Sonntag, 23. August 2015

mit dem Rennrad nach Maria Laach

Königsfeld
Gegen die Männerwelt anzukommen, daran konnten sich Frauen im Mittelalter die Zähne ausbeißen. Grafen und Herrscher strotzten vor Männlichkeit, die Schwerter von Rittern gehörten alleine Männern. So baute Graf Otto von Neuenahr 1230 auf der 340 Meter hohen Basaltkuppe eine Burg. Das Gebiet an der unteren Ahr, das er von seiner Burg aus beherrschte, hielt fünf Generationen lang. Doch dann trat das ein, wovor sich jeder Graf, Fürst, König oder Kaiser fürchtete: die Ehefrau von Graf Wilhelm von Neuenahr gebar nur Töchter, aber keine Söhne. Sein Onkel, der das Erbe regelte, stöberte in verwandten Seitenlinien nach einem männlichen Erbfolger herum. Die in Frage kommenden Kandidaten passten nicht wirklich, und so bestimmte er für damalige Zeiten höchst unkonventionell eine Erbin: Wilhelms Tochter Katharina wurde Gräfin von Neuenahr.

Dagegen formierte sich Widerstand. Ihre Verwandtschaft verscheuchte die Gräfin von ihrer Burg. Später heiratete sie den Grafen Johann von Saffenburg, und sie versuchte, von seiner Burg aus das Gebiet um Ahrweiler und Neuenahr zu kontrollieren. Währenddessen waren Vetter, Onkel, Neffen und wer alles nach Macht und Herrschaft gierte, in sich zerstritten. Zwanzig Jahre lang, von 1350 bis 1370, herrschte Krieg um die Burg Neuenahr, wobei Johann von Rösberg-Neuenahr der größte Rabauke war. Indes hatte sich Katharina längst in der Saffenburg verkrochen, sie pflegte ihren Titel als Gräfin und vor allem die Sympathien bei den Ahrweilern und Neuenahrern. So kam es, dass so mancher Bürger die Steuern, sprich den Zehnten, bei der Gräfin auf der Saffenburg ablieferte. Das machte wiederum den Club der Rabauken aus der Verwandtschaft wütend. Reihum warfen sie diejenigen Bürger, die ihren Zehnten der Gräfin spendierten, ins Gefängnis der Burg. Als die Bevölkerung gegen Johann von Rösberg-Neuenahr zu rebellieren begann, rief dies den Kölner Erzbischof auf den Plan. Die Ahrweilerer und Neuenahrer vereinigten sich mit seinen Truppen. Vier Monate lang belagerten sie die Burg, bis sich Johann von Rösberg-Neuenahr ergeben musste. Die Truppen des Kölner Erzbischofs schleiften die Burg, und Johann von Rösberg-Neuenahr musste einen Eid ablegen, die Grafschaft Neuenahr nie mehr zu betreten. Dem Erdboden gleich gemacht, verstecken sich seit 1372 die kargen Überreste der Burg im Wald. 1424 verschwanden die Grafen von Neuenahr endgültig von der Bildfläche, als erneut eine Erbtocher Katharina zur Gräfin werden sollte. Diesmal heiratete sie in das Grafengeschlecht der Virneburger ein und wurde zur Gräfin von Virneburg. Wiederbelebt wurde der Geist der Grafen von Neuenahr, als die Stadt boomte und zur Kurstadt wurde. Beul und Hemmessen, wo die heilenden Wunderquellen entdeckt wurden, klangen wenig verheißungsvoll, um daraus eine Bäderstadt zu machen. Also besann man sich 500 Jahre später auf die Grafen von Neuenahr. Bad Neuenahr hörte sich schöner an, und mit dieser Namensgebung begann der steile Aufstieg der Kurstadt.

grasende Kühe hinter Königsfeld
Über Bad Godesberg, Pech, Villip, Arzdorf, Fritzdorf, der Fritzdorfer Windmühle, Beller, Lantershofen geht es hinunter ins Ahrtal nach Bad Neuenahr. Ab dem großen Kreisverkehr halte ich mich in Richtung Königsfeld, an der nächsten großen Ampel geht es weiter geradeaus. Rasch spüre ich den Geist der Grafen von Neuenahr, denn das Netz von Wanderwegen schwärmt genau in die Richtung der 340 Meter hohen Basaltkuppe aus. Bischofsweg, Höperpfad, Burgweg und Neuenahrer Berg, die Wegweiser könnten mich genau zu der Burgruine Neuenahr bringen, wenn ich mich denn nicht auf der Landstraße knapp an den kargen Resten der Burgruine Neuenahr vorbei bewegen würde.

Die 340 Meter spüre ich rasch, denn der Anstieg will einfach nicht nachlassen. Nachdem ich den Scheitelpunkt erreicht habe, rolle ich mit viel Eleganz nach Königsfeld den Berg hinunter. Dahinter folge ich dem Schild nach rechts nach Maria Laach, und sogleich zieht der Anstieg zwischen Wiesen und grasenden Kühen erneut an. Auf der Höhe buckelt sich die ruhige Nebenstraße auf und ab, und der Weitblick ist genial, über das Rheintal hinweg bis in den Westerwald.

