


Robert von Moslesme, Alberich von Cîteaux, Stephan Harding und Bernard von Clairvaux, das waren diejenigen Abte, die die ersten vier Töchterklöster von Cîteaux gegründet hatten. Schließlich verlasse ich den Altenberger Dom, diesen Ort der morgendlichen Stille, dieses vollkommene Glanzstück rheinischer Gotik.

Oliver Geissen - die 25 beliebtesten Lovesongs

Quelle: www.olivergeissen.de
Diesmal war vieles anders. Das Publikum war eingeteilt in die Kategorien R, A, B und F. Das Kürzel R stand für Redaktionsgäste, A und B für zahlendes Publikum, F für Freikarten. Zu dieser letzten Kategorie F gehörte wir, denn eine Woche vorher waren uns Freikarten angeboten worden. Der Ticketservice hatte uns angerufen, dass noch kostenlose Restkarten gab für die Fernsehshow „Die beliebtesten Lovesongs“ mit Oliver Geissen übrig waren. Dankend hatte wir zugesagt, denn die bisherigen TV-Aufzeichnungen mit Bernd Stelter (NRW-Duell) oder Jörg Thaddäus (Durchgedreht) waren ein schönes Erlebnis gewesen.

Vieles war anders. Taschen mussten wir an der Garderobe abgeben. Die Einlaßkontrolleure zum Fernsehstudio waren penibel, denn sie kontrollierten genau die Reihenfolge R, A, B, F. Manche Zuschauer waren ungeduldig, hatten sich nach vorne gedrängelt. Wartende mussten zur Seite treten, Zuschauer mit der richtigen Kategorie mussten sich von hinten nach vorne durchwursteln. Das war mühselig, Durcheinander und Chaos entstand, so dass der Einlaß mehr als eine halbe Stunde länger dauerte. Die Treppe hinauf zur Zuschauertribüne. Die Aussicht auf die Bühne war prächtig, obschon wir in der letzten Reihe saßen.

Ein Langhaariger, der sich selbst als Opa bezeichnete, aber vielleicht Mitte vierzig war, studierte den Applaus ein. Er fragte ins Publikum hinein, wer verliebt, wer mit Partner, wer getrennt, wer ohne Partner, wessen Partner zu Hause war. Ein Paar schloß er in sein Herz, das im August heiraten würde, und überschüttete es mit Glückwünschen.

Als Oliver Geissen auf der Bühne erschien, der Jubel des Publikums ihn umrauschte und seine Showgäste erschienen, da spürte ich diese Unnahbarkeit. Zwischen RTL und ARD/ZDF lagen Welten. Bernd Stelter und Jörg Thaddäus (ARD/ZDF): vor der Aufzeichnung hatten sie das Publikum begrüßt. Das war ein Akt der Wertschätzung, indem sie die Showgäste ankündigten, den Kontakt zum Publikum suchten und dafür gerade standen, dass alle gut unterhalten würden.

Oliver Geissen befand sich in einem Konstrukt von Elfenbeinturm, denn er suchte keine Worte der Begrüßung, bewegte sich nicht ins Publikum hinein, wirkte abseits der Bühne scheu, schottete sich ab. Er setzte auf Attraktionen und kündigte seine Show-Stars an: drei Show-Acts sollten Live zu sehen sein, zwei waren aufgezeichnet. Für mich sollte dies eine neue Welt sein, denn seit ungefähr Anfang der 90er Jahren waren meine Kenntnisse zeitgemäßén Pop-Musik verblaßt. Als ich in die Zuschauertribüne schaute, stellte ich ohnehin fest, dass meine leicht ältere Altersklasse wenig vertreten war.

Die Bühne öffnete sich. „Blue“ – wovon ich vorher nie gehört hatte – sang „Sorry seems to be the hardest word“. Mittzwanziger kreischten um mich herum, was mir fremd vorkam, denn die Elton-John-Version gefiel mir deutlich besser. Das Kreischen wurde besonders intensiv, als ein Schwarzer das Mikrofon ergriff und bestimmte Passagen sang. Später folgte „I need your love“, das aufgezeichnet war und ebenso gecovered war. Lichtjahre lagen zwischen dem Original von den Righteous Brothers und der Cover-Version. „Blue“ war nur ein blasser Abklatsch. Als die Zuschauer allesamt von ihren Sitzen aufstanden und frenetisch mitklatschten, träumte ich und meine Gedanken schweiften fernab von der Bühne.

