Dienstag, 30. April 2013

jenseits des Niedriglohnsektors

Es geht auch anders. Picot, Reichmann und Wigand beschreiben in ihrem Buch „Die grenzenlose Unternehmung“ (2005) eine virtualisierte Arbeitswelt über mehrere Prdouktionsstufen hinweg, in der die Arbeit eine neue Wertorientierung erhält. Arbeit geschieht im Spannungsfeld zwischen Produktionsstufen, der IT- und Kommunikationstechologie und dem Kunden. Der Arbeiter zeichnet sich durch Spezialwissen aus, er hat den Überblick über den Gesamtprozess und er versteht es, seine Kunden optimal zufrieden zu stellen.

Solch eine Tätigkeit, die Kundenzufriedenheit zu verbessern, weil er hinschaut, weil er seine Kunden kennt, weil er die Schwachstellen bei der Produktion oder Dienstleistungserstellung kennt, diese Tätigkeit liegt außerhalb des Niedriglohnsektors.

Friseure, Verkäuferinnen, Kassiererinnen, Reinigungskräfte, Altenpfleger, Taxifahrer, Lagerarbeiter, Postzusteller – diese Tätigkeiten fallen außerhalb dieses Rasters einer grenzenlosen Unternehmung, weil die Kunde-Kunde-Beziehung stark eingegrenzt ist. 

Die grenzenlose Unternehmung ist weiter gefaßt: die Tätigkeiten sind nicht zwingend standortbezogen, weil sie am Kunden ausgerichtet sind; die Grenzen des Unternehmens werden „gesprengt“, weil Tätigkeiten in einem virtuellen Raum zusammengelegt werden; Wissen wird miteinander vernetzt, um damit einen Mehrwert für den Kunden zuschaffen. Das ist eine durchaus reale Arbeitswelt, die sich beispielsweise auch in Bezahlungssysteme überführen lässt. Wenn die Kundenzufriedenheit hoch ist, dann ist die Bezahlung besser – und umgekehrt.

Viele Unternehmen schaffen es allerdings, sich diesem Prinzip der Wertschätzung gegenüber seinen eigenen Mitarbeitern zu entziehen. Das Beispiel der Alten- und Pflegebranche, das ich zuletzt thematisiert habe, zeigt, dass dort der Mitarbeiter zu einem reinen Faktor der Kosteneinsparung degradiert wird.

Dass die menschliche Ressource nicht allzu viel Wert ist, dazu gibt es in unserem Freundeskreis weitere Beispiele.
-          das Prinzip des Downsizing, dass Personal abgezogen wird, obschon die Arbeitsmenge gleich bleibt, ist durchaus beliebt; dies führt zu Überstunden, welche dem Unternehmen im Endeffekt nichts bringen –es sei denn, die Firma weigert sich, diese zu bezahlen
-          Outsourcing ist genauso ein beliebtes Mittel, niedrigere Löhne zu bezahlen; so sollte beispielweise eine Freundin in der Kantine im Krankenhaus in Wesseling outgesourced werden mit Lohneinbußen von ca. 20%; daraufhin suchte sie sich in einem anderen Krankenhaus eine gleich bezahlte Arbeitsstelle in der Kantine
-          Manche Mitarbeiter finden sich auf einem Arbeitsplatz, der als EDK = Ende der Karriere bezeichnet wird; Perspektiven gibt es dort nicht; man hat lediglich die Aussicht, auf einem schlecht bezahlten Arbeitsplatz ohne Zukunftsaussichten bis zum Ende seiner Karriere auszuharren

Schon der französische Philosoph Pascal hatte gesagt, dass unsere Natur in der Bewegung ist und dass völlige Ruhe der Tod ist. Ein anderer französischer Philosoph Diderot hatte gesagt, dass Routine gefährlich ist, weil sie in Monotonie umschlagen kann und zur Sinnvergessenheit führen kann. Routinehandeln tendiert dazu, in Selbstlauf überzugehen und den gestaltenden, fragenden, sinnbestimmten Menschen zu einer Restgröße zu degradieren.

Genau den Ausweg daraus sucht „Die grenzenlose Unternehmung“. Dieser Ausweg führt genau über die menschliche Ressource Wissen. Humankapital – so bezeichnet die Personalwirtschaft diese menschliche Ressource. Der Mensch an für sich stellt mit seinem Wissen bereits Kapital dar. Der Mitarbeiter kennt seine Kunden. Er kennt die internen Abläufe. Er trägt dazu bei, diese Abläufe zu verbessern. Er versucht, bestmöglich seine Kunden zufrieden zu stellen - und reißt sich sozusagen "ein Bein" für seine Kunden aus.

Menschen bilden bedeutet nicht, ein Gefäß zu füllen, sondern ein Feuer zu entfachen, so hatte Aristophanes um 450 v. Chr. Gesagt. Solch ein  Feuer lässt sich sicher nicht entfachen, wenn die Menschen ungefähr am Existenzminimum herum krebsen und nicht wissen, wie sie die Tage bis zum nächsten Gehalt überleben sollen. Geschweige denn, dass sie wissen, wie sie in städtischen Ballungsräumen Wohnraum bezahlen können oder sich einen Urlaub leisten können. Beim Dumping-Löhnen zerfleischen sich die Mitarbeiter sicherlich nicht für ihre Firma.

Ich kenne durchaus Bereiche – so in meiner eigenen Firma – in denen Prinzipien der Wertschätzung gegenüber den eigenen Mitarbeitern gelebt werden. Ein Stück grenzenloser Unternehmung finde ich dort wieder. So wie der deutsche Philosoph Fichte es beschrieben hat „angstlos, mit Lust und mit Freudigkeit arbeiten, und Zeit übrig behalten, seinen Geist und sein Auge zum Himmel erheben zu dessen Anblick er gebildet ist.“

Der Niedriglohnsektor wächst und wächst, gepushed von Leih- und Zeitarbeitsfirmen, die Massen an Intelligenz reinstecken, um Schlupflöcher für noch niedrigere Löhne zu finden.