Hinter dem Ort Rodder wähne ich mich mitten in der Vulkaneifel, als ich das Hinweisschild zum Rodder Maar sehe. Doch der Abstecher nach rechts über den Wanderparkplatz lohnt nicht, denn dahinter bremst die Rumpelpiste des Feldwegs meinen Tatendrang auf dem Fahrrad. So manche Naturschönheiten sind daher nur dem Wanderer zugänglich.

Dabei täuscht der Eindruck, dass ich mich am Anfang der Vulkaneifel befinde. Verglichen mit dem Laacher See oder den Eifelmaaren rund um Daun, ist die Eigenschaft des Maares hier nicht so eindeutig, wie es die Bezeichnung vermuten läßt. Geologen konnten einen vulkanischen Ursprung des sechs Hektar großen Sees nicht beweisen, dagegen kursieren Theorien eines Meteoriteneinschlages, die ebenso wenig bewiesen werden konnten. Die Burgherren von Ölbrück hatten das Rodder Maar als Fischteich genutzt. Nichts ist beständig, denn mehrfach wurde das Maar zur landwirtschaftlichen Nutzung trocken gelegt, um sich danach wieder mit Regenwasser zu füllen. Seit 1999 hat das Rodder Maar seinen Charakter als See wieder erhalten, nachdem das Land Rheinland-Pfalz mit Ausgleichsmittel die Renaturierung finanziert hat.

Sauerbrunnen in Niederzissen
Nun geht es steil bergab nach Niederzissen, dem Hauptort des sogenannten Zissener Ländchens, das die Burgherren von Olbrück regierten. Einmal biege ich nach links ab auf die Bundesstraße B412, nach fünfzig Metern geht es direkt wieder rechtsab in Richtung Maria Laach. Der Ortskern von Niederzissen ist verwinkelt und überragt von der Pfarrkirche St. Germanus aus dem 13. Jahrhundert. Eine Besonderheit ist die in einer Rechtskurve liegende Synagoge, die sich mit der schneeweißen Gebäudefront, den grauen Fensterrahmen und den weißen Kreuzfenstern fein herausputzt.  2011 wurde die Synagoge von Grund auf saniert, wobei auf dem Dachboden, zerwühlt von einer Mäuseplage, Rollen von Pergament gefunden wurden. Die Funde aus dem 18. Und 19. Jahrhundert umfassen religiöse Handschriften und Gebetsrollen, aber auch Heiratsurkunden, Viehhandelsverträge, Tierarztdokumente, Quittungen, Rechnungen, Mahnungen, Warentransportscheine und vieles mehr. Dass Niederzissen ein Ort der kleinen Sensationen ist, belegt außerdem der Sauerbrunnen kurz vor dem Ortsende.

Zedlers Universallexikon, das bekannteste Nachschlagewerk des 18. Jahrhunderts, lobt den Niederzissener Sauerbrunnen in höchsten Tönen, und das in Gedichtform:

Hieraus dem Erdenschoss
Entspringen solche Quellen
Sehr häufig jederzeit für
Freund sowohl als Feind
So da vermögent seynd, die
Kranken herzustellen,
Wenn Leber, Nieren, Miltz nicht
recht beschaffen seynd.
Dies Wasser dienet auch
vortrefflich vor den Magen, wann ihn ein steter
Durst und
schärfte Säure plagt. 
Den Jeder, der mich trinkt, muss 
mir zum Ruhme sagen, 
Dass er genesen sey, von dem 
was er geklagt.



Entdeckt wurde die Heilquelle einiges früher als in Bad Neuenahr, Bad Bodendorf oder Bad Breisig, welche die bekannteren Kurorte sind, nämlich um 1700. Der Glaube an die heilende Wirkung liest sich wie ein Rundumschlag gegen Krankheiten jedweder Art. Das Wasser des Sauerbrunnens sollte helfen gegen Verstopfungen, Magenbeschwerden, Gelbsucht, Wassersucht, Hautausschlag, Gicht, als Gegengift, gegen Schlaganfall und Lähmung. Frauen sollte das Wasser während der Niederkunft helfen, ein gesundes Kind zu gebären. Dass das Wasser auch heute tadellos ist, dafür sogar das Gesundheitsamt Ahrweiler. Das dazugehörige Prüfprotokoll des öffentlichen Brunnens kann jeder im Rathaus nachlesen.

Hinter dem Ortsende von Niederzissen geht es stetig bergauf, mal vorsichtig, mal in Schüben. Getreidefelder biegen sich die Anhöhe hinauf, der Straße verläuft wirr am Waldrand entlang, hinter dem Bachlauf steigt dichter Laubwald rasant an. Eine kurze Steigung, und dann überrascht das Landschaftsbild nach einer sachten Rechtskurve. Mit einem Mal herrscht eine beharrliche Stille. Die Sonne zaubert glatte Farben über die Felder. Der Wind streichelt das Getreide, Baumreihen ziehen einen Streifen in sattem Grün. Wenn ich mir die umliegenden Berge wegdenke, glaube ich, im Flachland angekommen zu sein. Die Eifel legt mit ihren Höhen und Steigungen eine Pause ein, vorübergehend. Genau auf dieser Hochfläche hatte sich vor 280.000 Jahren ein Inferno ereignet. Einer der größten Vulkane der Eifel spuckte Lava, Magma und einen Ascheregen, der sich im Laufe der Zeit in fruchtbaren Boden verwandelte. Deshalb ist der Talkessel bereits in der Steinzeit besiedelt worden. Dann kamen Kelten, Römer und schließlich die Franken, die ein befestigtes Hofgut gründeten.





