Montag, 28. Juli 2014

Moelingen / Belgien im August 1914

Ich wurde eingeholt von der Vergangenheit. Das war sorgfältig, wie die Bewohner der Ortes Moelingen die Ereignisse im August 1914 dokumentiert hatten. So viele Bücher sind über 1914 geschrieben worden, doch das ging unter die Haut, nicht weniger als Soldatenfriedhöfe, die Schlachtfelder in Flandern oder Verdun. Am 4. August überschritten die deutschen Truppen die Grenze nach Gemmenich in Belgien, am 5. August erreichten die Truppen parallel zur Grenze zu den Niederlanden Moelingen, das zur heutigen Gemeinde Voerstreek gehört. Auf dem Weg zum Erzfeind Frankreich sollte der Vormarsch weitergehen zur Festung in Lüttich, wobei über eine Pontonbrücke die Maas überquert werden sollte. Die Festung in Lüttich, die als uneinnehmbar galt, sollte von beiden Seiten der Maas angegriffen werden. Moelingen lag im Weg, die Bevölkerung wehrte sich, sie musste bluten. Vier Personen sind erschossen worden und 72 Häuser sind verbrannt worden. Nun bilden die Einwohner des Ortes Moelingen die Ereignisse im August 1914 nach.


Der oberste Pfeil zeichnet den Weg der deutschen Truppen. Moelingen liegt ein Stück nördlich von Visé.



Plakatwände an und vor Häusern dokumentieren das Kriegsgeschehen im August 1914.





Die Zerstörungen sind schrecklich, nachdem Moelingen niedergebrannt worden ist.


Einige Häuser kann man an ihren Umrissen noch wiedererkennen.



Die Idylle des Jahres 2014 im Ortskern trügt.


Diese Gedenktafel erinnert an vier erschossene Einwohner („ … les Allemands ... ont été fusilles …“).


Vor lauter Brutalität stockt mir vor diesem Bild der Atem: einer der vier Toten musste sein eigenes Grab schaufeln, seine Hand wurde ihm abgehackt und diese schaut nun als Mahnung aus seinem Grab heraus.

Ich gebe meine Hoffnung nicht auf, dass Europa aus solchen Ereignissen gelernt hat und dass sich diese niemals wiederholen werden.

Montag, 21. Juli 2014

mit dem Rennrad rund um das Siebengebirge nach Linz

das Siebengebirge von Oberholtorf aus
Bin ich ein Dickschädel ? Bei manchen Rennradtouren ignoriere ich schlichtweg den Wetterbericht. Dieser hatte Schauer und Gewitter in ganz NRW gemeldet. Und in die drohende Nässe fiel mein Zeitfenster, das ich für diese Rennradtour freigehalten hatte. Also Augen zu und durch. Bewusst kalkuliere ich ein, dass die Wetterfrösche Unrecht haben. Wolken marschierten auf, packten sich zu einer grauen undefinierbaren Masse zusammen, doch noch überwog das azure Himmelsblau.

Alter Zoll, über die Kennedybrücke, den Rhein entlang bis zur Konrad-Adenauer-Brücke, von dort aus zurück auf die Straße am Landgrabenweg, über die Brücke über die Bahnlinie hinweg, nächster Kreisverkehr geradeaus in Richtung Bonn-Oberholtorf.  Ich fahre unter die Autobahnbrücke der A562 hindurch, danach steigt die Straße steil an, flacht ab, um dann erneut mit satten 10% Steigung in die Ausläufer des Siebengebirges anzusteigen. Das ist kurz und knackig, während dichter Wald ein schützendes Dach über die Straße spannt. Am Ende der Linkskurve biege ich rechts nach Oberholtorf ab, nach zweihundert Metern wieder rechts. Dort hat der Radweg die sinnstiftende Wegebezeichnung „Am Waldrand“.

Bauernhof am Straßenrand
Auf der Höhe, bin ich in der Einsamkeit des Radfahrerlebnisses angelangt. In Stadtrandlage, stehen linkerhand Einfamilienhäuser in bester Wohnlage. Ein Stück weiter, wechselt die Wohnbebauung in Felder, und ein erster Weitblick auf das Siebengebirge beeindruckt. Ruhig und abgeschottet, umkurvt eine Stichstraße einen Bauernhof. Dann muss ich aufpassen, denn ich darf nicht der Fahrradbeschilderung folgen. Sie weist nach rechts, ich muss aber einmal um das Gehöft ganz links herum drehen.