Jenseits und diesseits des Niedriglohnsektors, das ist ein ständiges Ausbalancieren zwischen Staat und Marktwirtschaft.

Sonntag, 28. April 2013

E-Tankstellen

Zuletzt entsetzte mich die Schlagzeile in den Nachrichten, dass in rund sieben Jahren Öl und Gas zur Neige gehen werden. Danach würden Öl- und Gaspreise dramatisch steigen. Dabei wurde das Szenario angenommen, dass das Fracking wegen der Gefahren für das Grundwasser nicht umsetzbar ist - was mir nicht unrealistisch erscheint. Elektroautos sind bei steigenden Ölpreisen durchaus eine Alternative. Mit der Stromproduktion in unserem Land werden wir unabhängig von der Ölförderung in anderen Ländern. Da könnte sogar der gute alte Steinkohlebergbau wieder belebt werden. Noch sind Elektroautos zu teuer und die Batterietechnik ist noch nicht ausgereift. Sofern die Ölpreis kräftig steigt und Elektroautos in die Massenproduktion gehen, könnte sich dies ändern.





Ich war erstaunt, dass die RWE Autostrom ein flächendeckendes Netz für E-Tankstellen anbietet.






Da die Stadtwerke eigenen Strom produzieren, laufen Untersuchungen, wegen der niedrigeren Gestehungskosten Busse auf Elektroantrieb umzurüsten.










Bei meiner eigenen Firma gibt es ebenso ein Projekt, Elektrofahrzeuge in unsere Fahrzeugflotte aufzunehmen.

Samstag, 27. April 2013

Wasserturm

Aus dem Talkessel steigt die Straße massiv an. Die Häuser kriechen den Hang des Vorgebirges hoch. Ein spitzer Kirchturm markiert den höchsten Punkt, dann flacht die Straße ab und geht in eine gemächliche Ebene über. Am Ortsrand erhebt sich der Wasserturm. Wassertürme waren integriert in das Wasserleitungsnetz an markanten, hohen Punkten. Wasser wurde in Behälter des Turms hoch gepumpt, der als Wasserspeicher diente. Von dort aus wurden die Haushalte mit Trinkwasser versorgt. Solche Wasserspeicher in Hochbehältern werden seit längerer Zeit nicht mehr benötigt, so dass Wassertürme anders genutzt werden. Dieser Wasserturm in Bornheim aus dem Jahr 1919 wird als Wohnhaus genutzt.




Die Erscheinung des Wasserturms ist imposant und schön. Er steht unter Denkmalschutz.

Freitag, 26. April 2013

Cantz schön clever


Die Begrüßung von Hugo Egon Balder war aus dem Lautsprecher verklungen. Zehn Jahre kannten sie sich über das Comedy-Quiz „Genial daneben“. Direkt alberte er herum: Balder, bald, der Name passe nicht, von Balder sei bald im Fernsehen nichts mehr zu sehen, er, Guido Cantz, er sei bald und balder und lege sofort auf der Bühne los.

Er hatte sofort die Lacher auf seiner Seite. Es war ja auch ein Heimspiel für ihn. Der Eltzhof in Porz-Wahn, ein altes Gehöft, zu einer Veranstaltungshalle umgebaut, ein langgestreckter Raum, offenes Gebälk zur Dachspitze, in diesen Räumlichkeiten war Guido Cantz’ Bühne. Dem Kölner Karneval entsprungen, ist er nicht eindeutig wie die anderen Rheinländer Dieter Nuhr, Wlfried Schmickler oder Jürgen Becker in die Kategorie des Kabaretts einzuordnen. Seine Show begann er mit der Frage:
„Wo kommt ihr her ?“
„Aus Junkersdorf“ antwortete jemand in der ersten Reihe.
„Das ist ganz weit weg. Am Ende der Welt, aber noch in den Stadtgrenzen von Köln.“
Später, nach der Pause, lästerte er: „Junkersdorf, das ist in die Länge gezogen wie ein Schlauch. Einmal rein und dann wieder raus.“

Guido Cantz ist mit Köln bodenständig verbunden. Er machte kein Geheimnis daraus, dass er in Köln-Porz-Lind kurz vor dem Ortsausgangsschild nach Spich – das zu Troisdorf gehört – wohnt. Mit Junkersdorf polarisierte er die Gegensätze – die äußerste Westecke gegen seine Heimat in der äußersten Südostecke von Köln. Ob Wahn, Libur, Langel oder Gremberghoven, so manche Stadtteile von Köln-Porz baute er in seine Comedy-Show ein. Genauso tauchte das Maximlian-Kolbe-Gymnasium mehrfach auf. 1989 hatte er dort Abitur gemacht. Zu seinem Heimspiel hatte er jede Menge alte Schulfreunde und andere Weggefährten eingeladen. Alte Lehrer sparte er bei seinen Witzen nicht aus und seine alten Schulfreunde applaudierten wohlwollend.

Anders als bei Dieter Nuhr, Wilfried Schmickler oder Jürgen Becker, nahm der Humor bei Guido Cantz mehr die Form eines rheinischen Witzes an. Mit seiner Gestik, seinem aufschraubten Lächeln, mit seinem manchmal sezierenden Blick, war seine Erscheinung bereits komisch. Charmant, stets nett, konnte er auch bissige Pointen formulieren. Die Pointen ergaben sich bisweilen nach langen Spannungsbögen, um sich danach in einem Knalleffekt des Lachens zu entladen. Seine Witze waren oft so gestrickt wie im Karneval: aus Situationen des Alltags, einfach, deftig, ohne großartig Nachdenken zu müssen, deutlich und effektiv. Er hatte es geschafft, bodenständig zu bleiben, obschon er immerhin ein abgeschlossenes Studium der Betriebwirtschaftslehre vorweisen konnte.