Impressionen aus Wehr
Der Vulkanismus hat den Wehrer Kessel nachhaltig geprägt. So fahre ich zunächst am Fabriktor der CARBO Kohlensäurewerke GmbH & Co. KG vorbei. Die zurechtgestutzten garagengroßen Gebäude lassen hinter dem schmalen Werkstor keinerlei Superlative erahnen. Und doch: im Erdboden lagern die größten Kohlesäurevorkommen Europas, in unterirdischen Behältern werden sie gesammelt, über eine Pipeline zur Sammelstation gepumpt und schließlich als Industriegase in alle Winkel Europas verteilt. Dass Gase das Erdreich durchdrungen haben, davor müssen die Hausbesitzer in Wehr aufpassen. Es wird empfohlen, beim Betreten der Keller eine Kerze mitzunehmen. Wenn diese erlischt, wird es richtig gefährlich, denn dann ist die Konzentration an Kohlesäure zu hoch. Welchen Druck die Gase im Kessel erzeugen können, das kann man seit drei Jahren in Form eines Geysirs bestaunen. Zweimal täglich schießt am Rande des Vulkankraters eine vierzig Meter hohe Wasserfontäne in die Luft.

Ich fahre weiter in den Ortskern von Wehr hinein. Der Ortskern ist klein, düster graue Gebäudefronten sammeln sich um einen quadratischen Platz, wo sich der azurblaue Himmel von den verschieferten Dächern abhebt, hart und derb. Stromleitungen haken sich auf den Dächern fest, mehrere Linden werfen üppige Schatten auf den grau geschotterten Platz. Der Ortskern hat Übersicht und Struktur: die Stille befreit, und ich tappse mit meinem Rennrad leise vorbei an dem Baugerüst, das die glatte Fassade der Abtei einhüllt, wo das schwere Grau in den Steinquadern reihenweise mit einem lockeren, hellen Grau abwechselt. Fast siebenhundert Jahre, nämlich von 1126 bis 1802, beherbergte die Abtei den Klosterorden der Prämonstratenser, der sich von Prémontré  in Nordfrankreich bis in die Eifel, zuerst in Steinfeld, dann in Wehr, niedergelassen hatte. Die Wege sind kurz, als ich die steinerne Treppe betrete, indem ich mein Rennrad schultere. Während der romanische Kirchturm der Pfarrkirche St. Potentius aus dem Erbauungsjahr 1230 von oben herab schaut, erreiche ich den Klostergarten. Mit all den Blumenrabatten, dem Farbenspiel von gelb bis bordeauxrot, den Mauernischen für Bienenstöcke, eingerahmt in eine viereckige, geometrisch exakten Wegeführung, kommen romantische Gefühle auf. Sogar das satte Grün des Rasens hat die vergangene Hitzewelle schadlos überstanden. Der Pfarrgarten stammt aus der Barockzeit, sein heutiges Aussehen hat er aber rüstigen Rentnern zu verdanken, die sich Ü60-Arbeitsbrigade nennen und den Garten vor einigen Jahren auf Vordermann gebracht haben. Im Pfarrgarten wächst und gedeiht zudem eine Kuriosität in der Eifel: aus Reben in den Weinstöcken wird ein Eifel-Wein gekeltert, im letzten Jahr waren es immerhin 300 Flaschen Wehrer Pfarrgartenwein.

11.000 Jahre alte Basaltbombe in Maria Laach
Hinter dem eisernen Pfarrgartentor, in dessen Gitterstäbe sich das Wappen von Wehr einhakt, das sind zwei Lilien, ein Stern, ein Abtsstab, ein Schwert und zwei schräggekreuzte rote Pfeile, mogele ich mich über den Ortsrand von Wehr zur Hauptstraße zurück. Ich folge der Landstraße L114 ein Stück in Richtung Glees, genau bis zur Autobahnunterführung der A61, wo ich vorher auf den Autobahnzubringer nach rechts abbiege. Auf dem großzügigen Seitenstreifen geht es stur bergauf, und nach all den Kilometern, die in meinen Beinen stecken, muss ich mächtig treten. Irgendwo muss ja ein Weg aus dem Vulkankrater des Wehrer Kessels hinaus führen. Der Anstieg parallel zur Autobahn A61 zieht sich, bis ich auf 500 Metern den höchsten Punkt dieser Radtour erreiche. Außer jede Menge frische Luft und Naturerlebnis genieße ich gegenüber den Autofahrern auf der A61 einen weiteren Vorteil. Ich möchte nicht tauschen. Auf der A61 wird gebaut, und die Autofahrer stecken solidarisch im Stau. Geradezu pfeilschnell komme ich gegenüber ihrem Schneckentempo vorwärts.

Dass ich mittendrin eingetaucht bin in diese geologische Vulkanlandschaft, das erfahre ich – fast beiläufig – am Straßenrand. Steinbrüche haben sich in die Landschaft hinein gefressen, ganze Berge scheinen abgetragen zu werden. Bimsstein, Tuff, Basalt, alles, was so für den Hausbau benötigt wird, karren hier LKWs durch die Gegend. Dabei sehe ich in der Ferne bereits mein vorläufiges Ziel. Die bewaldete Kuppe des Vulkankraters von Maria Laach strebt in die Höhe, während das Gelände dahinter in die Senke der Koblenzer Bucht hinunter fällt. Nun kann ich gemütlich bergab rollen. Vor der Ortschaft Bell biege ich nach links ab, und Maria Laach liegt bereits in Reichweite.

