Freitag, 24. Juli 2015

das Rathaus und die Kathedrale St. Pieter in Leuven / Belgien

Rathaus und Kathedrale St. Pieter
Im Endeffekt ging es um Macht. Nach der Jahrtausendwende blühte das Handwerk auf, und die Handwerker organisierten sich sowohl im Rheinland wie in Flandern in Zünften. Standortfaktoren fixierten die Rahmenbedingungen für die Handwerker, Händler wurden zwischengeschaltet, Warenflüsse entstanden. In den Wirren des Mittelalters kristallisierten sich entlang der Handelswege nach der Jahrtausendwende, umringt von uneinnehmbaren Mauern,  höchst stabile Gebilde heraus, das waren Städte. Sie entwickelten eine Eigendynamik, erhoben Zölle, bauten Hallen, in denen die Stadtbeamten die Waren kontrollierten, bauten in Sichtweite von Kirchen konkurrierende Glockentürme – oder Belfriede -, um den Städten in Flandern eine Ordnung jenseits des christlichen Glaubens zu verleihen.

Das war die Geburtsstunde von Rathäusern. Während sie im Rheinland im späten Mittelalter gebaut wurden – so in Köln oder Düsseldorf – geschah dies in Flandern einige Jahrhunderte vorher. Davon steht eines der schönsten Rathäuser in Leuven.

So wie im Rheinland, vertrieben keltische Volksstämme die Römer genauso aus dem heutigen Belgien. Die Kirche und das Christentum fassten um 700 in Leuven Fuß, als sich unter dem ersten Lütticher Bischof – das war der Heilige Hubert, nach dem im Rheinland diverse Schützenbruderschaften benannt sind - das Christentum  durchsetzte. In dieser Zeit entstand in Leuven ein Vorläufer der St. Pieters-Kathedrale, Mitte des 11. Jahrhunderts wurde die Crypta gebaut. 1431 stand schließlich der Chor der Kathedrale, angelehnt an den französischen Kathedralbau, mitten im Bau.




Figuren an der Rathausfassade (oben),
Wandelhalle (darunter),
gotischer Saal und Gemälde "Übergabe der Gründungsurkunde der Universität" (darunter),
kleiner gotischer Saal (ganz unten)
Stadt und Kirche, beides entwickelte sich in Leuven gleichzeitig. Die Sphären der Macht mussten gebildet werden, es musste verhandelt werden, man musste sich einig werden, Machtverlust und Machtgewinn sollten sich die Waage halten. In Leuven stehen sich auf Augenhöhe die Kathedrale und das Rathaus gegenüber. Mit dem Bund der Hanse und mit dem Handel über die Nordsee wurden die Städte in Flandern unendlich reich, indem Kaufleute die Warenflüsse zu Geld machten, so auch in Leuven. Das Selbstbewusstsein der Kaufleute äußerte sich in dem Rathaus, dessen Grundstein 1439 gelegt wurde.

Die Parallelwelten von Stadt und Kirche entwickelten sich komplett anders im Rheinland. Die bohrenden Ansprüche der Macht entluden sich 1288 auf den Schlachtfeldern von Worringen, als die Kölner Erzbischöfe darauf pochten, eigene Zollstationen zu betreiben. Daraufhin zog die Kirche in den Krieg und verlor diesen. Den Rhein, die schützenden Burgen, den Zoll, das Stapelrecht sollten dennoch weitere Jahrhunderte die Erzbischöfe kontrollieren.

Cafés auf dem Rathausplatz
Wir haben das Rathaus von Leuven besichtigt. Einige Figuren an der Außenfassade sind spät – erst im 19. Jahrhundert - hinzugefügt worden. Die Grundstruktur beruht auf einem Gleichgewicht: die Figuren in den Untergeschossen stammen aus der Bibel, manche sind Schutzheilige, die Geschosse darüber  zeigen Herrscher, Grafen und Könige. Prunkvolle Säle schmücken das Innere, die sich zum Teil seit der gotischen Epoche erhalten haben. In der Wandelhalle wehen Flaggen von Patriziergeschlechtern, in der sich die Kaufleute zusammen getan hatten. Der gotische Saal hat sich aus dem 15. Jahrhundert erhalten, wobei dieser auf einem Gemälde eine herausragende Szene in der Leuvener Stadtgeschichte dokumentiert hat. 1425 wurde die Universität gegründet, und der Propst der St. Pieters-Kirche überreicht dem Bürgermeister die Gründungsurkunde des Papstes. Auch auf der rechtlichen Ebene werden Staat und Kirche somit als gleichrangig betrachtet.