Seine Show war nicht wie eine Büttenrede konzipiert. Den roten Faden hatte er in seinem Buch „Cantz schön clever“ beschrieben - Untertitel: mit Klugscheißergarantie. Wissensdurst hatte ihn umgetrieben. Die Wundermaschine Google hatte für den Durchblick gesorgt. Daran sollte das Publikum teilhaben. Mit einem Ratespiel, das bis zum Schluss nicht gelöst werden konnte, begann er seine Show: wie man mit einer Banane eine Bierflasche öffnet.

Schnell vertiefte er sich in das massive Problem, welches er mit Abkürzungen hatte. ASAP tauchte in einer Mail auf. Guido Cantz kannte dieses Kürzel für „as soon  as possible“ nicht. Dies testete er sogleich beim nächsten Pizza-Service. Seiner nächsten Pizza-Bestellung über das Internet fügte er „ASAP“ hinzu. Als der Pizza-Bote ihm die Pizza ins Haus lieferte, befanden sich Berge von Sardellen und Pepperoni auf der Pizza. „Anche sardelle anche pepperoni“ bedeutete diese Abkürzung für Italiener. Seine Mutter missverstand Abkürzungen, als ihr Sohn das Sprechen lernte. Als Guido elf Monate alt war, rannte sie durch die Nachbarschaft und teilte allen mit, dass Guidos erstes Wort „Auswärtiges Amt“ gewesen wäre. Die Nachbarn waren bei solch einem komplizierten Wort verwundert. Tatsächlich hatte Guido „AA“ gesagt, und Guidos Mutter hatte aus diesem Kürzel „Auswärtiges Amt“ interpretiert. Sie hätte genauso interpretieren können „Assistenzarzt“, „American Airlines“ oder „anonyme Alkoholiker“. Natürlich konnte sich Guido an all die Ereignisse im Alter von elf Monaten nicht mehr erinnern.

Plötzlich hielt er eine Bibel in der Hand. Messdiener sei er gewesen. Nicht nur beim Messdienen, sondern auch aus der Bibel habe er Nützliches und Kurioses gelernt. Zum Beispiel das Hohelied aus dem Alten Testament. Ein Zuschauer durfte auf die Bühne kommen und einige Passagen – mit erotischem Zungenschlag – vorlesen:

Deine Zähne gleichen der Herde von frisch geschorenen Schafen
Deine zwei Brüste sind wie die Zwillinge einer Gazelle
Der Duft deiner Kleider gleicht dem Dufte des Libanon …

Das war ganz weit ausgeholt. Danach holte alle wieder der Abkürzungswahn ein, der auch vor der Bibel nicht halt machte. Sein Nachbar war Sachse aus Leipzig. Ich krümmte mich vor Lachen, wie Guido Cantz sein Sächsich nachmachte. Er war entsetzt wegen der Graffitis der Heiligen Drei Könige. Die Buchstaben C+M+B hatten die verkleideten Könige über sein Haus geschmiert. Er konnte den Leipziger beruhigen. Nebenher erklärte er, was niemand wusste, dass C+M+B nicht für die Heiligen Drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar steht. Sondern dafür, dass das Haus gesegnet wird – christus mansionem benedicat auf Lateinisch.

Grönemeyer mit „Flugzeuge im Bauch“ ahmte er nach. Nach den Tagesthemen präsentierte er eine Sondersendung aus dem Bahnhof von Hannover, weil ein ICE entgegen dem Qualitätsmanagement bei der Deutschen Bahn pünktlich eingetroffen war. Gans, Lanz, Conte – er macht sich darüber lustig, welche falschen Nachnamen in seiner Schulzeit kursierten.

Im Flug waren die drei Stunden seiner Comedy-Show vorbei. Den freundlichen Nachbarn, der auf Augenhöhe mit dem Publikum steht, hatte er mit rheinischem Witz exzellent gespielt. Guido Cantz glänzt nicht nur  bei „Verstehen Sie Spaß“. Gerne besuchen wir seine Comedy-Shows wieder.

Mittwoch, 24. April 2013

städtische Seniorenzentren - Spielwiese für Dumping-Löhne ?


Ein Plakat der Linken Partei hatte mich in der Fußgängerzone aufmerksam gemacht. „Seniorenzentren: Leiharbeit als Normalzustand und zukünftig Billigarbeitskräfte aus Spanien“ – so lautete die Überschrift, die geradewegs in die Welt der Ausbeutung führte.

Ob Kellner, Lagerarbeiter, Friseur, Verkäuferin, Taxifahrer, Kindergärtner, Krankenschwester oder Altenpfleger: ich bin mir dessen bewusst, dass der Niedriglohnsektor politisch gewollt ist und dass er mit einer gesunkenen Arbeitslosigkeit allgemein befürwortet wird. Das Armutsniveau der Arbeitslosigkeit wird nun gegen das Armutsniveau bei Beschäftigung eingetauscht.

Doch kaum in einer anderen Branche wie bei den Pflegeberufen wird man ein solch zersplittertes Bild des Lohnniveaus finden. Friseure oder Taxifahrer werden je nach Betrieb und je nach Standort ungefähr gleich bezahlt – wenn man vom Ost-West-Gefälle absieht.

Bei Alten- und Pflegeheimen ist das anders. Im Idealfall wird nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes bezahlt. Die Gehaltstabelle beginnt bei einem examinierten AltenpflegerIn bei 2.300 €. Das kann man als angemessen betrachten. Wie anderswo wird nach Schlupflöchern gesucht, nicht nach den Tarifen des öffentlichen Dienstes zu bezahlen. Und davon gibt es reichlich.