Ohne dass mir der See einen Blick gönnt, erreiche ich das Klosteranwesen, das mir auf sorgfältig sortierten Hinweispfeilen zeigt, wie verflochten und wie durchorganisiert das Kloster ist. Am See betreibt das Kloster einen Campingplatz, einen Bootsverleih und Fischfang, innerhalb der Mauern des Klostergutes ein verpachtetes landwirtschaftliches Anwesen, darunter ein Biobauernhof mit angeschlossenem Bioladen, eine Gärtnerei und ein Obstgarten. Um das Bauwerk des Klosters unterhalten zu können, braucht das Kloster Handwerker. Mittelalterliche Traditionen leben in der Bildhauerwerkstatt, der Glockengießerei, der Kunstschmiede und der Schreinerei weiter, dazu kommt ein Verlag von Kunstbüchern und eine eigene Buchhandlung. Dem Trend unserer Zeit entgegenlaufend, bietet sich das Kloster als Ort der Entschleunigung und Zurückgezogenheit an. Das Kloster nimmt gerne Gäste auf, die am Klosterleben teilnehmen wollen. In Exerzitienkursen oder Besinnungswochenenden greifen die Benediktinermönche tatkräftig unter die Arme, dass wir als Menschen wieder zu uns selbst finden können.

Abteikirche Maria Laach
Dabei war der Bau von Maria Laach ein Akt politischer Machtdemonstration. Könige und Fürsten stritten sich mit der Kirche, wer zu sagen hatte. Während der Klosterorden der Cluniazenser in Frankreich eine nahezu asketische Kirchenarchitektur – wie etwa in Hirsau oder Reichenau – forderte, bauten die deutschen Könige große Dome in üppigem Stil. Das Westwerk erklamm immer größere Höhen, die Türme wurden so gestaltet wie bei einer Festung. Maria Laach trägt die Handschrift der Bauherren des Speyerer Doms, also allen voran der salische Kaiser Heinrich IV. 1082 wurde der Speyerer Dom fertiggestellt, 1177 war es Maria Laach. Fernab in der Einsamkeit der Eifel gelegen, unbeeindruckt von Kriegen und Zerstörungen, ist das Kloster bis heute ein wahres romanische Kleinod, wenn man von kleineren gotischen und barocken Umbauten absieht.

Im Biergarten von Maria Laach ist es endlich Zeit für eine Pause, nachdem an die sechzig Kilometer lebhafte Auf- und Abfahrten in den Beinen stecken. An der Zufahrt zum Biergarten begegne ich nicht nur der Klosterorganisation mit seinem wohl durchdachten Schilderwald, sondern auch dem Vulkanismus, der neben Meditation und Gebet die Umgebung antreibt. So wachsen bei der Basaltbombe gegenüber dem Seehotel die Zahlenangaben in fünfstellige Dimensionen: Alter 11.000 Jahre, Gewicht 12.000 Kilogramm, Fundort in zwei Kilometern Entfernung am Seeufer. Dass diese 11.000 Jahre fast zum erdgeologischen Tagesprogramm gehören, wenn man zum Beispiel mit dem Wehrer Kessel von 280.000 Jahren vergleicht, hat zu wüsten Theorien geführt, dass ein Vulkanausbruch von Maria Laach bevorstehen könnte. Die Geologen rechnen in 10.000-Jahres-Schritten. Die Maare in der Eifel, in der Dauner Gegend vom Meerfelder Maar über das Schalkenmehrener Maar bis zum Immerather Maar, spuckten Lava vor rund 30.000 bis 60.000 Jahren. Wie aktiv der Vulkan noch ist, das belegen Gasbildungen am Seeufer, was die Geologen nervös werden läßt: Kohlensäuregas entweicht aus grobporigem Vulkangestein, unter dem Wasserspiegel dringen Blasen nach oben, die dann, so groß wie Seifenblasen, an der Seeoberfläche zerplatzen. Dass die Magmaschmelze unter dem Vulkankrater noch nicht vollständig erkaltet ist, das belegen Temperaturmessungen im Erdinneren, die deutlich höher sind als im Rest von Deutschland. Da Geologen in 10.000 Jahres-Schritten denken, läßt sich die Theorie nicht wiederlegen, dass ein Vulkanausbruch hier an dieser Stelle bevor stehen könnte. RTL hat das sogar veranlaßt, 2009 den Katastrophenfilm „Vulkan“ über einen realen Vulkanausbruch in der Eifel zu drehen, in dem namhafte Schauspieler wie Yvonne Catterfield, Katja Riemann oder Heiner Lauterbach mitspielten. Die Handlung klingt unglaublich wie in einem Scicence-Fiction-Roman, wie im Kopfsteinpflaster des fiktiven Ortes Lorchheim eine riesige Spalte klafft, wie dann in einem Erdbeben Häuser in sich zusammenstürzen, wie eine tödlich heiße Wasserdampfwolke sich aus dem Krater des Lorchheimer Sees erhebt, womit nur der Laacher See gemeint sein kann. Wie in Pompeji, begrub schließlich ein Ascheregen alles Leben unter sich.

ein Stück vom Laacher See
Um solche Katastrophenszenarien auszumalen, sind den Geologen die Indizien zu unspezifisch. Dabei verwischt die Denkweise der Geologen in 10.000-Jahres-Schritten so manches. Ein erneuter Vulkanausbruch ist nicht zu widerlegen. Aber in 1.000 Jahren ? In 500 Jahren ? In 200 Jahren ? In 100 Jahren ? In solchen Zeithorizonten endet das menschliche Vorstellungsvermögen, und sogleich wische ich solche Horrorszenarien beiseite.

