Donnerstag, 29. Januar 2015

Düsseldorf 1288 - das Stadterhebungsmonument

Monument von vorne
Dass die Düsseldorfer gegen die Kölner gekämpft haben und auf dem Schlachtfeld gewonnen haben, so einfach läßt sich die Geschichte nicht umschreiben. So als würde die Kölner Haie gegen die Düsseldorfer EG spielen, ein heißer Kampf auf dem Eis würde los getreten, aus zwei unterschiedlichen Trikotfarben bildete sich Strategie und Taktik heraus, und wie oft der Puck im Netz landete, das würde über den Gang der Geschichte entscheiden. Ganz so einfach waren die Machtkonstellationen nicht, aber ein Kern von Wahrheit passte: 1288, nach der Schlacht von Worringen, war der Kölner Abstieg perfekt, bis auf weiteres spielte Köln in der Zweiten Liga der Rheinischen Geschichte, während Düsseldorf in die Erste Liga aufgestiegen war.

Bergisches und Jüliches Territorium vereinnahmte den Rhein, so dass Köln vom Rhein abgeschnitten wurde. Die Festungen Zons und Kaiserswerth gingen über an die Grafen von Berg. Drei Monate nach der Schlacht verbanden sich die Grafen von Berg mit der freien Reichsstadt Duisburg, indem sie ungehinderten Verkehr und gegenseitigen Schutz versprachen. Und dann, am 14. August 1288, wurde Düsseldorf aus der Taufe gehoben. Dieser Akt musste absurd wirken, denn Düsseldorf war gerade eine 300-Seelen-Gemeinde mit einer Pfarrkirche am Rhein, wo wahrscheinlich mehr Schafe am Rheinufer grasten als Düsseldorf Einwohner zählte. Köln war demgegenüber ein Riese und zählte an die 40.000 Einwohner.




Gefangennahme des Erzbischofs (oben links), Blut und Schweiß des Kampfes (oben rechts)
Wappen des Bergischen Löwes (darunter links), Monument von der Seite (darunter rechts)
Ritter (darunter links), Urkunde mit Stadtrechten (darunter rechts)
Obstkörbe als Symbol der Bergischen Bauern (unten)
Formal in riesigen, ausholenden, geschwungenen Buchstaben auf dickem Pergament geschrieben, überreichte Graf Adolf von Berg die Urkunde, in der Düsseldorf die Stadtrechte erhielt. 12 Jahre zuvor, 1276, war diese Zeremonie noch undenkbar gewesen. Der Kölner Erzbischof hatte den Grafen von Berg jegliche Stadtgründungen am Rhein verboten, so dass sie auf Ratingen, ganz weit weg vom Rhein, ausweichen mussten. Düsseldorf sollte fortan die Aufgabe erhalten, Köln zu umklammern und den Machtbereich der Erzbischöfe in Schach zu halten, was Düsseldorf in den nachfolgenden Jahrhunderten durchaus gelang.

Der Bildhauer Bert Gerresheim hat die Entstehung von Düsseldorf mit dem Stadterhebungsmonument in der Altstadt veranschaulicht. Dort zeigt er die Kriegsführenden der Schlacht von Worringen und die Urkunde des Grafen Adolf von Berg, in der er die Stadtrecht verleiht.

Kirche St. Lambert
Gleichzeitig, mit den Stadtrechten, gründeten die Grafen von Berg an der Pfarrkirche St. Lambert ein Kanonikerstift. Dieses sollte gleichfalls wachsen und gedeihen und einen Gegenpol zum Kölner Erzstift darstellen. Rein formal, musste die Kirche dieser Stiftsgründung zustimmen. Dies geschah direkt über den Papst, und nachgelagert durch das Kloster in Siegburg, da der Kölner Erzbischof inhaftiert war.

Als Siegfried von Westerburg nach einjähriger Gefangenschaft frei gelassen wurde, musste er einen Korridor entlang des Rheins zugestehen. Linksrheinisch von Neuss bis Köln, auf der Höhe der heutigen B9, rechtsrheinisch zwischen Sieg, Anger und Rhein, ebenso rechtsrheinisch von Deutz bis Zündorf, durften die Erzbischöfe keinerlei Festungen bauen.

Im Laufe der Jahrhunderte berappelten sich die Kölner Erzbischöfe, vor allem, weil die Grafen von Jülich sie gewähren ließen. Auch jenseits des Siebengebirges und im Westerwald konnten sie wieder Gebiete dazu gewinnen, während das Gebiet entlang der Sieg fest in Bergischer Hand blieb. Gegenüber den Grafen von Berg, die ein umfangreiches Imperium am Niederrhein, an Rhein und Sieg und im Bergischen Land schufen, blieb es dabei, dass Köln in der Zweiten Liga spielte. Und nicht in der Ersten Liga wie die Düsseldorfer.

Dienstag, 27. Januar 2015

Köln 1288 - der Fall der Kölner Erzbischöfe

Johann Peter Theordor Janssens,
Die Schlacht von Worringen (1892)
Quelle Wikipedia
Unversehens war das Mittelalter zur Attraktion mutiert. Köln hatte so viele Reichtümer angesammelt wie die Gebeine von allen Heiligen und Märtyrern zusammen. Und mit diesen Reichtümern zeigte der Erzbischof, wer der Herrscher in der Stadt war. Nichts ließ er an sich heran, Gegner bestrafte er unerbittlich. Es kümmerte ihn nicht, wenn die Händler das Stapelrecht mißbrauchten, indem sie die Gewichte an den Waagen fälschten. Oder wenn sie Wein panschten oder Heringfässer zur Hälfte mit Sand füllten, wenn diese zum Verkauf angeboten wurden.

Die Kirche verdiente am Stapelrecht. Mitte des 13. Jahrhundert war Köln so reich wie kaum eine andere deutsche Stadt, das zeigen Vermögensverzeichnisse der „Descriptio Theutoniae“. Trier nahm 3.000 Mark Silber im Jahr ein, in Mainz waren es 7.000, in Köln vervielfachten sich die Einnahmen auf satte 50.000 Mark Silber. Rheinzölle und das Stapelrecht ließen das Geld sprudeln, das ausschließlich den Erzbischöfen zustand. Seit der Jahrtausendwende, als Erzbischof Bruno durchsetzen konnte, dass der Kölner Erzbischof den deutschen Kaiser in Aachen krönen und salben durfte, war Köln mit seinen Erzbischöfen ein Schwergewicht im Machtgefüge deutscher Grafen, Fürsten und Herrscher. Konrad von Hochstaden sprach gnadenlos Recht über alle, die anderer Meinung waren, und er schloß einige Ratsmitglieder aus, er degradierte sie zum einfachen Fußvolk, weil sie keine Waffen mehr tragen durften. Als Bauarbeiter auf der Dombaustelle Sympathie für die Ratsherren zeigten und sich weigerten, zu mauern und zu arbeiten, ließ er sie kurzerhand fesseln und in den Kerker der Godesburg werfen.

Herzögen und Grafen ebenbürtig, führten die Kölner Erzbischöfe Krieg, was nicht so ganz einfach mit den christlichen Idealen von Frieden, den zehn Geboten und Gewaltlosgikeit erklärbar war. 1180 hatten sie sich nach Westfalen ausgedehnt, 1190 hatten sie die Grafschaft Diest in Flandern erworben. Die Expansion sollte keine Grenzen kennen: von Flandern über Aachen nach Köln und Westfalen, als durchgängige Achse von West nach Ost hatten die Kölner Erzbischöfe ihre eigene Vision eines eigenen Machtbereiches.

An dieser Stelle wird das Mittelalter so, wie man es sich gemeinhin vorstellt. Nämlich dunkel, finster, undurchsichtig, verworren, chaotisch, insbesondere gespalten und uneinig. In der großen Politik siegte Rudolf der Habsburger auf den Schlachtfeldern und einigte das römische Reich deutscher Nation. Aber 16 Jahre lang, von 1257 bis 1273, existierten drei deutsche Könige parallel nebeneinander. Sie kämpften gegeneinander, vertrugen sich wieder miteinander, trieben ein Spiel von Ränken und Intrigen, suchten nach Verbündeten und Stärke. Nicht viel besser erging es den Päpsten. Die Herrschaftsstrukturen rissen auseinander, so dass die Gegenpäpste in Avignon in Südfrankreich ihren eigenen Palast bauten. Die Herrschaftsstrukturen waren im 13. Jahrhundert so inhomogen, dass auf der Ebene von Grafen, Fürsten und Erzbischöfen niemand wusste, wer was über wen zu sagen hatte, insbesondere, worüber Kirche und Staat zu bestimmen hatten oder auch nicht.