Als dickstes Schlupfloch entpuppen sich die Kirchen. Um die hohen Personalkosten zu umgehen, geben Städte und Kommunen die Trägerschaft gerne an die Kirche ab. Die Kirche, das sind organisatorische Gebilde wie die Caritas, das Malteser-Hilfswerk oder die Diakonie. Die Kirchen haben ihre eigenen Tarifverträge, die nichts mit dem öffentlichen Dienst zu tun haben. Dabei berufen sich die Kirchen auf das christliche Prinzip der Nächstenliebe, welches entsprechende Gehaltsabschläge willentlich in Kauf nimmt. *

Die kirchlichen Träger bewegen sich ungefähr auf der Höhe des Mindestlohns, den der Gesetzgeber auf 8,75 € pro Stunde festgelegt hat (siehe hierzu auch Stellenausschreibung von Altenpflegern der Diakonie Essen bei der Arbeitsagentur). LeiharbeiterInnen aus der Ukraine, aus Litauen oder aus Asien (z.B. Phlippinen) können dieses Niveau noch unterbieten, also vier oder fünf Euro unterhalb des Mindestlohnes.

Selbst dieses Niveau kann unterboten werden – von Ein-Euro-Jobs. Diese sind zwar strengen Regularien unterworfen, aber im Pflegebereich herrscht Pflegenotstand. Für öffentliche Tätigkeiten, die dem Gemeinwohl dienen, können Hartz IV-Empfänger heran gezogen werden, die mit 1 € pro Stunde bezahlt werden Der Beruf des Altenpflegers befindet sich also in einem Spannungsfeld der Bezahlung: von 1 € (schlechteste Bezahlung) bis 2.300 € (beste Bezahlung nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes).

Wohl kaum irgendwo bei den Billiglöhnen gibt es eine solche Diskrepanz, welchen Stellenwert diese Tätigkeit hat und wie die Tätigkeit bezahlt wird. Altenpflege – das ist mentale Belastung ohne Grenzen bei gleichzeitiger Betreuung von 7-10 älteren Personen. Waschen, Anziehen, Unterstützung bei der Alltagsbewältigung, Begleitung bei täglichen Beschäftigungen, Arzttermine, die Altenpfleger müssen individuell auf die Bedürfnisse der alten Menschen eingehen – für mich persönlich ist es unvorstellbar, was Pflegekräfte tagtäglich leisten.

Bei solch einer Diskrepanz finden sich nur noch wenige, die einen solchen Job machen wollen. Man müht sich verzweifelt, den Pflegenotstand zu beheben. Es sollen mehr junge Menschen ausgebildet werden, aus noch ferneren Ländern der Erde sollen die Leiharbeiter kommen.

An die Wurzel des Übels, die Gehaltsstrukturen zu verbessern, will niemand ran. Im Saarland und im Raum Trier ist der Pflegenotstand soweit gekommen, dass eine Vielzahl von Altenpflegern zu besser bezahlten Arbeitsplätzen nach Luxemburg abgewandert ist. Die Ausbeutung in Deutschland ist an ihre Grenzen gestoßen. Diese Altenpfleger haben endlich wirkungsvoll dagegen protestiert, dass ihre Arbeitsleistung in einem Manchester-Kapitalismus zur völligen Wertlosigkeit degradiert wird.

Im Umfeld eines allgemeinen Lohn-Dumpings hatte das Plakat der linken Partei, auf den Pflegenotstand aufmerksam zu machen, seine Berechtigung. Leiharbeiter aus Spanien sind zur Dauererscheinung geworden. Oder Leiharbeiter aus der Ukraine, Litauen oder den Philippinien.

Marktpreise sind zu einem Wettbewerb der Armutssysteme verkommen. Der ungehemmte Kapitalismus hat Eingang in Alten- und Pflegeheime gefunden. Typisch ist, dass sich Kirche und Staat die Verantwortung für den Pflegenotstand hin- und herschieben. Niemand will Verantwortung dafür übernehmen, dass die Angehörigen optimal betreut werden und die Altenpfleger angemessen entlohnt werden.

Das Plakat der Linken hatte mitten in einen Wesenskern gezielt. Es ist diskutiert worden, die städtischen Seniorenzentren an einen anderen Träger auszugliedern. Die Entscheidung ist gegen eine Ausgliederung gefallen. Ab 2014 sollen die drei Seniorenzentren aber für 25 Millionen Euro saniert werden. Spätestens dann, wenn diese Umbaukosten auf die Bewohner umgelegt werden sollen, gehe ich davon aus, dass das Thema Ausgliederung wieder auf der Agenda stehen wird. Dann wird zu entscheiden sein: zahlen die Bewohner rund 500 € mehr an Heimkosten oder werden über eine Ausgliederung Dumping-Löhne realisiert, um diese Mehrkosten wieder aufzufangen.


* siehe hierzu auch WDR-Reportage von Eva Müller „Gott hat hohe Nebenkosten“

Montag, 22. April 2013

Heiliger Laurentius


Fernsehkrimis gehören zu unserem Standard-Repertoire der Unterhaltung. Doch gestern Abend stockte uns der Atem. Die Effekthascherei, um den Zuschauer bei der Stange zu halten, wurde mir zu brutal. In dem Film „Spuren des Bösen“ auf ZDF Neo hatte ein junger Mann, Mitte 20, Spielschulden angesammelt. Zwei andere Jungs packten ihn mit dem Griff eines Bulldoggen in eine amerikanische Limousine der 50er Jahre. Da der Junge Mann nicht zahlte, verlieh der Bandenchef seinen Geldforderungen Nachdruck und schnitt ihm mit einer Teleskopschere den kleinen Finger ab. Danach erhöhte er seine Forderung auf 20.000 €, verlangte je Woche eine Rückzahlung von 1.000 € und warf ihn halb verblutet auf die Straße.