Dieses Gleichgewicht unterstreicht ein Gemälde aus dem 15. Jahrhundert im kleinen gotischen Saal. Die zehn Gebote und die Rechtsprechung der Städte gehen ineinander über. Das Gemälde „Die Gerechtigkeit des Kaisers Otto III“ befasst sich mit einer unsittlichen Annäherung eines fremden Grafen an seine Ehefrau. Ehebruch, auch der Versuch, wird bestraft, schließlich wird der andere Graf enthauptet.  

Draußen angekommen, lassen wir uns nieder in einem Café zwischen dem Rathaus und der St. Pieters-Kirche. Der Kaffee schmeckt, und auf die Frage des Kellners, wer wir so sind, haben wir geantwortet, dass wir ein multikulturelles Gemisch europäischer Nationen sind, Deutsche, Belgier, dazu ein Stück Afrika. Die Eindrücke von Leuven saugen wir in uns auf,  indem die Getränke und die Gespräche uns die Stadt genießen lassen. Mit all den Cafés, ohne Ladenlokale und Geschäfte, ist dieser Platz grenzenlos gesellig, wir sitzen, quasseln, schauen hier, schauen da, beobachten Passanten, lassen es uns gut gehen. Im Rheinland wird man nach ähnlich gemütlichen Plätzen verzweifelt suchen müssen. 

Dienstag, 7. Juli 2015

Straßenbauarbeiten bei 38 Grad

Baustellenschild
Arbeitswelten können grausam sein. In diesen Tagen der Hitzewelle schlägt mir ab den frühen Mittagsstunden die Hitze durch das geöffnete Fenster in meinem Büro entgegen. Mein Büro liegt zur Schattenseite, glücklicherweise, so dass es noch schlimmer kommen könnte. Die Hitze staut sich, sie lähmt, bremst, schnürt mich ab an meinem Arbeitsplatz. Meine Gedankengänge reißen ab, Excel-Tabellen verschwimmen auf meinem Monitor, Zahlen geraten durcheinander, das Formulieren meiner E-Mails zieht sich in die Länge.

Büroarbeitsplätze sind in den Tagen der Gluthitze wohl die harmlose Variante der Arbeitswelten. Dass Arbeitswelten auch anders aussehen, erlebe ich in diesen Tagen, wenn mein Fahrrad mir halbwegs erträgliche Momente auf dem Weg zu meinem Büroarbeitsplatz und nach Hause beschert.

Gartenarbeiter, die in der prallen Mittagshitze Unkraut jäten, Arbeiter auf dem Bau oder Arbeiter an Maschinen in Fabrikhallen zolle ich höchsten Respekt. Außentemperaturen bis zu 38 Grad bringen jede Bewegung zum Stillstand. Alle suchen danach, dem Backofen der Hitze zu entkommen.

Doch das kann noch getoppt werden. Die Hauptverbindungsstraße nach Bonn, die Landstraße L269, wird saniert. Werktags pendele ich mit meinem Fahrrad auf dem Fahrradweg zu meinem Büroarbeitsplatz. Saniert wird in zwei Abschnitten. In beiden Abschnitten muss sich der Autoverkehr in der einen Richtung über die Busspur zwängen, während die Landstraße in der anderen Richtung komplett gesperrt ist. Dort wird die Straße saniert und neu asphaltiert. Der Ferienberufsverkehr muss sich nun irgendwo zwischen Kreisverkehren, Einbahnstraßen, Verengungen , Wohngebieten und Industriegebieten von Troisdorf-Bergheim hindurch quälen. In der zweiten Bauphase wird dies an alte Zeiten erinnern, vor über 40 Jahren, bevor die Brücke über die Sieg gebaut wurde, als man das Gebiet jenseits der Sieg als „Balkan“ bezeichnete, weil dieses Gebiet verkehrsmäßig vollkommen isoliert war von früheren Bundeshauptstadt, dass man es als „Balkan“ bezeichnete. Auch in diesen Tagen nannte man die Baustelle und „Balkanisierung“ in einem Atemzug.

ein LKW schüttet den Asphalt auf die Teermaschine
Die Straßenbauarbeiter stecken in der Zwickmühle. Im letzten Jahr war es die Sanierung der Bonner Nordbrücke, die in den Sommerferien Staus und ein totales Verkehrschaos auf der Autobahn A565 lostrat. In diesem Jahr geht es weiter mit der Landstraße L269, die sich unmittelbar an die nächste Autobahnausfahrt anschließt. Nun droht das nächste Verkehrschaos. Der Zeitplan der Straßenbauarbeiten treibt die Straßenbauarbeiter vor sich her, denn bis zum Ende der Sommerferien muss die fünf Kilometer lange Strecke fertig sein.