Trotz der guten ökonomischen Ausgangsbedingungen, hatte die Zerrissenheit des 13. Jahrhunderts Köln erfaßt. 1261 starb Konrad von Hochstaden, und Engelbert II. von Valkenburg folgte ihm als Erzbischof. Als einige Kölner Bürger sich weigerten, mehr Steuern für den Dombau zu zahlen, eskalierte die Situation. Er ließ sie in Gefängnisse werfen, aber die Bürgerschaft schlug zurück. Sie verbündeten sich mit den Grafen von Jülich, 1268 verjagten sie ihren Erzbischof aus der Stadt. Bei Zülpich traf er auf die Truppen des Grafen von Jülich, die ihn auf der Burg Nideggen bei Düren gefangen nahmen.

Dies war das Vorspiel der Schlacht von Worringen, die 1288 geschlagen wurde. Konkret stritt man sich über das Herzogtum Limburg, welches nur eine Herzogin als Erbfolgerin hervorgebracht hatte. Als diese Herzogin von Limburg starb, wurde ihr Ehemann zum Erben, der aus der Adelslinie der Herzöge von Geldern stammte, die wiederum mit den Kölner Erzbischöfen verbündet waren. Dieser Konflikt, in dem die Grafen von Brabant ebenso Erbansprüche angemeldet hatten, die wiederum mit den Grafen von Berg verbündet waren, brodelte über mehrere Jahre vor sich her. Auslöser der Schlacht war schließlich die Festung Worringen vor den Toren Kölns, die den Grafen von Jülich gehörte. Die Kölner Erzbischöfe bauten an der nordwestlichen Außengrenze ihre eigene Festung vor der Festung der Grafen von Jülich, was alle Verbündeten der Grafen von Jülich zusammenrief. Das waren vor allem die Grafen von Berg, mit ihnen die Grafen von Brabant im heutigen Belgien, auch kleinere Herzogtümer in Hessen. Der Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg, im Amt seit 1275, hatte sich mit den Grafen von Geldern, Luxemburg, Nassau und mit Herzogtümern in Westfalen verbündet. Die beiden Parteien sammelten alles an Fußvolk und Truppen zusammen, was sie aufzubieten hatten, das waren 4.200 Mann auf der Kölner Seite und 4.800 Mann auf der Bergischen Seite. So als würden sich die Ereignisse des Jahres 1268 wiederholen, kämpften die Kölner Bürger nicht auf der Seite ihres Erzbischofs, sondern auf der gegnerischen Seite, weil das Verhältnis zum Erzbischof vergiftet war.

Sechs Stunden dauerte die Schlacht am 5. Juni 1288. Lange wogte die Schlacht hin und her, die Verluste waren hoch, rund 1.000 Soldaten wurden getötet, viele Tote waren durch die Huftritte von Pferden bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Entscheidend waren die Kämpfe der bergischen Bauern und der Kölner Soldaten, da sie mutig und vehement auf alles einschlugen, was sich ihnen in den Weg stellte. Sie eroberten den Fahnenwagen des Erzbischofs, worauf die Heere seiner Kurfürsten zusammenbrachen. Nachdem der Graf von Geldern vor dem Grafen von Brabant kapitulierte, zeigten die übrigen Verbündeten des Erzbischofs Auflösungserscheinungen. Wem die Flucht nicht mehr gelang, der geriet in Gefangenschaft.

Die Niederlage des Kölner Erzbischofs Siegfried von Westerburg war vernichtend. Herzog Johann von Brabant nahm ihn gefangen, übergab ihn Graf Adolf von Berg, der ihn in Schloß Burg an der Wupper einkerkerte. In den Friedensverträgen musste er erhebliche Zugeständnisse machen: er musste Reparationen von 12.000 Mark zahlen, das waren drei Tonnen Silber, die Burg in Lechenich musste er verpfänden, die Festung Worringen musste geschleift werden, Gebiete in Westfalen musste er abtreten, das Herzogtum Limburg musste er den Grafen von Brabant überlassen. Historisch war der Vertrag vom 18. Juni 1288 mit der Kölner Bürgerschaft, dass er die Souveränität der Stadt Köln anerkannte. Die Zuständigkeit für das Stapelrecht, die Zollrechte, das Marktrecht, das Recht zum Prägen von Münzen und die allgemeine Rechtsprechung musste er an die Stadt abtreten, ebenso die dazugehörigen Einnahmen.

Die Folgen der Schlacht von Worringen waren weitreichend, bis in die Neuzeit hinein. Die Herrschaftsstrukturen im Rheinland waren klein, die Macht war zersplittert. Erbfolge, politisch motivierte Hochzeiten, Bündniskonstellationen bestimmten die Geschicke und Machtbereiche. Ein einheitliches Gebilde, das auf einer höheren politischen Ebene handhabbar war, entstand erst nach dem Wiener Kongreß 1815.

Als Siegfried von Westerburg frei gelassen wurde, wanderte er, in Köln unerwünscht, in der Not seiner Situation, nach Bonn aus. Damit begann der Wiederaufstieg Bonns aus dem Erbe der Römerzeit. 1289 führte Siegfried von Westerburg die erste Ratsverfassung in Bonn ein. Nach seinem Tod, 1297, wurde Siegfried von Westerburg in der Bonner Münsterkirche beigesetzt.

Sonntag, 25. Januar 2015

Zivilcourage

Burkan Ilhan; Quelle Facebook
Als Burkan Ilhan zum Fenster hinaus schaute, konnte er die Hilferufe lokalisieren. Der 22-jährige half seinem Vater gerade beim Renovieren der Mietwohnung in Köln-Bocklemünd. Es war ein Familienvater mit Sohn, der mehreren Schlägertypen gegenüberstand und mit seinen Rufen um Hilfe rang. Burkan sah auf dem Rasen vor seinem Wohnblock die Horde von Typen, dunkel gekleidet, die die beiden umzingelt hatten. Ihre grimmigen Gesichter verhießen nichts Gutes. Auf den Straßen spazierte niemand, und selbst wenn sich jemand nach draußen getraut hätte, hätte er einen weiten Bogen um die gruselige Szene gemacht. Die Hilferufe erstarrten zwischen viergeschossigen Wohnblocks. Der Himmel war so stumpf wie die Flachdächer, die auf den Wohnblocks lasteten. Die Kante vom Rasen zum Bürgersteig war so messerscharf wie die bedrohliche Szene.

Bruder, Vater und er, sie eilten nach draußen, um diesen Pulk von Schlägertypen zu verjagen, was ihnen auch gelang. Aber Burkan war einen Tick zu selbstsicher, was ihm beinahe das Leben kostete. Eine Nachbarin bot an, die Polizei zu holen, doch er lehnte ab. Schließlich kamen die zehn bis fünfzehn Schlägertypen zurück. Mit Messern und Böllern bis an die Zähne bewaffnet, droschen sie auf ihn ein. Ein Metallpfosten traf seinen Kopf, Burkan wurde bewußtlos. Die Schlägertypen verschwanden, als Passanten vorbei kamen, und im Krankenhaus wachte Burkan wieder auf.

Schwer verletzt hatte Burkan überlebt, nachdem die Ärzte um sein Leben gerungen hatten. Der Metallpfosten hatte seinen Schädel zertrümmert, und die Ärzte hatten die inneren Blutungen stoppen können, indem sie mit einer Stahlplatte die Schädeldecke fixiert hatten. Nach einer Woche war Burkans Gesundheitszustand stabil und er war außer Lebensgefahr.