Mitten in den Feldern angekommen, beeindruckt das Siebengebirge mit seinem vollen Blickfeld. Wie viele Berge sind es ? Ich zähle fünf und nicht sieben. Die Bezeichnung führt in die Irre. Das Panorama von der Rheinaue aus vor Augen, käme ich auf sieben Berge: Ölberg, Weilberg, Nonnenstromberg, Petersberg, Löwenburg, Drachenfels. Aber ich weiß, dass es mehr sind. Zumindest, wenn ich die sportliche Betätigung auf das Wandern wechseln würde, dann kämen noch der Lohrberg, der Stenzelberg oder die Wolkenburg dazu. Insgesamt würden sich die Berge auf rund vierzig aufsummieren. Ist die Sieben also Makulatur ?

Ich radele weiter, der lebhafte Wind knickt die Ähren auf den Getreidefeldern beiseite. Im Rücken, pustet er mich vorwärts. Glaubt man dem Willen des Volkes, könnte es mit der beschaulichen Ruhe im Anblick von fünf Bergen an dieser Stelle allerdings bald vorbei sein. Der Autoverkehr knubbelt sich im Rheintal und quält sich quer durch das Siebengebirge zur Autobahn A3 in Richtung Frankfurt. Genau hier könnte die Idylle gestört werden, wenn sie denn gebaut würde, die sogenannte Südtangente, als Verlängerung der Autobahn A562. Doch die Naturschutzverbände kämpfen, glücklicherweise. Ich steuere durch Vinxel, vorbei an der Kapelle, dann geht es schnurstracks hinab nach Stieldorf.

An der Ampel biege ich nach rechts ab. Mit Schwung geht das Gelände bergauf und –ab, bis mich hinter der Talsohle ein knackiger Anstieg erwartet. Dieser läßt mein Herz höher schlagen, denn dieser sticht hinein in die Bergwelt des Siebengebirges. „Septem montes“ – so beschrieb Bernhard Moller 1571 das Siebengebirge, was vielleicht etwas geklaut klang von den sieben Hügeln Roms. Und die sieben Hügel fügten sich fest, magisch, denn die Sieben hatte Symbolkraft. Sieben Weltwunder, sieben christliche Sakramente, sieben Todsünden, sieben Tugenden, und dann gab es noch dieses Schneewittchen mit den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen. Das ist die nächste Erklärung, dass das Siebengebirge vor so viel Symbolik nicht widerstehen konnte.

Ölberg von Thomasberg aus
Die Landstraße L83  trägt mich hinauf auf die Höhen des Siebengebirges. Stieldorferhohn, ein Hofladen lockt mit tagesfrischen Erdbeeren aus eigenem Anbau, dann kommt Thomasberg, das vorbei fliegt, ohne nennenswerte Akzente. An der Querstraße biege ich rechts ab, nach einhundert Metern gleich wieder links, dazwischen grüßt der Ölberg, der sehr wohl als höchste Erhebung des Siebengebirges sein Zeichen setzt.

Nicht die sieben Berge und die sieben Zwerge, es gibt da auch noch die Theorie von den sieben Riesen. Dazu müssen wir uns in die Urzeiten zurück versetzen, als der Rhein noch nicht in seinem heutigen Bett geflossen ist. Das Siebengebirge war eine Vulkanlandschaft, die nahtlos in die Vulkaneifel überging. Vom Rhein gab es noch keine einzige Spur. Im Rhein-Main-Gebiet staute sich der Rhein und alles Lebewesen ging im Wasser unter. Die Landschaft stand unter Druck, und  sieben Riesen wurden aus Holland gerufen, um das Binger Loch zu graben, damit der Rhein abfließen konnte. Nach getaner Arbeit rasteten sie auf dem Heimweg nach Holland bei Königswinter und stießen ihre Spaten in die Erde. Als sie weiterzogen, blieben die Erdbrocken von den Spaten als sieben Berge zurück. Das ist die Sage von den sieben Riesen.