In der morgendlichen Frühe, bevor die Hitze anschwillt, herrscht auf der Baustelle Hochbetrieb. Schwerlaster karren den Asphalt heran, kippen das zähflüssige Granulat auf die Teermaschine, während Wolken weißen Dunstes schwerfällig nach oben steigen. Die Masse aus Asphalt und Bitumen verteilt sich nun mit ihren einhundertfünfzig Grad von der Teermaschine auf die Deckschicht, die gewässert ist und an der einen oder anderen Stelle mit Teerpappe belegt ist. Nachmittags, auf dem Nachhauseweg, schlägt mir der nach Chemie stinkende Geruch der frische geteerten Straße entgegen. Die Straßenbauarbeiter haben Feierabend, während die Hitze des Teers auf den Radweg hinüber schwappt. In der Nachmittagshitze vermengen sich die Gerüche zu einem stickigen Gemisch, in der mir mein Atem stockt.

Arbeitswelten können grausam sein. So waren in den Frühtagen der Industrialisierung viele Tätigkeiten gesundheitsschädlich, weil diese nicht von Maschinen übernommen worden waren und weil niemand auf Arbeitsschutz achtete. „Die Arbeiter klagen über Mangel an Sauerstoff, Überfluss an Staub, Pulverrauch, Kohlensäure und schwefelhaltigen Gasen in der Atmosphäre der Stollen. Infolgedessen sind die Bergleute klein von Natur und leiden vom 30. Lebensjahr an fast alle an Brustbeschwerden, die später in vollständige Schwindsucht übergehen“, das stellte Friedrich Engels in Bleibergwerken in Wales um 1770 fest. Die Arbeitsbedingungen haben sich zwar seitdem verbessert. Aber nun ist es der Klimawandel, der in spezifischen Berufsbereichen die Arbeitsbedingungen auf eine andere Art und Weise unerträglich macht.

Teermaschinen
Der frische Asphalt und die 38 Grad addieren sich. Wie die Straßenbauarbeiter so etwas aushalten können, ist mir ein Rätsel. Mitten im Brennpunkt der Hitze sitzt der Arbeiter, der die Teermaschine bedient. Auf seinem Sitz dürfte sein Gesäß regelrecht gegrillt werden, wenn durch die Schüttung darunter die kochende Teermasse hindurch rutscht, um anschließend in der benötigten Schichtdicke aufgetragen zu werden. Schlimm sind auch diejenigen Arbeiter dran, die den überquillenden Asphalt an den Rändern mit Schaufeln wegschaffen. Einen heißen Job nahe am Siedepunkt haben ebenfalls die Fahrer auf den Dampfwalzen, die Zentimeter für Zentimeter ihre Spur ziehen. Nicht auszudenken, wie alle schwitzen. Bäche von Schweiß werden über ihren Gesichtern rinnen. Kaum vorstellbar, welche Massen an Mineralwasser sie trinken müssen, um die Flüssigkeitsverluste auszugleichen. Immerhin: die Gefahr, dass sie an Krankheiten leiden werden wie die Bergarbeiter in Wales um 1770, ist ziemlich gering. Da seit den 1970er Jahren Bitumen als Bindemittel verwendet wird, ist die Teermasse frei von krebserregenden Substanzen.


Seitdem die Quecksilbersäule gestern unter die 30 Grad-Marke gerutscht ist, können die Straßenbauarbeiter ein wenig durchatmen. Die Nationalitäten der Arbeiter kann nicht sehen, sondern nur erahnen. Ich gehe davon aus, dass sie aus aller Herren Länder kommen, vor allem aus Osteuropa. So wie in der Landwirtschaft, auf dem Bau oder im Reinigungsgewerbe.

