Donnerstag, 27. Februar 2014

Formlos (6) - Weiberfastnacht

Ich nutzte die letzten geordneten Stunden, bevor der Ausnahmezustand herrschen würde und die Dinge in diesen schiefen, verrückten und närrischen Trubel des Karnevals hinein gerieten. Mein logischer Verstand und mein rationales Denken sträubte sich davor. Die närrischen Tage musste ich mich hindurch lavieren, möglichst weit abseits. Humor und Frohsinn bereichern das Leben. Ich bin stolz auf die Mentalität des Rheinländers, der mit diesen Charaktereigenschaften bestens für das Leben gerüstet ist. Aber wenn dann alle gleichzeitig, auf Kommando ab der Uhrzeit 11:11 Uhr, in einer Art von Massenhypnose dem lustigen Treiben verfallen, da finde ich nichts anziehendes, mich so enthemmt und so grenzenlos zurecht zu biegen.

Gegen zehn Uhr betrat ich die Metzgerei. Noch nahmen die Dinge ihren geregelten Gang. Ziel Wilhelmplatz, Köln-Nippes, war meine bessere Hälfte aufgebrochen, im Indianerkostüm, in aller Herrgottsfrühe, gemeinsam mit unserer früheren Nachbarin, dessen Bärenfell-artiges und Steinzeit-mäßiges Kostüm sogar erschrecken konnte. Beide waren standfest, würden von Kneipe zu Kneipe ziehen, tanzen, singen, klatschen und mit Gott und der Welt in den Armen liegen.

Noch war die Metzgerei in unserem Ort geöffnet, und ich wollte Gehacktes kaufen, um den Rest meiner Familie bekochen zu können. Eine Clownsfigur neben der gläsernen Schiebetüre, Luftschlangen unter der Decke, Luftballons hinter der Fleischtheke, Karnevalsorden hingen über den schweren Verzierungen eines Glasspiegels. In knallblauen T-Shirt warteten die Verkäuferinnen auf ihre Kundschaft. Mitten auf die T-Shirts plaziert, bewiesen die Türme des Doms nachdrücklich, dass das Herz des Karnevals in Köln 25 Kilometer vor unserer Nase lag. Innig verbunden, gab eine Verkäuferin die Lebensweisheiten des Rheinischen Grundgesetzes zum besten, die beiden anderen Verkäuferinnen opferten sich mit dem Spruch auf: „Mer dunn alles nur vüür Kölle“.

Lachen, Frohsinn, es machte keinen Unterschied, ob es vor oder nach 11:11 Uhr war.

„Marianne, du häss noch net et kostüüm aan … „ pfiff die eine Verkäuferin die vor mir stehende Kundin an, die über ihren korallenroten Lippen lächelte, ihre Mundwinkel verzog, während ihr Blick über der Fleischtheke schwankte.

Aus dem Lautsprecher dudelte Karnevalsmusik. Ein Sultan musste arge Strapazen ertragen. Sein Durst war schlimm, denn er wollte einen klaren Schnaps trinken. In der nächsten Kneipe angekommen, hatte der Wirt aber keinen Klaren. Der Sultan musste leiden, sein Durst nahm kein Ende und er zog mit seiner Karawane weiter.

„Die Karawane zieht weiter, dä Sultan hät doosch …“ stimmten die beiden Frauen ein, sie sangen mit, wippten mit ihren Oberkörpern hin und her, als wollten sie schunkeln. Ein kühler Luftzug schwang durch den Raum, als sich die Schiebetüre öffnete. Ein als Biene Maja verkleideter Winzling trat mit seiner Mama ein. Warm und wollig kuschelten sich die gelb-schwarzen Streifen um seinen Körper, schwarz waren seine Beine mit der Strumpfhose, schwarz war auch die Kapuze, die glatt mit seinen Haaren über der Stirn abschloss.

Im Lautsprecher gingen die Leiden des Sultans weiter. In der nächsten Kneipe angekommen, hatte der Wirt keinen Klaren, sondern als Schnaps nur Kabänes. Doch der Sultan mochte keinen Kabänes. Auch an diesem ungastlichen Ort konnte er seinen Durst nicht löschen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu suchen und mit seiner Karawane weiter zu ziehen.

„Die Karawane zieht weiter, dä Sultan hät doosch …“ die beiden Frauen hatten ihren Spaß und sangen mit. In der dritten Strophe wurde der Sultan endlich erlöst. Von den Kneipen Kölns flog der Sultan mit seiner Karawane in die Wüste, wo er eine Oase fand. Dort konnte er so viel Wasser trinken, wie er wollte. Dennoch zog er danach mit seiner Karawane weiter, so weit, als wolle er mit dem Karnevalslied bis ans Ende der Welt ziehen.

„Ming kostüüm hängt övver de jarderoov … eene jriff un dann hann ich datt aanjetrocke … „ verabschiedeten sich die beiden Frauen. Mit einer flüchtigen Bewegung drehte sich die Kundin weg, ihre rot-schwarz gemusterte Einkaufstasche pendelte in ihrer Hand.

„Maach et joot un vill spass … «, die Blicke der beiden Frauen trafen sich ein letztes Mal, während die eine zielgerichtet auf die Straße zusteuerte. Ich hörte, wie sie das nächste Karnevalslied vor sich her trällerte. Ihre Hüften schwang sie, als wolle sie tanzen.

Ich kam mir vor wie in einer fremden Welt. Als ich mein Gehacktes gekauft hatte, verkrümelte ich mich. Nach Hause, einen Teil des Tages arbeitete ich ohnehin anstelle im Büro von zu Hause aus. Am Laptop, die Kinder bekochen, den Abend wollte ich zum Lesen nutzen. Es geht nicht anders. Während der Karnevalstage muss ich meinen Verstand in ein Reservat stecken, um noch festen Boden unter den Füßen zu haben.

Darin stimme ich sogar mit dem Rheinischen Grundgesetz überein. „Jede jeck is angisch“ heißt es dort, also: jeder Mensch ist anders. Das ist gut so, und die Rheinländer sind schon immer tolerant gewesen. Aich gegenüber Nicht-Karnevalisten.

Dienstag, 25. Februar 2014

1914


Was soll ich dazu schreiben ?