Die Situation dürfte uns alle erschrecken. Können wir uns in Stadtteilen wie Köln-Bocklemünd noch ungefährdet auf die Straße wagen ? Regiert dort, angestachelt durch die Gewalt und Exzesse anderenorts, das Faustrecht und der Mob von Schlägern am helllichten Tag ? Da die Mietwohnungen in Köln-Bocklemünd denjenigen ähneln in Köln-Porz, Köln-Deutz oder Köln-Gremberghoven, wo ich mich oberflächlich auskenne, hätte ich Bocklemünd niemals für ein Problemviertel gehalten. Derartige Situationen sind nicht mehr einschätzbar. So auch geschehen im Jahr 2007, als vier Jugendliche im Alter von 18 und 19 Jahren einen Familienvater im Beisein seiner vier Kinder krankenhausreif schlugen, nachdem dieser an Weiberfastnacht von einer Karnevalssitzung in Köln-Ostheim zurückkehrte.

Solche Situationen sind mir erspart geblieben, glücklicherweise, dass ich entscheiden musste zwischen Zivilcourage und Wegschauen. Vor Menschen wie Burkan ziehe ich meinen Hut und ich schulde ihm meine Hochachtung. Ich muss zugeben, wahrscheinlich hätte ich weggeschaut, indem ich mir auf einer logischen Ebene zurecht konstruiert hätte, dass alles gut wird, dass keinerlei Gefahr besteht, dass die Situation nicht so schlimm ist oder dass andere höhere Zufälle alles richten werden. Und damit hätte ich wahrscheinlich auch nicht alleine gestanden, denn mit der Anonymität unserer Gesellschaft schwindet auch die Verantwortung oder die Fähigkeit zur Empathie. Das ist das Einfühlungsvermögen, sich in einen anderen Menschen hinein versetzen zu können. Diese Defizite wurden in Experimenten mehrfach bewiesen. In Fußgängerzonen wurden Belästigungen und Übergriffen simuliert, die wie echt aussahen. Sehr viele Passanten gingen vorbei und schauten weg, bis endlich jemand den Mut fasste und dem entgegentrat. Zivilcourage ist selten und edel. Leider gibt es auch Beispiele von Menschen, die Zivilcourage bewiesen haben und dafür ihr Leben lassen mussten. So Dominik Brunner, als er sich 2009 in einer Münchener S-Bahn drei Jugendlichen entgegenstellte und später mit 22 Schlägen und Fußtritten zu Tode getreten wurde.

Als Burkans Gesundheitszustand stabil war, durfte er sich als Held fühlen. Zurecht. Er lächelte zuversichtlich. Sein schwarzer Vollbart kontrastierte mit dem weißen Verband auf seinem Kopf, der seinen Schädel überragte. Unaufhörlich sprach er in die Fernsehkameras, als stecke er voller Botschaften. Sein Verhalten habe Sinn gemacht, weil es einem guten Zweck gedient habe. Er würde immer wieder so handeln. Sein Handeln sei richtig und ein kleiner Schritt für die Menschheit. Und er hätte auch keine Angst gehabt. Sein Bruder bescheinigte ihm Fröhlichkeit und Härte. Allesamt waren sie glücklich, dass er überlebt hatte.

Ganz, ganz viele Burkan Ilhans braucht unser Land.

Donnerstag, 22. Januar 2015

Stadt auf Abriss - auf den Spuren des Denkmalschutzes im Stadtbezirk Godesberg

Fachwerkhaus in der Basteistraße 19
Es war ein unscheinbares, zusammen geschrumpftes Fachwerkhaus an einer unscheinbaren Straßenecke, das den Stein des Anstoßes ins Rollen brachte. Hübsch von außen, nett anzuschauen, der Fußweg zum Rhein war kurz, von innen eng zusammen gezwängt, unwinklig, die Wände nicht geometrisch exakt mit dem Lineal vermessen. Die Bausubstanz datierte um die Jahrhundertwende um 1900, so dass der Ärger von Handwerkern vorprogrammiert war, wenn Renovierungsarbeiten und Umbauten Zeit ohne Ende auffraßen. Um dies zu vermeiden, hatten die Bauherren sich entschlossen, abzureißen und neu zu bauen. Als der Bürger Bund Bonn davon erfuhr, berichtete die Presse darüber. Sie fasste bei den Baubehörden nach und stach in die wabbelige Masse des Denkmalschutzes hinein, die dehnbar und interpretierbar war, so dass jeder genau das heraus lesen konnte, was ihm am besten in den Kram passte.

Ich habe diesen Stein des Anstoßes aufgegriffen, mich im Stadtbezirk Godesberg auf die Spuren des Denkmalschutzes zu begeben. Dort liegt auch dieses unscheinbare Fachwerkhaus in der Basteistraße 19. Bei meinem Streifzug habe ich festgestellt, dass der Denkmalschutz ein Betätigungsfeld ist für Lust und Laune, Sinn und Unsinn, Ungereimtheiten und Widersprüche.

Für den historischen Ortskern von Bonn-Rüngsdorf gibt es keine Denkmalbereichssatzung, so dass nichts unter Denkmalschutz steht, es sei denn, einzelne Gebäude sind unter Denkmalschutz gestellt worden. Dazu gehört nicht das Fachwerkhaus auf der Basteistraße 19. Die Baubehörde hat nun beschlossen, einen Bebauungsplan für einen noch zu definierenden Ortskern von Rüngsdorf aufzustellen, zusätzlich soll eine Denkmalbereichssatzung erarbeitet werden, die dann das Fachwerkhaus auf der Bastei einbeziehen soll. Was dabei heraus kommt, wird in den Sternen stehen. Abriss ist derzeit kein Thema.

Ortskern von Bonn-Rüngsdorf
Ein Stück weiter, direkt am Rhein, kann das Rheinhotel Dreesen auf eine noble, alte Bausubstanz aus den 1920er-Jahren zurückblicken, die auf der Fassaden und in der Eisenkonstruktion Elemente des Jugendstils enthält. Nobel waren auch die Staatsgäste, die dort übernachtet haben, so die Präsidenten Eisenhower aus den USA oder Mitterrand aus Frankreich. Denkmalschutz ? Mitnichten, denn die Fassade wurde in der Nachkriegszeit verändert. So könnte ein moderner grobklötziger Erweiterungsbau, der derzeit diskutiert wird, gebaut werden.

Rheinhotel Dreesen
Nach dem Umzug nach Berlin ist auf der Rückseite des Rheinhotels Dreesen bereits fleißig gebaut worden, und zwar dort, wo zuvor die französische Botschaft gestanden hatte. Beim Betrachten der Fotos aus dem Internet, wie einst die Botschaft ausgesehen hatte, zweifele ich. Der Bau sah freundlich und anziehend aus, er sah etwas klotzig im Stil der 1950er Jahre aus und erinnerte mit der hellen, pastellfarbenen Fassade ein wenig an die Farbtöne von Gebäuden, wie man sie in Frankreich vorfindet. Ich bin verwirrt, dass dieser Klotz unter Denkmalschutz gestellt wurde. 2006, als die frühere Botschaft in Wohnraum umgewandelt werden sollte, wurde prompt der Denkmalschutz aufgehoben, so dass abgerissen werden konnte und Eigentumswohnungen neu gebaut werden konnten.


Eigentumswohnungen (oben neu)
französische Botschaft (unten alt); Quelle Wikipedia
Ich folge den Spuren des Denkmalschutzes auf der Rüngsdorfer Straße. Im Villenviertel sehe ich meine Erwartungen erfüllt. Wunderschön, verspielt, voller Ornamente, reich an Stuckarbeiten, schlägt mein Herz des Denkmalschutzes höher und ich kann die Stilrichtungen der Villen vom Klassizismus zum Historismus zu Elementen des Jugendstils studieren. Hier steht ungefähr alles unter Denkmalschutz, Gebäude für Gebäude, die dann wiederum in einer Denkmalliste stehen.