Vorbei am Klosterrestaurant, rolle ich, ermattet und mit mir selbst zufrieden, in den Biergarten hinein und plaziere mich an einer der langen Biertischgarnituren. Ich lausche, wie Gäste am Nachbartisch das Speiseangebot an der Selbstbedienung bejammern.

„Zu viel Fett, Bluthochdruck und Herzinfarktrisiko.
Mein Arzt hat mir geraten, vegetarisch zu leben.
Und hier ? Nur Bockwurst, Frikadelle, Schnitzel. Nichts vernünftiges.“


„Auch kein Salat ?“

„Nur Kartoffelsalat, der meinen Blutdruck genauso in die Höhe schießt.“

„Sei froh, dass Du kein Veganer bist. Das sind die Schlimmsten. Wir hatten mal welche zu Besuch. Da weißt Du nicht mehr, was Du kochen sollst.“

Ich lümmele mich indes herum und wundere mich, dass es bei so viel eigenen Klosterbetrieben noch keine Klosterbrauerei gibt. Das Vulkan-Bier aus der Brauerei im nahen Mendig ist von der Getränkekarte gestrichen worden, und so stille ich meinen Durst mit zwei Weizenbier aus der Klosterbrauerei von Ettal im tiefsten Bayern.

Alsbald radele ich zurück auf die Landstraße, die sich zu den Ufern des Laacher Sees bewegt. Baumreihen versperren die Sicht, um den See in all seiner Intensität wahrzunehmen, so dass auch hier das höhere Naturerlebnis dem Wandererherz vorbehalten ist. Dennoch: die wenigen Blicke auf die aalglatte Seeoberfläche, zwischen Spalieren von Laubbäumen hindurch, lohnen. Die Ruhe lullt mich ein, und ich kann all die Zeilen nachvollziehen, die Dorothea Schlegel 1808 während der Zeit der Rheinromantik an ihren dichtenden Gemahl geschrieben hat: „… die waldbewachsenen Felsen um den anderthalb Stunden langen und dreiviertel Stunden breiten Wundersee, die ganz deutlich noch die Spuren von vulkanischen Ausbrüchen zeigen, und der dichte Wald, die uralten Stämme, so dass alle Vergangenheit, die mir bekannt wird, und die ich mir denken kann, mir wie heute und gestern dagegen vorkamen. Denn mitten auf dem See die Tiefe, die den Augen ganz entschwindet, und die Sage, die einen ganz unergründlichen Abgrund angibt, der nie wieder eine Beute an das Licht des Tages sendet, und wo immer ein starker Wind geht, der die Wogen ziemlich hoch heran treibt. Dann die Abtei am Ufer mit der alten Kirche, die Menschenspur und die Kunst, die uns wieder Beruhigung gibt und Staunen und Schrecken von der Seele löst. All das musst Du selber sehen. Ich habe den besten Willen, es Dir zu beschreiben, aber es geht nicht … „

Haltepunkt des Vulkanexpresses in Tönisstein
Der Laacher See verabschiedet sich mit seiner romantischen Seite, indem er zwischen den Spitzen von mächtigen Tannen versinkt. Den Krater des Sees zu verlassen, fordert all meine Muskelkraft heraus, doch der Anstieg ist kurz. Am Scheitelpunkt weist eine Stele aus Basalt, in den eine Gruppe von Wanderern hinein gemeißelt ist, den Weg zum Lydia-Turm, von wo aus es einen einzigartigen Blick geben muss über den Laacher See, das Rheintal, die Eifel und den Westerwald.

Dies ist erneut nur den Wanderern vorbehalten. Auf meinem Rennrad freue ich mich aber, dass es ab dieser Stele nur noch bergab geht. Über die Umgehungsstraße fahre ich an Wassenach mit seinem grau-gesprenkelten Kirchturm vorbei, danach wird es eng. Ich durchfahre eine regelrechte Schlucht, denn steil und himmelwärts ragen in dem folgenden Waldgebiet Felsen empor. Nach einigen hundert Metern erreiche ich die Bundesstraße B413, die eine Art von Verkehrsknotenpunkt darstellt.