Der Langhaarige, der sich als Anhängsel der 68er-Generation verstand, war publikumsnäher als Oliver Geissen. Er untermalte die Werbepausen, suchte den Blickkontakt zu Zuschauern älteren Semesters, fühlte sich verbnden mit ihnen, beschwor alte Zeiten hervor. Er scherzte über die Feindschaft zwischen Köln und Düsseldorf, wobei er lobend eine Kollegin aus Düsseldorf vorstellte. Dass er sich so ins Publikum mischte, wäre bei Oliver Geissen undenkbar gewesen. Er war nicht nur unterkühlt und hanseatisch, denn er kam ursprünglich aus Hamburg. RTL,sein Sender, der seinen Vertag seit April für weitere zwei Jahre verlängert hatte, war effektiv eine andere Kultur als ARD oder ZDF. RTL konnte auf direktem Weg die Erfolgsrechnung machen: nämlich Einschaltquote mal Werbeeinnahme minus Produktionskosten.

Das dominierte die Sendung, obschon sie nicht schlecht beziehungsweise einfallsreich gemacht war. Oliver Geissen mied das Publikum. Er kam mir vor wie ein Versicherungsvertreter, der gerade seine Provision nach einem Vertragsabschluss kassierte hatte und dem der Kunde anschließend egal war. Er unterhielt sich fleißig mit seinen Gästen – das waren Barbara Wussow plus Ehemann und ein anderes mir unbekanntes Paar . Er ließ sich auf ein niedriges Niveau der Unterhaltung herab, indem er Rihanna mit einem Knutschfleck zeigte. Wen interessiert so etwas ?

Der Tiefpunkt seiner Show war Joey Heindle (den Sieger des Dschungelcamps), den er während der 25 beliebtesten Lovesongs permanent zu Wort kommen ließ. Seine infantilen Sprüche zogen das Niveau der Show um Größenordnungen nach unten: „Boah, Mann, ich bin gut drauf“ oder „Liebe ist wie bei einer Geburt. Welcher Redakteur hatte es zugelassen, ihn dermaßen oft zu Wort kommen zu lassen ?

Oliver Geissen ließ die anderen machen. Animationen und Zeichentrickfiguren untermalten die 25 beliebtesten Lovesongs, aus denen allerlei Geschichten zur Liebe erzählt wurden. Erste Liebe, Erster Kuß, das Gefühl des Verliebtseins, Trennung, Schmerz, Knutschen, Flirten, Liebeskummer, Tränen, Treue, wie Kino- oder Konzertbesuche die erste Liebe begleiteten, darum ging es. Das war nicht besonders tiefsinnig, ich kramte ein wenig in meiner eigenen Vergangenheit herum. Meine erste Liebe lag zu weit zurück, dass ich sie in so lebhafter Erinnerung behalten hatte.

Die Show plätscherte. Es waren auch gute Love Songs dabei, sogar der erste auf dem 25. Platz. Für einen viel zu kurzen Augenblick wurde U2 auf dem Großleinwand eingeblendet. Bono sang mit seiner ekstatischen Stimme „One Love“. Die meisten Stücke wurden nur als Kurzversion eingespielt. Zwei Stücke waren zuvor live aufgenommen worden. Drei Gruppen spielten Live, das waren „Blue“, „Revolverheld“ und die dritte Gruppe traf voll meinen Geschmack – ich habe mir allerdings nicht ihren Namen merken können. Das war eine Neuauflage von U2, denn der Sänger sang ähnlich ätherisch wie Bono von U2, die Keyboards waberten. Ich fühlte mich nach 1984 zurückversetzt, als ich U2 Live in Köln erlebt hatte.

Die Show von Oliver Geissen hatte also auch starke Szenen. Ich musste feststellen, dass Oliver Geissens ultimative Chart Show ein Nischendasein führte. Er hatte effektiv keine Konkurrenz, beugte sich dem Publikumsgeschmack und driftete in die seichten Gewässer der Unterhaltung. Wehmütig dachte ich an längst verblaßte Rockpalast-Zeiten, als es noch wirkliche Konkurrenz bei Musiksendungen gab. Es reichte, wenn er sich auf Augenhöhe mit seinen Show Acts bewegte. Er spulte sein Programm herunter. So wie Joey Heindle, hätte er auch lauter Unsinn daherreden können, die Show hätte trotzdem gezündet.

Die Nummer Eins war keine Enttäuschung, genauso wie mein Gesamteindruck – trotz aller Niederungen. „Let her go“ von Passenger hatte ich irgendwo aufgeschnappt, und mit der griffigen Stimme des Sängers gefiel mir das Stück. War die Nummer Eins berechtigt ? Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre es vielleicht Metallica mit „Nothing else matters“ gewesen oder die Scorpions mit „Still loving you“. Ich bin eh nicht repräsentativ für den deutschen „Lovesong“-Geschmack.