Villenviertel auf der Rüngsdorfer Straße
In Godesberg angekommen, ist das Gefüge des Denkmalschutzes so zerrissen wie die Stadt selbst. Die Vision einer Stadt auf Abriss hat in Godesberg Gestalt angenommen, nachdem die 1964 begonnene Altstadtsanierung weite Teile der Innenstadt platt gewalzt hatte, um diese durch identitätslose Neubauten zu ersetzen. Nach alter, denkmalgeschützter Bausubstanz muss man in der Fußgängerzone suchen, das sind die alte Apotheke, das Hotel „Zum Adler“ oder das Kleine Theater. Andere Denkmäler haben sich an den Außenrand des Kurparks oder der Kurfürstenallee verkrochen. Widersprüche und Ungereimtheiten sind eklatant. Gebäude stehen unter Denkmalschutz, von denen ich dies nie und nimmer vermutet hätte. So der schnörkellose Bau der Kammerspiele aus den 1950er Jahren, der, gerade weil er so formal und flach ist, den Top-Status eines Denkmals erhalten hat. Oder die Stadthalle, die als typischer Bau der Nachkriegsarchitektur eingestuft wurde. Dass der Glaspavillon gegenüber dem Bahnhof unter Denkmalschutz steht, erscheint mir eher als ein Witz. Am Hintereingang ist angeblich ein Mosaik zu sehen. Logischer erscheint mir demgegenüber der Bahnhof als Denkmal, da dieser auf seiner Fassade und im Eingangsbereich Elemente des Jugendstils zeigt. Dabei bemerke ich am Rande, dass Jugendstil mal so, mal so (Rheinhotel Dreesen) gehandhabt wird.




Bad Godesberg: alte Apotheke (oben), Kammerspiele (darunter),
Stadthalle (darunter), Glaspavillon gegenüber Bahnhof (unten)
Ich verlasse Godesberg und begebe mich nach Friesdorf, wo die wohl bekannteste Firma auf Bonner Stadtgebiet – HARIBO – anzutreffen ist. Um 1900 siedelten sich in diesem Industriegebiet Firmen aus unterschiedlichsten Branchen an, die Karrosserien, Fahrzeugaufbauten, Öfen, Badewannen, Konserven, Gummibärchen, Lakritz, Eisenprofile, Alaun, Motorräder, Ziegel oder Lacke produzierten. Bis zum Jahre 2012 standen noch die imposanten Fabrikhallen aus rotem Backstein auf dem Werksgelände, das heute hinter dem HARIBO-Shop liegt. Industriedenkmäler zu schützen und zu erhalten, das ist sicherlich kritisch in Zeiten von schnellen Technologiesprüngen, in denen Fabriken und die Produktion komplett neu aufgestellt werden müssen. Ich selbst wünsche mir jedenfalls, das mehr Industriedenkmäler erhalten werden. So manch altes Fabrikgebäude hat einen spröden und wunderschönen Charme.

Überreste einer alten Fabrik auf dem HARIBO-Gelände
Denkmalschützer dürften hierzulande als Bremser gelten. Sie stemmen sich gegen die ökonomisch günstigere Variante – den Abriß. Da die Vorschriften des Denkmalschutzes dehnbar sind – der Jurist wird dies als Ermessensspielraum bezeichnen – ist es oftmals eine Frage der Zeit, wie lange Denkmalschützer diese Diskussion durchhalten, bis sie schließlich vor den höheren Mächten ökonomischer Prinzipien einknicken. Diese Entwicklung ist nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen schleichend. So wie beim Fachwerkhaus in der Basteistraße 19. Wenn nicht der öffentliche Druck über die Berichterstattung in der Presse entstanden wäre, dann wäre das Eckhaus längst abgerissen worden.

Im Großen wie im Kleinen wird uns die Vision einer Stadt auf Abriss wohl nicht erspart bleiben. Neue Wege für einer verkehrsgerechte Stadt, neue Ladenpassagen zum Bummeln und zum Verweilen, Wohnraum in bester Lage zu bezahlbaren Preisen, die Durchdringung mit postmoderner Architektur, kürzere Zyklen der Gebäudenutzung: die Zentrifugalkräfte, abzureißen, wirken von allen Seiten. Mit der Stadt auf Abriss schwindet das kulturelle Erbe dahin. Manche Städte sind soweit, dass die Stadt auf Abriss zum Normalzustand geworden ist. In Troisdorf wurde so etwas gefeiert. Im November 2009, als nach dem Abriss eines großen Areals in der Fußgängerzone ein neues Straßenpflaster verlegt worden war und neue Straßenlaternen aufgestellt waren, wurde ein 120 Meter langer Teppich ausgerollt. Die Troisdorfer Bürger und Bürgerinnen feierten diese Abrissorgie an der Straßenecke Hippolytusstraße/Kölner Straße mit einem Straßenfest.

Sonntag, 18. Januar 2015

UK Wesseling - Sprit für Hitlers letztes Aufgebot

Blick von Wesseling aus auf Bahnanlagen mit Ölraffinerie
Ganz schwer tue ich mich, mir die Industrie in Wesseling wegzudenken. Entlang des Rheinufers Wiesen in sattem und üppigen Grün, vollkommen unberührt ohne die stählernen Kolosse von Destillationsanlagen, ohne die feuerroten Schweife von abgefackelten Gasen aus der Rohöldestillation. Auf den Wiesen Farbtupfer von Löwenzahn, Sumpfdotter oder Klee, Tupfer von Wollknäueln, die sich zu einer Schafherde zusammen fügen, in der Ferne der ungetrübte Blick auf das Vorgebirge, gegen die sich nun die industrielle Kälte von Kühltürmen und Rohranlagen sperrt, die jegliche Dimensionen sprengt.

So sehr mein Vorstellungsvermögen lahm gelegt ist: ich muss nicht tiefe Vergangenheiten der Industriegeschichte aufbohren, in denen in Manufakturen Webstühle standen oder die Dampfmaschine erfunden wurde. Es ist nicht einmal achtzig Jahre her, dass der Rhein zwischen Köln und Bonn ähnlich romantisch daher floss, wie er es zwischen all den Burgen von Bonn ab rheinabwärts tat, wenngleich in seichtem und flachem Flussgebiet, durchsetzt von urwaldähnlichen Flussarmen.

Von langer Hand war der industrielle Großangriff auf Wesseling geplant. Das Schicksal von Wesseling war ein Werk der Nationalsozialisten und wurde am 21.1.1937 besiegelt. Wesseling geriet in die Begehrlichkeiten eines Hermann Göring, der in Vierjahresplänen dachte, die heutigen Planungszyklen und dem Projektmanagement nicht unähnlich waren. Göring entwickelte Szenarien der Aufrüstung und der Rohstoffautarkie, und dabei spielte Wesseling eine nicht unwichtige Rolle. Schon 1936, diese Vorhersehung verblüfft, dachte er in Kriegsszenarien, dass eine Seeblockade Rohölimporte aus dem Rest der Welt verhindern könnte, so wie es die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg gezeigt hatten. Das Deutsche Reich müsste somit seinen Bedarf an Öl innerhalb des eigenen Gebietes selbst decken. So wurden Jahre später Ölfelder in der Gegend um Hannover ausgebeutet, weitere Ölquellen sprudelten bei Bruchsal und in Thüringen. Nach Kriegsausbruch wurde aus Ungarn und Rumänien Rohöl über Eisenbahntransporte importiert.

Hermann Göring, Quelle Wkipedia
Der fehlende Ölbedarf sollte über Verfahren der Kohlehydrierung im Gebiet des Deutschen Reiches erzeugt werden. Dabei kam dem Industriestandort Wesseling eine herausgehobene Bedeutung zu. Göring plante zwölf Standorte, verteilt über das gesamte Deutsche Reich, an denen Anlagen gebaut werden sollten, die aus der heimischen Kohle Öl herstellen sollten.

Göring pochte auf Wesseling, wegen des Transportes über den Rhein und wegen der Braunkohle. Das hatte technologische Gründe. Das Verfahren der Kohlehydrierung, aus heutiger Sicht eine technologische Eintagsfliege, vollkommen unwirtschaftlich und konträr zum freien Welthandel, breitete sich mit zunehmender Kriegswirtschaft aus. Wesseling hatte den Standortvorteil, dass der rheinische Braunkohletagebau in der Nähe lag – das war der Tagebau Berrenrath bei Hürth. Die Eisenbahn transportierte die Braunkohle vom Tagebau nach Wesseling. Beim Verfahren der Kohlehydrierung musste die Kohle zerkleinert werden, unter Wasserdampf wurde die grobkörnige Masse erhitzt, um die pampige Masse aus Teer und Kohle in einen flüssigen Zustand zu überführen. Braunkohle enthielt mehr Wasser – wodurch die Verflüssigung vereinfacht wurde. In einem weiteren Schritt wurde unter hohem Druck Wasserstoff zugeführt, damit Kohlenwasserstoffverbindungen entstehen konnten, die dem Hydriervorgang beim Rohöl entsprachen.

