Donnerstag, 28. Februar 2013

letzter Februartag

Mit voller Pulle in den Frühling hinein starten ? Nun schreibe ich das dritte Jahr hintereinander einen Post über den letzten Februartag (zum Nachlesen 2011 und 2012). Ich muss zugeben, dass ich solch eine Stichtagsbetrachtung interessant finde. Wie meine Stimmung gewesen ist, was nebenher oder hauptsächlich passiert ist, in welche Richtung mich meine Eindrücke geschoben haben.

Der Frühling war eingekehrt oder zum Greifen nahe. Ich erblasse vor Neid, dass im letzten Jahr die Temperaturen in die Höhe geklettert waren und die 20 Grad-Marke im Visier hatten. Im Jahr davor, spürte ich einen Motivationsschub und Frühlingsgefühle hatten sich längst eingestellt.


Davon kann ich in diesem Jahr nur träumen. Noch vorgestern Morgen führte mich der Weg zur Arbeit über schneebedeckte Felder. Knapp über Null Grad, zeigten sich an Grasbüscheln erste zaghafte grüne Stellen. Doch der Schnee sammelte sich wieder im Windschatten von empor geschossenen Sträuchern, blieb bleiern auf den Äckern liegen und lastete schwermütig auf der Helligkeit des Morgens. Stromleitungen an Holzmasten distanzierten sich in luftiger Höhe von dem Schnee. Nackt, kahl und vollkommen entblößt, erstarrte der Kastanienbaum in den Klauen des Winters. Er und das Wegekreuz rückten eng beisammen. Sie warteten, bis wann dieses zähe Kleid des Winters verschwinden würde.


Der drittletzte Februartag nahm seinen Lauf, und am Ende schmolz die weiße Pracht des Winters zusammen. Der Kastanienbaum und das Wegekreuz befreiten sich aus dem weißen Zwang des Winters. Das Stückchen, das die Temperaturen die Frostgrade verlassen hatten, reichte dafür aus.


Der Schnee ist weg, aber ich friere weiter. Handschuhe, dicker Schal, Winterjacke, selbst am letzten Februartag muss ich mich warm einpacken. Gestern, auf dem Fahrrad, hatte ich mich verschätzt. Fingerhandschuhe hatte ich angezogen. Schon nach einigen Kilometern war es zu kalt. Meine Finger froren ein. Ich hätte die wärmeren Fausthandschuhe anziehen müssen. Zu Hause, bei einer Außentemperatur von plus drei Grad, waren meine Finger zu einem Eisklotz erstarrt.

Der ARD-Morgenmagazin berichtete heute Morgen, dass dieser Winter so sonnenarm war wie seit 60 Jahren nicht mehr. Das kann ich bestätigen. Dieses trübe Himmelsgrau als Dauerzustand drückt zwar nicht auf meine Stimmung. Aber ich muss mich damit arrangieren. Blauer Himmel hat Seltenheitswert. Beim Fotografieren fehlt der Hintergrund. Beim Bloggen das Wetter ausblenden und anstatt dessen die handelnden Personen reden lassen. Zu Hause möglichst viel Alltagskram erledigen, für den man kein schönes Wetter braucht: kochen, putzen, einkaufen, viel lesen, bloggen, aufräumen, Papierkram in Aktenordner einsortieren.

Der Frühling versteckt sich, die Natur versteckt sich, die Menschen verstecken sich. Nur wenig lockt die Menschen nach draußen. Der Park ist leer gefegt. Die wenigen Spaziergänger verlaufen sich zwischen den Wiesen. Deren stumpfes, blasses Grün hat sichtlich gelitten unter den Strapazen des Frostes. Nieder gestreckt, schläft das Grün der Natur seinen Winterschlaf. Nichts regt sich auf dem Kinderspielplatz. Und der Jogger mit der roten Funktionsjacke kann einsam seine Runden ziehen. Zug um Zug atmet er die winterliche Kulisse ein. Wie ein Uhrwerk traben seine Beine durch die kahle Natur. Kahles Geäst, ohne jegliche Spuren von Trieben, begleitet ihn.



In der Fußgängerzone hat sich ein einsamer Kämpfer gegen den Winter durchgesetzt. Die paar Grad Temperaturanstieg über Null haben ausgereicht, dass er draußen einen Kaffee trinkt. Er macht es sich richtig gemütlich. Das kenne ich sogar von mir selber. Je kälter es draußen ist und je größer die Temperaturunterschiede, um so leckerer schmeckt der Kaffee. Dann spüre ich, wie die Wärme des Kaffees in meine Hände eindringt, wie mich der Kaffee beim Trinken von innen mit Wärme ausfüllt. Diese Wärme breitet sich aus und erzeugt ein Wohlbefinden des gesamten Körpers. Dass dieser Einzelkämpfer sich wohlfühlt, kann ich sogar nachvollziehen.

Mit voller Pulle in den Frühling hinein starten ? Seit Wochen stecke ich in der Startlöchern. Ich sehne mich nach wärmeren Temperaturen, nach ganz viel Sonne und einem Treiben von Menschen, das so bunt ist wie die Blütenteppiche in den Vorgärten. Doch das Wetter weigert sich halsstarrig. Die Kälte hält den ganzen Februar durch, so wie ich es jahrelang nicht gekannt habe.

Nächste Woche soll der Frühling endlich Einzug halten. Ich sehne mich danach.