Solch einen Ausbruch von Brutalität hätten wir auch in unserem Nachbarort haben können. Viel schlimmer: der junge Mann aus dem Film „Spuren des Bösen“ verblutete nicht und blieb am Leben. In unserem Nachbarort findet sich hingegen ein Zeitgenosse des römischen Reiches, der regelrecht gegrillt worden ist. Römische Soldaten haben ihn auf einen Rost gebunden, Feuer angezündet und solange auf dem Feuer hin- und hergewendet, bis er starb. Soviel Brutalität kann glatt mit jedem Fernsehkrimi konkurrieren. Das geschah in Rom im Jahr 258. Die dazugehörigen Spuren sind an der Kirche unseres Nachbarortes zu finden. Der Rost, den der Heilige Laurentius in seiner Hand hält, symbolisiert seine Verbrennung.

Es war um das Jahr 200, als das römische Reich an seinen Rändern zerfiel. Von Osten fielen die Hunnen ein, germanische Stämme überquerten den Rhein, die Wikinger eroberten die Nordseeküste. Über mehr als einhundert Jahre geduldet, betrachteten die römischen Kaiser das Christentum als neue Gefahr, da es die Machtstrukturen und die heidnischen Bräuche der Römer in Frage stellte. Schließlich setzte mit dem römischen Kaiser Valerian um 250 die Christenverfolgung ein. Diese endete erst im Jahr 313 mit dem Toleranzedikt von Kaiser Konstantin, der das Christentum als gleichberechtigte Religion anerkannte. Zeitweise kam es während der Christenverfolgung zu einem regelrechten Völkermord. Der Heilige Vitus, der Heilige Georg, der Heilige Sebastian oder der Heilige Quirinus sind andere bekannte Heilige aus dieser Epoche.

Der Heilige Laurentius wurde 226 in der spanischen Provinz Aragon geboren. Der spätere Papst Sixtus II nahm ihn sozusagen als rechte Hand mit nach Rom, als er in Spanien weilte. So wurde er Erzdiakon, als Sixtus II. 257 zum Papst ernannt wurde. Doch unmittelbar nach der Ernennung gab es einen Erlass des Kaisers Valerian, dass Gottesdienste der Christen verboten wurden. Alle christlichen Amtsträger sollten hingerichtet werden. Der Völkermord an die Christen konnte beginnen. Das Gemetzel wurde damit eingeleitet, dass der Papst Sixtus II. gefangen genommen wurde.

Bis der Heilige Laurentius gefangen genommen wurde, dauerte es noch ein Weilchen. Zuvor sollte er den Kirchenschatz an die Römer übergeben. Er zögerte und meinte, er bräuchte noch zwei bis drei Tage. Danach erschien er vor dem Kaiser mit einer zerlumpten Schar von Bettlern, Blinden, Lahmen und Krüppeln. Der Kaiser Valerian wunderte sich und fragte: “Wo sind die Schätze, die herbeizuschaffen Du versprochen hast ?“ Laurentius antwortete: „Siehe, dies hier sind die ewigen Schätze.“

Weil Valerian sich provoziert fühlte, sollte der Heilige Laurentius sterben. Zuerst wurde er gefoltert. Die Amputation des kleinen Fingers in dem Film „Spuren des Bösen“ war eine Kleinigkeit gegenüber dem, was der Heilige Laurentius durch machte. Erst wurde er ausgepeitscht. Für die letzte Folter wurde ein Bettgestell mit drei Latten herbei gebracht. Laurentius wurde entkleidet und auf das Eisengestell ausgestreckt. Man brachte Feuerschaufeln mit glühenden Kohlen herbei und schob sie unter das Eisengestell. Immer wieder wurden Kohlen ins Feuer gelegt. Sein Körper wurde mehrfach gedreht und über den glühenden Kohlen geröstet. Am 10. August 258 starb der Heilige Laurentius.

An Standhaftigkeit war er nicht zu überbieten. Anstatt Todesschreie von sich zu geben, rief er: „Dir sage ich Dank Jesus Christus, der Du mich gewürdigt hast, standhaft zu bleiben !“

Nach dem Toleranzedikt ließ Kaiser Konstantin um 400 auf dem Grab des Heiligen Laurentius eine Kirche errichten. In Rom ist der Heilige Laurentius der bedeutendste Heilige. Im Verlauf der Jahrhunderte wurden in Rom 30 weitere Kirchen gebaut, die dem Heiligen Laurentius geweiht wurden. In Deutschland wurde dem Heiligen Laurentius ebenso Kirchen geweiht, darunter im Jahr 795 eine erste Kirche in unserer Nachbargemeinde. Diese Kirche wurde im Dreißigjährigen Krieg zerstört und 1666/1667 neu gebaut.

Der Heilige Laurentius dürfte auch den Weinkennern ein Begriff sein. Die Rotwein-Rebe St. Laurent reift um den 10. August, dem Todesdatum des Heiligen Laurentius. Der Rotwein ist süffig und trocken. Ein leckeres Tröpfchen.


Samstag, 20. April 2013

Spargel, Erdbeeren, Gemüseanbau

Die Gemüsebauern haben die linke Rheinseite fest in ihrer Hand. Sie profitieren von dem warmen Klima im Talkessel der Köln-Bonner Bucht. Mit der petrochemischen Industrie wird es bei warmen und feuchten Wetterlagen rasch unerträglich. Obst und Gemüse wachsen in diesem Treibhaus-Klima prächtig. In diesen Frühlingstagen verharren die Temperaturen auf einem mäßigen Niveau. Ich genieße das Farbenspiel: Gras sprießt in kräftigem Grün, die jungen Pflanzen sind auf die lockere und frische Erde gesetzt. Und überall glitzert Klarsichtfolie auf den Feldern in Vierecken, Rechtecken oder schmalen Bändern. Eine Landschaft aus Folie und Gewächshäusern fügt sich zusammen.


Von der Höhe aus kann man den Flickenteppich aus Folie und Feldern überblicken.



Spargel aus der Gegend von Bornheim ist weithin bekannt und markenrechtlich geschützt.