Mit viel Tamtam und Aufwand und Riesenblumensträuße für die Damen ging die Show auf der Bühne zu Ende. Das Starensemble stand in abgemessener Entfernung zum Publikum. Am Ende der Show entschwand Oliver Geissen -  ungesehen und unnahbar wie während der Show. Am 31. August wird diese Show um 20.15 Uhr auf RTL zu sehen sein.

Mittwoch, 17. Juli 2013

mit dem Rennrad zum Altenberger Dom


In der Morgenstille radelte ich los. Das Licht strich über Getreidefelder, verwischte die Ähren in ein blasses Gelb und durchdrang den übersichtlichen Streifen eines Zuckerrübenfeldes. Kühlturm und Schornsteine der Evonik-Werke erschienen als Drohgebärde am Horizont. Dampf- und Rauchwolken pinselten ein fahles Weiß gegen den Morgenhimmel, der so regungslos war wie die Windstille.

In Windeseile gelangte ich nach Köln. In Porz-Libur erreichte ich den Streß der Großstadt mit konturlosen Neubaugebiete. Porz-Wahn war in der Morgenstille nahezu autofrei – das war vor der Autobahnauffahrt ein höchst seltenes Erlebnis.

Ruhig, bewaldet, flach, ohne Anstrengungen radelte ich auf der schnurgeraden Straße. Das war ungewöhnlich für Köln, aber mir wurde langweilig. Bis mir drei spazierende jugendliche Gestalten mit Trolleys auf dem Fahrradweg entgegenkamen.

„Kannst Du uns auf dem Gepäckträger mitnehmen ?“ fragten sie.
„Ich habe keinen Gepäckträger, wie Ihr seht.“
„Wie weit ist es zum Flughafen ? Dass es immer nur geradeaus geht, macht uns fertig.“
„Bestimmt noch fünf bis sechs Kilometer. Gleich kommt eine Ampel, da müsst ihr nach links.“
„Wir haben uns total verschätzt, dass wir soviel laufen müssen.“

All diese Monotonie markierte ein Schild, dass ich mich auf dem Heumarer Mauspfad befand. Ich richtete meinen Blick gezielt auf den Fahrradweg, doch von einer Mäuseplage war keine Spur. Keine einzige Maus war zu sehen, dafür aber Risse und Unebenheiten auf dem holprigen Fahrradweg.

Ich bog ab, Richtung Bensberg schossen Kiefern empor und hoben sich scharf von dem azurblauen Himmel ab. In Bensberg fand die Etappe durch flaches Gelände ein jähes Ende. Die Straße strebte direkt auf den Betonstumpf eines alten Bergfriedes zu, der diese nach oben zog. Dann bog die Straße auf eine innerstädtische Umgehungsstraße ab und schlängelte sich weiter die Höhen hinauf, wobei sie das Zentrum von Bensberg seitwärts liegen ließ. Ich bewegte mich fernab von dem kompakten Zentrum von Bensberg, das ich in schweißtreibender Erinnerung hatte. Dreimal hatte mich das Radrennen „Rund um Köln“ über die Widerwärtigkeiten des Bensberger Kopfsteinpflasters geführt. Dieses legendäre Kopfsteinpflaster führte an der Vorderseite des Bensberger Schlosses vorbei. Nun kletterte ich den Anstieg genau an der Rückseite des Bensberger Schlosses hoch. Ich wagte kaum daran zu denken, dass das Bensberger Schloss Zeitzeuge der Düsseldorfer Herrschaft hinter den Stadtgrenzen von Köln war, denn Herzog Jan Wellem aus Düsseldorf hatte veranlasst, dass dieses Schloss vor den Toren Kölns gebaut worden war.

Egal, ob Düsseldorf oder Köln, ich genoss die schöne Landschaft, die sich hinter der Stadtgrenze von Bensberg öffnete. In weitem Bogen kurvte ich an der Kreisstadt des Rheinisch-Bergischen Kreises – Bergisch Gladbach – vorbei. Dann kam  ein Schild, welches mein Herz als Rennradfahrer höher schlagen ließ: „Unfallstrecke auf 1,8 Kilometer; Hochstgeschwindigkeit 50 km/h“. Die Strecke hielt, was sie versprach. In Wellen schwang sich die Straße ins Tal, zackige Kurven schmissen sich in die Landschaft, Ausblicke und Perspektiven wechselten ständig, die Straße schmiegte sich zwischen Alleebäumen. Die Straße stieg an, aber nicht mit einer krassen Wucht, die mir den Atem nahm.