Jede Masse ist bereits zum Ersten Weltkrieg geschrieben worden, an die 25.000 Bücher weltweit, gibt es da noch neue Sichtweisen ? Jedenfalls sind die Buchhandlungen voll. Historiker aus der ganzen Welt toben sich an diesem Ersten Weltkrieg aus, den der amerikanische Historiker Fritz Stern, der Deutscher war und im Zweiten Weltkrieg in die USA auswanderte, als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnete. Diese Bezeichnung trifft den Kern, denn der Frieden dieser Urkatastrophe, der Versailler Vertrag, säte Zwietracht zwischen den europäischen Nationen und war Wegbereiter für die nächste Katastrophe, den zweiten Weltkrieg. Manche Historiker sprechen sogar von einem 30-jährigen Krieg, denn die Zwischenkriegsphase war voller innerer Unruhen und schaukelte sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten voller Aggression auf. Erst mit dem Untergang des Deutschen Reiches herrschte Frieden in Europa. Doch auch der kalte Krieg setzte auf dieser Urkatastrophe auf. Ohne den Ersten Weltkrieg wäre undenkbar gewesen, dass die Kommunisten in Rußland an die Macht gekommen wären. Lenin führte Rußland 1917 zur Revolution, nach seinem Tod kam 1924 Stalin an die Macht, Rußland gehörte zu den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und stieg als UdSSR in der Nachkriegszeit zur Super-Macht auf.

Der Erste Weltkrieg schuf die denkbar schlechtesten Rahmenbedingungen in einer Phase technischen Fortschritts, industrieller Massenproduktion, einer aufstrebenden Arbeiterklasse und gesellschaftlicher Umbrüche. Der Übergang in die Moderne entwickelte sich als Zerrbild und voller Verwerfungen.

Der Erste Weltkrieg sollte rekapituliert werden, um seine Botschaften neu zu formulieren. Meine ganz persönliche Begegnung mit dem Ersten Weltkrieg hatte ich in der Lakenhal in Ieper, West-Flandern, Belgien. Die Lakenhal, auf deutsch „Tuchhalle“, eine der prächtigsten Profanbauten aus dem Mittelalter, hoch nach oben strebender, gotischer Baustil, beherbergt mitten im Zentrum von Ieper ein Museum. Nicht unweit davon, unter der Meense Poort, hat sich bis heute die Tradition gehalten, dass all-abendlich um 20 Uhr britische Trompeten ertönen, um an die Kriegsgefallenen gedenken.

Ieper 1918; Quelle www.wikipedia.de
Das Museum  in der Lakenhal bot einen Anblick des Grauens. Zwischen Schützengräben, war die Landschaft eine Ansammlung von Granattrichtern. Kanonen sorgten für einen Dauerbeschuss. Der Befehl an die Soldaten, die Schützengräben zu verlassen und gegen den feindlichen Beschuss anzurennen, kam einen Todesurteil gleich. Soldaten trugen Gasmasken, denn 1915 wurde in Ieper erstmals Giftgas eingesetzt. Nicht nur der Mensch, sondern auch die Vegetation war kahl und entstellt durch die Giftgaseinsätze. Die Stadt selbst, dauerhaft umkämpft, wechselte mehrfach zwischen den Kriegsgegnern. Fotos der zerstörten Stadt ähnelten denjenigen von Köln im Jahr 1945: nicht der Dom, sondern der mittelalterliche Belfried der Lakenhal ragte aus der Trümmerwüste hervor, der Rest war Schutt und Asche.

Was soll ich dazu schreiben ?

Fassungslos schaue ich darauf, was der Mensch imstande ist anzurichten. Der Countdown läuft. Schon im letzten Jahr hatte ich den Eindruck, dass 1914 bereits begonnen hat. Der Bestseller „1913“ von Florian Illies erschien. In Bonn hatte ich die Ausstellung „1913 - ein expressionistischer Sommer“ besucht. Die Expressionisten malten Landschaft, Idylle, Frieden, Natur, aber auch die urbane Stadtlandschaft, in die sich die Menschen in ihren Produktionsstätten zunehmend hinein bewegten. Nun, bezogen auf 1914, setzen sich die Ausstellungen fort. 1914, bunte Fotografie aus aller Welt, 1914, die Avantgarde-Künstler in den Schützengräben und 1914, was Max Ernst gemalt hat. Dazu Tageszeitungen, eine Serie im SPIEGEL, ganz zu schweigen von Rundfunk und Fernsehen, die weitere Dokumentationen und Serien produziert haben. Ganz viele, die etwas zu sagen haben, befassen sich mit 1914.

Frieden, Fortschritt in der Medizin, höhere Ernteerträge, die Gewerkschaften setzten Rechte für die Arbeitnehmer durch, Verbot der Kinderarbeit, Einführung der Sozialversicherung, bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges bildete sich so etwas wie eine Basis, dass das Existenzminimum in der Gesellschaft gesichert war. Die Menschen richteten sich ein, hatten ihr Auskommen. In den Verhältnissen nach der Jahrhundertwende, konnte man durchaus von Wachstum und Wohlstand reden. Und dann das: am 28. Juni fielen die tödlichen Schüsse in Sarajewo. Das war der Urknall, der die Welt aus ihren Angeln hob. Zuvor, von 1894 bis 1906, hatten regionale Krisen gelodert, der chinesisch-japanische Krieg, der Burenkrieg oder den russisch-japanischen Krieg. Ebenso knirschte es zwischen den Kolonialmächten England und Frankreich.

Diese Kriegshandlungen waren begrenzt, doch nun, nach den Schüssen auf den österreichischen Thronfolger, verhielten sich die europäischen Großmächte wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Oder, bezogen auf die eigene Firma, wenn Unternehmensberater die Geschäftspolitik aufmischen wollen: es herrscht blinder Aktionismus, unter hohem Zeitdruck werden strategische Konzepte entwickelt, die weder Hand noch Fuß haben, alle spüren den Zwang, gemeinsam in einer Richtung marschieren zu müssen; die Situation ist hektisch, alle machen sich gegenseitig verrückt; wenn man einmal einen klaren Gedanken gefaßt hat, wird dieser sofort von einer anderen Sichtweise über den Haufen geworfen.

Im nachhinein ist es unglaublich, wie innerhalb von sieben Wochen das Schicksal Europas kippte. 28.6. Ermorderung des österreichischen Thronfolgers, 23.7. Ultimatum an Serbien zur Bestrafung der Schuldigen, 28.7. Kriegserklärung von Österreich an Serbien, 30.7. Kriegserklärung von Rußland an Österreich, 1.8. Kriegserklärung von Deutschland als Verbündeter Österreichs an Rußland, 3.8. Kriegserklärung von Deutschland an Frankreich, 4.8. Einmarsch deutscher Truppen in Belgien. Die Reaktionen waren überreizt, die Entscheider waren Feldherren, politische Lösungen am Verhandlungstisch wurden nicht gesucht. Das Kalkül der deutschen Militärs, durch einen Präventiv-Schlag wie beim deutsch-französischen Krieg 1870/71 den Krieg zu entscheiden, ging nicht auf. Anstatt dessen Schlachten in Flandern, an der Somme, in Verdun. Der Krieg globalisierte sich, als die USA und von Japan in den Krieg eintraten. 15 bis 20 Millionen Tote zählte der Erste Weltkrieg.

Was soll ich dazu schreiben ?