Ein Gasthaus, hinter den Bögen einer Steinbrücke befindet sich ein Haltepunkt des Vulkan-Expresses. An dieser markanten Stelle hatten bereits die Römer gesiedelt, die Natron-Lithium-haltige Quellen entdeckten. Nachdem die Römer verschwunden waren und sich das Christentum etablieren konnte, fand 1388 ein Hirte genau hier ein Gnadenbild mit dem Heiligen Antonius in einem brennenden Dornbusch. Daraufhin wurde eine Kapelle gebaut. Wallfahrten setzten ein, ab 1465 erweiterte sich die Kapelle um das Kloster St. Antoniusstein, woraus später „Tönisstein“ wurde. Die Mönche des Karmeliterordens entdeckten aufs Neue die heilende Kraft der Quellen, und ab dem 17. Jahrhundert gewannen die Kölner Kurfürsten diesen magischen Ort für sich. In diesem Lieblingsbadeort verbrachten sie große Teile des Sommers, allen voran August Clemens, der sich mit seinem üppigen Barockstil auch in Tönisstein zu verewigen suchte. Er ließ ein Badehaus, ein Ballhaus und eine Kapelle bauen, und Tönisstein wurde zum Kurort. Um 1800 hatte all diese Pracht ein Ende, denn die französischen Truppen verwüsteten vieles. Nur das Brunnenhaus überdauerte mit seinem siebenseitigen Pavillon die Wellen von Zerstörungen. Bis zum Jahr 2005 wurde in den Kurgebäuden von Bad Tönisstein eine Klinik für Suchtkranke betrieben, danach wurde der Kurbetrieb nach Bad Neuenahr verlegt. Präsent sind die heilenden Quellen immer noch an der Haltestation des Vulkan-Expresses: die roten Buchstaben „Tönissteiner Sprudel“ , hängen sich locker über der basaltgrauen Mauer aneinander. Sie unterstreichen die Bedeutung dieses Mineralwassers, welches mit dem Slogan „quellfrisch aus der Vulkaneifel“ die hiesigen Getränkemärkte aufmischt.

Nun geht es weiter das Brohltal hinunter, wo die Lawine von Autoverkehr bisweilen doch etwas stört. Alles scheint hier vor Mineralwasser zu strotzen, als in Brohl die Reklame „Trink Brohler und Dir ist wohler“ gleich eine ganze Häuserwand mit ihrem blauen Untergrund beschlagnahmt. Bald bin ich am Rhein angekommen, wo ich mich zuerst auf dem Seitenstreifen der Bundesstraße B9 in Richtung Bonn bewege. Dann, kurz vor Bad Breisig, bewegt sich ein eigener Radweg auf die Kurstadt zu. Bad Breisig rundet die Begegnung mit heilenden Quellen und sprudelnden Mineralwassern aus einst brodelndem Vulkangestein in einer vollkommenen Harmonie ab.




Impressionen aus Bad Breisig
Dabei wurde Breisig erst in der Nachkriegszeit, nämlich 1958, in den illustren Kreis der Bäderstädte aufgenommen. Als 1914 die Quellen im Erdreich angezapft wurden, waren alle überrascht. Mit 34 Grad war das heraussprudelnde Wasser ungewöhnlich warm. Dass diese hohe Temperatur genutzt wurde, dauerte bis nach dem Ersten Weltkrieg. 1927 wurde eine weitere Thermalquelle aufgebohrt, 1928 bauten die Breisiger ein Thermalschwimmbad in Rheinnähe. Nachdem die Zerstörungswelle des Zweiten Weltkriegs Bad Breisig nicht ausgespart hatte, wurde das Schwimmbad mit Trümmern zugeschüttet. Vieles ist seitdem verschwunden, so das Kurhaus aus dem Jahr 1936, das 2005 abgerissen wurde, weil der Bäderbetreiber insolvent wurde und eine Sanierung zu teuer war.

Spaziergänger können derweil von den Römerthermen, einem flammneuen Badeparadies mit Saunalandschaft, über den Kurpark, dessen Wurzeln zu den Breisiger Freimaurern zurückreichen, zum Rhein flanieren. Am Rhein kann ich bestaunen, dass nicht nur Wellness und Kurgäste das Stadtbild bestimmen, sondern auch eine Rheinpassage mit hübschen, alten Fachwerkhäusern. Die geschlossene Substanz der Fachwerkhäuser stammt aus dem 17. bis 18. Jahrhundert, während der Ursprung von Bad Breisig auf eine etwas ungewöhnlich zu verorten ist. Nachdem Römer und Franken gesiedelt hatten, lag Breisig im Mittelalter im Grenzgebiet zwischen den Kölner und Trierer Erzbischöfen. Erstmals 1215 als „Brysich“ erwähnt, beschwerte sich niemand, dass dieser Ort am Rhein den Bischöfen aus dem fernen Essen gehörte. An dieser Zugehörigkeit änderte sich bis zu den Napoleonischen Kriegen nichts, ohne dass die Kölner, Trierer oder Essener Bischöfe gegeneinander Kriege führten.

Goldene Meile
Anders war der Fall bei der Burg Rheineck gelagert, die zuvor, im 11. Jahrhundert über dem Tal der Vinxt gebaut worden war. Hoch über dem Rhein und Bad Breisig thronend, lag Rheineck strategisch, und die Kölner Erzbischöfe zählten das Burgensystem am Rhein von der Godesburg aus über Rheineck bis Andernach zu ihrem Herrschaftsgebiet. Streitigkeiten und Kriege blieben nicht aus. So berichtet die Kölner Königschronik aus dem Jahr 1164, dass der Pfalzgraf Konrad, der Bruder von Kaiser Barbarossa, die Burgen am Rhein einnehmen wollte, um das Kölner Erzbistum zu erobern. 125.000 Soldaten waren in diesem Jahr vor Burg Rheineck aufmarschiert. Später wurde Rheineck zerstört, das war im 30-jährigen Krieg und durch französische Truppen. Die Ruine verfiel, und in der Zeit der Rheinromantik waren es die Preußen, die die Burg liebevoll und originalgetreu wieder aufbauten. Reisende aller Herren Länder zog es nun an den Rhein auf Burg Rheineck. Heute hat Burg Rheineck deen Status einer Touristenattraktion verloren, denn die Burg ist im Privatbesitz eines Softwareentwicklers.