Ich unterdrückte das ehemalige Herrschaftsgebiet von Düsseldorf, denn auf der B506 landete ich auf einer derjenigen Abschnitte, die ich auf dem Jedermannrennen „Rund um Köln“ befahren hatte. Das waren soviele positive Erinnerungen, so viele Zuschauer am Wegesrand und soviel Begeisterung, die mich nach Köln getragen hatte. Meine Euphorie nahm kein Ende, als ich mich an diese Volksfeststimmung zurückerinnerte. In Kürten-Bechen  fuhr ich an dem Dorfplatz vorbei, wo aus Lautsprechern Musik ertönt hatte, wo mich die Zuschauer am Straßenrand angefeuert hatten und mich zu meiner persönlichen Höchstleistung angetrieben hatten. Heute war es kein Radrennen, sondern das 30-jährige Jubiläum des Karnevalsvereins, der seine Buden auf dem Dorfplatz aufgebaut hatte und eine ähnliche Feierstimmung erzeugen würde.

Auf und ab, die Höhen des Bergischen Landes waren nicht so spektakulär wie diejenigen in der Eifel, aber die Landschaft war nicht weniger schön. Das Bergische Land war etwas zarter, mit mehr Fachwerk gespickt, die Einschnitte in das Gelände waren unauffälliger.

Den Altenberger Dom hatte ich als Ziel ausgewählt, weil er zum einen ein imposantes Bauwerk der Gotik war und zum anderen weil mein einziger Besuch mehr als zwanzig Jahre zurücklag. Rund um Köln hatte nicht am Altenberger Dom vorbei geführt. Mit einer Rennradtour lag er in erreichbarer Nähe nach zu Hause – das waren rund 40 Kilometer. Ein wenig hatte ich geirrt, denn die Abfahrt über Serpentinen und durch den Wald war durchaus spektakulär. Traumhaft schob sich der Dom mit seiner Rückseite ins Blickfeld. Ich wunderte mich, dass der Dom einsam im Tal lag, denn einen Ort „Altenberg“ gab es in dem Sinne nicht. Immer noch früh Morgens, konnte ich diesen Ort der Stille genießen. Besucher sammelten sich zu einem Gottesdienst. Ich knipste eine Reihe von Fotos, die ich in einem separaten Blog zeigen möchte. Dort möchte ich auch einiges mehr über den Altenberger Dom erzählen.


Odenthal, Bergisch Gladbach-Schildgen, ich kehrte nach Köln zurück, danach sorgte die flache Strecke für eine bequeme Fahrt. Ich staunte, denn in Dünnwald stieß ich abermals auf den Mauspfad. Auch hier prüfte ich die Straße: keine Mäuse, auch keine Ratten, die Fahrbahn war vollkommen frei von jeder Art von Nagetieren, ich konnte also beruhigt weiterradeln. Als Handelsstraße im Mittelalter begann der Mauspfad bei Duisburg, er führte an Köln vorbei bis in den Westerwald hinein. Als Fernhandelsstraße verband er im Endeffekt das heutige Ruhrgebiet mit Frankfurt. „Maus“ steht für „Maut“, denn die Fernhandelsstraße wurde befestigt und ausgebaut als Transportweg, wofür die Städte eine Maut verlangten. War also nichts mit der Mäuseplage !

Über den Mauspfad, Porz-Wahn und Porz-Libur kehrte ich zurück. Das war eine lockere Tour über 90 Kilometer in viereinhalb Stunden. Flache Stücke und Berge waren ungefähr gleich. Der Altenberger Dom war ein mehr als sehenswertes Ziel.

Sonntag, 14. Juli 2013

Maastricht

Die Rennradtour über die Mergellandroute habe ich genutzt, um mich vom Hauch der südlichsten Stadt der Niederlande – Maastricht – verzaubern zu lassen. In Maastricht ticken die Uhren anders als in den übrigen Niederlanden. Ein südländisches Flair kommt auf, denn in Maastricht ist es drei Grad wärmer als im Rest des Landes. Mit den übrigen niederländischen Städten hat Maastricht nichts gemein. Das Stadtbild ähnelt eher demjenigen von Aachen oder Lüttich als demjenigen von Den Haag, Amsterdam oder Utrecht. Wer den Maastrichter als Holländer bezeichnet, dem drohen böse Blicke, denn Maastricht ist von den Kernprovinzen Noord- und Zuid-Holland fast 200 Kilometer entfernt.


Als Römerstadt hieß Maastricht „Mosae ad trajectum“. Das bedeutet „Brücke über die Maas“. Die St. Servaasbrug liegt nicht unweit dieser Brücke, von der keine sichtbaren Überreste erhalten sind.


Der Vrijthof mit der St. Servatiuskirche ist eine der beiden zentralen Plätze.



Maastricht ist die niederländische Stadt mit den meisten Cafés.