Freitag, 3. Juli 2015

Abrisswüste Niederkassel

Abrisswüste Niederkassel
Das Elend begann im Jahr 2008, als im drei Kilometer entfernten Stadtteil Ranzel ein Einkaufszentrum mit REWE, ALDI, LIDL, dm, Takko und Deichmann in die Landschaft gepflanzt wurde. Das Areal, in das drei bis vier Fußballplätze hineinpassen, zog nun Käuferscharen bis weit nach Porz oder Troisdorf an. „Negative Auswirkungen auf Versorgungsbereiche im Zentrum von Niederkassel sind nicht zu erwarten“ so urteilte vor Baubeginn eine Kölner Unternehmungsberatungsfirma, dessen Gutachten Bestandteil der Machbarkeitsstudie war.

Die Unternehmensberatungsfirma hatte sich mächtig geirrt, denn das Einkaufszentrum saugte wie ein Staubsauger die Einkaufsströme der Umgebung ab. Drei Kilometer weiter ereilte das Zentrum der Stadt Niederkassel nun ein bedrückendes Szenario, denn Geschäftsinhaber suchten das Weite, im Zentrum kehrte gähnende Leere ein. Eine Geisterzone mit verlassenen Ladenlokalen, heruntergelassenen Rolläden und einer zusammengebrochenen Grundversorgung breitete sich wie die Greifarme einer Krake im Herzen der Stadt aus. Metzger, Bäcker und all die kleinen Geschäfte verschwanden, nur ein EDEKA-Supermarkt überlebte.

Und es kam noch schlimmer. Die Idee reifte, im Stadtzentrum ein weiteres Einkaufszentrum zu bauen. Planung und Phantasie beflügelten die Größenordnung, die Stadtplaner taten sich mit einer Immobiliengruppe zusammen, die immer mehr Geschäftsinhaber mobilisierte, ihre Häuser zu verkaufen, die in sich zusammenhängend immerhin eine Fläche von ein bis zwei Fußballplätzen ergaben.

Perspektivlosigkeit in der Metzgerei
Nun klafft im Zentrum eine riesige Lücke, nachdem an die zehn bis zwölf Häuser abgerissen worden sind. Der Depression ist die Häßlichkeit gefolgt. Der Blick auf das Phantasiegebäude des Einkaufszentrums endet vor einem Bauzaun. In der Abrisswüste ist alles platt gemacht worden, Unkraut wuchert zwischen Sand und Kieselsteinen, an einer Häuserwand zeichnet nacktes Gemäuer den Umriss des abgerissenen Nachbarhauses.

Die Niederkasseler sehen das Einkaufszentrum gelassen. 8.000 Quadratmetern sollen bebaut werden, das ist rund ein Drittel der Fläche im drei Kilometer entfernten Einkaufszentrum in Ranzel. In drei Geschossen plus Staffelgeschoss soll der Gebäudekomplex in die Höhe wachsen. Ladenpassagen im Erdgeschoss, bestehend aus einem REWE-Markt, Drogeriemarkt, Reisebüro, Modeladen, Optiker, Apotheke, sollen Schluss machen mit dieser Geisterzone, die Geschosse darüber sollen vierzig Wohneinheiten und Büroräume beheimaten.

Wie gelassen die Niederkasseler das sehen, das belegen Reaktionen in Facebook. „Natürlich brauchen wir ein Einkaufszentrum in Niederkassel“, „sei doch froh, dass er (der Bürgermeister) endlich mal etwas gescheites hier aufbaut“, „sollen se das Ding einfach einfach da hin ballern und gut is“, dies sind einige der Reaktionen. Sprich: das Meinungsbild zweifelt nicht an der Notwendigkeit, zumal feststeht, dass der EDEKA-Supermarkt schließen wird und danach Totenstille einkehren wird, was die Einkaufsmöglichkeiten betrifft. 

Bauzaun
Der Blick auf die Abrisswüste Niederkassel wird allerdings noch eine Weile lang so bleiben, denn die Planungsverantwortlichen haben sich mit ihren Planungshorizonten verschätzt und ihnen scheint auch die Zeit davon zu rennen. Zuerst schoß ein Mieter quer, der in einem der abzureißenden Gebäude wohnte. Als ihm wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde, weigerte er sich auszuziehen. Schier endlos dauerte es, ihn heraus zu klagen. Da stellt sich zusätzlich die Frage, ob unser Rechtsstaat nur Handlanger ist, um letztlich Geschäftsinteressen zu dienen.