Dienstag, 26. Februar 2013

die Toilettenfrau


Ihr Arbeitsbereich erstreckte sich übersichtlich auf wenigen Quadratmetern. Praktisch und bequem, könnte man meinen, passte der weiße Bistrot-Tisch neben dem Waschbecken. Eine Blumenvase mit Narzissen hob das Ambiente des stillen Örtchens. Sie sorgte dafür, dass alles blitzblank und sauber war und schön duftete. Putzmittel, WC-Reiniger und Klobürste griffbereit, stand ihr Arbeitsplatz im Zentrum menschlicher Bedürfnisse. Und ab und an klangen die Münzen auf dem flachen Porzellanteller.

Ein Arbeitsplatz als Toilettenfrau ? Es hatte sie Überwindung gekostet. Und es kostete sie Tag für Tag Überwindung. Wäre sie doch nicht so faul gewesen ! Hätte sie doch die Hauptschule nicht geschmissen ! Nun, mit Mitte zwanzig, nachdem sie nichts auf die Reihe gekriegt hatte, sah sie keinen anderen Weg als zurück, zurück, zurück. Wo andere in ihrem Alter längst eine Lehre abgeschlossen hatten und im Beruf standen, führte ihr Weg zum Arbeitsmarkt nur zurück, zurück, zurück.

Ganz unten angekommen. Die Perspektivlosigkeit war ihr zu den Ohren heraus gekommen. Ein paar Euros selbst verdientes Geld in den Händen halten. Das Außenseiterdasein aufgeben und Teil der Gesellschaft werden. Nein, den ganzen Tag herum lungern und anderen auf der Tasche liegen, das wollte sie definitiv nicht.

Bewerbungen, Praktikum, Schule, Ausbildungsplatz, wenn etwas klappte, dann nur zeitweilig. Über ihren eigenen Schatten musste sie springen, als sie das Arbeitsangebot auf der öffentlichen Toilette der Stadt angenommen hatte. 7 € die Stunde, das war nicht so viel weniger wie als Reinigungskraft oder wie im Supermarkt Regale einräumen. Als ungelernte Kraft war die Auswahl der Arbeitsangebote ohnehin begrenzt. Putzen oder Toilette sauber machen, davor hatte sie sich nie geekelt. Der Job als Toilettenfrau hatte sie Überwindung gekostet. Das war hart an der Grenze zur Selbstverleugnung. Für solch einen Arbeitsplatz musste sie ihr Gehirn ausschalten. Anfangs schämte sie sich, dort sitzen zu müssen. Am liebsten hätte sie sich versteckt. Wenn Kunden kamen, schaute sie weg, irgendwo auf den Boden oder auf das sterile Weiß der Toilettentüre.

Wochenlang musste sie sich einreden, dass ihr Arbeit einen Wert macht. Sie nahm sich ein Beispiel daran, wie sie es im Haushalt ihrer Eltern gelernt hatte. Es war unstrittig, dass saubere sanitäre Anlagen einen Wert verkörperten. Sie ekelte sich vor dreckigen Toiletten, also sollte dies ihren Mitmenschen erspart bleiben.

Irgendwann kam der Punkt, da hatte sie sich mit diesem Job arrangiert. Auf dem stillen Örtchen war sie ihr eigener Chef. Mit Klobürste, Duftspray, Wischmob und Reinigungsmittel sorgte sie dafür, dass alles so schön fein sauber war, wie sie es zu Hause kannte. Mit ihren wachen blauen Augen begrüßte sie ihre Kunden. Manche kehrten wieder, und mit manchen hielt sie ein kleines Schwätzchen. Auf der einzigen öffentlichen Toilette im Zentrum der Stadt, war sozusagen ständig etwas los. Langweilig wurde es nie.

Ganz unten angekommen ? Sie schritt ein und wischte alles schön sauber, wenn bisweilen alkoholisierte Kunden neben das Urinalbecken zielten und stinkende Urinreste hinterließen. Hauptsache, die Kunden blieben friedlich. Bei Stadtfesten knubbelten sich die Menschen auf ihrem Arbeitsplatz. Das war in Ordnung, wenn Handgreiflichkeiten oder Schlägereien ausblieben.

Ganz unten angekommen ? Beinahe war es ihr gelungen, sich mit dem miserablen Image als Toilettenfrau abzufinden. Mental stand sie über diesem Niveau, das die Gesellschaft in die Schublade ganz unten einordnete. Doch den Nerv raubten ihr die allzu feinen Damen.

„Da drinnen ist es nicht sauber.“

Diese allzu feinen Damen schauten in die Ecken, nichts war ihnen gut genug, die Toiletten mussten so perfekt sauber sein wie ihre Gesichtsfarbe. Entsetzen lähmte ihr Gesicht, wenn sie selbst das kleinste Schnipselchen entdeckten.

„Für so etwas müssen wir noch fünfzig Cent zahlen !?!?“

Erst betrachteten sie ihren anschmiegsamen, festen Körper bis hinunter zu den flachen Wildlederschuhen, die weder lässig noch schick wirkten, sondern irgendwo dazwischen. Dann schauten sie auf die weiße Schürze der Toilettenfrau herab. Ihrem rundlichen Gesicht mit den leichten, mädchenhaften Zügen und würdigten sie kaum einen Blick.

„Da … „
Rollte das Kleingeld auf dem Teller dahin: Sie hatten es auf eine Art und Weise dahin geschmissen, so lästig, als ob sie es am liebsten in den Mülleimer entsorgt hätten.

Das waren Situationen, da hätte sie am liebsten ihren Job hingeschmissen. Sie selbst schritt mit Achtung und Würde durch ihr eigenes Leben. Es war schrecklich, wenn Mitmenschen ihre eigene Würde mit Füßen traten.

Montag, 25. Februar 2013

Mann, haben die genervt ...


Es war ein Fehler, dass ich nicht von vornherein dieses Telefongespräch abgewürgt hatte.