Bei meiner Rennradtour bin ich in einem Café am Marktplatz eingekehrt.


Zuerst Fritten essen an einem Snack, an dem mir die Fritten in einer Tüte auf einem Tablett serviert wurden.


Dann trinke ich ein Trappistenbier.


Dabei lese ich niederländische Zeitungen.


In meinem Rücken kann ich in das Café hinein schauen.


Alle halbe Stunde ertönt das Glockenspiel am Rathausturm.

Donnerstag, 11. Juli 2013

Pumpspeicherkraftwerk Rursee

Rursee; Quelle: Wikipedia
Als die Römer Europa eroberten, widersetzte sich ein kleines gallisches Dorf. Miraculix einte die Kräfte mit einem Zaubertrank. Asterix und Obelix und all die anderen Krieger wuchsen über sich hinaus. Ein kleines gallisches Dorf besiegte die übermächtigen Römer und setzte Caesar und anderen Feldherren einen Nadelstich nach dem anderen.

Solche kleinen gallischen Dörfer haben sich in der Nordeifel formiert. Der Zaubertrank des schönen Rursees hat sie zusammengeschweißt. Sie sind über sich hinaus gewachsen, um das Gesamtkonzept der Energiewende vom Tisch zu wischen. In den Köpfen der Verantwortlichen dominiert nun die Ratlosigkeit.

Die kleinen gallischen Dörfer finden sich in Heimbach und Nideggen, das sind die umliegenden Gemeinden des Rursees in der Nordeifel. Niemand will Strom aus Atomkraftwerken, also hat die Bundesregierung den Atomausstieg beschlossen. Dieser Strom soll aus regenerativen Energien ersetzt werden.

Der Atomausstieg fand breite Zustimmung in der Öffentlichkeit. Um die Stromversorgung sicherzustellen, hatte die Bundesregierung ein breites Konzept ausgearbeitet: angefangen mit Gaskraftwerken, dann großflächiger Ausbau der Windenergie, Neubau von Stromtrassen und schließlich: Pumpspeicherkraftwerke, um Schwankungen des verfügbaren Stroms auszugleichen.

Als Talsperre in NRW war dafür die 203 Quadratkilometer große Rurseetalsperre optimal geeignet, so hatte es die rot-grüne Landesregierung in NRW beschlossen. Westlich des Rursees, auf der Höhe von Simmerath, sollte ein Oberbecken gebaut werden. Wenn der Wind pustet und die Sonne scheint, sollte Wasser vom Rursee in das Oberbecken gepumpt werden. Bei Windstille und in dunklen Jahreszeiten sollte das Wasser in einem Unterwasserstollen in den Rursee zurückfließen, wobei die Höhendifferenz von 260 Metern genutzt werden sollte, um Strom produzieren.

So weit, so gut. Dann kam das, was immer bei Großprojekten geschieht. Atomausstieg gerne, regenerative Energien gerne, sichere Stromversorgung gerne, aber bitte nicht vor der eigenen Haustüre. In den kleinen gallischen Dörfern Heimbach und Nideggen rüstete die Bürgerinitiative „Rettet den Rursee“ auf. Sie sammelte 6.000 Unterschriften, richtete eine Petition an den Landesumweltminister in NRW und plazierte ihre Proteste in Presse,- Rundfunk- und Fernsehreportagen.

Dabei kann man ihre Ängste durchaus verstehen. Sechs Jahre lang würde der Rursee im Baustellenchaos versinken, wenn das Erdreich mit insgesamt 200.000 LKW-Ladungen abtransportiert werden müsste. Der Rursee ist Erholungslandschaft, die Wanderer und Erholungssuchende fasziniert. Hotels und Pensionen, Ausflugslokale und Restaurants, Badestrände und Schifffahrt, Tretboot- und Segelbootverleihe verdienen am See. Solch eine Baustelle mit Dreck und Lärm würde all diese Geschäfte ruinieren.

Seit 21. Juni steht nun fest, dass Erholungssuche weiterhin die herrliche Seelandschaft genießen können. Geschäftsinhaber können sich beruhigt zurücklehnen, denn die Bürgerinitiative „Rettet den Rursee“ hat sich durchgesetzt. Bereits im Dezember 2012 hatten sich die Stadträte von Heimbach und Nideggen auf die Seite der Proteste gestellt und das Großvorhaben abgelehnt. Danach drohte die Mehrheit in der Bezirksregierung in Köln zu kippen. Auslöser dafür war eine Schwankung des Wasserspiegels um zwei Meter, wenn die Wassermassen hochgepumpt würden und später wieder zurückflossen. Das hörte sich nicht dramatisch an – an unseren heimischen Ufern des Rheins sind solche Schwankungen normal.