Am 21. Januar 1937 war es soweit. Bereits 1934 hatte die chemische Industrie unter Führung der IG Farben die „Braunkohle-Benzin-Aktiengesellschaft“ gegründet, kurz Brebag genannt. Heute würde man es „joint-venture“ nennen: genau an diesem 21. Januar 1937 kooperierte die Brebag mit der neuen Firma „Union rheinische Braunkohle-Kraftstoffaktiengesellschaft“, kurz UK genannt.

Hermann Göring steuerte für Hitler die Rüstung, und so musste er alles rund um die Produktion von Panzern, Flugzeugen, Waffen, Munition, LKWs oder auch die Versorgung mit Treibstoff koordinieren. Die Stahlproduktion im Ruhrgebiet lief auf Hochtouren. Vor dieser Herkulesaufgabe scheiterte er, den Bedarf der Kriegswirtschaft gleichzeitig zu decken. Noch 1937 dürften die Bewohner von Wesseling dieses rückwärtsgewandte Idyll vorgefunden haben mit satten Rheinwiesen, Kühen, Schafen, Kräutern und Blumen jeglicher Art. 1938 änderte sich das: Bagger und Planierraupen fuhren vor und schufen die Grundlage einer ausufernden Industrielandschaft, die heute bisweilen apokalyptische Züge trägt.

Wesseling, petrochemische Industrie
1938 kamen die Bagger aber nicht allzu weit, denn es fehlte an Stahl für die Hydrieranlagen. Stahl wurde für Panzer und sonst wo gebraucht. Erst im Januar 1940 hatte Hermann Göring das Vorhaben in eine hohe Dringlichkeitsstufe übernommen, so dass der Aufbau der Kohlehydrieranlage wirklich vorangetrieben wurde und im August 1941 am Standort Wesseling fertiggestellt wurde. Mit Ausnahme der Zerkleinerungsanlagen und der Verflüssigungsbecken wird die Hydrieranlage nicht so viel anders ausgesehen haben wie heute: Systeme von Kesseln und Rohrleitungen stiegen in die Höhe, die flüssige Masse aus Kohle und Teer wurde erhitzt, und je nach Erhitzungsgraden wurden die einzelnen Ölprodukte sauber voneinander getrennt – von Kerosin bis Diesel und all den restlichen Spritsorten.

Betrachtet man die Kohlehydrierung unter dem heutigen Blickwinkel eines Projektmanagements, war diese durchaus ein Erfolg – wobei es mir widerstrebt, das Wort „Erfolg“ in demselben Zungenschlag mit dem Nationalsozialismus zu erwähnen. Jedenfalls gab es eine Zielsetzung von Hermann Göring, eine festgelegte Eigenversorgung von Mineralölprodukten zu erreichen. Das schafften die zwölf Hydrierwerke auch, um unabhängig vom Rohöl auf dem Weltmarkt zu werden.

Verzögert durch das Fertigstellungsdatum der Hydrieranlage, lief in Wesseling erst 1944 die Produktion auf Hochtouren, als im Mai 21.000 Tonnen Benzin, Kerosin, Diesel und Heizöl hergestellt wurden. Einen Monat später landeten die Alliierten in der Normandie. Sie beherrschten den Luftraum, und - wie bereits 1940, 1941 und 1942 geschehen - wurde die Hydrieranlage bombardiert. Dies geschah am 19. Juli 1944. Die blinkenden stählernen Rohre ragten hoch in die Luft und waren eine leichte Zielscheibe für Luftangriffe. Der 19. Juli 1944 war kritisch, da Hauptleitungen getroffen wurden, wodurch die Produktion nahezu vollständig ausfiel. Erst Anfang Oktober 1944 waren die Schäden notdürftig geflickt worden, so dass die Anlage wieder hoch gefahren werden konnte – aber dies nur mit einem Ausstoß von 40%. Dazu kam es aber nicht, denn am 3. und am 11. Oktober 1944 fielen die nächsten Bomben. Was geflickt worden war, wurde erneut zerstört. Zwischen den beiden Luftangriffen wurde das Werk am 6. Oktober 1944 geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Alliierten bis ins Deutsche Reich vorgedrungen und die Schlacht um Aachen tobte. Wenn in Wesseling noch Sprit geflossen wäre, dann höchstens für Hitlers letztes Aufgebot.
Dulle Griet, Pieter Brueghel der ältere, 1562
Quelle Wikipedia

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Hydrieranlage wieder aufgebaut. Da die Alliierten die Herstellung von Treibstoffen verboten, wurde Ammoniak hergestellt – später Methanol. 1956 waren die Anlagen allen Wettbewerbern weit voraus, als eine Ölpipeline vom Rotterdammer Hafen nach Wesseling gebaut wurde. Seitdem ist die apokalyptische Industrielandschaft petrochemischer Industrie ungehemmt gewachsen. Sie weitete sich in globalen Dimensionen aus, als die UK Wesseling 1989 in die DEA integriert wurde und 2002 von Shell aufgekauft wurde.

Wenn ich die Industrielandschaft durchfahre, komme ich mir bisweilen vor wie „Dulle Griet“. Sicher durchschreitet sie Endzeitstimmungen, überall lodert es, der Himmel scheint feuerrot, es herrscht ein Zustand der Vorhölle, die deformierten Menschen gehen im Chaos unter. Und wenn ich in Köln-Rodenkirchen oder in Wesseling-Urfeld diese apokylptische und deformierte Landschaft verlassen habe, bin ich glücklich, dort angekommen zu sein, wo man der Natur noch zugesteht, sich ausbreiten zu dürfen.

Quelle: Bogislaw Graf von Schwerin, Die Treibstoffversorgung durch Kohlehydrierung in Deutschland von 1933 bis 1945

Donnerstag, 15. Januar 2015

"Je suis Charlie" und Innenansichten nach Tunesien und Saudi-Arabien

Ja, auch ich bin Charlie, „je suis Charlie“. Ich finde es richtig, wie die ganze Welt auf die Straße geht, sich verbrüdert, durch diese grausamen Verbrechen zusammen geschweißt wird und Arm in Arm in Paris islamischen Extremisten die Stirn bietet, mitsamt der Staatsoberhäupter von arabischen Staaten wie Jordanien, Ägypten, Algerien, Bahrein, der Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien. Dass unsere Pressefreiheit eine fundamentale Errungenschaft unserer Demokratie ist, dass sie solche Attentäte islamischer Extremisten kalt läßt, darüber werde ich nichts schreiben. In Fernsehsendungen, im Radio, in Zeitungen, in Berichten, in Kommentaren, in Blogs und im Internet ist schon so viel gesagt worden.

Lieber möchte ich zwei Vorfälle aus der Welt des Islams aufgreifen, auf die ich zuletzt eher zufällig aufmerksam geworden bin. Sie haben nicht direkt etwas mit der Bewegung „je suis Charlie“ zu tun, sie werfen aber ein bemerkenswertes Schlaglicht auf den Zustand islamischer Staaten.

Das erste Ereignis datiert primär nicht aus den letzten Tagen, sondern es reicht in den August des letzten Jahres zurück. Genau dieser Zeitversatz ist kritisch. Arbeitskollegen war Ende August letzten Jahres beim Mittagsspaziergang auf der Godesberger Allee aufgefallen, dass sich Blumen und Kerzen vor der tunesischen Botschaft in die Höhe stapelten. Wir rätselten, und um Klarheit zu schaffen, googelte ich im Internet. Unter www.express.de fand ich die Auflösung. Zwei Töchter einer Tunesischen Familie, die seit 30 Jahren in Bonn wohnt, hatten ihre Großeltern, Tanten und Onkel im Süden Tunesiens, dicht an der Algerischen Grenze, besucht. Nachdem sie den Abend in der 80.000-Seelen-Stadt Kasserine gemeinsam mit Cousinen und Cousins in einem Café verbracht hatten, fuhren sie in einem VW Golf, der mit sieben Personen aus allen Nähten platzte, nach Hause. Auf einer rumpeligen Nebenstraße, auf der sie vor lauter Schlaglöchern kaum vorwärts kamen, gerieten sie in eine Polizeikontrolle. Dass das Auto mit viel zu vielen Personen beladen war, davon wollte die Polizeistreife, die aus elf Polizisten bestand, offensichtlich nichts wissen. Anstatt dessen eröffneten zwei Polizisten aus ihren Gewehren das Feuer auf die siebenköpfige Personenschar. Die 21-jährige Ahlem, in Bonn geboren, deutsche Staatsangehörige, Abiturientin an einem Bonner Gymnasium, an der Universität in Bielefeld studierte sie Jura, wurde durch einen Kopfschuss regelrecht hingerichtet. Die 18-jähige Oms, eine tunesische Cousine, starb später im Krankenhaus.