Analogien von heute zu 1914 sind schwierig zu finden. Dennoch haben wir regionale Kriege auf der ganzen Welt – aktuell in Syrien oder Sudan, während es zwischen Israel und den Palästinensern vergleichsweise ruhig ist. Europa ist eine alte Kulturnation, sehr heterogen bis uneinig, wobei Geld und Wohlstand Europa wieder näher zusammen bringt – und das trotz der Eurokrise. Die Konstellationen sind durch die Europäische Gemeinschaft anders. Die Unfähigkeit, Konflikte zu lösen, war schlimm im Jugoslawien-Krieg, der vor der eigenen Haustüre stattfand. Letztlich waren es die NATO und die USA, die 1999 den Frieden herbei bombten. Bei diesem Krieg waren die europäischen Staaten zum reinen Zuschauer degradiert worden.

Unabhängig davon, tue ich mich schwer mit der historischen Sichtweise. Geschichte blickt immer nur zurück und nicht nach vorne. Handelnde Personen sind Politiker und Wirtschaftsbosse. Es hängt sehr individuell mit der Persönlichkeit zusammen, dass Politiker ein historisches Bewußtsein entwickeln. Geschichte hat daher keinen gestaltenden Charakter unter den Geisteswissenschaften. Es steht die Aussage im Raum, dass die Menschheit aus der Geschichte nichts gelernt hat. Indes kann die Theologie Moralvorstellungen entwickeln. Die Philosophie entwickelt übergeordnete gedankliche Konzept, die die letzten Dinge, die menschliche Vernunft oder das Urteilsvermögen beinhalten. In der Literatur findet sich der Mensch als Individuum wieder, die Literatur formt exemplarisch seinen Charakter und läßt ihn spannungsgeladene, dramatisch, tragische oder komische Situationen durchlaufen. Die übrigen Geisteswissenschaften entwickeln eher Visionen in die Zukunft.

Viele ist schon gesagt worden zum Ersten Weltkrieg. Vielleicht hat Europa doch die eine oder andere Lehre gezogen nach diesem Akt der Selbst-Zerfleischung.

Samstag, 22. Februar 2014

altes Rathaus in Erkelenz

Als sich im Mittelalter Städte bildeten, bauten die Bürger Rathäuser als Zeichen ihres Selbstbewußtseins. Städte waren eigenständig, ihre Reichtum fußte auf Handel. Handwerker, die in Zünften organisiert waren, trugen ebenso zum Reichtum der Städte bei. In den Rathäusern tagte der Stadtrat, dort wurden Entscheidungen getroffen, in Rathäusern saßen Gerichte, dort saßen die Herren über Geld und Finanzen. Rathäuser grenzten sich auch ab von der Macht der Kirche, indem sie in einem andersartigen, prachtvollen und Macht verkörpernden Baustil gebaut wurden. Rathäuser in Städten wie Aachen, Bonn oder Köln gehören zu den schönsten Bauten in ihren Städten. Auch kleinere Städte wie Erkelenz haben ein wunderschönes Rathaus, das nicht weniger alt ist als diejenigen in Aachen, Köln oder Bonn.


In schneeweißem Anstrich, hat das Erkelenzer Rathaus seine eigenwillige Form.


1326 wurde das Rathaus erstmals in Urkunden erwähnt. 1540 brannte das Rathaus ab; 1541 bis 1546 wurde es wieder neu aufgebaut.


Die Bomben des 2. Weltkrieges haben das  Rathaus weitgehend zerstört; bis 1950 wurde das Rathaus originalgetreu, wie es 1546 ausgesehen hat, wieder aufgebaut.


Der Blick durch die Torbögen erinnert an Krypten in Kirchen.


Das ursprüngliche Baujahr 1546, das Stadtwappen von Erkelenz und das Landeswappen von Nordrhein-Westfalen stehen über der Eingangstüre.


„Möhnen“ in den Ecken der Fenster kündigen die bevorstehende Karnevalszeit an.


In einer Ecknische steht eine Marienfigur.


Der „Appelsbell“ – eine Bäuerin, die in Weidenkörben Äpfel sammelt – wurde ein Denkmal gewidmet.

Freitag, 21. Februar 2014

mit dem Rennrad über die Grafschaft nach Rheinbach

Wasserburg Gudenau
Das Rittergeschlecht der Scherfgins war eine noble Adresse. Gerhard Scherfgin war stark wie ein Bär, auf dem Pferd sammelte er all seine Manneskraft, zielsicher hatte er seine Gegner im Visier. Überall, wo er auf Ritterturnieren antrat, von Brabant bis ins Rheinland, lagen Lanze und Schwert weich in seiner Hand. Reihenweise säbelte er seine Gegner mit einem Schlag vom Pferd. Pokale, Ruhm und Ehre heimste er ein.

Gerhard, Rembodo, Hermann Scherfgin: das Rittergeschlecht der Scherfgins wuchs über Generationen, sie waren loyal und auf sie war Verlass, und ihre Lust zu kämpfen nutzten die Erzbischöfe von Köln, denn ab 1252 verteidigten die Scherfgins die Stadtmauern von Köln. Bewaffnete Ritter waren stets herzlich willkommen. Ihre Anwesenheit vor einem meterdicken Gemäuer schreckte die Feinde ab. Deren Eroberungslust wich jäh zurück, und wenn sie Lanze, Pfeil und Bogen gegenüber standen, suchten sie das Weite.

Wasserburg Gudenau
Nicht nur in der  milden winterlichen Jahreszeit ist die Wasserburg Gudenau eine ruhige Angelegenheit. Wasserburgen sind im Rheinland höchst privat, zur Besichtigung nicht freigegeben. Eine erhabene Stille streicth über den Burghof, den ich betreten kann, denn das Tor steht offen. Die Größe von Wirtschaftsgebäude und Stallungen sind imposant, und ich kann mir den Neid über dieses hübsche Anwesen nicht verkneifen, das die Burgherren bewohnen dürfen. Wohnen im tiefsten Mittelalter. 1246 erstmals urkundlich erwähnt, stammt die heutigen Bausubstanz weitgehend noch aus dem16. Jahrhundert, als Gudenau zu einem Vierflügelschloss mit runden Wehrtürmen umgebaut worden war. Wie geleckt ist der zartgelbe Anstrich, der sich deutlich von dem anmutigen Weiß der Kreuzfenster abhebt.

„Darf ich fotografieren ?“ frage ich das vermeintliche Burgfräulein, das unvermittelt aus dem Ecktrakt des Wirtschaftsgebäudes heraustritt.

Den Pferdeschwanz nach hinten gebunden, ein Lächeln verkneifend, antwortet die jugendliche Schönheit: „Natürlich. Den Hof kann jeder betreten, also darf auch fotografiert werden. Nur in den Schloßgarten dürfen Sie nicht. Der ist erst ab März geöffnet.“ Ihre Reiterstiefel klacken auf den harten Pflaster, dann fährt sie mit ihrem VW Tuareg von dannen.