Das klingt schön, und hinter Thomasberg geht es mehr rauf als runter. Der Himmel zieht sich zu, es tröpfelt, ich bange, dass es sich einregnet, doch dann reißen Wolkenlücken auf, vergrößern sich und schieben die dunklen Wolkenpakete beiseite, als sei nichts gewesen. Ich genieße dieses prickelnde Gefühl, von einer höheren Position auf Berge und Täler des Westerwaldes hinunterschauen zu können. Der Ölberg, ich radele am Fuße seines Gipfels, Kurven winden sich hoch, scharf rechts, dann wieder links. Zwischen Tannenwald versteckt sich das Forsthaus Heisterbach, das mich auf einer Hinweistafel mit einem stolzem Geweih grüßt.

In Ittenbach, dem nächsten Ort, ist der Ölberg sogar zum Greifen nahe. Stolz schaue ich nach oben zu dem 460 Meter hohen Gipfel, dessen Mobilfunkantenne auf seiner Spitze wie ein Fremdkörper aussieht. Der Name des Ölbergs ist ganz weit weg, denn er hat nichts mit christlicher Symbolik gemein, weder Bergpredigt, noch Christi Himmelfahrt.

8% Steigung vor Aegidienberg
Das Siebengebirge war lange Zeit Grenzgebiet zwischen der Herzögen von Berg und den Kölner Kurfürsten.  Den Fuß des Ölberges markierte eine dieser Grenzsteine. „Mael“ bedeutet auf mittelhochdeutsch „Grenze“, und diese lag vor dem höchsten Berggipfel, also Mael-Berg. Aus A wurde O, aber immer noch Moelberg. Dabei achte man auf die sprachlichen Feinheiten, dass „oe“ ein „o“ mit einem langen Dehnungslaut ist und kein „ö“. Als letzte sprachliche Stufe fiel mit der Präposition „am“ das „m“ weg, also „Am Oelberg“. Wenn denn der Wanderer im Siebengebirge unterwegs ist, wird er meist auf die Schreibweise „Oelberg“ stoßen. Und nichts mit dem o und den zwei Pünktchen, so wie man es in der Grundschule lernt.

Ich biege nach links ab, und ich erfahre in Ittenbach mit der Blechlawine am eigenen Leib, wo die Kräfte wirken, die eine Südtangente fordern. Auto wälzt sich an Auto, die Bürgervereinigung fordert Verkehrsentlastung, und alles strebt zur nahen Autobahnauffahrt Siebengebirge auf die A3. Das Verkehrschaos ist perfekt, denn ein Kreisverkehr wird gebaut. Und damit nicht genug: am Kreisverkehr ein REWE-Markt, und die Baustelle sperrt mit der einspurigen Führung den Straßenverkehr systematisch ab. Ich mogele mich vorbei, biege mitten in der Baustelle nach rechts ab, bis der hektische Baubetrieb nach 50 Metern abrupt endet und ich ungestört durch dichten Mischwald talabwärts nach Aegidienberg hinunter rollen kann.

Es gibt noch eine weitere Worterklärung des Siebengebirges, und die liegt in den Tälern. Still,  lautlos und elegant schwebt mein Rennrad immer tiefer die Straße hinab. Manche erklären das Siebengebirge mit dem Wörtchen „Siefen“, das sind feuchte Bachläufe, die sich tief in die Nebentäler eingegraben haben. Siefen bedeutet auch „tröpfeln“ oder „sickern“, andere Erklärungsversuche bringen „Siefen“ mit dem Sieden von Seife in Verbindung, so dass die Seifen-Sieder wegen ihres Gestanks ins „Siedengebirge“ hinausgeschmissen wurden. Doch nichts findet sich davon in alten Urkunden und Karten. Alles ist genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie die sieben Riesen oder die magische Zahl sieben. Dass ich tiefe Nebentäler des Siebengebirges durchquere, merke ich sehr bald, denn die nächste Steigung steht wie eine Wand vor mir. Da heißt es abermals treten, mit viel Geduld, bis zum Ortseingangsschild von Aegidienberg, wo ich auf der anderen Straßenseite meine Fahrleistung bestaunen kann: 8% Steigung habe ich geschafft.

Siebengebirge von Aegidienberg aus
Ich biege rechts ab auf die Hauptstraße, halte mich Richtung Linz. Unmerklich hält der Anstieg an, bis ich am Kreisverkehr einen letzten Blick auf den Ölberg werfe: auf dieser Tour umrunde ich das Siebengebirge, nun sind es drei Gipfel. Meine Glücksmomente treiben mich vorwärts, dieses wohl proportionierte Ganze, das 1923 zum Naturschutzgebiet geworden ist, durchqueren zu können.