Post vom 26.8.2014 in Facebook
Recht und Gesetz waren in Deutschland die Hände gebunden, da die strafrechtlichen Ermittlungen auf Tunesischem Staatsgebiet vorangetrieben werden mussten. Am nächsten Tag bezog das tunesische Innenministerium Stellung, dass die Polizisten algerische Terroristen vermutet hätten. Die jungen Leute hätten sich mit hohem Tempo genähert, sie hätten sich geweigert anzuhalten, und nachdem die Polizisten Leuchtsignale in die Luft geschossen hatten, sei das Feuer eröffnet worden.

Der Informationsfluss, welchen Stand die Ermittlungen in Tunesien erreicht hatten, war spärlich bis widersprüchlich bis nicht existent. So war an eine hohe Geschwindigkeit gar nicht zu denken, da das Auto von Schlagloch  zu Schlagloch humpelte. Wenn Rechtsanwälte und die deutsche Strafjustiz beim tunesischen Innenminister nachfragten, erhielten sie die Auskunft, dass man sich um den Fall kümmere. Fassten Rechtsanwälte und die Strafjustiz bei der tunesischen Polizei und anderen Strafermittlungsbehörden nach, dann waren diese aber nicht zuständig. Offiziell hieß es zwischenzeitlich, dass ein erster Staatsanwalt sein Mandat niedergelegt hätte, dass ein zweiter Staatsanwalt wieder abberufen worden sei. Dann sei beim Innenminister der Fall von einer unabhängigen Kommission geprüft worden, und nun sei wieder der zweite, zwischenzeitlich abberufene Staatsanwalt zuständig.

Derweil hatten Cousinen und Cousins, die am Tatort waren, auf eigene Faust ermittelt. Parallel dazu fanden sich in Bonn vor dem Tunesischen Konsulat an die einhundert Demonstranten zusammen, die eine unverzügliche und lückenlose Aufklärung des Verbrechens forderten. Sie initiierten eine Facebook-Seite "Ahlem du wirst immer in unserem Herzen bleiben", die genau 2.859 Follower hat. Die Cousinen und Cousins glaubten, die beiden Polizisten von Kasserine wiedererkannt zu haben, die die tödlichen Schüssen abgefeuert hatten, und stellten Bilder von ihnen ins Netz.

Post vom 5.11.2014 in Facebook
Als in diesem heillosen Durcheinander die Hoffnung vollständig zu erliegen drohte, kam am 7. Januar 2015 endlich Bewegung in die Sache. Die Bonner Staatsanwaltschaft erhielt Post vom tunesischen Innenministerium, in der in arabischer Schrift nachzulesen war, dass im Todesfall Ahlem und Oms zwei Polizisten verhaftet worden waren. Ob es diejenigen Polizisten waren, die auf der Facebook-Seite abgebildet waren, konnte nicht recherchiert werden.

Wie die Angehörigen von Ahlem und Oms berichteten, hatten sich tumultartige Szenen vor dem Gerichtsgebäude abgespielt. Die Polizei von Kasserine marschierte auf die Straße und protestierte vor dem Amtsgericht gegen die Verhaftung ihrer beiden Kollegen. Menschen auf der Straße schlossen sich dem Protest an, aber die Staatsanwaltschaft griff durch und brachte die beiden Polizisten irgendwie hinter Gitter. Nun wartet der Strafprozess auf sie, in dem ihre Schuld bewiesen werden muss und ein Urteil gesprochen werden muss.

Das gilt nicht für Tunesien: in anderen islamischen Staaten scheinen Menschenleben nicht allzu viel Wert zu sein, wenn Menschen sich an belebten Plätzen in die Luft sprengen und hoffen, möglichst viele andere Menschen mit in den Tod zu ziehen. Der tunesische Staat scheint indes kein besonderes Interesse daran zu haben, Verbrechen aufzuklären. Anstatt dessen läßt der Staat lieber die Täter frei herum laufen.

Das zweite Ereignis habe ich in der Bloggerwelt gefunden. Astrid berichtet unter der Überschrift „Scheinheiligkeit“ darüber, dass ein Blogger aus Saudi-Arabien ausgepeitscht wurde, weil er auf seinem Blog seine freie Meinung geäußert hatte.

Näheres könnt Ihr bei Astrid nachlesen.

"Zwei Tage nach der öffentlichen Auspeitschung eines Bloggers haben Vertreter der saudi-arabischen Regierung in Paris am Trauermarsch für die Opfer der Attentate teilgenommen - der auch ein Zeichen für Meinungsfreiheit war. Der saudi-arabische Blogger Raif Badawi war am Freitag wegen "Beleidigung des Islam" mit 50 Peitschenhieben bestraft worden. 950 sollen folgen. Der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge nimmt der Druck auf interne Kritiker in Saudi-Arabien massiv zu.  Badawi sei insofern ein Einzelfall, als seine Bestrafung ungewöhnlich brutal sei und zudem öffentlich vollstreckt wurde."

Die Doppelmoral Saudi-Arabiens verblüfft mich in der Tat. So marschierte der Scheich von Saudi-Arabien auf Augenhöhe mit Angela Merkel oder Francois Hollande in Paris für die Pressefreiheit, während er im eigenen Land eben diese Freiheit mit Füßen tritt.

Die Schlaglichter auf Tunesien und Saudi-Arabien sind kurz, die Werturteile sind vernichtend. In Tunesien gibt es immerhin das positive Zeichen, dass das Land nach dem Umsturz des islamischen Gottesstaates die Wende zur Demokratie finden könnte. Aber Blogger auspeitschen in Saudi-Arabien ? Das ist tiefstes Mittelalter, genauso wie die Kreuzzüge von Gotteskriegern gegen den Westen.

Montag, 12. Januar 2015

Düsseldorf Königsallee - ein König wird mit Pferdeäpfeln beworfen

König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen
Quelle Wikipedia
Ich glaubte, die Verbindung von Bonn nach Düsseldorf schnell gefunden zu haben. Die beiden waren Brüder, sie wuchsen auf Gut Paretz nordwestlich von Potsdam auf. Mit ihren Eltern, König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und ihrer Mutter Luise von Mecklenburg-Strelitz, ergriffen sie die Flucht 1806 nach Ostpreußen, als die preußischen Truppen gegen Napoleon kläglich gescheitert waren. 11 und 13 Jahre waren beide alt, und auch die Vornamen ähnelten sich: Wilhelm Friedrich Ludwig hieß der jüngere Bruder, Friedrich Wilhelm der ältere, ganz im Sinne der Erbfolge, und so wurde aus ihm, als 1840 sein Vater starb, der König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, weil er zwei Jahre älter war als Wilhelm Friedrich Ludwig.

Es ist also die Erbfolge auf dem Thron, die Bonn und das übrige Rheinland nach Düsseldorf überleitet. Bonn, Köln, Koblenz: das verwirrt, dass sich in gewaltigen Kaiser-Wilhelm-Denkmälern in vielen Städten sein Bruder Wilhelm Friedrich Ludwig verewigt hat, der zuerst 1858 zum König von Preußen gekrönt wurde, und dann, 1870/71, nach den siegreichen Feldzügen gegen Frankreich, als Kaiser Wilhelm I., zum Kaiser des soeben geborenen deutschen Volkes wurde. Mitunter habe ich den Eindruck, dass über Bonn, Köln und Koblenz hinaus – nicht nur im Rheinland – Kaiser-Wilhelm-Denkmäler wie Pilze aus dem Boden schießen.