In der Sitzung am 15. März diesen Jahres war sich die Bezirksregierung in Köln uneinig und vertagte das Thema auf den Juli. Die Bedenken der kleinen gallischen Dörfer müssten ausgeräumt werden. Danach wurde wenig geredet, nichts klargestellt und der eigentlich undramatische Sachverhalt gärte vor sich hin. Am 21. Juni stieg schließlich der Investor – ein Zusammenschluss von 36 Stadtwerken – aus, da die politische Rückendeckung fehlte.

Die kleinen gallischen Dörfer Heimbach und Nideggen hatten ihr Ziel also erreicht. Eine Studentin der Bonner Universität, die aus Heimbach kommt, hatte sich aus geologischer Sicht mit dem Pumpspeicherkraftwerk befasst. Sie beschrieb ihre Dorfbewohner so: „Sie sind wenig offen für Neues, egoistisch und denken nur an ihre eigenen Dinge, aber nicht an die Allgemeinheit.“

Dass es anders geht, dazu gibt es Gegenbeispiele in Hülle und Fülle. Autobahnen, Umgehungsstraßen, Flughäfen, Müllverbrennungsanlagen und U-Bahnen werden gebaut. Ganze Dörfer werden in der Braunkohleregion umgesiedelt. Kanalbauarbeiten ziehen sich bis zu einem Jahr in die Länge. Straßen werden aufgerissen, Pflaster wird neu verlegt, Preßlufthammer erzeugen ohrenbetäubenden Lärm. Der Eindruck verdichtet sich, dass anderenorts unsere Städte und Gemeinden in Baustellen versinken.

Wieso haben die kleinen gallischen Dörfer das feindliche Pumpspeicherkraftwerk verjagen können, so wie es Asterix und Oberlix mit den römischen Truppen gemacht hatten ? Sicherlich haben die Politiker den Überlick verloren und waren nicht bei der Sache. Wenn es möglich ist, Autobahnen zu bauen, muss es auch möglich sein, Pumpspeicherkraftwerke zu bauen. Man hätte Hoteliers oder Restaurantbesitzer entschädigen müssen, so wie dies bei U-Bahn-Projekten zum Beispiel durchgängig gehandhabt wird.

Ich selbst schwanke in meiner Meinung, ob ich den kleinen gallischen Dörfern danken soll oder ob ich über sie schimpfen soll. Wenn niemand ein Pumpspeicherkraftwerk vor seiner eigenen Nase haben will, dann will auch niemand Gaskraftwerke, Windräder oder Hochspannungsleitungen vor seiner eigenen Nase haben. Die Politik kann hier nicht zum Verschiebebahnhof werden, Entscheidungen in ein Bermuda-Dreieck zu schieben, bis irgendwann die Stromversorgung zusammenbricht.

Die kleinen gallischen Dörfer haben eine Rechnung aufgemacht. Das Pumpspeicherkraftwerk Rursee hätte sechs Stunden lang 500.000 Haushalte mit Strom versorgen können. Wenn man alle deutschen Haushalte einen Tag lang mit Strom versorgen wollte, dann bräuchte man 483 Pumpspeicherkraftwerke. Die deutschen Mittelgebirge würden also in eine Seenlandschaft rund um die Bergkuppen verwandelt, wobei es erfahrungsgemäß neblige und trübe Wetterlagen gibt, die mehr als eine Woche andauern können. Mit ihrem hohen Naturverbrauch und ihrem niedrigen Wirkungsgrad ist diese Technologie ohnehin nicht mehr zeitgemäß. Es müssen andere Technologien erforscht werden. Dort hängt der Staat mit drin, wenn er die grüne Energie will, aber nicht weiß, wie sie gespeichert werden soll.

Die kleinen gallischen Dörfer haben es geschafft, die Schwachstellen unserer Energiewende bloß zu legen. Möglicherweise ist das Thema Pumpspeicherkraftwerke nun in NRW abgehakt. Die Landesregierung hatte bereits die Standorte der Aggertalsperre, der Biggetalsperre und der Hennetalsperre geprüft. Daraus wird wahrscheinlich nichts.

Dienstag, 9. Juli 2013

mit dem Rennrad über die Mergellandroute

Es zog mich nicht in die Eifel, sondern in die Niederlande. Nachdem mich die Bahn bis Aachen befördert hatte, ging es ab in unser westliches Nachbarland.