Abdeckfolien zeichnen Dreiecke und Vierecke.

  
Reihen von Stiefmütterchen setzen gelbe Farbtupfer.

  
Ein Wirtschaftsweg schlängelt sich an dem System von Frühbeeten vorbei.


Zusammengerollte Abdeckfolie markiert den Rand des Erdbeerfeldes.


Zwei Windräder bäumen sich etwas überraschend auf. 


Das System von Folientunneln reiht sich sauber aneinander.


Durch-nummeriert hat alles seine Ordnung. 



Ein Blick in das Innenleben kündigt eine Delikatesse an: Erdbeerpflanzen.


Strohballen mit Folientunnel und Rennrad: die Route ist wunderschön, denn diese Landschaft des Gemüseanbaus durchquere ich ausschließlich über Wirtschaftswege.

Freitag, 19. April 2013

die Richmodis-Sage


Ich wage mich an das Unglaubliche und Unvorstellbare heran. Welches sind die schlimmsten Übel der Geschichte ? Kriege ? Völkermord ? Folter ? Hexenverbrennungen ? Unterdrückung ? Ausbeutung ? Tyrannen ? Dann war da noch der schwarze Tod im 14. Jahrhundert. Die Pest hatte sich von China aus über das Schwarze Meer über Straßen und Handelswege immer weiter ausgebreitet und entvölkerte ganze Landstriche in Europa. Die Pest war schlimmer als alle Kriege und in manchen Gegenden überlebte gerade ein Drittel der Bevölkerung.

Mit der zentralen Wasserstraße des Rheins machte die Pest natürlich auch vor dem Rheinland nicht Halt. 1349 erreichte die Pest Köln. Erst rund 500 Jahre später entdeckte die medizinische Forschung den Übeltäter: den Pestfloh.

Rund 600 Jahre später beschreibt Albert Camus in seinem Roman „Die Pest“ – der in Algerien spielt – wie es vielleicht in Köln 1349 ausgesehen haben könnte:
„Der Wind erhob sich und wehte mehrere Tage lang durch die verpestete Stadt. Der Wind wird von den Einwohnern besonders gefürchtet, weil sich in der Ebene kein natürliches Hindernis entgegenstellt und er deshalb mit seiner ganzen Heftigkeit in die Straßen hinein stürmt. Die Stadt war nach den langen Monaten, da Regen kaum Erfrischung gebracht hatte, mit einer grauen Schicht überzogen, die unter den Windstößen abblätterte. Staub- und Papierwolken wirbelten auf und peitschten gegen die Beine der seltener gewordenen Spaziergänger., die vorn übergebeugt über die Straßen eilten und ein Taschentuch oder die Hand auf den Mund drückten. Am Abend sah man kleine Gruppen von Leuten, die nach Hause oder ins Café eilten, um die Tage, von denen jeder der letzte sein konnte, möglichst zu verlängern. So waren die Straßen mehrere Tage in der Dämmerung, die um diese Zeit viel schneller herein brach, menschenleer, und nur der Wind klagte unaufhörlich. Die verlassene, staubgebleichte Stadt, erfüllt vom Heulen des Windes, stöhnte dann wie eine unselige Insel.“

Nicht unweit von der Haupt-Einkaufsmeile in Köln, dem Neumarkt, stößt man auf Zeitzeugen der Pest, die an das Jahr 1357 erinnern. Es sind zwei Pferdeköpfe, die aus einem Turm herausragen. Was haben ein Turm und Pferde mit der Pest zu tun ?

Eine medizinische Forschung in heutigem Sinne gab es noch nicht. Die Medizin hatte noch die Stellung in der Antike. Naturwissenschaftliche Denkansätze entwickelten sich erst in der Neuzeit. Daher waren die Menschen hilflos der Epidemie ausgeliefert. Pestbeulen, Fieber, Schüttelfröste wucherten vor sich hin. Die Totengräber kamen mit dem Ausheben der Gräber nicht nach. Auf den Friedhöfen fanden die Toten kaum noch Platz.

Die Menschen suchten Erklärungsmuster in der Religion. Oftmals wurde die Pest als Strafe Gottes für begangene Sünden betrachtet. Die Menschen wurden fromm, sie achteten auf einen moralisch einwandfreien Lebenswandel. Prozessionen wurden abgehalten. Die Menschen riefen den Pestheiligen Rochus an.

Als die Pest in Köln wütete, fand 1357 der Kölner Bürgermeister Rudolf Mennegin von Aducht seine Ehefrau Richmodis tot in ihrem Haus vor. Er trauerte sehr, ließ seine Ehefrau auf dem Friedhof der Kirche St. Aposteln begraben, wobei er kostbaren Grabschmuck in die Grabstätte hinein gab. In der Nacht nach dem Begräbnis öffneten Räuber das Grab, um den Schmuck zu klauen. Als sie den Deckel des Grabes öffneten, stieg Richmodis aus dem Grab, da sie gar nicht tot war. Die Grabräuber rannten weg, Richmodis nahm deren Laterne und rannte nach Hause zurück. Als Richmodis im Totenhemd anklopfte, wollte niemand sie herein lassen, weil man sie für einen Geist hielt. Selbst ihr Ehemann glaubte, es sei ein Geist, und er rief aus: „Eher galoppieren meine beiden Pferde die Turmtreppe hinauf, als dass meine Frau aus dem Grab aufersteht !“ In demselben Moment hörte er seine beiden Pferde wiehern. Sie trampelten den Turm hinauf, aus dem sie mit ihren Köpfen herausschauten. Er ging zur Haustüre. Es war tatsächlich seine Ehefrau, und sie lebten noch viele Jahre glücklich zusammen.