Düsseldorf im Ausnahmezustand ? Die Königskrone als Abwertung ? Man schrieb das Jahr 1851, die Nachwehen der nie stattgefundenen 1848er-Revolution wirkten nach, als die damalige „Kastanienallee“ in „Königsallee“ umgetauft wurde.

Die Königsallee, eines der Markenzeichen von Düsseldorf, hat sich seit der Nachkriegszeit, als eine der Edel-Einkaufsmeilen Deutschlands mit dem besonderen Flair einer besonderen Parkgestaltung etabliert. 1804, als die Stadtbefestigung geschleift wurde, bauten Landschaftsarchitekten aus den Wassergräben den Kanal, der wie mit dem Lineal gezeichnet ist und der seine Gestalt bis heute erhalten hat. Die Allee säumen 120 Kastanienbäume.

In dem revolutionsträchtigen Jahr 1848 stattete König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen Düsseldorf einen Besuch ab. Schon als Jugendlicher hatte er sich für Architektur und Kunst begeistert. Romantische Literatur hatte er in Massen verschlungen. Er liebte die Burgenromantik des Rheins, die Phantasie beflügelte ihn, und so trieb er maßgeblich die Idee voran, den 600 Jahre als Baustelle verrottenden Kölner Dom fertig bauen zu lassen und zu vollenden. So ergab es sich, dass er am 14. August 1848 auf dem Weg nach Köln einen Abstecher nach Düsseldorf machte, um seinen Schwager, den Prinzen Friedrich von Hohenzollern, im Schloß Jägerhof zu besuchen.

Die Revolutionswirren im März 1848 hatten König Friedrich Wilhelm IV. überrollt. Er war in sich gespalten, drehte sich, wendete sich, hatte keine klaren Standpunkte, floh schließlich vor sich selbst, so wie seine Eltern einst mit ihm vor Napoleon geflohen waren. Ausgebeutet in Fabriken und von Kapitalisten, zerrieben in einer sozialen Schieflage, war das Volk unzufrieden und forderte die Ideale der 1789er-Revolution in Frankreich ein, das waren Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – allen voran Pressefreiheit und Verzicht auf Zensur, und einen deutschen Einheitsstaat.






Düsseldorf Königsallee
Als die Massen in Berlin auf die Straßen gingen, versprach König Friedrich Wilhelm IV. zuerst Freiheit, Pressefreiheit und eine gesamtdeutsche Verfassung, die er für den Sommer in der Frankfurter Paulskirche in Aussicht gestellt hatte. Kurze Zeit später, ruderte er zurück und sagte, dass das Schicksal nicht in seiner Hand liege, dass er aber alles tun werde, was in seiner Kraft liege, um sich redlich und ernst zu verhalten. Dabei ließ er den Befehlshabern der preußischen Armee freie Hand, die nach rückwärts dachten und sich  gegen jegliche Demokratisierungstendenzen sperrten. So eskalierte die Lage in Berlin Mitte März, indem sich die Massenproteste zu Barrikadenkämpfen und einem Bürgerkrieg ausweiteten, in dem 200 Zivilisten getötet wurden. Einige Tage später, dachte er in wirklichkeitsfremden Kategorien, indem er, geschmückt in den Farben schwarz-rot-gold durch Berlin ritt, um seinem Volk zu zeigen, dass die Idee eines deutschen Nationalstaats weiterhin auf seiner Agenda stand.

Das Volk harrte aus, wartete auf die verfassungsgebende Versammlung in der Frankfurter Paulskirche, man war unzufrieden, es kochte und gärte in allen Ecken der Republik. In diesem Umfeld war sich der Düsseldorfer Stadtrat uneinig, wie er mit dem Besuch des umstrittenen Königs Friedrich Wilhelm IV. umgehen sollte. Der Weg vom Bahnhof der Köln-Mindener Eisenbahn zum Schloß Jägerhof, den das Königspaar in einer offenen Kutsch zurück legen sollte, war festlich geschmückt, ebenso der Weg von dort aus zur Kastanienallee. Aus der ganzen Stadt und aus weiter Ferne war die Bevölkerung eingetrudelt und hatte sich am Wegesrand eingefunden. Anfangs jubelte das Volk, aber die Grundstimmung war angespannt. Eine verhaltene Beklommenheit, eine diffuse Aufgeregtheit und eine allgemeine Gereiztheit herrschten vor. Die Stimmung kippte. In die Jubelrufe mischten sich Pfiffe. Die Masse wurde lauter, stieß in Trillerpfeifen hinein, und schrie ihren Unmut heraus, der sich in Gruppen verstärkte.

Zum Eklat kam es schließlich auf der Kastanienallee. Ein Jugendlicher war so erbost, dass er einem Pferd folgte, als dieses seinem tierischen Bedürfnis nachgegeben hatte. Er hob die Pferdeäpfel auf schmiß damit nach dem König. Davon traf ihn einer am Kopf. Daraufhin brach der Kutscher den Ritt über die Kastanienallee ab, die Pferde trabten los und ritten auf kürzestem Wege so schnell wie möglich zum Schloß Jägerhof.

Kaiser Wilhelm I.
Quelle Wikipedia
Sein Schwager, der Prinz Friedrich von Hohenzollern, zog weg aus Düsseldorf. Drei Jahre später, entschuldigte sich die Stadt Düsseldorf bei König Wilhelm IV. von Preußen, nachdem die Stadt Maßnahmen ergriffen hatte, um die öffentliche Ordnung – insbesondere beim Besuch von hohen Gästen – sicherzustellen. Im Klartext hieß dies: mehr Präsenz von Polizei und Militär. Der König nahm die Entschuldigung an, und ihm zu Ehren benannten die Düsseldorfer die „Kastanienallee“ in „Königsallee“ um. Obschon der König versöhnlicher gestimmt war, wurde dennoch Düsseldorf den Ruf im fernen Berlin als „Hauptherd der Anarchie und der Unordnung für die Rheinprovinz“ nicht mehr los.

König Wilhelm IV. von Preußen hätte sogar noch höher aufsteigen können. Die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche war nicht zum Stillstand gekommen. Im Gegenteil: mit ihren Abgeordneten aus allen Ecken Deutschlands tagte sie, und im Dezember 1848 lieferte sie ein Ergebnis ab, das war der Verfassungsentwurf einer deutschen konstitutionellen Monarchie. Dieser Entwurf beschrieb, dass die zirka dreißig Einzelstaaten über die Annahme der Verfassung entscheiden sollten. Preußen als Schwergewicht im Deutschen Reich sollte die Kaiserkrone erhalten.

Aber König Wilhelm IV. lehnte ab, erster deutscher Kaiser zu werden. Er lebte noch in den Denkwelten eines Karl des Großen oder Friedrich Barbarossa. Er fühlte sich nicht so, als würde er ein Volk vertreten. Als König von Preußen sah er sich als ein König "von Gottes Gnaden", so wie es die absolutistischen Herrscher gesehen hatten. 63-jährig, kinderlos und somit ohne direkten Thronfolger, erkrankte er und gab die Königswürde an seinen Bruder Wilhelm Friedrich Ludwig, dem späteren Kaiser Wilhelm I., ab.

Freitag, 9. Januar 2015

Bonn Kaiserplatz - ein Kaiser steht im Abseits

Denkmal vor der Universität: Quelle: Ausstellungskatalog
"Bonn in der Kaiserzeit" im Rheinischen Landesmuseum
Abgeschafft, abgedankt, abgeschrieben, so wie Bonn mit dem deutschen Kaiser Wilhelm I. umgegangen ist, das kann rasch in einem Punkt umschrieben werden: in den Geschehnissen des 25. Oktober 1944 war er untergegangen. Rheinländer und die deutsche Kaiserzeit – diese Symbiose war schwierig, wobei in Bonn der Fall ein bißchen anders als im übrigen Rheinland geartet war. Bonn wurde getätschelt mit seiner Universität, namhafte Professoren wurden geholt, akademische Lehrstühle und Studiengänge wurden neu aufgebaut, Gelder flossen reichlich.