Ungestört und fernab vom Autoverkehr, begleitet der Radweg hinter Bad Breisig den Rhein. Ich nähere mich dem Mündungsgebiet der Ahr, und eine ebene Fläche schiebt die Höhenzüge der Eifel unvermittelt in die Ferne. Die Felder hier sind fruchtbar, Obstwiesen wechseln mit Getreideanbau ab. Einstweilen schätzen die Stadtwerke Sinzig diese Ebene der Goldenen Meile, indem sie dort eine der größten Trinkwasserreservoire in Rheinland-Pfalz vorfinden. Doch die Vergangenheit steckt voller Tragik. So „golden“, wie das Mündungsgebiet der Ahr wegen ihrer fruchtbaren Bodenablagerungen genannt wurde, war dieses Gebiet mitnichten nach Kriegsende. Drei Monate lang war es Kriegsgefangenenlager, und beim Aufbau des Lagers im Mai 1945 waren die Zustände katastrophal. Provisorische Zelte, Regen und Matsch, keine sanitären Anlagen, kaum Trinkwasserversorgung, insgesamt 1.200 Gefangene starben an Typhus oder Ruhr. Drei Monate später wurde das Lager aufgelöst.

Radweg am Rhein
Der Lyriker Günter Eich, den es nach seiner Kriegsgefangenschaft nach Niederbayern verschlug, dichtete über die Goldene Meile:
»Frühling in der Goldenen Meil«
»Erwachendes Lager«
»Mit klappernden Zähnen am Morgen Sophie«
»Wie grau es auch regnet«
» Pfannkuchenrezept«
»Camp 16«
»Blick nach Remagen«
»Sinziger Nacht«
»Inventur«
»Latrine«
»Gefangener bei Nacht«

Alsbald überquere ich die Holzbrücke über die Ahr. In Remagen-Kripp sehe ich die Fähre, die auf das andere Rheinufer nach Linz fährt. An dieser Stelle würdigt eine Skulptur mit einem Schiff aus Beton die Treidelpferde, die vor dem Zeitalter der Dampfschifffahrt Meter für Meter Schiffe rheinauf-  und abwärts gezogen haben.

Sanft und glatt ruhen die Häuser von Linz auf der anderen Rheinseite, Containerschiffe wälzen sich auf dem Rhein vorwärts, ziehen beiläufig Wellen hinter sich her und wühlen die Strömung auf. Die beiden Stümpfe der Brücke von Remagen stemmen sich dem Radweg entgegen, und geradewegs erreiche ich die Rheinpassage in Remagen, wo ich mir am Brauhaus eine Pause gönne und das hauseigene Braunbier meine müden Beine wieder auf Trab bringt.

Die restlichen 22 Kilometer von Remagen bis Bonn spule ich wie im Schlaf herunter, so ungefähr. Rückenwind treibt mich an, die Sonne lacht, einfach schön.

Strecke (107 Kilometer):


Höhenprofil:



Mittwoch, 5. August 2015

Rheinisches Freilichtmuseum Kommern

Kappenwindmühle
Als unser Sohn noch im Kindergartenalter war, konnten wir ihn nicht stoppen. Treppenstufe für Treppenstufe stapfte er hinauf. Zuerst in die Windmühle hinein, dann über eine Leiter in die Stockwerke der Windmühle hinauf. Er hatte seinen Spaß, immer neue Höhenregionen zu erklimmen. Ganz oben angekommen, auf Bretterdielen in schwindliger Höhe sich fest krallend, das Gelände des Freilichtmuseums wie aus einem Segelflugzeug überfliegend, registrierte er erst an diesem Punkt, was er geschafft hatte. Er taumelte, sein Gesicht färbte sich kreidebleich vor Höhenangst, bloß nicht wieder zurück über all die knirschenden Treppenstufen. Es kostete Mühe und Überredungskunst, ihn von ganz oben auf den sicheren Erdboden zurück zu bewegen. Rückwärts, Schritt für Schritt, in Zentimetern getaktet, gelang es uns schließlich.

Als unsere großen Kinder noch klein waren, hatten wir in einer gewissen Regelmäßigkeit das Freilichtmuseum in Kommern besucht. Nun – nach einem Abstand von rund zehn Jahren – sind wir wieder über die Landstraße gerumpelt, haben uns durch das sperrige Gebilde von Euskirchen hindurch gewurstelt, auf den letzten zwanzig Kilometer hat uns die gut ausgebaute Bundesstraße wie im Schlaf nach Kommern geführt.

Sanft eingebettet in die beginnenden Höhenzüge der Eifel, durften wir unser Alltagsleben, geprägt von  Fernseher, Smartphone, WLAN, SMS, What’s App, Internet und anderen Segnungen unseres Wohlstands, hinter uns lassen. Getrost holten uns die Vorzeiten der Gebäudetechnik ein, ohne Strom, zentrale Wasserversorgung und ohne Zentralheizung. Eifel und Westerwald, Niederrhein und Bergisches Land, Bauernhöfe und Fachwerkhäuser, traditionelles Handwerk und die Harmonie von Mensch und Landwirtschaft, ein Sägewerk und zwei Windmühlen – diese bunte Mischung aus wieder aufgebauten Gebäuden durften wir in dem Freilichtmuseum bestaunen, das 1958 gegründet wurde und nach landschaftstypischen Besiedlungsformen des Rheinlandes aufgebaut war. Wir durften Einblick nehmen in Wohnverhältnisse, in denen Haus, Werkstatt und Tierhaltung unter einem Dach untergebracht waren. Schafe, Kühe und Ochsen dominierten, das belegt beispielhaft eine Zählung aus dem Jahr 1816  in Scheuerheck am nördlichen Rand der Eifel. 46 Ochsen, 116 Kühe und 840 Schafe kamen auf 85 Bauernhöfe.