Wasserburg Gudenau
Es war ein bißchen Jugend oder Schönheit und ganz viel Strategie, dass Gudenau in den Besitz der Scherfgins gelangt. Hermann von Gudenau, der Burgherr im 14. Jahrhundert, wollte seine Nachfolge und sein Erbe regeln. Nach Süden ausgreifend, fügte sich das Burgensystem des Erzbistums Köln zusammen. Die Godesburg, dieses Bollwerk vor dem Rhein, hatten die Erzbischöfe 1210 bauen lassen. 1366 fiel dann den Scherfgins – und damit den Erzbischöfen von Köln - die Wasserburg quasi vor die Füße, als Philipp von Scherfgin Lysa, die Enkelin von Hermann von Gudenau, heiratete, indem ihnen die Wasserburg als Mitgift dazu geschenkt wurde. Das festigte die Südgrenze der Kölner Erzbischöfe gegen die Grafen von Neuenahr.

Alter Zoll, den Rhein entlang, Plittersdorf, Bad Godesberg, am Fuße der Godesburg, bin ich mit meinem Rennrad der Landstraße in Richtung Meckenheim gefolgt. Der Fahrradweg, elegant und großzügig, biegt sich in Schleifen in das höher werdende Gelände hinein.

Der Anstieg ist im ersten Abschnitt der Tour gut zu schaffen, so dass es eine der ersten Touren zum „Warmfahren“ im neuen Jahr ist. In Pech tauche ich in den Ortskern mit einigen schmucken Fachwerkhäusern ab, während sich der Autoverkehr auf der Umgehungsstraße austobt. Am Ortsende zieht der Anstieg an, der Fahrradweg windet sich zurück auf die Landstraße, dann flaut der Anstieg ab. Ich halte mich weiter geradeaus in Richtung Meckenheim – alternativ und ruhiger könnte ich durch Villip radeln – bis ich an der zweiten Ampel nach Fritzdorf abbiege.

Ich lasse mich den Berg hinunter rollen, wo mich die Ausdehnung der Wasserburg Gudenau beeindruckt, an der Ampel geht es weiter geradeaus. Den Rhein entlang und in der Eifel waren es Höhenburgen, die Grafen und Fürsten zur Verteidigung dienten, in flacherem Gelände erfüllten diesen Zweck Wasserburgen. Da Wasserburgen mehr Platz für Wirtschafts- und Wohngebäude boten, dienten sie in späteren Jahrhunderten mehr repräsentativen Zwecken. Dies geschah in Gudenau nach dem 30-jährigen Krieg, als ein Barockgarten angelegt wurde und die Säle im Inneren neu gestaltet wurden.

Ein Knick nach rechts, um das pompöse Anwesen der Wasserburg herum, der erneute Anstieg auf den Höhenkamm des Kottenforstes geht in den Beine. Die Februarsonne zerstreut sich in kahlem Geäst, ein Streifen von Buchenwald spannt sich zwischen die Felder. Ungefähr hier, an der Grenze zu Rheinland-Pfalz, auf der Höhe, endete der Herrschaftsbereich der Kölner Erzbischöfe im 14. Jahrhundert.

Haus vom Lehrer Welsch
Abwärts, nimmt die Landschaft an Fahrt auf. Die Sonne hängt schräg herab. Der Weitblick bis zu den Hängen der Eifel fasziniert. Vorgelagert, dehnt sich zwischen Tupfern von Baumreihen das Band der Autobahn A61. Auf dem Rennrad ist das Erlebnis stets tiefer, intensiver. Dies fällt mir heute besonders auf, weil ich diese buckelige Landschaft in der Grafschaft ohne nennenswerte Akzente von der Autobahn aus oft genug erlebt habe.

Arzdorf, der nächste Ort, lädt zum Philosophieren ein. Schräg gegenüber dem Reiterhof „Welsch“, in dem Fachwerkhaus mit den rot gestrichenen Balken, wurde der Lehrer Welsch 1848 geboren. Alljährlich, wenn die jecke Jahreszeit beginnt, singt man im Trubel des Karnevals sein Lied: „Dremol Null is Null is Null“ oder mathematisch ausgedrückt: 0+0+0=0. Im Rheinland wird jeder dieses Lied kennen. Diese Schlussfolgerung ist sogar weiser als Aristoteles, der sich vor mehr als 2000 Jahren den Kopf an der Gleichheit der Dinge zerbrochen hatte. Sind die Dinge gleich ? Nein, denn ein Stein, ein Haus, eine Katze oder ein Baum sind niemals gleich. Also kann man eins und eins nicht zusammenzählen. Wenn man dennoch rechnet 1+1=2, dann muss man ein Bündel von Definitionen und Prinzipien formulieren, was alles zu beachten ist, damit die Dinge gleich sind. Lehrer Welsch war tausendmal schlauer als Aristoteles. Wenn man nichts hat, kann man es zusammenzählen und es kommt auch wieder nichts dabei heraus.  0+0+0=0 gilt also immer. Ab 1877 war Heinrich Welsch Lehrer im Stadtteil Kalk in Köln, ein Arbeiterviertel, das von Fabriken, Armut, miserablen Arbeitsbedingungen und katastrophalen Wohnungssituation geprägt war. 1905 führte er den Schultyp der Hilfsschule ein, um in sozialen Brennpunkten Kindern der unteren Bevölkerungsschicht fördern zu können. 0+0+0=0 galt als Synonym für die Sprache und die Ansprache, um das Bildungsniveau seiner Schüler zu treffen. Null war der Ausgangspunkt, und etliche Schüler haben es auch höher hinaus geschafft.

Hochspannungsmasten
Arzdorf und Fritzdorf vermitteln den Eindruck, dass sie fast nur aus Bauernhöfen bestehen. Hofläden schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Regsamkeit hält sich aber in Grenzen, denn Mitte Februar herrscht noch der Winterschlaf auf den Feldern. Der Maschinenpark - Traktor, Mähdrescher, Egge, Kartoffellegemaschine und vieles mehr – lauert in Wartestellung.

In Fritzdorf und Eckendorf folge ich den Hinweisschildern nach Gelsdorf. Und auf der Anhöhe erhärtet sich die vorbei flitzende Struktur, wie ich sie ansonsten von der Autobahn aus erlebe: Hochspannungsmasten. Von Braunkohlekraftwerken kommend, rasen Stromautobahnen in die Ferne, ins Ahrtal, zum Siebengebirge und über die Eifelhöhen hinweg. Der Konstrast zwischen den harten Strukturen der Technik und der einfühlsamen Landschaft ist hier real, wenn die Hochspannungsmasten sich nach oben stemmen, das Himmelsblau versperren und die spannungsgeladenen Leitungen über den Feldern hinweg schweben. Die Elektrizität als Motor der Industrialisierung ist hier ein geheimer Zuschauer, der sich in die Harmonie von Pappelreihen, Obstgehölze oder Wirtschaftswege strikt einmischt.