Der erste Versuch klappte halbwegs. Eine Frauenstimme mit undeutlichem, osteuropäischem Akzent, wollte zunächst meine Göttergattin sprechen. Als diese Frauenstimme etwas von der Rhein Energie daher faselte, war meine Frau irritiert und gab das Gespräch an mich zurück.
„Rhein Energie AG“ klang holprig aus ihrer Stimme heraus.
„Ich bin nicht Kunde der Rhein Energie, ich bin Kunde der RWE.“
„Die RWE hat ihre Strompreise zum 1. Januar erhöht.“
„Davon weiß ich nichts. Achja, die RWE nutzt wohl Ihr Stromnetz. Sie haben die Strompreiserhöhung an die RWE weitergeleitet, die RWE aber noch nicht an ihre Kunden.“
„Die RWE hat ihre Strompreise zum 1. Januar erhöht.“
„Klären Sie dies bitte intern mit den RWE“ schloss ich die stereotype Antwort ab. „Ich bin Kunde der RWE. Wenn etwas mit der internen Netzverrechnung mit den RWE nicht passt, rufen Sie bitte die RWE an.“ Ich legte den Telefonhörer auf. Die osteuropäische, gebrochene Frauenstimme verhallte.

Ich hatte gedacht, dass ich das Thema zu den Akten gelegt hätte, doch am nächsten Tag wiederholte es sich. Dieselbe Uhrzeit – 18 Uhr – derselbe Stromversorger – Rhein Energie – dieselbe Irritation, denn seit etwas mehr wie einem Jahr hatten wir von der Rhein Energie zur RWE gewechselt, weil diese rund einhundert Euro pro Jahr günstiger waren. Diesmal meldete sich nicht dieselbe Frauenstimme aus Osteuropa, sondern eine helle Männerstimme in akzentfreiem Deutsch.

Nach dem Telefongespräch ärgerte ich mich, dass ich dieses Herumgerede zugelassen hatte und das Gespräch nicht nach ein paar Sätzen beendet hatte. Ich hatte gelernt, dass Verkaufsgespräche nicht zu einem Wesenskern führen, sondern dass der Wesenskern erst ganz zum Schluss aufgetischt wird. Der Anrufende sagt nicht, was er will, sondern er lullt den anderen ein. Am Anfang stehen Plattheiten und Nichtigkeiten, die man bejaht. Aus dem unspezifischen werden die Fragestellungen konkreter, bis das Frage- und Antwortspiel in eine ganz bestimmte Richtung lenkt. Diese bewusste Interaktion, die nur in eine Richtung ging, wurde mir rasch suspekt. Schon nach den ersten Sätzen schlussfolgerte ich, dass der Grund des Anrufs nichts mit Netzverrechnungen zwischen der Rhein Energie und den RWE zu tun hatte.

„Was für eine Zählernummer haben Sie ?“
Ich begab mich in den Keller.
„Wieviele Personen leben in Ihrem Haushalt ?“
„Vier, zeitweilig, aber eher selten, fünf Personen.“
„Wieviele Kilowattstunden verbrauchen Sie im Jahr ?“
„Weiß ich nicht. Da müsste ich in meine letzte Jahresstromabrechnung schauen. Die heraus zu suchen, dazu habe ich im Moment leider keine Lust.“
„Dann könnte ich Ihnen den günstigen Rhein Energie-Umwelt-Tarif berechnen.“
„Ich bin Kunde der RWE und nicht der Rhein Energie.“
„Dann könnte ich Ihnen den Rhein Energie-Umwelt-Tarif berechnen. Mit diesem Angebot sparen Sie gegenüber Ihrem jetzigen RWE-Tarif.“

Das Gespräch endete in demselben stereotypen Geplappere wie am Vortag; es befand sich in einer Sackgasse. Anstatt mich zu erlösen, klammerte sich die helle Männerstimme an der Vision fest, mich mit diesem Rhein Energie-Umwelt-Tarif beglücken zu wollen.

„Sie meinen, ich soll den Anbieter wechseln und zu Ihnen zurückkehren.“
„Als Stromversorger sind wir ein kompetenter Partner und mit uns treffen Sie eine gute Wahl.“

Ich war sauer. Ich staunte, dass der Mitarbeiter in der letzten Konsequenz seines Verkaufsgesprächs undeutlich blieb. Es schwirrte lediglich eine unverbindliche Bitte im Raum herum , Ja oder Nein zu sagen. Verkaufsgespräche können grausam sein, wenn man ihre Tarnung – so wie ich – zu spät erkennt. Vielleicht war auch die Psychologie des Verkaufsgesprächs falsch getaktet: das Ja, die Kaufentscheidung sollte der Kunde selbst treffen. Ich ärgerte mich über die Zeit, die mir die Rhein Energie geklaut hatte. Das Thema, den Stromanbieter zu wechseln, hätte nach ein paar Sätzen erledigt sein können. Ich knallte den Hörer auf die Gabel.

Im nachhinein fiel mir ein, dass seit 2009 Telefonwerbung verboten ist. Ich wüsste nicht, dass ich der Rhein Energie erlaubt hätte, mich für solch einen Zweck anzurufen. Immerhin: die Flut solcher Anrufe hatte merklich nachgelassen. Versandhandel, Versicherungen, Telekommunikationsanbieter, Weinpräsente, Banken hatten mich noch vor rund einem Jahr Zeit und Nerven gekostet. Das Verbot wirkt mittlerweile. Unser Telefon hat sich danach spürbar beruhigt

Sonntag, 24. Februar 2013

Holzbrücke über alten Rheinarm

So all umfassend wie im Taubergießen (Baden-Württemberg) oder im Kühkopf (Hessen) sind sie hier nicht, die alten Rheinarme. Aber sie schaffen Raum für ein eigenes Stück Natur – nur ein knappes Stück von der Großstadt entfernt. Der alte Rheinarm zwängt sich zu einem Nadelöhr zusammen, eine Verengung, wo eine Holzbrücke von der einen Seite des Rheinarms auf die andere Seite führt. Ohne Grün, kahles Geäst zieht sich in Sträuchern und Pappeln zusammen, unterstricht die Winterstimmung die einzigartige Position der Holzbrücke.


Schon in der Ferne prägt sich der feste Punkt der Holzbrücke ein.


Ich nähere mich.


Pappeln erstrecken sich beiderseits des Rheinarms.



Nach dem vergangenen Hochwasser ist der Weg über die Brücke eine matschige Angelegenheit.


Ein bemooster Baumstamm harrt am Uferrand aus.



Mein Blick schwenkt von der Brücke aus auf beide Seiten des Rheinarms.

Samstag, 23. Februar 2013

offene Bücherschränke

Die Idee kam im Jahr 2002. Die Stadt hatte eine Bürgerstiftung gegründet. Diese veranstaltete einen Ideenwettbewerb, um das gesellschaftliche und kulturelle Leben zu bereichern. Darunter schlug eine Bonner Studentin, die an der Fachhochschule Mainz Architektur studierte, vor, offene Bücherschränke an ausgewählten Stellen der Stadt aufzustellen. Alle Bürger der Stadt wurden eingeladen, ihre Bücher mitzubringen und in dem Schrank zu hinterlegen. Ob Lustig oder Spannend, ob Roman oder Sachbuch, der Phantasie sollten keine Grenzen gesetzt werden. Jeder Bürger kann kostenlos, ohne Leihfristen oder anderweitige Vorgaben zur Ausleihe, diejenigen Bücher aus den Schränken heraus nehmen, die er gerne lesen möchte.


Winterlich verschneit, steht einer der Schränke an der Allee zum Schloss.


Genauso eingeschneit, steht der nächste in der Nähe des Rheins.




Ohne Schnee, ist der Rhein hier deutlich zu sehen.


Die Nähe zur Kirche wirkt genauso anziehend.


Einzelne Bücherschränke sind regelrechte Bibliotheken. Da fällt es auch nicht auf, falls jemand es ausnahmsweise vergessen sollte, das ausgeliehene Buch zurück zu geben.




Ein besonderer Blickfang ist die Telefonzelle, die die Partnerschaftsstadt Oxford spendiert hat.

Freitag, 22. Februar 2013

Sedantag in Wassenberg 1910



Heute war er der Star in Wassenberg. Hoch zu Roß kam er auf seinem Pferd daher geritten. Voller Stolz trug er seinen Brust- und Rückenharnisch. Blank geputzt, bedeckte dieser seinen Oberkörper. Gehalten mit Ketten besetzten Lederriemen, verlieh der Harnisch seinem Körper Glanz, Würde und etwas Herausragendes. Zwei Reiter mit Pickelhauben ritten voran, und in der freien Fläche über den Pflastersteinen präsentierte sich seine Gestalt wie der Star auf einer Bühne.

Wie anderswo im deutschen Reich, feierte Wassenberg den Sedantag am 2. September 1910. Der Sedantag erinnerte an die entscheidende Schlacht im deutsch-französischen Krieg 1870/1871. Am 2. September 1870 hatten deutsche Truppen die uneinnehmbare Festung Sedan in den französischen Ardennen erobert. Napoleon der Dritte war vernichtend geschlagen und musste abdanken. Nach dem Friedensschluss fiel Elsass-Lothringen an das deutsche Reich.

Weder der Tag des Friedensschlusses, noch der Tag der Kaiserproklamation in Versailles, noch der Tag der Schlacht bei Sedan, hatten sich als Nationalfeiertag des deutschen Volkes durchgesetzt. Mancherorts wurde der Sedantag gefeiert, aber gerade im Rheinland lehnten die Kirchen größere Feierlichkeiten ab, da ein Krieg verherrlicht wurde und da sich die Aufmärsche speziell gegen den Erzfeind Frankreich richteten.

Am 2. September 1910 war der Bann gebrochen. Runde 40 Jahre lag nun die Schlacht bei Sedan zurück. Im Zeitalter des Imperialismus fielen die europäischen Staaten wieder auf ihre Nationalismen zurück. Patriotimus, die Rückbesinnung auf alles Deutsche, die Erinnerung an erfolgreich geschlagene Schlachten passten ins Bild. Der 2. September 1910 wurde fast überall im deutschen Reich gefeiert.

In Wassenberg hatten in aller Herrgottsfrühe die Glocken der Pfarrkirche St. Georg geläutet. Die Wassenberger hatten einen Festgottesdienst mit allen wichtigen Dorfpersönlichkeiten und Vereinen gefeiert. In der Volksschule sangen die Schüler Volkslieder, sie lasen Gedichte vor, die Heldentaten Kaiser Wilhelms I. wurden erzählt. Von der Wassenberger Burg wurden aus Kanonen Böllerschüsse gefeuert.

Höhepunkt des Tages war der nachmittägliche Festumzug. Warum Wassenberg  ? Wieso war gerade in dem rheinischen Provinznest zwischen Aachen und Mönchengladbach so viel los ? Das waren die Starallüren des Heinrich Stoffels. 22 Jahre jung, hoch gewachsen, 1,83 Meter, kräftige Gestalt, ein Herkules in Person, gut aussehend, rissen sich die Mädchen rund um Wassenberg um diesen charmanten Typen. Und es war das Top-Ereignis, dass der Kaiser persönlich ihn von Potsdam nach Wassenberg geschickt hatte. Denn er gehörte zur Leibgarde Kaiser Wilhelms II. Dieser ließ all seine Leibwächter in die Heimatorte, damit seine Person und der Sedantag gebührend gefeiert werden konnte.

Der Festumzug konnte sich sehen lassen. Es war weniger ein paramilitärischer Aufzug, sondern mehr ein buntes Treiben von Dorfpersönlichkeiten und Vereinen. Alle, die etwas zu sagen hatten schritten voran. Das waren der Gemeinderat, der Bürgermeister, die Pastore der beiden Konfessionen. Die Schützenbruderschaft mit ihren Fahnenschwenkern mischten den Umzug auf, in deren Mitte der Schützenkönig, begleitet von Trommelwirbeln und Querflöten des Trommlercorps. Musikverein, Kirchenchor, Junggesellenverein, Ehrenjungfrauen rundeten die Präsenz von Dorfvereinen ab.

Abschluss und Höhepunkt des Festumzugs bildete Heinrich Schuffels, den der Kaiser persönlich geschickt hatte. Sein Harnisch gehörte zur Uniform der Kürassiere. Auf seinem Helm blitzte der bronzefarbene Adler der Preußen. Kürassiere: als Reiter, durch Brust- und Rückenpanzer gegen Gewehrfeuer geschützt, hatte sie entscheidend zum Sieg in der Schlacht bei Sedan beigetragen. Mit Festball und Feuerwerk endete abends der Sedantag. Beziehungsweise mitten in der Nacht oder früh Morgens.

All die jungen Frauen in Wassenberg und Umgebung musste Heinrich Schuffels enttäuschen. Schon wenige Tage nach dem Sedantag kehrte er nach Potsdam zurück. Einige Jahre später, verlobte er sich mit einer Ostpreußin, er heiratete sie, er zog nach Ostpreußen und besaß dort ausgedehnte Ländereien.

Quelle: schriftlicher Nachlass Dr. Anton Schuffels; in: Heimatkalender des Kreises Heinsberg 1987, S. 76

Donnerstag, 21. Februar 2013

Riester-Rente - Teil 3


Das Kreuzchen hatte es in sich. „Laut Mitteilung der ZfA besteht kein Anspruch auf Riester-Zulage“ war ein spärlicher Text drangeklatscht, mit dem mal so eben 709 € Zulagen zurückgefordert wurden. Da war nur dieses Kreuz in dem Formular, keine Begründung, kein weiterer Text außer diesem Standard-Satz, Rätselraten.

Seit 2004 zahlen wir in eine Riester-Rente ein. Zum 1. Januar letzten Jahres hatten wir den Anbieter gewechselt. Zwei Posts hatte ich bereits über den Anbieterwechsel geschrieben. Darin hatte das Konstrukt der Riester-Rente als bürokratisches Monster bezeichnet.

Wahrhaft: die Anbieter geben sich sichtliche Mühe, für Intransparenz zu sorgen, indem die Angebote nicht miteinander vergleichbar sind. Bei Banken oder Versicherungen rennt der Kunde zwar in offene Arme; doch die Anlagevarianten reichen von einem Dickicht von Fondssparplänen über Wohnriester bis hin zu verwirrenden  Rentenversicherungen. Selbst innerhalb der einzelnen Anlagetypen kann nichts miteinander verglichen werden, weil jede Bank und jede Versicherung unterschiedliche Eckdaten – wie Laufzeit, monatliche Zahlungen, gebildetes Kapital mal mit, mal ohne Zulagen - verwendet. Für Ein- und Auszahlungspläne über Zeiträume von zehn, zwanzig oder dreißig Jahren muss der Kunde höhere Semester Betriebwirtschaftslehre studiert haben, um aus den Zahlungsreihen Schlussfolgerungen zu ziehen. Zugeschmissen wird der Kunde mit zentimeterdicken Stapeln von Kleingedrucktem. Bei einem solch komplexen Konstrukt ist der Kunde hilflos den Anlageberatern ausgeliefert, die mehr auf ihre eigene Provision schielen, Verwaltungs- und Vertriebskosten verstecken, Risiken schön rechnen und nicht das verkaufen, was am besten zu den Kundenwünschen passt.

Nun hatte dieses bürokratische Monster zugeschlagen, indem Zulagen storniert wurden. Dieses Monster tarnte sich mit der geheimnisvollen Abkürzung ZfA – das bedeutete „Zulagestelle für Altersvermögen“. Ein Ankreuzfeld ! Wo gab es sonst so etwas, dass mit einem Ankreuzfeld Geld zurückgefordert wurde ? – ohne Grund und Inhalt und wie der Betrag zustande kam. War das rechtlich einwandfrei, dass der Staat von einem Bürger Geld zurückforderte und dies nicht begründete ?

Seit 2004 hatten wir unsere monatliche Sparrate in einem Fondssparplan angelegt – das war der Postbank Triselect. Im Internet hatte ich nachgeforscht, dass der Kurs dieses Fonds rasant abgestürzt war. Um die Verluste in Grenzen zu halten, hatten wir seit 1. Januar 2012 auf eine Rentenversicherung bei der HUK gewechselt.

Meine Recherchen, wieso Zulagen von 709 € zurückgefordert wurden, waren bislang erfolglos. Die Postbank war nicht mehr zuständig, sondern der neue Anbieter HUK. Diese konnte auch nicht weiterhelfen, da alleine die ZfA die Gründe kannte. Die ZfA konnte mir dann auf ihrer Hotline die Gründe nennen. Da meine Frau kein eigenes Einkommen hatte, war sie über mich mittelbar begünstigt. Sie hatte solange Anspruch auf Zulagen, wie ihre Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt wurden. Dies war für die Dauer von drei Jahren nach der Geburt unserer Kleinen. Nach drei Jahren waren dies im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung keine Kindererziehungszeiten mehr, sondern Kinderberücksichtigungszeiten. Für diese Zeiten musste sie erklären, dass sie Hausfrau war und kein eigenes Einkommen hatte. Dazu musste meine Frau eine Veränderungsmitteilung ausfüllen. Wie hätte ich auf eine solche Idee kommen können ? Hätte die Postbank uns darüber mit einem Schreiben nicht informieren müssen ?

Beim Sichten der Riester-Unterlagen wollte ich gleichzeitig wissen, wie viel Sparbeiträge ich verloren hatte, weil ich von 2004 bis 2011 unser Geld in einem Fondssparplan angelegt hatte und nicht in einer Rentenversicherung mit einer gesetzlich garantierten Mindestverzinsung. Der Verlust war nicht unerheblich. In acht Jahren hatten wir mit unseren monatlichen Sparbeiträgen ein Kapital von 4.000 € angespart. Davon waren 3.500 € an den neuen Anbieter HUK übertragen worden. Also ein Verlust von 500 € - der noch höher ausfällt, wenn man eine alternative Verzinsung der 4.000 € auf einer konventionellen Rentenversicherung annimmt.  Aktien, Fonds, Wertpapiere – solche Beratungen kehren zyklisch wieder, wenn die Zinssätze bei festverzinslichen Geldanlagen gegen Null gehen. Das war im Jahr 2004 so, und das dürfte momentan auch so sein. Von Aktien, Fonds und Wertpapieren haben wir jedenfalls die Nase voll.

Wieviel Kapital an die HUK übertragen wurde, löste auch einen Aha-Effekt bei mir aus, nämlich die Zulagen. Trotz der zurückgeforderten 709 € waren noch 3.000 € Zulagen übrig geblieben. Das Verhältnis von 3.500 € Spareinlagen zu 3.000 € Zuschüssen war in der Tat nicht schlecht. Wobei auf die Riester-Rente noch Steuern zu zahlen sind. Bei Abzug von 15-20% Steuern dürfte aber immer noch ein sattes Plus verbleiben.

Lohnt es sich denn, all die bürokratischen Hürden der Riester-Rente in Kauf zu nehmen ? Aus Kundensicht ist der Aufwand enorm, die Anlagevarianten zu bewerten. Anders geartete Anlageformen – beispielsweise Ratensparpläne bei einer Bank – sind aus Kundensicht einfacher zu bewerten und sie werden auch nicht versteuert (bei Einkommen aus Kapitalvermögen kleiner 1.600 €). Die Riester-Rente rechnet sich in unserem Fall wegen der drei Kinder. Aber wenn unsere Kinder älter werden und nicht mehr berücksichtigt werden können ? Bei Arbeitskollegen, die keine Kinder haben bzw. nicht verheiratet sind, ist Riester-Rente kein Thema. Konventionelle Geldanlageformen sind rentabler.

Ich fürchte, dass die Riester-Rente eine Fehlkonstruktution ist. Was heute für eine Riester-Rente zurückgelegt wird, fehlt an anderer Ecke. Das stellen wir jeden Monat fest, wenn wir unsere Ausgaben stemmen müssen, wenn die Rücklage ein fester Kostenblock ist und wenn wir an anderer Ecke auf Dinge verzichten müssen. Für Einkommen im Niedriglohnsektor gilt dies um so mehr.

Um festzustellen, ob diese Anlageform rentabel ist, dazu braucht man Expertenwissen. Wahrscheinlich ist aber der Kreis derjenigen überschaubar, für die eine Riester-Rente günstiger ist als andere Anlageformen. Altersarmut wird die Riester-Rente kaum aufhalten.

Dienstag, 19. Februar 2013

Hofladen und Bauernhof


Stolz zeigte die Hofinhaberin auf den Stein, der auf der Außenwand vermauert worden war. 1722: aus diesem Jahr stammte der Bauernhof. Zerbombt im zweiten Weltkrieg – wie viele Dörfer rund um Düren – war dieser Stein einer derjenigen tragenden Überreste, der den Zahn der Zeit überdauert hatte. Das Bruchsteinmauerwerk im zarten Braunton schmiegte sich sanft um den Gebäudetrakt des Hofladens.

Die schweren Schritte und die dicke Gestalt der 71-jährigen standen im Gegensatz zu ihrem Mundwerk, das flink war und einen schwindlig reden konnte. Selbstbewusst unterstrich sie die Bedeutung und den Erfolg des Hofladens, in dem es vor Kunden nur so wimmelte. Bis im Jahr 2010 die Ortsumgehung eingeweiht wurde. An der ehemaligen Bundesstraße positioniert, rauschten nun viele Kunden vorbei. Die Umsätze waren eingebrochen.

„Meine Produkte stammen aus der Region um Düren. Ich weiß, welchen Vorlieferanten ich vertrauen kann. Wer zuviel spritzt, von dem kaufe ich nichts mehr.“

Einkaufen auf dem Bauernhof ? Zufällig waren wir über eine Freundin in diesem Hofladen in der Dürener Gegend gelandet. Unsere Freundin hatte die 71-jährige und den 74-jährigen Hofbesitzer während eines Wochenendes im Kloster kennen gelernt. Die Bundesstraße stach unverdrossen in die Ausläufer der Nordeifel hinein. Sie marschierte den Berg hinauf, wo sie den Blick auf weitere Hügelketten offenbarte.


„Da, sehen Sie. Von diesem Hof kaufen wir die Hühner und die Eier.“
Tatsächlich. An der Wand hingen Fotos mit Seltenheitswert, die Hühner auf einem Hof mit viel Platz zeigten. Damit wurde dokumentiert, was Eier von tatsächlich freilaufenden Hühnern bedeuteten. Dagegen wurde in Discountern und Supermärkten weggeschaut, dass Eier mit dem Prädikat „von freilaufenden Hühnern“ nie und nimmer den Tatsachen entsprachen.

Die Idee, auf einem Bauernhof einzukaufen, fanden wir nicht abwegig. Es entsprach aber effektiv nicht unseren Einkaufsgewohnheiten. Einkaufen auf dem Bauernhof, das gab es genauso bei uns zu Hause um die Ecke. War es uns zu teuer ? Oder steckten wir voller Widersprüche, dass unser ökologisch bewusstes Einkaufsverhalten um Bauernhöfe einen Bogen machte ? Oder scheuten wir die zusätzliche Wegstrecke zum Bauernhof ?

Der Käse stammte aus eigener Produktion, der Weißkohl kam aus der Bretagne, die Tomaten – die 2,99 € kosteten - kamen definitiv nicht aus der Dürener Gegend. Oder zählte man niederländische Gewächshäuser zur näheren Umgebung von Düren ? Wir kauften einen Sack Kartoffeln. Zu Hause im Supermarkt mussten wir suchen, bis wir die richtige Sorte fanden. Oft war diese nicht vorrätig, und wir mussten uns mit Kartoffelsorten aus Zypern, Frankreich, Spanien, ja, sogar Ägypten begnügen. Das war schlichtweg ökologischer Unsinn, wegen Subventionen, Verbraucherwünschen oder Lobbyistentum Agrarprodukte quer durch Europa zu karren..

„Den Kuchen habe ich komplett selbst gebacken. Darum reißen sich meine Gäste.“

Bienenstich, Käsekuchen oder Kirschstreusel – das sah hinter der Glasvitrine sehr lecker aus. Treppenstufen führten sogar in ein abgetrenntes Café hinauf, in dem man es sich gemütlich machen konnte.

Transparenz der Nahrungskette. Der 74-jährige Hofbesitzer führte uns in den Aufbereitungsraum der Rohmilch. Aus den Eutern der Kühe wurde die Milch abgesaugt. Er öffnete die Zinkabdeckung des Bottichs, der nahezu den ganzen Raum ausfüllte. „Die holt ein LKW ab und fährt sie nach Pronsfeld bei Bitburg“ erklärte er den weiteren Weg der Milch, bis sie in den Regalen von Supermärkten landete.

Massentierhaltung ade. Wir schritten in den Kuhstall. Das war übersichtlich, wie die Reihen von Kuhköpfen scheinbar desintessiert in den Stall schauten, sich unsystematisch auf und ab senkten, tranken, fraßen, und überall fanden sich auf dem Betonboden Schichten von Heu. Zweirehig, standen sie sich mit ihren Hintertelen gegenüber, und dazwischen klaffte eine großzügige Lücke. Dort war ausreichend Platz, dass eine Katze auf Strohballen das undurchsichtige Treiben all der Kühe von einem höheren Standpunkt aus beobachten konnte. Das war eine ruhige Stimmung, in der ich Mühe hatte, aus den Gesichtszügen der Kühe Gefühlsregungen abzulesen. Sie diktierten ihren eigenen Rhythmus, Tag und Nacht, beständig untermalt mit dem Kauen ihrer Unterkiefer, das nicht enden wollte.


„Der Nachbar gegenüber ist Ingenieur bei RWE, der Nachbar daneben arbeitet bei der Stadtverwaltung, der nächste Nachbar arbeitet auf dem Bau. Bei gewissen Wetterlagen ist der Geruch intensiver. Die Nachbarn haben gelernt damit zu leben, und wir kommen bestens miteinander aus. Ab April geht es hundert Meter weiter auf die Wiese.“


Massentierhaltung ade. Im Nachbarstall hockten die Kälber noch weiter auseinander. Das war wie eine Insel. Ich dachte an den aktuellen Pferdefleischskandal. EHEC, Dioxin in Eiern, BSE, mehrere Gammelfleischskandale – hier war alles artgerecht und ich konnte vertrauen.


Der ganze Markt für Agrarprodukte war ein Tummelplatz für Betrüger, Schummler und Kriminelle, denen der Boden mit der Geiz-ist-Geil-Mentalität der Verbraucher bereitet wurde.

Was wir auf diesem Bauernhof sahen, war schlichtweg idyllisch und schön. Hier war die Welt noch in Ordnung. Mitunter bin ich froh, konservativ zu sein und an Traditionen festzuhalten. Und ich habe festgestellt, wie widersprüchlich ich selbst als Verbraucher bin.

Montag, 18. Februar 2013

Papa, dopst Du auch ?


Im Badezimmer war unsere Kleine halbwegs ruhig. Das Oberteil ihres Frottee-Schlafanzugs hatte sie über gestreift, ihre Lieblingspuppe begutachtete vom Boden aus ihren Fortschritt beim Aus- und Anziehen. Bis zu den Oberschenkeln angezogen, schlabberte ihre Schlafanzughose die Beine entlang. Ihren Haargummi hatte ich herausgenommen, so dass ihr üppiges Haar den Rücken herunterfiel. Ihre nackten Füße hoppsten auf der Badezimmermatte herum. Gegen halb 8 Uhr abends lagen wir gut in der Zeit zum Zubettgehen.

Mit Albernheiten, die ich allabendlich über mich ergehen ließ, hielt sie sich zurück. Weder stimmte sie das Lied „Gangnam Style“ an und fing an herum zu tanzen, noch wollte mich unsere kleine 7-jährige in eine „Sexy Lady“ umtaufen. Aber verschmitzt, als führe sie etwas im Schilde, wanderte ihr Blick zu mir.  Was ließ sie sich heute Abend einfallen ? Dann wurde ihr Gesichtsausdruck streng, kritisch, streifte prüfend an mir vorbei.

„Papa, dopst Du auch ?“
Im ersten Moment registrierte ich diese Schlüsselfrage gar nicht. Ich kam mir vor wie auf einem fremden Planeten, auf dem ich die wichtigsten Ereignisse verpasst hatte. Abendessen, auf Toilette gehen, Zähne putzen, Zubettgehen, dazu Doping ? Ich glaubte, mich verhört zu haben. Ungläubig schaute sie zu mir herauf und bemerkte wohl meine Verwirrung. Sie war genauso irritiert, dass ich nicht antwortete. Als ich sie genauso ungläubig anschaute, fasste sie nach:

„Papa, dopst Du auch ? In den Nachrichten vom Kinderkanal haben sie zuletzt gesagt, dass Radrennfahrer dopen. Du fährst Rennrad. Also dopst Du auch.“
Ihr Blick war hell, und ihre Worte klangen überzeugend. Sie meinte es ernst.

„Nein, das sind alles Profi-Radrennfahrer. Die fahren ungefähr das doppelte am Tag, was ich fahre. Und die fahren auch ganz viele Tage hintereinander. So viel wie die Profi-Radrennfahrer fahren, das schaffe ich nicht.“

Wie so oft, rang ich nach Worten, um Dinge aus der Erwachsenen-Welt kindgerecht auszudrücken. In anderen Situationen hatte ich Schwierigkeiten, etwas in eine Kinder-Sprache zu übersetzen, damit sie dies in ihrer Welt verstehen konnte. Auch diesmal war es mir wohl nicht gelungen. Eine Haarlocke wirbelte über ihre Stirn, und ihre großen blauen Augen starrten mich an.

„Papa, jedes Mal, wenn Du mit dem Rennrad nach Hause kommst, bist Du stolz, welche lange Strecke Du gefahren bist. Also dopst Du auch.“

Die Worte aus dem Munde eines Kindes waren deutlich. War das Image des Radrennsportes so herunter gewirtschaftet ? Dass selbst Kinder in der Grundschule dies verstanden hatten ? Dass alleine das Wort „Radrennsport“ negativ belegt war ? Der Fall Lance Armstrong geisterte durch die Medien. Armstrong hatte in einem Fernseh-Interview seine Doping-Aktivitäten gestanden. Da gleich mehrere Radrennteams vom Doping betroffen waren, konnte man jede Menge Radrennfahrer unter Generalverdacht stellen. In kriminelle Netzwerke hineingeraten, verkörperte der Sport an für sich keinen Wert mehr. Die Trennung war schwierig, welche Leistungssportler mit krimineller Energie nach Ruhm und Ehre strebten und ihr Zuhause mit Medaillen, Pokalen und gelben Trikots pflasterten. Und welche Leistungssportler aus Spaß und Freude an Wettkämpfen teilnahmen. Ich schüttelte den Kopf.

„Nochmal, Schatz. Die verdienen so viel Geld damit, dass sie Radrennen fahren, wovon wir nur träumen können. Die strampeln so viele Kilometer ab, dass sie in einer Saison locker einmal um die Erde fahren. Ich kriege kein Geld dafür, wenn ich mit dem Rennrad fahre.“

Sie grinste mich an und war womöglich froh, mich aus der Fassung gebracht zu haben. Einen wunden Punkt hatte sie getroffen, denn um die sportliche Idee war es schlecht bestellt. Habgierigen Sportlern wie Lance Armstrong waren Tür und Tor geöffnet, sich nach Lust und Laune zu bedienen, und der ursprüngliche Gedanke von Teamgeist, sportlicher Ertüchtigung, Ausdauer, Kondition, mentaler Ausgeglichenheit, Reinigung von Körper und Seele, blieb dabei auf der Strecke.

„Papa, dopst Du auch ?“
Diesmal schwieg ich, denn sie war an dem Punkt angelangt, dass sie nicht verstehen wollte. Sie nahm ihre Zahnbürste, schrubbte mit der Zahnpasta über ihre Zähne. Rasch strahlten diese blendend weißen in ihrem zarten und lieblichen Gesicht. Ein überquellendes Lächeln wanderte mit ihrer kleinen, mitunter zappelnden Gestalt ins Bett, wo sie sich einkuschelte und das Geschichtenbuch in Reichweite lag.

Sonntag, 17. Februar 2013

der Schnee schmilzt weg ...

Das Zeitfenster war kurz. Es taute, der Schnee verwandelte sich in Wasser. Nach rund zwei Stunden war vom Schnee nichts mehr zu sehen. Die letzten Momente des schwindenden Schnees habe ich letzten Freitag festgehalten.


Reifenspuren zeichnen sich scharf und deutlich in den Schnee hinein.


Diese Spuren könnten von einem Hund stammen.


Wasser und ein schmaler Streifen von Schnee sammelt sich vor dem Gully.


Der nasse Schnee rutscht die Windschutzscheibe hinab.


Wie auf einer Insel klammert sich der Schnee an der unselbständigen Grünfläche.


Laufrad und Bobby-Car werden sich bald vom Schnee befreien.


Wieder die Reifenspuren: diesmal in die Felder hinein.


Das Gras gewinnt mit Grüntupfern die Oberhand.


Auf der Wiese breitet sich die grüne Färbung zunehmend aus.


Feiner Nieselregen lässt auch hier bald den Schnee verschwinden.