Wie karg die Lebensbedingungen waren, das zeigen fast alle Häuser, unter anderem eines aus Bilkheim im Westerwald. An einer Feuerstelle, einem Kastenofen, sammelte sich bei kalten Außentemperaturen die Familie. Einen Fußboden im heutigen Sinne gab es nicht, anstatt dessen bewegte man sich auf gestapftem Lehmboden. Die Ernährung war bescheiden, karg und eintönig. Brot wurde in dem hauseigenen Backofen gebacken.  Fleisch wurde nur zu festlichen Anlässen verspeist. Nachdem die Kartoffel im 18. Jahrhundert ganz Europa erobert hatte, dominierten Kartoffeln in sämtlichen Zubereitungsformen den Speiseplan. Bohnen, Erbsen und Kohl kamen aus den Gemüsegärten hinzu.






Impressionen aus Kommern
Das Freilichtmuseum Kommern haben wir stets als Familienerlebnis wahrgenommen. Das war auch diesmal so. Kinder durchdringen diese Welt traditioneller Lebensformen, alter Handwerkskunst, wiederaufgebauten Gebäude sowie das Nebeneinander von Mensch und Tieren mit einem hohen Maß an Neugierde. Es scheint so, als läge dieses Leben ohne all unsere liebgewonnenen Alltagsbequemlichkeiten, in dem unsere Großeltern noch aufgewachsen sind, in irgendwelchen dunklen Kammern. Mit beiden Beinen auf dem Boden unserer Vergangenheit stehend, lohnt sich die Entdeckungsreise in diese Vorzeiten stets.

Unser kleines Mädchen, das mittlerweile in die Erwachsenen-Schuhgröße hinein gewachsen ist, hatte diesmal eine Klassenkameradin mitgenommen. Innerhalb des weitläufigen Geländes überwogen Familien mit Kindern, in Bollerwagen bequemten sich die Kleinen. Nebenher konnten wir uns darüber freuen, dass Kinder keinen Eintritt zu bezahlen durften.

Das Freilichtmuseum legt Wert darauf, dass es sich nicht um Abbruch handelt, sondern um Abbau. Der Aufwand zur Erhaltung der alten Bausubstanz ist immens. In allen Regionen des Rheinlandes hat bis ins letzte Jahrhundert der Fachwerkbau dominiert. Dazu wird das tragende Gerüst der Fachwerkbalken freigelegt. Lehm, Stroh, Zielgelsteine aus den Zwischenräumen werden herausgenommen, aufgestapelt, gereinigt und konserviert. Dann werden in dem Fachwerk die Verbindungen gelöst, die die Zimmerleute verhauen haben. Dazwischen liegen dendrochronologische Untersuchungen, um anhand des Holzes das Alter des Gebäudes zu bestimmen.

Bockwindmühle
Fotos und Aufmaßzeichnungen steuern den Wiederaufbau, der um einiges aufwändiger ist als der Abbau. Fast immer müssen große Teile des Fachwerks restauriert, ergänzt oder wegen Verfalls oder starker Beschädigung rekonstruiert werden. Bei manchen Gewerken verbietet sich wegen der traditionellen Bauweise der Einsatz von Maschinen und Geräten. So muss bei der Zimmerarbeiten die Methode des Abbindens gewahrt bleiben: Wand für Wand und Gebinde für Gebinde müssen liegend verzimmert und aufeinander angepasst werden, dasselbe gilt für das Untermauern und Ausfachen der Zwischenräume. Die Dachdeckung geschieht in den Niederrheinischen Baugruppen über Reet-Dächer aus Schilfrohren. Reichlich Mühe haben sich die Verantwortlichen auch gegeben, die Inschriften über den Hauseingängen zu erhalten. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort, dieses Haus hat Theis Kloft erbaut, dieses Haus steht in Gottes Hand, behüte es vor Feuer und Brand, Amen, Anno 1687“, diese Art von Symbolik beeindruckt, die sich an die ersten Verse des Johannes-Evangeliums anlehnt.

Nach rund drei Stunden waren wir hundemüde gelaufen. Der Aufgang zur Kappenwindmühle bei Diepholz, auf der unser Sohn die Höhenangst überfallen hatte,  war gesperrt. Anstatt dessen konnten wir das Innenleben der Bockwindmühle bei Jülich bestaunen, wie sich die Kraft der Windmühlenflügel auf das Mahlwerk der Mühlsteine überträgt.

Auf dem Spielplatz vor dem Ausgang ließen wir diesen schönen Tag ausklingen. Dabei aßen wir Brot aus der Museumsbäckerei. Unsere beiden Mädchen rutschten, schaukelten, drehten nach ihrer Müdigkeit wieder richtig auf, während wir aus Tupperdosen in unseren überquellenden Rucksäcken aßen.