Hofladen
Vor der Leitplanke, das ist die frühere B257, muss ich nach links abbiegen. Gelsdorf, die Verkehrsdrehscheibe am Autobahnkreuz Meckenheim, überrascht mit seinem ruhigen Ortsbild. In unserer Zeit, in der die Lebensmittelskandale nicht abreißen, hatten die Gelsdorfer vor 15 Jahren die Idee, zu den Ursprüngen der Anbaumethoden auf ihren Feldern zurückzufinden. Wie in der übrigen Grafschaft, gab es Hofläden satt. Obstplantagen überwiegen, so dass im Spätsommer und Frühherbst das Früchteangebot bunt und vielfältig ist. Die Bauernhöfe hatten sich zusammengetan und ein neues Event – den „Tag der öffenen Höfe“ – Mitte Oktober etabliert. An diesem Tag können die Besucher in Kuhställe hinein schauen, ein Apfel-Express fährt durch Plantagen, man kann bestaunen, wie Apfelsaft gepreßt wird, das Chicorée-Haus ist zur Besichtigung frei gegeben. Handwerker, Schreiner, Ofenbauer, Holzschredder, Kettensägenschnitzer und Glasschleifer runden dieses Ereignis ab. Das Ereignis zieht mittlerweile ein Vielfaches der Einwohnerzahl von Gelsdorf an, nämlich an die 10.000 Besucher.

Tomburg
Am Ortsausgang von Gelsdorf biege ich auf die B266 nach rechts ab, ich unterquere die Autobahnauffahrt und nun geht es immer geradeaus bis Rheinbach. Trotz der Bundesstraße und ohne Radweg spüre ich nichts vom Verkehr, denn die Straße ist breit genug. Rückenwind unterstützt mich, das Gelände ist flach wie ein Brett, und auf meinem Rennrad kann ich Gas geben. Sanft gleite ich durch diese wohl proportionierte Landschaftsform. Konsequent wird jeder Quadratmeter Land bewirtschaftet. Rechterhand hält sich lange Zeit der Apfelanbau, unterbrochen von einer Obstbrennerei. Koniferen, Lorbeersträucher, Buxbäume, Zypressen und andere Ziersträucher ziehen sich die Hänge hinauf, Baumschulen mischen sich in den Obstanbau. Die Eifel ist zum Greifen nahe, denn das Gelände klettert den 313 Meter hohen Tomberg hinauf. Das ist durch aus eine Größenordnung, doch, gottseidank, will ich nicht mit dem Rennrad hinauf. Der Stumpf der Tomburg, von dessen Bergfried erkleckliches übrig geblieben ist, läßt eine lange Vorgeschichte erahnen.

Sie führt in die Römerzeit, in der es ein so geartete Burg noch nicht gab, aber unterhalb der Burgruine wurden Münzen mit dem Bildnis der römischen Kaiser Valens und Valentinian II. gefunden. Da im Mauerwerk der Ruine Ziegel aus der Römerzeit vermauert worden sind, gehen die Historiker davon aus, dass sich auf dem Bergkegel einst ein römischer Wachturm befunden hat. Im 9. Jahrhundert bauten die Karolinger die Tomburg zu einer Festung aus, bis sie 1473 von den Herzögen aus Jülich erobert, zerstört und nie wieder aufgebaut wurde.

Kriegerdenkmal
Bis Wormersdorf verschwindet die Tomburg aus dem Blickfeld, während die Bewirtschaftungsform der Landschaft sich in ruhigen Maßen entwickelt. Sonnenstrahlen glitzern über Frühbeetfolie. Leere Obstkisten stapeln sich vor einem Geräteschuppen. Eine Handvoll Arbeiter hat sich in die Obstgehölze verirrt, um den Wuchs der Stämme gerade zu schneiden. Felder, unbeackert, die Erde ist noch rauh und klamm, zwängen sich vor eine Baumreihe, die in Schlangenlinien in einem schmalen Rinnsal verläuft. Wormersdorf setzt Akzente. Halbfertig, mit Tücken und Kanten holpert mein Rennrad über eine Baustelle. An einem Fachwerkbau mit einem Hofladen knickt die Straße nach links ab, wo unvermittelt die weiße Silhouette eines Kirchturms heraus ragt. Über dem platt gedrückten Dach verliert sich im Kleinformat ein Glockenturm auf einem Balkengerüst. Dahinter zückt ein Reiter auf dem Kirchplatz entschlossen sein Schwert. Auf seinem Denkmal trotzt seine mutige Gestalt den beiden Weltkriegen. Ich weiß nicht, wie ich seine Kampfeshaltung bewerten soll, denn all die Gefallenen hat er nie verhindern können.

Am Kreisverkehr hinter dem Autobahnzubringer fahre ich linkerhand heraus, ich wurstele mich durch Industriegebiete, noch ein Kreisverkehr, ich folge der Beschilderung ins Zentrum. Rheinbach wuchert in die Peripherie hinein, bis ich das Zentrum erreiche.

Die Geschichten von Rheinbach und von der Wasserburg Gudenau ähneln sich. im Mittelalter lagen beide an den Außengrenzen der Kölner Erzbischöfe, und in beiden Fällen wurden Ritter zu deren Verbündete. Mit dem Unterschied: Rheinbach war exponiert, denn zwei bedeutende Handelsstraßen kreuzten sich, die eine war eine Römerstraße von der Köln-Bonner Bucht in die Eifel, die andere die Aachen-Frankfurter Heerstraße „AFH“.

762 als Gutshof in einer Urkunde des Klosters Prüm erwähnt, hat der Ursprung des Wortes „Rheinbach“ nichts mit dem Rhein oder dem Rheinland zu tun. Die „villa reginbach“ war 762 eine Schenkung, wobei die Vorsilbe „regin“ für „Regen“ oder „Feuchtgebiet“ steht, denn aus den Bergen der Eifel vereinigten sich sechs Bäche in Rheinbach, so dass die Ebene stets feucht war.


Hexenturm Rheinbach
Die Gutshöfe wuchsen in ihrer Anzahl, daraus wurde dann ein Fronhofsverband, der Rechte und Pflichten genauer formulierte. 1178 setzte das Kloster Prüm einen „Emelricus de Reynbag“ als Kastellan ein. Ein Kastellan gehört zu einer Burg, was gleichbedeutend mit „Ritter“ ist. Das war der Grundstein für eine glänzende Karriere des Rittergeschlechts in den nächsten Jahrhunderten. Aus „de Reynbag“ wird später „dominus de Reinbach“, so dass die Ritter zu einem Adelsgeschlecht aufstiegen. 1189 begannen die Ritter mit dem Bau einer Burg. Spätestens 1289 war Rheinbach eine größere Ansiedlung mit einer Burg, denn dann wird die Stadt „oppidum“ genannt. Der Hexenturm, der Wasemer Turm und die Stadtmauer zwischen diesen Toren stammen in Teilen noch aus dem 13. Jahrhundert.