Der Zeitgeist der Deutschen Kaiserzeit konnte Fuß fassen, die Wacht am Rhein lauerte in ihrer Stellung. So manches ordnete sich dem deutschen Kaiser unter. Berlin war weit, aber Recht und Gesetz und militärischer Drill ließ die Säbel rasseln, Kompanien marschierten im Stechschritt voraus. Pflicht und Gehorsam überbauten den Alltag, dem Kaiser waren die Menschen einen eisernen Willen bis zur Selbstaufopferung schuldig. Am Rhein war dieser Zeitgeist eingebettet in eine romantische Verklärung, denn das Kaiserreich kannte auch Schönheit und Formen, die in der Burgenlandschaft des Rheins und über seine Ufer hinweg gestaltet wurden.

Am 16. Oktober 1906 hatte das gesellschaftliches Großereignis seine Schatten weit nach vorne geworfen. Der Kaiser selbst war gekommen, um ein Denkmal zu Ehren seines Großvaters, Kaiser Wilhelm I., zu enthüllen, das der Bildhauer Harry Magnusson geschaffen hatte. Der Hogarten war mit Fahnen und Tannengirlanden festlich geschmückt. Zu beiden Längsseiten des Denkmals befanden sich Tribünen für die Zuschauer.

Hofgarten Bonner Universität
Kurz vor Beginn der Feierlichkeiten füllte sich der Platz. Mit Fahnen und Musik marschierten  die Ehrenkompanien heran, Schulen standen Spalier und winkten mit Fähnchen, Bändern und Blumengewinden. 66 Kriegervereine, die Regimenter der Kaserne, der Verein ehemaliger Husaren, die studentischen Burschenschaften, alle säumten den Weg des Kaisers und seiner Gattin Augusta Victoria vom Palais Schaumburg zum Kaiserplatz. Bänder in den Reichsfarben Schwarz-Rot-Gold wehten aus den Fenstern. Der Menschenauflauf und die Begeisterung der Massen dürften ähnlich frenetisch gewesen sein wie der Besuch von John F. Kennedy 1963. Übertönt wurde die Volksfeststimmung von Glockenläuten und Hurra-Rufen.

Das Denkmal von Kaiser Wilhelm I. stand vor der Universität, dem sein Enkel, Kaiser Wilhelm II., zu tiefst verbunden war, da er zwei Jahre dort Rechts- und Staatswissenschaften studiert hatte. Auf der Südseite hatten die Bonner eigens für die feierliche Enthüllung einen Kaiserpavillon mit Baldachin aufgebaut, geschmückt mit goldenen Adlern und einer Kaiserkrone. Als Kaiser Wilhelm II., seine Gattin und der Bildhauer Magnusson nebst Gattin dort Platz nahmen, sang ein Männerchor das Lied „Heil Kaiser und Reich“, dann hielt der Oberbürgermeister eine brausende Begrüßungsrede. Als die Hülle des Denkmals fiel, kannten Jubelstürme und Beifall keine Grenzen. Die Truppen präsentierten ihre Säbel, die Soldaten grüßten, indem sie ihre rechte Hand an ihre Stirn führten.

Dabei öffnete sich das Denkmal auf der einen Fluchtlinie zum Hofgarten. Auf der anderen Fluchtlinie folgte das Denkmal der barocken Gestaltung von Park und Landschaft zum Poppelsdorfer Schloß, rückwärtig zum Alten Zoll – und damit auch zum Rhein.

Dieser würdige Rahmen des Kaiserdenkmals ist seit dem Zweiten Weltkrieg abhanden gekommen. In Schutt und Trümmern war Kaiser Wilhelm I. untergegangen. Während der Rumpf des Denkmals den Bomben halbwegs getrotzt hatte, war der Kopf abgetrennt worden und ging vergessen in der Trümmerlandschaft unter. Nach 1945, in der Zeit des Neuaufbaus, erhielten die alten Reichsfarben Schwarz-Rot-Gold ein neues Antlitz, mit Bundesadler und vor allem mit einer neuen Verfassung. Nationales Denken wurde als das Grundübel der deutschen Geschichte identifiziert. Kaiser Wilhelm I. wurde überholt von der Westintegration. Im Denken der noch jungen Nachkriegsdemokratie galt es, all diesen Hurrapatriotismus zu entrümpeln und auszusortieren. Genau das geschah mit dem Denkmal: Kopf und Rumpf getrennt, beförderte man Kaiser Wilhelm I. auf den städtischen Bauhof, wo er in einen Schlaf der Vergessenheit versank. Dieser Dornröschenschlaf dauerte lange, bis man ihn 1986 wiederbelebte.

Dies geschah in der Ausstellung „Bonn in der Kaiserzeit“. Damit die Besucher den Kaiser in aller Größe und in seiner vollen Schönheit, Ehrwürdigkeit und Charme betrachten konnten, wurde er zusammengeflickt. Mantel und Stiefel wurden auf seinem Rumpf herausgearbeitet, er erhielt Beine und Arme und Kopf und Pickelhaube. Man polierte ihn auf, arbeitete seine männlichen Gesichtszüge aus seinem buschigen Backenbart und seinem etwas verlorenen Blick heraus.



Kaiserplatz: Kaiserbrunnen (oben),  Erker (mitte links),
Skateboard-Fahrer (Mitte rechts), Kaiser-Apotheke (unten)
Die Dinge geraten bisweilen etwas spontan ins Bewußtsein, denn am Kaiserplatz war ich begriffsstutzig geworden. Die Stadtplaner hatten an dieser Ecke einen ihrer vielen Fehlgriffe gemacht, indem sie ein riesiges Fassungsvermögen von Wasser, das aus drei amboßartigen Platten heraus sprudelte, in einen rechteckigen Brunnen mit einer entsetzlich langweiligen Einrahmung aus Steinplatten hinein gezwängt hatten. Im Sommer trafen sich dort Punker und andere schräge Gestalten unserer Gesellschaft, im Winter gähnte der Brunnen ausgepumpt und bei leerem Wasserbecken vor Leere. Wenn dort Skateboard-Fahrer ihre Fahrkünste testeten, erinnerte mich das an surreale Gemälde von Dali, wenn Uhren über einer Tischkante zerfließen oder wenn die Gebeine von Fabelwesen insektenhaft in die Höhe wachsen, indem sie über dem Meer stolzieren.

Der Bezeichnung entsprechend, war der Kaiser an diesem unwirtlichen Platz allgegenwärtig. Der Fehlgriff der Stadtplaner nannte sich „Kaiserbrunnen“, schräg gegenüber ragte die neugotische Kirche in den Himmel, die während der Kaiserzeit entstanden war. An der anderen Seite konnte man jede Menge Gesundheit und Medikamente und Tabletten in der „Kaiser-Apotheke“ kaufen. In der Fluchtlinie zum Poppelsdorfer Schloss, wo es sich Cafés mit Außengastronomie gemütlich machten, stach schließlich der Kaisergarten heraus, dessen grüne Leuchtschrift sich in geschwungenen Buchstaben aneinander kringelte.

Denkmal am Kaisergarten
Mit seinem kleinen Biergarten war dies die letzte Lokalität von der Bahnlinie, wo ein schmaler, abgesperrter Pfad hindurch führte und sich nach dem Nadelöhr der Bahnlinie in aller Großzügigkeit verbreiterte. Und der Kaiser ? Weit ab vom unansehnlichen Kern des Kaiserplatzes, auf einem mageren Podest, am Nebeneingang des Kaisergartens, hockte er. Nachdem die Ausstellung „Bonn in der Kaiserzeit“ beendet war, war der Wunsch geboren, dass die Bonner ihren alten Kaiser Wilhelm wieder haben wollten. Es sollte sich nicht wiederholen, dass er in einem Hinterhof ein Schattendasein fristen sollte und vor sich her gammeln sollte. 

Nun hat man den alten Kaiser Wilhelm I. in die Ecke gestellt, das geschah im Jahr 1989. Ein Kaiser im Abseits. War das Absicht ? Pflicht und Gehorsam bis zur Selbstaufopferung, dem trauere ich jedenfalls nicht nach. Tugenden wie Fleiß, Sparsamkeit, Disziplin müssen relativiert werden. Nicht alles aus der Kaiserzeit war schlecht. Dass die eisernen und festgefügten Strukturen aufgebrochen werden mussten, das hat spätestens das Jahr 1968 bewiesen. Bis in die Nachkriegszeit hatten die Strukturen des Kaiserreichs über das Dritte Reich überdauert.