Das Schengener Abkommen hatte die Schlagbäume verscheucht, Grenzüberschreitungen sind zur Selbstverständlichkeit geworden, ich musste suchen: neben einem Parkplatz zwischen Hecke und Staubschutzwand begrüßte mich das Schild „Nederland“. Neue Nation, neues Glück, neue Rennradtour in die Überraschungen des Auslands, wo ich Akzente und Konturen eines fremden Landes stets als spannend empfunden habe. Vaals, der erste Ort in den Niederlanden, versank im Baustellenchaos, denn die Hauptverkehrsstraße wurde neu asphaltiert.

Dass ich mir die Niederlande als Ziel für eine anspruchsvolle Radtour ausgesucht hatte, mag so manchen verwundern. Denn rund um das Dreiländereck erheben sich die höchsten Gipfel der Niederlande. Für die flachlandgewohnten Niederländer blüht der Tourismus in dem „heuvelland“ rund um den 323 Meter hohen Vaalserberg. Und die Rennradtour sollte anspruchsvoller verlaufen, als ich mir es gewünscht hatte.

Am Ortsende von Vaals verzweigte sich die Straße. Ich stieß auf die 103 Kilometer lange Rundstrecke der Mergellandroute. In Deutschland sind es Themenrouten wie die Salzstraße in Niedersachsen, die romantische Straße in Franken oder die Deutsche Weinstraße in der Pfalz. Die Niederländer haben in ihrer Provinz „Limburg“ diese Themenroute dem Mergel gewidmet, diesem weichen, zartbraunen Gestein, dessen Abbau wegen der starken Eingriffe in die Natur umstritten ist. Sechseckige Schilder markieren den Verlauf der Mergellandroute. Entlang dieser Route können Kirchen, Kapellen, Burgen, Bauernhöfe und ganze Dörfer bestaunt werden, die aus Mergel gebaut worden sind.


Sauber von der Straße abgetrennt, entwickelte der Radweg mit der adretten roten Fahrbahnmarkierung tückische Steigungen. Die Flußtäler warfen tiefe Furchen in die Landschaft hinein. Von Vaals nach Epen, von Slenaken nach Noorbeek, von Mheer nach St. Geertruid, der Weg über insgesamt fünf Berge kostete Kraft.



In Slenaken bestaunte ich die Remigiuskirche, dessen heutiger Bau 1793 entstand.  Während das Ziegelsteinmauerwerk dominierte, waren die Ecksteine aus Mergel. Mit der weichen Konsistenz konnte man mit harten Gegenständen Schriftzeichen in den Mergel hinein gravieren. So manche haben sich mit ihrem Schaffensdrang in den Mergelsteinen verewigt. Allzu viel war dabei allerdings nicht herausgekommen. Das Gekritzele erinnerte mehr an primitive Völker oder an Hieroglyphen.

Der Bau der Kirche aus Ziegelsteinen verriet, dass ich mich nicht unweit von Belgien befand, wofür dieser Kirchenbau eher typisch war. In ihrem Südteil verläuft die Mergellandroute ungefähr parallel zur belgischen Grenze auf niederländischem Boden. Dieser Teil der Niederlande, der sich „Limburg“ nennt, ist Zipfel, Anhängsel eines Staatsgebildes, das zwischen Sittard und der Maas gerade einmal acht Kilometer breit ist und sich nach Süden wieder wie ein Flaschenhals öffnet. Stolz dokumentieren die Limburger, dass sie ein eigenes Völkchen sind. Viele Ortsbezeichnungen waren zweisprachig, eine auf Niederländisch und die andere in ihrem Dialekt. So verwandelte sich „Slenaken“ in einen slawisch klingenden Zungenbrecher. „Sljennich“, wer konnte so etwas aussprechen ?

Bei St. Geertruid verließ ich die Mergellandroute, denn die 103 Kilometer lange Rundstrecke, die im Norden bis nach Geleen und Hoensbroek ausholte, war insgesamt zu weit. Hinein nach Maastricht. Für mich ist dies eine der schönsten Städte, die ich je gesehen habe. Wenn ich in die Niederlande oder nach Belgien komme, habe ich mein Standardprogramm. Fritten essen, Zeitung kaufen, Kaffee und/oder Trappistenbier trinken.


Ich pflanzte mich vor das Café de zwaan am Marktplatz, lehnte mich in dem Korbstuhl zurück und ließ mir ein „Affligem“ servieren. Mit der kühlen Frische des Trappistenbiers wischte ich die fünf anspruchsvollen Berge hinweg. Ich dachte an nichts, verfiel in einen Zustand der Meditation, schlug die Wochenzeitschrift „De tijd“ auf und studierte das journalistische Niveau, das in den Niederlanden nicht so intensiv politische Themen beackerte und anstatt dessen mehr den Zeitgeist unserer Epoche beleuchtete. Zweimal unterbrach das Glockenspiel des Maastrichter Rathauses meine Studien. Ich schüttete zwei weitere „Affligem“ in mich hinein, der Alkoholpegel stieg. Am Nachbartisch machten es sich zwei dicke Eheleute mit Kinderwagen und Säugling bequem. Sie kamen aus Eupen in Belgien, ich unterhielt mich ein paar Brocken Französisch mit ihnen, während der Säugling brav war und schlief.