1342, als einer großen Ritter von  Rheinbach, Tilmann, starb, taten diese sich mit den Kölner Erzbischöfen zusammen. Diese erbten die Burg Rheinbach, und fortan sorgten die Ritter für klare Verhältnisse im Auftrag der Erzbischöfe oder auch der Kölner Kurfürsten, denn 1288 mussten die Kölner Erzbischöfe ihre Stadt nach der Schlacht von Worringen verlassen. Beide Seiten profitieren von diesem Deal. Die Ritter von Rheinbach erhielten Sonderrechte wie eine eigene Gerichtsbarkeit, das Recht, zweimal jährlich einen Jahrmarkt durchzuführen, und eine eigenständige Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben. Dabei sprudelten die Einnahmen, denn für die Benutzung der beiden stark frequentierten Handelsstraßen war in Rheinbach Wegezoll zu zahlen. Als Gegenleistung mussten die Ritter von Rheinbach ihre Festung verteidigen, was ihnen bis zum 30-jährigen Krieg bestens gelang.
In der Fußgängerzone schiebe ich mein Rennrad gegen die Fahrtrichtung der Einbahnstraße. 

Römerkanal in Rheinbach
Gelegenheiten zum Einkehren, auch gemütliche, wie das Rheinbacher Brauhaus, gibt es hier reichlich. Anstatt dessen mache ich einen kurzen Abstecher zum Römerkanal, dessen ausgegrabenes Teilstück ich auf der Martinstraße bestaune. Aus den Eifelhöhen bei Nettersheim kommend, versorgte die römische Wasserleitung die Römerstadt Köln täglich mit 20.000 Kubikmeter besten Trinkwasser. In Rheinbach hatten die Römer die Wasserleitung unterirdisch verbuddelt, und insgesamt vier Einzelstücke, die am Straßenrand zu besichtigen sind, hat man im Stadtgebiet ausgegraben.

Ich bewege mich zu der Verkehrskreuzung am Ende der Fußgängerzone zurück, folge der Beschilderung Richtung Euskirchen, fahre am Brauhaus Rheinbach vorbei, geradeaus über den nächsten Kreisverkehr, dann muss ich aufpassen, denn direkt hinter den Bahnschranken muss ich rechts abbiegen, der Beschilderung entlang Richtung Peppenhoven, rechterhand liegen die Eisenbahngleise und der Bahnhof Rheinbach, dann biege ich mit dem Straßenverlauf links ab, dann immer geradeaus Richtung Peppenhoven.

Unterstützt durch den Rückenwind, das Ausgangsschild von Rheinbach habe ich hinter mir gelassen, atme ich trotz der zurückgelegten Kilometer durch. Entspannt und gemütlich gleitet mein Gefährt dahin. Auf der Autobahnbrücke über der A61 fasse ich den Weitblick, der sich über der Euskirchener Börde aufspannt und an Einzelhöfen hängen bleibt. Schemenhaft verschwimmen in der Ferne die Kühltürme des Kraftwerks Hürth-Knapsack.

Peppenhoven, zwischen unsortiert angeordneten Häuser macht die Straße einen Bogen, in Morenhoven biege ich am Vorfahrtsschild rechts ab und dann direkt wieder links. Bonn läßt grüßen, denn bis dort sind es nur noch 14 Kilometer.

Bis ich über die B56 den Stadtrand von Bonn erreiche, begegnet mir in Buschhoven ein zweites Mal der Römerkanal. Diesmal ist eine Gaststätte, die sich „Zum Römerkanal“ nennt. In der Tat: die römische Wasserleitung machte hinter Rheinbach einen weiten Bogen auf Meckenheim zu und überquerte bei Lüftelberg den Bach der Swist. Dort hielt ein Äquadukt von 1,4 Kilometern Länge das Gefälle auf einem konstanten Niveau von 0,5%. Entlang der Hänge des Kottenforstes verlief die Wasserleitung geradewegs nach Buschhoven, wo sie ungefähr durch die heutige Ortsmitte durchquert, von hier aus weiter in den Kottenforst hinein, von dort aus weiter in die Römerstadt Köln. Gerade an dieser Stelle in Buschhoven, wo ich den Anstieg mit dem Rennrad deutlich spüre, muss es eine wahre Ingenieursbaukunst gewesen sein, dass Wasser den Berg hoch nach unten fließen zu lassen.

Auf dem Radweg lasse ich mich das letzte Stück treiben. Das Treten kann ich geruhsam sein lassen, denn die B56 plätschert den Berg hinunter. Erst noch ein Stück Alfter, dann Duisdorf und Endenich, bis ich am Alten Zoll zurück bin.


Strecke (Länge 54 km):


Höhenprofil (416 Höhenmeter):
Link nach www.gpsies.com:

Rennradtouren 2014

Die Anzahl der sportlich Ambitionierten ist schätzungsweise nicht allzu hoch. Trotzdem habe ich versucht, meine Rennradtouren 2014 dahingehend zu gestalten, dass andere Radsportinteressierte sie nachfahren können. Dazu habe ich die dazugehörigen Strecken in www.gpsies.com mit Verläufen und Höhenprofilen dargestellt. Normalerweise sollte mit dem Link ein Export funktionieren, so dass Radsportinteressierte auch per Fahrrad-Navigationsgerät automatisch durch die Strecken geführt werden. Da ich meine Rennradtouren meist von meinem Büro am Standort Bonn unternehme, habe ich Start und Ziel auf den Alten Zoll gelegt (dies ist vielleicht ein gängiger Treffunkt).

Meine Texte habe ich ausgedehnt, um vieles, was ich recherchiert habe, einfließen zu lassen. So erfahren die Radsportinteressierten nebenbei manches über Geschichte, die Landschaft und das Rheinland. Von der Struktur her habe ich mich ein wenig an die Tippeltouren von Peter Squentz orientiert; seine Bücher sind sicherlich Extraklasse, was Wanderungen betrifft. Für Rennradtouren habe ich etwas Vergleichbares in hiesigen Buchhandlungen nicht gefunden. Also hoffe ich, dass es den einen oder anderen Lese-Interessierten geben wird, der entweder dem Radsport zugeneigt ist oder vielleicht auch nicht so sportlich ambitioniert ist oder vielleicht auch nicht im Rheinland verortet ist.

Viel Spaß beim Lesen ! In Kürze wird meine erste Rennradtour 2014 folgen.