1650, als die Pest erneut Köln heimsuchte, wurde die Richmodis-Sage wieder belebt. Ein Kupferstich, der die Sage erzählte, wurde in der Kirche St. Aposteln aufgehängt. In dem Haus, in dem der Bürgermeister Rudolf Mennegin von Aducht 1357 gewohnt haben soll, wurde in dieser Zeit der Richmodisturm mit den beiden Pferdeköpfen gebaut, wie man ihn noch heute vorfinden kann.

Im Jahr 2000 wurde übrigens die Pest in Köln zu neuem Leben erweckt. In einem Fernsehfilm wurde das Katastrphen-Szenario gespielt, dass die Kanalisation von Ratten überquillt und dass ein Obdachloser an der Pest erkrankt ist. Der Tatort-Kommissar Dietmar Bär spielte übrigens eine Hauptrolle in dem Film.

Krankheitserreger können mutieren und resistent werden. Die Pest griff in dem Film um sich, bis die medizinische Forschung ein Gegenmittel entwickelte, die Seuche eindämmte und die Todesfälle gegen Null gingen. Das Unglaubliche und Unvorstellbare war zum Greifen nah. Das war fiktiv, Film, Phantasie, abseits der Realität.

Als ich den Film sah, war mir zumute, als ob mir der Atem stehen geblieben war.

Donnerstag, 18. April 2013

Gutschein zum 50. Geburtstag

Gutschein (Endversion mit Textfeld)
Ich hatte mir es so einfach vorgestellt. Es sollte ein Gutschein für unsere beste Freundin werden. Zu ihrem 50. Geburtstag. Lokalhistorisch engagierte sie sich; sie bot Stadtführungen in ihrer Heimatstadt an. Daher hatten wir uns mit mehreren Freunden zusammengetan. Eine individuelle Führung – ohne andere Besucher – durch das unterirdische Köln wollten wir schenken.

Collagen in dem Bildbearbeitungsprogramm Picasa konnte meine Göttergattin mittlerweile im Schlaf zusammenstellen. Einige Male ordentlich im Internet gegoogelt – und im Handumdrehen war ein erster Entwurf des Gutscheins fertig. Genauso im Handumdrehen sollte es weiter gehen. Die Bilder auf dem Gutschein anders sortieren, Textfelder mit den Gratulanten einfügen, so sollte die Endversion des Gutscheins aussehen.

In Picasa legte ich los. Indem ich die Collage editierte, schob ich die Bilder hin und her. Dann Textfeld einfügen. Durch eine unsichtbare Hand erschien mittlerweile in Picasa alles in Englisch. „Picture borders“, „background options“, „draw shadows“, „Show capture“, ich wurstelte mich durch die englische Sprache. Ich probierte diese Menüs durch, ich fand aber kein Textfeld. Genauso erfolglos war ich, als meine Maus die gesamte obere Menüleiste durch forschte und in ihre Bestandteile zerlegte – wobei mich die englische Begriffswelt dauerhaft irriterte. Kein Textfeld ließ sich zum Leben erwecken. Ein letzter Aufschrei der Verzweiflung war, aus dem Textverarbeitungsprogramm Word ein Textfeld zu kopieren. Auch dieser Versuch misslang.

Was tun ?  Weil sich in Word unkompliziert Textfelder erzeugen lassen, kam meine Göttergattin auf die glorreiche Idee, all die Bilder nach Word zu kopieren. Als erstes den Hintergrund des Gutscheins, dann die Textfelder. Doch Bilder auf den Hintergrund des Gutscheins zu kopieren scheiterte, da die Bilder auf die Folgeseite rutschten und nicht auf den Gutschein. Es war zum Verrücktwerden. In dem Bildbearbeitungsprogramm Picasa konnte ich kein Textfeld erzeugen, während in dem Textverarbeitungsprogramm Word die Anordnung der Bilder spinnte.

Akte der Verzweiflung folgten. Ich durchsuchte all diese englisch-sprachigen Gebilde in Picasa wie bei einer Polizei-Razzia. Wild schob ich die Maus hin und her, klickte hier, klickte da. Ich berauschte mich an wunderbaren Variationen der Bildbearbeitung. Ein Textfeld ? Fehlanzeige. In Word beschwor ich Geister. Ich packte schwarze Magie aus. Ich redete auf das sich verschiebende Bild ein, das es bitte dort auf dem Gutschein landen sollte, wo es hin gehörte. Doch meine Zauberformeln taugten nichts. Halsstarrig weigerte sich Word, das zu tun, was ich wollte.

Gutschein (ohne Textfeld)

Ich fluchte vor mich hin:
„Ich krieg nen Affen …
… das kann doch nicht sein, dass das Programm so dumm ist …
… am liebsten würde ich das Laptop an die Wand schmeißen …“
Dem Wahnsinn nahe, hätte man  mich in diesem Moment glatt in ein Irrenhaus einliefern können.

Meine Göttergattin entgegnete:
„Stell Dich doch nicht so an. So wütend, wie Du da ran gehst, kann es nicht klappen.“

Darauf probierte meine Göttergattin es selber aus. Sie geriet in denselben Widersinn von Technik und Software. Die Feingestaltung des Gutscheins hatte sich zu einem Zeitfresser entwickelt, der fast zwei Stunden verschlungen hatte, ohne dass wir nennenswerte Fortschritte erzielt hatten. Fragezeichen standen meiner Göttergattin ins Gesicht geschrieben. Sie klickte hier, klickte da. Auch bei ihr wanderte hilflos und unsystematisch die Maus über den Bildschirm.

Ich war längst geistig weggetreten. Ich hatte resigniert vor diesem grauen Kasten der Software, der bockig war und mich nicht leiden konnte. Ich hatte zu träumen begonnen – von der nächsten Radtour, von einem leckeren Eis oder endlich einmal ausschlafen zu können.