An der großen Ampel geht es links zur Autobahnauffahrt A3, ich biege aber nach rechts ab nach Linz. Hinter dem Ortsausgangsschild von Aegidienberg fällt die Straße sogar ab, ich rolle, lasse meine Beine baumeln. Wiesen knicken über die Straße hinweg ins Tal hinunter. Danach liegen Freude und Leid dicht beieinander, denn einerseits sendet mir das Straßenschild von Rheinland-Pfalz einen herzlichen Willkommensgruß, andererseits erreicht der Zustand der Landstraße ein beklagenswertes Niveau. Diese ist übersät mit Schlaglöchern, anscheinend kümmert sich im Niemandsland zwischen Rheinland-Pfalz und NRW kein Mensch um die Straßen, und das zwischen Kolonnen von LKWs.

Meinen  Blick steif auf Löcher und Asphalt gerichtet, ist meine Konzentration gefordert. Die Straße gabelt sich nach links, nach rechts, ich halte mich aber geradeaus, so lange, bis ich Kalenborn erreiche. Diese Ortschaft wirkt etwas blaß, angegraut bis zartgelb, in diesem Farbton sind die Gebäude der früheren Basalt-Lava-AG gestrichen. Es ist interessant, was man aus Basalt alles herstellen kann: Bordsteinkanten, Gehwegplatten, Pflastersteine, Fensterbänke, Schotter für Eisenbahnen oder Straßen, kurzum: die Verwendungsmöglichkeiten scheinen unbegrenzt.

Gelände der Basalt-Lava-AG in Kalenborn
Vom Siebengebirge in den Westerwald: das Siebengebirge drohte vor lauter Steinbrüchen zum Schweizer Käse zu werden, in den 1920er Jahren schlugen Naturschutzaktivisten Alarm. 1930 wurde die Gewinnung von Bodenschätzen verboten, die sich danach außerhalb des Siebengebirges verlagerten. So nach Kalenborn. Bis 1966 verkehrten Güterzüge, die den Basalt an den Rhein transportiert und dort auf Schiffe verluden. Heute lebt die Basalt-Lava-AG von den Steinbrüchen, wobei touristische Schienenbusse die Güterzüge abgelöst haben.

Dann geht es tief hinunter. Die Abfahrt ist sogar unangenehm, denn ich muss abbremsen, weil das Gefälle zu steil ist. Der Fernblick schweift auf die linke Rheinseite hinüber, bis zur Vulkaneifel bei Maria Laach, bis der Blick rasch in den Tiefen des Tals verschwindet. Linz nähert sich, und ein entgegenkommender Rennradfahrer grüßt. Ich habe Mitleid, wünsche ihm viel Erfolg, denn er hat einige Strapazen vor sich. Wohlwollend nickt er, hält den Daumen hoch unter seinem eierschalenfarbenen Fahrradhelm. Ein wenig mitleidend, lasse ich es gemütlich angehen. Bis Linz plätschert die Fahrt den Berg hinunter.

Ich erreiche Linz, passiere das Neutor, das den Eingang zu einer bildhübschen Altstadt bietet. Die Stadtmauer ist zum Teil erhalten, drei Stadttore, ein schönes Rathaus aus dem 16. Jahrhundert, eine Burg in Rheinnähe, dazu Fachwerkromantik pur. Solche Idylle sind selten im Rheinland, und dazu gehörte Glück, Zufall, Beständigkeit und auch ein Stück wirtschaftliche Macht.

Die wichtigste Entscheidung wurde durch eine der schillerndsten Frauen im Rheinland getroffen: das war Machthild von Sayn. Im 13. Jahrhundert hatte der Papst Posten des Kölner Erzbischofs mit der Konkurrenz aus der Grafschaft Sayn besetzt. Gleichzeitig heiratete Mechthild von Sayn den Grafen Heinrich III. von Sayn, wodurch ein einheitliches Machtgebilde vom Westerwald ins Bergische Land bis zum Rhein entstand. Ihr Ehemann starb früh, sie regierte. Da kein Erbe aus ihrer Ehe hervorgegangen war, entschied sie sich im Alter, in ein Kölner Kloster zu gehen und einige Teile ihres Reiches dem Kölner Erzbistum zu schenken – so auch die Stadt Linz. Danach hielt die Verbindung von Linz zum Erzbistum Köln – und das rund 550 Jahre lang, bis die Herzöge von Nassau diesen Besitz am Rhein übernahmen.