Samstag, 15. Februar 2014

Efeu

In unserem Garten ärgere ich mich darüber. Efeu kann schrecklich sein, wenn man es nicht konsequent ausreißt. Sonst wuchert es, breitet sich nach allen Seiten aus, umschlingt alles, als würde es in einen Dornröschenschlaf versetzt. Efeu kann aber auch anders. Der eine oder andere Gärtner läßt Efeu gewähren. Immergrün, ist Efeu im Winter an manchen Stellen schön, wenn es die kahle Natur aufweckt.



Das Efeu betont die Fugen,  Steine, Gemäuer und Geländer


Zwischen Baumstämmen wuchert es massiv.


Bis zum Torgitter wuchert das Efeu (noch) nicht.


Efeu rankt sich vor einer Villa hoch.


Die Balustrade wirkt mit dem Efeu versponnen.


Noch eine Stelle, wo das Efeu Überhand genommen hat.


Efeu hangelt sich das Treppengeländer herunter.

Donnerstag, 13. Februar 2014

Reorganisation

Ausmisten. Eigentlich war es erledigt. Doch in einer hinteren Ecke hatte ich eine Handvoll übersehen. Ich kramte die Manager-Magazin-Hefte aus dem Büroschrank heraus, ich blätterte sie eine  letztes Mal durch. Wirtschaftsthemen sind im Fluß, Vergangenes gerät allzu schnell in Vergessenheit, doch bei einem Thema stockte ich: Reorganisation. Dieses Thema war zeitlos.

So vermag ich die Häufigkeit der Reorganisationen in meiner eigenen Firma nicht nachzuzählen, weil sie dermaßen oft vorgekommen sind. Wenn einmal ausnahmsweise zwei bis drei Jahre nichts geschah, dann wurde in einem Jahr gleich zweimal reorganisiert. Bisweilen hatte ich den Eindruck, dass sich meine eigene Firma nicht mehr um das Geschäft kümmern konnte, weil Reorganisationen sie lahm legten. Die Firma musste mit Betriebsräten verhandeln, sie musste Listen erstellen, welche Mitarbeiter von welchem alten Bereich in welchen neuen Bereich landete, und in den Rechnern und all den IT-Systemen mussten geänderte Organisationsstrukturen nachgezogen werden. Mit viel Pech hingen sogar die Kunden in der Luft, wenn nicht geklärt war, welche reorganisierten Mitarbeiter für welche reorganisierten Kunden zuständig waren oder wenn Kunden auf der Wegstrecke der Reorganisation in der IT verloren gegangen waren.

Der Bericht aus dem Manager-Magazin-Heft war angestaubt. Die Überschrift „Stahlgewitter“ aus dem Jahr 1996 kam schnell zur Sache. Die Anspielung auf Ernst Jünger, der in seinem Roman „Stahlgewitter“ seine Kriegserlebnisse 1914-1918 verarbeitete, wurde auf die Stahlbranche übertragen. Es war kein Krieg, sondern Wettbewerb und Globalisierung, die der Stahlbranche zusetzte. Größe und Weitsicht und Manager mussten her, um den Untergang aufzuhalten. Eine Endzeitstimmung malte düstere Szenarien, das Managements könnte so untergehen wie das Deutsche Kaiserreich auf den Schlachtfeldern in Flandern, an der Somme oder in Verdun.

Es liegt in der Natur des Manager-Magazins, die Strategie aus der Flughöhe eines Managers zu erkunden. Den Untergang abwenden, die Firma wieder hoch päppeln, bestimmen, was in der Zukunft geschieht. Aus der Bodenperspektive sähe das anders aus. Wenn Bild & Express darüber berichten würden, würde Klartext geredet, also: was hätten die Beschäftigten zu erwarten.

Manager als Heilsbringer. 18 Jahre später, mißfällt mir dieser Stil, dass Manager als Helden dargestellt werden, so als ob sie Uniformen tragen würden. Reihenweise hingen dann Orden wie nach großen Schlachten an ihren Revers. Die Orden nennen sich dann nicht mehr „Kaiserabzeichen“, „Verwundetenabzeichen“ oder „Eisernes Kreuz“. Manager sind Macher. Sie reorganisieren, restrukturieren, arbeiten wie besessen, schuften Tag und Nacht, brauchen ein verdammt dickes Fell, ihre Strategie gleicht großen Feldherren. Ihr Orden ist der Dank der Aktionäre, dass sie den Shareholder Value durch peitschen, gnadenlos, damit diese mit ihren Renditen bestens dastehen.

1996 hatte die FAZ Dieter Vogel von Thyssen als „Inbegriff des Konzernlenkers der 90er Jahre“ bezeichnet, das Manager-Magazin als den „abgebrühtesten Firmenlenker“ überhaupt. Er hatte sich einiges vorgenommen. Was nicht die Mindestrendite erwirtschaftet, sollte umstrukturiert, verkauft oder dicht gemacht werden. Das zusammengewürftelte Unternehmensportpolio sollte bereinigt werden. Der Konzern sollte strategisch und operativ neu ausgerichtet werden. Von Randaktivitäten und „Underperforming Assets“ wollte er sich trennen.

Fortab schwebte das Damoklesschwert einer Reorganisation über dem Stahlkonzern. Es ist eine Kunst, Worte richtig zu verpacken. Reorganisationen können wie ein Schlachtfeld sein. Feldherren wandeln auf einer Linie zwischen Leben und Tod, Manager entscheiden über eine Vielzahl von Einzelschicksalen.

Unternehmensteile können für einen Spottpreis an Wettbewerber verkauft werden, Werke können schließen, Mitarbeiter müssen unter Umständen von einem Ende der Republik ans andere Ende der Republik umziehen, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten. Manager reden das gerne schön. 

Reorganisationen heißen dann fiktiv: „Zukunft 2018“ oder „FIT 2015“ …  in harmlose und nichtssagende Worthülsen werden sie eingepackt, die es im Detail in sich haben. Aus der Bodenperspektive sieht dies naturgemäß anders aus. Reorganisationen können zur Spielwiese für Lügen werden, wenn nur verkauft und ausgegliedert und in Beschäftigungsgesellschaften überführt wird.

Glücklicherweise ist mir in meiner eigenen Firma ein solches Schicksal erspart geblieben. Manager brauchen einen dicken mentalen Panzer, damit sie noch in Ruhe schlafen können. 1996 ging es um den Stahlkonzern Thyssen, der damals noch eigenständig war. Kurz darauf wurde die Wehrtechnik nach Augsburg verkauft, die Langstahlproduktion nach Osnabrück, die Kalksandsteinwerke nach Belgien. Sehr spät, 2010, wurden die Schiffswerften nach Saudi-Arabien verkauft. Die Liste im Manager-Magazin war mit 31 Sparten aber lang, was als „Desinvestition“ – genauer: Werksschließung oder Verkauf gekennzeichnet war: Maschinenbau, Meßtechnik, Schienenverkehrstechnik, Gebäudetechnik und so weiter.