Als ich wieder auf den Bildschirm schaute, sah ich, wie meine Göttergattin ein Texfeld nicht nach Picasa, sondern in den Gutschein in Word gezaubert hatte. Anschließend packte sie die Bilder an und schob diese bereitwillig in dieses Textfeld auf den Gutschein. Das war der Durchbruch. Meine Göttergattin hatte diesen Gordischen Knoten zerschlagen, der undurchdringlichen Welt der Rechnersoftware diejenige Form zu verliehen, die wir uns gewünscht hatten. Endlich erhielt unser Gutschein den letzten Feinschliff.

Ich traute kaum meinen Augen. Die Geburtstagsfeier konnte beginnen. Wir waren gespannt, ob und wie sich das Geburtstagskind über den Gutschein freuen würde.



Dienstag, 16. April 2013

beim Finanzamt


Der Wartebereich war nicht mit Blumenkübeln oder pfiffigen Gemälden geschmückt, so wie ich es von anderen Service-orientierten Unternehmen – wie Versicherungen oder Krankenkassen - kannte. Ich schaute in lange Endlos-Gänge hinein, die etwas von der Sterilität eines Krankenhauses hatten. Auf einem Prospektständer vor einer fahlen weißen Wand informierte der NRW-Finanzminister. ELSTER, ein Wandplakat mit der Online-Steuererklärung, verlor sich in der Blässe des Warteraums. Formulare unterrichteten in einer Aushangtafel über öffentliche Zustellungen. Ein mattes, schwarz-graues Muster verirrte sich auf den Steinfliesen. Vorbei stolzierende Beschäftigte des Finanzamtes grüßten höflich und zeigten bisweilen sogar ein lockeres, entspanntes Lächeln.

Nachdem meine Wartemarke angezeigt wurde, spazierte ich in die Servicestelle unseres Finanzamtes. In dem Büro quetschten sich vier Schreibtische inklusive Flachbildschirme zusammen. Ich platzierte mich auf den gepolsterten Besucherstuhl. An der Wand quollen aus Schrankreihen Aktenordner heraus. Die Mitarbeiterin, um die vierzig, die mein Anliegen entgegen nehmen durfte, war überraschend hübsch. Sie trug einen dezenten hellbraunen Pullover. Glatt hing ihr blondes Haar bis zu den Schultern herunter.

„Was kann ich für Sie tun ?“

Ich wollte die Grundsatzfrage klären. Falls es meiner Göttergattin angeboten wird: wie wirkt sich eine höhere Wochenarbeitszeit oder neue Arbeitsangebote nach ihrer Weiterbildungsmaßnahme im Portemonnaie aus ? Beziehungsweise: in welchem Umfang wird ein fiktives höheres Einkommen durch Steuern wieder aufgefressen ?

Die Mitarbeiterin war so kompetent, wie ich es von den Finanzbeamten gewohnt war. Trotzdem schwebte der Mief der Bürokratie zwischen den verblichenen Wänden, die einen Anstrich gebrauchen konnten. Vieles war Stückwerk, Papier, Zettel und Formulare, die sich in den Ablagekörben sammelten. Richtlinien, Verordnungen und Entscheidungen des Bundesfinanzhofs bevölkerten einen Schubladenschrank.

„Meine Frau hat momentan einen 450 €-Job. Wie ist sichergestellt, dass nichts versteuert wird ?“
„Der wird gar nicht in der Steuererklärung angegeben.“
„Was passiert, wenn meine Frau mehr als 450 € verdient ?“
„Das ist in der Steuererklärung anzugeben. Ihr Einkommen als Eheleute wird zusammengezählt und mit dem dazugehörigen Steuersatz versteuert.“
„Wie hoch sind die zu zahlenden Steuern ?“
„Das ist der Steuersatz, den Sie den Steuertabellen entnehmen können.“
„Das heißt: das höhere Einkommen wird sich anfangs nicht rechnen, sondern erst relativ spät, wenn es deutlich höher ist als 450 €.“

Diese Aussage half mir weiter, denn zu Hause besaß ich ein Taschenbuch über die Steuererklärung. Darin standen auch Steuertabellen mit Steuersätzen. Die Mitarbeiter des Finanzamtes hatten mir stets weiter helfen können, selbst wenn sie bei der Steuererklärung Einzelpositionen gestrichen hatten. Das ständig sich ändernde Steuerrecht förderte ihr flexibles Denken. Damit waren sie anderen Staatsbediensteten um Lichtjahre voraus.

„Danke schön. Sie haben mir weiter geholfen.“

Durch den nüchternen Gang mit den hohen Decken schritt ich zum Ausgang zurück. Abschließend warf ich einen Blick auf die Hinweistafel, auf der die Abteilungen mit den Amtsbezeichnungen der zuständigen Mitarbeiter herunter geschrieben waren. Der Pförtner kauerte ich seinem kleinen Büro, das mit Kartons und Formularen vollgestopft war.

Zu Hause rechneten wir beide mit spitzem Bleistift nach. Dabei halfen uns die Excel-Kenntnisse, die sich meine Göttergattin durch die Weiterbildungsmaßnahme des Arbeitsamtes angeeignet hatte. Um eine Größenordnung berechnen zu können, nahmen wir der Einfachheit halber eine Verdopplung ihres Einkommens auf 900 € an. Aus den Steuertabellen und dem Einkommensteuerbescheid errechneten sich 120 € Steuern pro Monat für meine Göttergattin. Monatlich hatte ich 130 € über den höheren Steuersatz zu berappen.

Sprich: der Staat kassierte ordentlich ab. Von den 450 € zusätzlich verdientem Geld gingen in Summe 250 €, also mehr als die Hälfte, für Steuern drauf.

Warten wir also ab, ob meine Göttergattin Arbeitsangebote oder dergleichen erhält. Soweit ihr Gehalt weiterhin im Niedriglohnsektor dümpelt, lohnt wahrscheinlich der zeitliche Mehraufwand nicht. Es sei denn, sie macht ihren Job aus Spaß und Freude und Idealismus.