Ich schiebe die Neustraße hinunter, staune über all die Weisheiten und Sprüche, mit denen die Fachwerkbalken verziert sind. Es geht über den Buttermarkt, auf dem, das ist keine Überraschung, die Bauern seit 1642 Butter, Käse und Eier verkauften. Dann erreiche ich den Marktplatz. Am anderen Ende, mit Blick auf das Rathaus mit den rot-weißen Fensterläden, genehmige ich mir eine Pause. „Dat raithuyss uff dem kirchoff“ wird erstmals 1486 in einer Rechnung erwähnt, als dieses repariert worden war. Dass ich das Rathaus noch so bestaunen kann, wie es nach seinem Umbau um 1700 ausgesehen hat, ist hierzulande keine Selbstverständlichkeit. Vor allem der Zweite Weltkrieg hatte Linz praktisch verschont, wenn man von ein paar Außenbereichen absieht. Das war auch so, als der Krieg in den Märztagen des Jahres 1945 in seinen letzten Atemzügen lag. Die Ludendorff-Brücke bei Remagen war noch intakt, die Alliierten drangen nach Linz vor. Restgruppierungen von fanatischen Nationalsozialisten begingen kollektiven Selbstmord, allen voran der Ortsgruppenführer Paul Hintze, danach hißten die Linzer die weiße Fahne und übergaben kampflos ihre Stadt. So blieb die Altstadt nahezu unzerstört.

Jahrhundertelang war Linz eine Macht am Rhein – das lag an der Festung, die schwer einzunehmen war, und auch am Zoll, die über Jahrhunderte die Geschicke der Stadt bestimmte. Ich schiebe mein Rennrad weiter die Rheinstraße hinunter und gelange zur Burg, die die Kölner Erzbischöfe bereits 1365 gebaut hatten. Das Grauen des Mittelalters hat dort sogar überlebt, denn man kann eine Folterkammer besichtigen.

Zoll, Stadttor und Burg liegen hier ganz dicht beisammen, und in diesem stabilen Gefüge hielt die Verbundenheit mit den Kölner Erzbischöfen 550 Jahre lang. Doch im 15. Jahrhundert geriet Linz mit seiner Bündnistreue zwischen die Fronten. Die Kirche lebt nicht nur in den heutigen Zeiten eines Tebartz-von Eltz in Saus und Braus, im Mittelalter war die Verschwendungssucht der Kirche nicht anders. Die Kassen der Kölner Erzbischöfe waren leer. Was tun, um die Kassen wieder aufzufüllen ? Die Kölner Erzbischöfe gingen pragmatisch vor und pfändeten die Zollstellen in Bonn und Zons, was die betroffenen Städte natürlich in Aufruhr versetzte. Linz verschonten die Erzbischöfe, da es ohnehin Überlegungen gab, den Linzer Zoll nach Andernach zu verlegen. Daraufhin riefen Bonn und Zons Hilfe herbei, das waren die Herzöge aus Hessen und dem fernen Burgund. Sie wollten verhandeln, doch die Erzbischöfe blieben fern, und dann schickten sie ihre Truppen, um für Ordnung zu sorgen. Die Zollstellen in Bonn und Zons wurden befreit, und die Truppen besetzten alles, was den Kölner Erzbischöfen die Treue hielt. So auch Linz. Mit der Festung war Linz aber eine Macht, so dass die Eroberung mißlang. Doch die Heerführer aus Hessen und dem fernen Burgund ließen nicht locker. Sie belagerten Linz. Drei Monate lang dauerte die Belagerung bis zum März 1475, bis die Stadt kapitulierte. Doch wie so oft in der Stadtgeschichte, kam Linz mit einem blauen Auge davon – dank des Verhandlungsgeschicks der Kölner Erzbischöfe und dank der Zollstation. Damit die hessischen Truppen verschwanden, mussten viertausend Goldgulden gezahlt werden. Diese Schulden konnten aus den Zolleinnahmen beglichen werden. So pfändeten Heinrich von Nassau und Philipp von Katzenellnbogen zwei Jahre lang die Zolleinnahmen, danach war Linz wieder eine freie Stadt, es gehörte zum Kurfürstentum Köln und behielt seinen Zoll.