1999 hatten sich die Ereignisse überschlagen, denn dann fusionierte Thyssen mit Krupp. Thyssen war auf dem Weltmarkt alleine nicht mehr überlebensfähig. Nun drehte sich eine neue Spirale der Reorganisation.

Die Situation ist paradox, denn heute steht ThyssenKrupp ungefähr an demselben Punkt wie Thyssen 1996. ThyssenKrupp hat Potemkinsche Dörfer der Stahlproduktion, die ihren Stahl nicht loswerden, in Brasilien gebaut. Weil Milliardenverluste erwirtschaftet werden, dürfen – wie bei Thyssen 1996 – alle Geschäftsfelder durchleuchtet werden, ob sie die Mindestrendite erbringen. Nun geht das Spielchen von vorne los festzulegen, was Kerngeschäft ist, was umstrukturiert, verkauft oder dicht gemacht werden soll.

Berechtigterweise werden die Beschäftigten die Sinnfrage stellen. In meiner eigenen Firma war es so, dass man – übertrieben - mehr mit Reorganisationen beschäftigt war als mit den eigenen Mitarbeitern oder mit den Kunden. Die größten Stahlproduzenten der Welt sitzen in Japan, Indien und China. Unser Wirtschaftssystem krankt. Genauso wie Textilfabriken in Bangla-Desh abbrennen und Beschäftigte unter sich begraben, möchte ich nicht wissen, wie viele Gifte und Schadstoffe Werke in Indien oder China in die Gegend pusten.

Die nächste Reorganisation wird kommen. Das nächste Stahlgewitter formiert sich am Horizont.

Dienstag, 11. Februar 2014

Formlos (5) - Heimat


Ich war in dieser Gegend längst angekommen. Einhundert Kilometer entfernt aufgewachsen, stellte sich die Frage nicht, wo meine Heimat lag. Heimat, das war ein heterogenes Gebilde, das seine Kristallisationspunkte hatte, die mit einander verknüpft waren. Ein Netz, beweglich, anpassungsfähig, interkulturell, mit Wohlfühl-Faktor. Die Redensart „der Bauer klebt an seiner Scholle“ klang aus meiner Kindheit nach, denn, auf dem Land aufgewachsen, hatte ich zwar viel Natur und Naturverbundenheit kennen gelernt, aber auch eine gewisse Abgeschiedenheit vom Rest der Welt.

Was wäre eine Vernetzung ohne Mobilität ? In meinem Fall: mein Rennrad war der Idealzustand einer Mobilität, denn das Tempo war schnell, wie auf Samthandschuhen getragen, glitt ich durch die Natur, ich sprang von Ort zu Ort, Natur und Naturverbundenheit verschmolzen mit mir zu einer Einheit.

Der Moment, der das Erlebnis zu einem Höhepunkt führte, dauerte zehn Minuten. Es war die erste Rennradtour im neuen Jahr, die ich mit 45 Kilometern bewußt kurz ausgewählt hatte, um in den richtigen Tritt zu kommen. Den Rhein hatte ich überquert, und in Bonn-Oberkassel läutete ich die zehn Minuten totales Landschaftserlebnis ein.

Ende Januar, die Jahreszeit war ungewöhnlich für eine erste Rennradtour. Bitterkalt, weiß, schneebedeckt, Eis, rutschig, glatt, solche Winterstimmungen hatte ich vor einem Jahr gepostet. Nun war der Wind eine zahme Angelegenheit, er säuselte um meine Ohren. Mit gefütterter Fahrradjacke, Schal und Fingerhandschuhen trieb mich mein sportliches Outfit voran. Der blaue Himmel lächelte mich an. Schäfchenwolken ließen mich fast an den Frühling denken, wenn die Bäume und die Natur nicht so ratzekahl gewesen wären. Von Schnee oder Kälte war während des ganzen Winters keine Spur.

Zehn Minuten lang hieß es „bergauf“. Oder: treten, treten und nochmals treten. Ich übte, um mit Routine solche Anstiege zu bewältigen. Der Winter war eine Unterbrechung, weil ich drei Monate lang nicht mehr auf meinem Rennrad gesessen hatte. Mit dem Sport bin ich mit gewissen Unterbrechungen seit meiner Jugend groß geworden. Fußball-Spieler in der Kreisliga C, dann 15 Jahre lang Fußball-Schiedsrichter, danach Joggen, seit zehn Jahren Rennradfahren.

Ich schaute weg. Das gerade Band der Straße forderte meine geballte Kraft heraus. Nach vorne schauen, entmutigte mich, denn zu langsam, im gefühltem Schritttempo, kroch ich mitten ins Siebengebirge hinein. Ersatzweise verlor sich mein Blick auf dem Erdboden, wo die Schicht des Herbstlaubes noch dünner, noch schwächer, noch lebloser die Blässe des Januartages bedeckte. Ein Bachlauf fraß sich in das Erdreich hinein, kahles Buschwerk verhakte sich in der Leere. Das Licht des Januartages stand so schräg, dass die Sonnenscheibe hinter den Berghängen des Siebengebirges verschwand.

Das Kurvenschild flackerte am Straßenrand auf, meine Ausdauer arbeitete, meine Muskeln hielten durch. Eine scharfe Linkskurve, dann dieselbe Wendung nach rechts, es ging weiter bergauf. Noch einhundert Meter treten, die Gewißheit mobilisierte meine Kräfte, denn ich kannte die Strecke. Nach zehn Minuten hatte ich den höchsten Punkt erreicht. Geist und Körper befanden sich in einem Gleichgewichtszustand. Mein Blut pulsierte, in langen Zügen sog ich den Atem ein und aus.

Fortan rollte ich bergab. Meine Anspannung war wie verflogen. Ohne treten zu müssen, war der Übergang in den Ruhezustand grandios. Heimat braucht Konturen, Fixpunkte, positive Eindrücke, die sich wiederholen und haften bleiben. Ich könnte meinen, dass Heimat eine Suche nach den Gegensätzen ist. Aufgewachsen auf dem flachen Land, suche ich solche mittelgebirgshaften Landschaften. Flachland ist unspektakulär und entfaltet in Flußniederungen all seine Schönheit.

Und das Siebengebirge ? Der Ölberg, dieses dauerhafte Motiv, schraubte sich rechterhand in die Höhe. Von allen Seiten überragte er das Siebengebirge. Mit Weitblick, von der Kölner Bucht aus, vom Westerwald aus, von der Euskirchener Börde aus – oder auch von uns zu Hause aus – war er zu sehen. Er war mein eigenes Stück Heimat. Einhundert Kilometer entfernt aufgewachsen, vereinigte er die Schönheit der Mittelgebirgslandschaft mit meiner sportlichen Ausdauer.

Meine Geburtsstadt sehe ich nicht mehr allzu oft. Heimat ist kein fester Ort, sondern eine Vielzahl von Orten, wo sich Familie, Freunde, Gefühle, Erinnerungen und Geschehenes mit einander verbindet.