Ursprünglich sollte das baurechtliche Bebauungsplanverfahren im März 2014 angestoßen werden. Nun sind endlich vor einer Woche die Verträge unterschrieben worden – das war der Kaufvertrag des 8.000 Quadratmeter großen Areals und der städtebauliche Vertrag. Im Herbst diesen Jahres, also mit anderthalbjähriger Verzögerung, kann nun das Bebauungsplanverfahren eingetütet werden. Anfang 2016 sollen dann endlich Bagger aufmarschieren und mit ihren Bauarbeiten beginnen. Im Frühjahr 2017, wenn alles gut läuft,  könnte in der schönen neuen Einkaufswelt eingekauft werden.

Ich bin skeptisch. Die Stadt und die Investorengruppe waren sich bis kurz vor Toresschluss uneinig, ob die Verträge überhaupt unterschrieben werden sollten. Verhandelt wurde streng geheim hinter verschlossenen Türen. Man munkelt, dass es Differenzen über die Verkaufspreise einzelner Grundstücksinhaber gegeben habe. Ich kann mir auch vorstellen, dass Banken kritisch nachgefragt haben, denn die 12 Millionen Euro, die das Einkaufszentrum kosten soll, sind kein Pappenstiel. Dazu kommt der Kaufpreis für die 8.000 Quadratmeter Grundstücke, und von irgendwo her muss der zweistellige Millionenbetrag ja kommen.

Vor allem der REWE-Koloss im Einkaufszentrum muss die Kurve kriegen. Es gibt bereits einen REWE in dem anderen Einkaufszentrum, und wie der Zufall es will, haben die beiden REWE-Märkte denselben Besitzer. Dabei haben die Betreiber des neuen Einkaufszentrums die Herausforderung zu bewältigen, dass die Einkaufsströme – auch aus dem drei Kilometer entfernten Einkaufszentrum -  wieder in das Zentrum zurück gelenkt werden müssen.

ungastlicher Marktplatz
Delikat wird die Konstellation für REWE. Der Inhaber der beiden REWE-Märkte muss nämlich darauf achten, dass sich seine beiden Filialen nicht gegenseitig kannibalisieren. Sprich: die Käuferströme dürfen nicht alleine umgelenkt werden von dem einen REWE-Markt auf den anderen REWE-Markt. Schlimmstenfalls verteilt sich derselbe Umsatz nun auf zwei REWE-Märkte, während REWE auf den Kosten für den zweiten Supermarkt hängen bleibt. Sollte sich irgendwann REWE mit der größten Verkaufsfläche wieder zurückziehen, wäre dies fatal. Leerstände könnten den Businessplan kaputt rechnen. Und Leerstände gibt es auch an deren Ecken von Niederkassel genug. Wegen Leerständen wurden sogar Ladenlokale wieder zurück gebaut.

Ich bin skeptisch, weil das ganze Umfeld – trotz der Vision eines Einkaufszentrums – einfach unattraktiv ist. In der Stadtentwicklung hat sich Niederkassel rund um die Kirche St. Matthäus entwickelt, dessen romanischer Turm noch aus dem Mittelalter stammt. Gesiedelt wurde in Rheinnähe, und dort befinden sich auch die Wohlfühlzonen in dieser Stadt. Nicht am Marktplatz, der in seiner heutigen Lage erst später dran geflanscht wurde, vielleicht in der Wilhelminischen Epoche. Niemand hat sich Mühe gegeben, auf dem Marktplatz Wohlfühlzonen oder Verweilzonen zu etablieren. Der Marktplatz ist lieblos dahin geklatscht, nüchtern, kalt, abweisend, ungastlich und letztlich zum Parkraum verkommen. Entspannung kommt am Eiscafé auf dem Marktplatz kaum auf, wenn man auf parkende Autos schaut, karge Mauerwände und Poller, die die Durchfahrt von Verkehr zum Rathaus verhindern sollen.

Ich mutmaße, dass sich in diesem Umfeld das Einkaufszentrum schwer tun wird, aufzublühen. Aber möglicherweise haben die Verantwortlichen der Stadt noch einen Trick in der Hosentasche: sie schieben das Risiko von Leerständen auf den Steuerzahler ab. „Die städtebaulichen Fördermittel sind alle schon bewilligt“, das berichtete der Rhein-Sieg-Anzeiger am 23. Januar 2014. Also ist zu erwarten, dass der Steuerzahler solch ein Einkaufszentrum zu einem gewissen Teil subventioniert. Damit tue ich mich sehr schwer, zumal die Stadt Niederkassel an einer anderen Ecke unter ihrer Ausgabenlast stöhnt. Mit einer dreißigprozentigen Erhöhung der Grundsteuer hat sie die Hausbesitzer zuletzt ordentlich zur Kasse gebeten.