Zurück Richtung Aachen. Am Stadtrand von Maastricht zeigte sich, dass der Schwierigkeitsgrad dieser Tour hoch war. Freie Felder öffneten sich, der Gegenwind schlug mir ins Gesicht. Es war die fatale Kombination aus Hitze, Sonne und Gegenwind, die die Rückfahrt zur Strapaze werden ließ.

Bemelen lag zwar nicht auf der Mergellandroute, aber schön war ein früherer Steinbruch mit dem Mergelabbau zu erkennen. In Bemelen erhielt ich erstmals eine genaue Indikation, wie die Steigungen beschaffen waren. Mit 11% Steigung kletterte die Straße durch lichten Wald hinauf. Gefühlt hatte die eine oder andere Steigung, die ich zuvor bewältigt hatte, mindestens dasselbe Niveau. Ich landete auf einem Hochplateau, wo mir der Wind beharrlich ins Gesicht blies. Die Sonne knallte unverdrossen vom Himmel. Es hätte so schön sein können, denn fernab von jeder Zivilisation bewegte ich mich durch die Felder. Mit eigenen Radwegen, auch abseits des Straßennetzes, hatten die Niederländer es geschafft, ein Paradies für Fahrradfahrer schaffen. Indes kämpfte ich gegen Wind und Sonne.

Bergab nach Gulpen sammelte ich neue Kräfte. Doch diese waren nicht allzu zahlreich, als ich bei Mechelen wieder die Mergellandroute erreichte. Es ging wieder bergauf, und der Vaalserberg lag in Sichtweite. Die abgemessene Schönheit dieser Strecke nahm ich kaum noch wahr. Die sorgsam gepflegten und hellweiß gestrichenen Fachwerkhäusern glitten an mir vorüber. Die Straße buckelte sich rauf und runter, ich schleifte meine Tritte hinterher, ich hechelte durch Vijlen. Dieser Teil der Niederlande ähnelte dem Bergischen Land, obschon mehr als einhundert Kilometer dazwischen lagen.

Ich verabschiedete mich von der Mergellandroute, als ich nach Vaals abbog und eine neuer Anstieg sich in die Höhe zog. Danach war es geschafft. Der Durst war eine Qual, und in Vaals kühlte ich mich abermals mit einem Trappistenbier ab. Rund 90 Kilometer war ich insgesamt geradelt, und auf dem Reststück bis zum Aachener Hauptbahnhof waren die Steigungen harmlos.

Abends war ich platt. Ganze Fässer Bier (oder auch nicht-alkoholische Getränke) hätte ich leeren können.

Sonntag, 7. Juli 2013

Linde aus Kroatien

Passend zum EU-Beitritt Kroatiens zum 1. Juli fiel mir ein, dass in der Stadt eine Winterlinde aus Kroatien gepflanzt worden ist. Einmal hatten wir vor rund 20 Jahren Urlaub im damaligen Jugoslawien – heute Kroatien – verbracht. Kroatien hatte ich damals als ein Land kennen gelernt, dessen Küstenstädte vom Reichtum Venedigs profitierten. Die Kroaten waren stets gastfreundlich, und im Hinterland hatten wir die verkarsteten Landstriche mit Schluchten und Tälern kennen gelernt, in denen die Karl-May-Filme gedreht worden waren. Heute liegt Kroatien außerhalb unserer Urlaubsziele. Meine Sprachkenntnisse reichen nicht bis in den slawischen Sprachraum hinein. Einen Leihwagen zu mieten und bis nach Kroatien zu fahren, ist mir über Österreich, die Alpen und Italien zu weit. Mit dem Flugzeug dorthin zu fliegen, ist uns zu umständlich. So lenke ich all meine Erinnerungen auf diese Linde aus Kroatien.


Eine Tafel erinnert daran, dass die Linde 1997 gepflanzt worden ist.


Die Architektur rund herum ist nicht gerade phantasiereich.


Das Grün der Linde kontrastiert gegen die weiße Wolkendecke, in die sich Stück blauen Himmels hinein geschlichen haben.



Das fällt unpassend und zufälligerweise zusammen, dass der preußische General Moltke im Straßennnamen die kroatische Linde untermalt.


Schön ist das Gesamtbild mit den bürgerlichen Fassaden.