Linz; Marktplatz unten und oben links
Neutor oben rechts
Die Überlegungen, den Linzer Zoll nach Andernach zu verlegen, haben sogar Eingang in die Welt der Backwaren gefunden. Nach der Bäckerjungensage von 1474 planten die Bürger von Linz einen Angriff auf Andernach, um die Verlegung des Zolls zu verhindern. Davor waren Bürger aus Andernach gewarnt worden, und nun lauerten sie den Bürgern von Linz auf. Es kam zu Handgreiflichkeiten zwischen Andernachern und Linzer Bürgern. Als sich beide Parteien prügelten, gelang es den Andernachern Bürgern, Bienennester aus der Stadtmauer heraus zu reißen und damit die Linzer Bürger zu bewerfen. Die Bienen verrichteten ganze Arbeit, sie stachen die Linzer und trieben sie in die Flucht. Zur Feier backten die Andernacher Bürger einen besonderen Kuchen – der Bienenstich genannt wurde. Wenn man der Legende glaubt, ist 1474 das Rezept des Bienenstichs entstanden.

Ich verlasse Linz, vorbei an der Burg, ich folge den Fahrradsymbolen. Ich fahre parallel zur Bahnlinie, ungestört, ich blicke hinauf zur Burg Ockenfels, die gemeinsam mit der Burg Rennenberg und der Burg Linz einen halbkreisförmigen Festungsring um die Stadt gelegt hatte, so dass diese fast uneinnehmbar war. Dies festigte die Treue zu den Kölner Kurfürsten. Selbst im 30-jährigen Krieg war das Bollwerk von Linz die letzte Bastion im Rheinland, der die Eroberung durch schwedische Truppen gelang.

Linz war nie eine Römerstadt. Zehn Kilometer südlich von Linz schotteten sich die Römer mit dem Limes ab. Sie bauten keine Lager, geschweige denn, Städte, doch sie nutzten die Steinbrüche, beginnend bei Linz, bis zum Siebengebirge. Das war bequem, direkt an der Schiffsstraße des Rheins gelegen. Bonn, allen voran Köln, sind aus den vorgelagerten Steinbrüchen entstanden.

romanische Kirche in Erpel
Ab Linz genieße ich die Fahrt über eigene Radwege. Zunächst parallel zur Bahnlinie, dann durch Kasbach. Dort biege ich links ab, folge der Fahrradbeschilderung kurz darauf nach rechts, wo der Anstieg auf schmaler Spur kurz und heftig nach oben führt. Es geht vorbei an den Brückenstümpfen der Remagener Brücke. Auf einem Vorplatz kann ich zum Rhein schauen, auf der anderen Seite wird ab August im Tunnel der Brücke Theater gespielt werden. Bestimmt wird es in dem Theaterstück darum gehen, dass die Brücke trotz Sprengung in den Kriegstagen des März 1945 stand hielt, bevor sie nach zehn Tagen einstürzte.

Ich erreiche Erpel, eine der wenigen Flecken, die ich im Rheinland praktisch nicht kenne. Ich bin überrascht, wie unversehrt das kleine Städtchen ist. Ich entdecke diverse Parallelen zu Linz, aber im Kleinformat. Stadtmauer, Stadttor, viel Fachwerk und mittendrin eine alte romanische Kirche, die wie so manche andere Kirche im Rheinland dem Heiligen Servatius – Bischof von Maastricht – geweiht ist. Erpel teilte die 550-jährige Zugehörigkeit zu den Kölner Kurfürsten mit Linz. Im Linzer Bund beschützten sich die Städte gegenseitig, und wie Linz kam Erpel in all den Wirren und Kriegen der Geschichte meist glimpflich davon.

Ab Erpel geht es schnurstracks den Rhein entlang, wobei ich ganz treu der Fahrradbeschilderung folgen kann. Der Radweg ist eine Wucht, in Unkel geht es am Bahnhof vobei und dann mitten durch die Felder. Ab dort holt mich der Regen ein, denn der Wirtschaftsweg ist naß. Über das Siebengebirge rücken die Wolken ab, Schleierwolken halten die Sonne fern, glücklicherweise auch den Regen. Das Wetter hält, der Asphalt trocknet ab. Und meine Begeisterung steigt, denn der Wind hat sich gelegt. Bis Linz hatte mich kräftiger Rückenwind unterstützt. Nun ist er kaum ein laues Lüftchen.


Über Bad Honnef und Königswinter kehre ich zum Alten Zoll zurück.

Strecke (67 Kilometer):


Höhenprofil: