Sonntag, 26. April 2015

Bröltalbahn

Trasse der Bröltalbahn in Hennef mit Graffiti
Das Maß gefiel. Genau zweieinhalb Fuß sollten zwischen den beiden Schienengleisen passen, das waren 785 Millimeter, und die Planer legten Wert darauf, dass es zweieinhalb Rheinische Fuß waren. Das war 1860, als der Plan Gestalt angenommen hatte, eine Schmalspurbahn von Hennef aus durch das Bröltal zu bauen. Seit einem Jahr ratterte bereits die große Eisenbahn über den neu gebauten Bahnhof in Hennef auf der Strecke von Köln nach Siegen. Aber für die Planungen einer Nebenstrecke durch das Bröltal war dem Preußischen Staat das Geld ausgegangen, obschon dort genau diejenigen Eisenerze im Erdreich lagerten, die die Eisenhütte in Friedrich-Wilhelms-Hütte brauchte.

Waren die zweieinhalb Fuß Zufallsprodukt oder bewußt kalkuliert ? Seitdem das Zeitalter der Eisenbahn begonnen hatte, hatte die große Eisenbahn das Einheitsspurmaß aus England übernommen, welches sich wiederum an der Maßeinteilung römischer Straßen orientiert hatte. Genauso wie menschliche Füße nicht überall gleich sind, weichen auch die Bezugsgrößen für die Maßeinteilung ab. Nachdem die Preußen ab 1815 im Rheinland das Sagen hatten, hatten sie ihre Maßeinheit des Preußischen Fußes ins Rheinland importiert, welche auf der Vermessung von Äckern und Gutshöfen aufsetzte. Die Rheinländer waren hingegen bei der Maßeinteilung in der Zeit von Karl dem Großen hängen geblieben, die wiederum mit dem römischen Straßennetz zu tun hatte. Da die Gutshöfe im Osten sich in die Weite ausdehnten, verwunderte es nicht, dass der Preußische Fuß ein Stück länger geraten war als der Rheinische Fuß.

So waren sich der Unternehmer Emil Langen, dem die Friedrich-Wilhelms-Hütte gehörte, und zwei weitere Geldgeber einig, eine Schmalspurbahn zu bauen. Dazu gründeten sie im Juli 1860 die Actien-Commandit-Gesellschaft Friedlieb Gustorff & Co. Eine Schmalspurbahn war wegen des kleineren Gleiskörpers nicht nur kostengünstiger, sondern sie betraten auch technisches Neuland. Daher war es vom Prinzip her egal, wieviel Fuß die Spurbreite maß, da sich die Erbauer an keiner anderen Schmalspurbahn stören mussten. Wichtiger war, dass der Rheinische Fuß – und nicht der Preußische Fuß - bei künftigen Schmalspurbahnen das Maß aller Dinge verkörperte.

Gleise der Bröltalbahn am Bahnhof Hennef
100.000 Taler kratzten die Geldgeber zusammen, um das ehrgeizige Vorhaben zu finanzieren. Während das Eisenbahnnetz auf der großen Spur die Siedlungsräume in den Weiten des Landes erschloss, suchte die Schmalspurbahn nach Lücken, die in dem großen Netz vergessen worden waren. Mit den 100.000 Talern kamen die Planer nicht so riesig weit, denn sie reichten so gerade für das Stück von Ruppichteroth nach Hennef, das waren zweiundzwanzig Kilometer Eisenbahntrasse. Das schlimme war: für die ureigene Neuerung des Eisenbahnnetzes, nämlich Lokomotiven, fehlte das Geld, so dass die Waggons auf der im Mai 1862 eröffneten Strecke mit Pferden und Ochsen gezogen wurden.

Für diese schreckliche Knochenarbeit eigneten sich nur die stärksten und im besten Alter stehenden Pferde. Schlimm waren die Steigungen nach Ruppichteroth, so dass sie maximal einen mit fünf Tonnen beladenen Waggon schafften. Die zweiundzwanzig Kilometer von Ruppichteroth nach Hennef dauerten fünf Stunden, und auf halber Strecke mussten die Zugpferde eine halbe Stunde Pause einlegen. Mehr als fünf Fahrten pro Woche und pro Pferd waren nicht drin, sonst wären diese vor Erschöpfung zusammen gebrochen.

Dieses Gebaren, das heutzutage Tierschützer vor die Barrikaden gebracht hätten, beendeten schließlich die kaufmännischen Nutzenkalkulationen. Ein Eisenbahnkilometer kostete mit der Lokomotive 30 Pfennig pro Kilometer, während Pferde mehr als das anderthalbfache, nämlich 47,5 Pfennige pro Kilometer, kosteten. Außerdem waren Lokomotiven mit 18 Stundenkilometern, ein Schlafwagentempo, worüber man heutzutage lachen würde, deutlich schneller. So dauerte der Zeitraum, dass Pferdefuhrwerke auf Schienen fuhren, nicht einmal zwei Jahre.

Den schnaufenden Dampfrössern stand die Bevölkerung äußerst skeptisch gegenüber. So genehmigten die Behörden im April 1863 die Schmalspurbahn nur unter Auflagen. Eine Zeitlang fuhr ein Polizist mit, um zu kontrollieren, ob das Vieh auf den Weiden scheu wurde und nicht weglief. Die größte Angst herrschte vor Unfällen. Diese Angst war nicht unberechtigt, da Lokomotive und Waggons mit der kleineren Spurweite sich instabiler auf den Gleisen fortbewegten. Darauf reagierten die Behörden mit Vorschriften: die Waggons durften nur doppelt so breit sein wie die Spurbreite, die Höhe durfte das zweieinhalbfache nicht überschreiten. Radabstand und Wagenlänge mussten so abgemessen sein, dass diese in Kurven so gleichmäßig und ruhig liefen, dass sie nicht entgleisten.


Streckennetz der Bröltalbahn (oben),
Personenzug in Allner bei Hennef 1899 (unten),
Quelle Wikipedia
Da es zu keinen nennenswerten Unfällen kam, setzte sich dieser neue Standard durch. Das war spätestens so, als die Bröltalbahn 1870 nach Waldbröl verlängert wurde. Bis dahin wurden Erze nach Hennef transportiert, die zur Friedrichs-Wilhelms-Hütte auf die Bahnlinie nach Troisdorf umgeladen wurden. Ab 1872 betrieben die Bahnbetreiber das, was man heutzutage als Cross-Selling bezeichnen würde. Sie hingen an die Güterwaggons einen Personenwaggon an, auf dem Reisende kostenlos mitfahren konnten. Lange Zeit blieb dies so, während parallel eigene Personenzüge auf der Bahnlinie fuhren. Bei 18 Stundenkilometer Geschwindigkeit waren die Situationen bisweilen kurios. Kühe behinderten die Fahrt, weil sie auf den Gleisen standen. Bimmeln und Pfeifen der Lokomotive konnten die Kühe nicht vertreiben. Fahrgäste mussten mit aussteigen, um mit vereinigten Kräften die Kühe von den Gleisen zu zerren. Kurze Zeit später wiederholte sich das Malheur. Die Kuhherde folgte der Bahn, sie überholte sie sogar und versperrte erneut die Gleise. So wie die Kunden der Deutschen Bahn AG in manchen Situationen, waren sie froh, schlussendlich überhaupt am Ziel angekommen zu sein.

Das Bahnnetz wurde ständig erweitert, ins Siebengebirge, nach Siegburg, zu Steinbrüchen im Westerwald, und schließlich löste der Basalt die Erze als hauptsächlich transportiertes Gut ab. Der Bedarf an Basalt war um die 1900er-Jahrhundertwende riesig, denn Wege und Straßen wurden daraus gebaut, Bürgersteige, der Schotter zwischen Bahngleisen oder Steinquader beim Häuserbau.

Gleis der Bröltalbahn in Bonn-Beuel
Den Ausbau des Bahnnetzes zu finanzieren, das hatten mittlerweile Banken übernommen, allen voran die Kölner Privatbank Oppenheim. Sie sammelte Geld ein über neu ausgegebene Aktien. Fortan, das war ab 1885, führte die Bröltalbahn die Bezeichnung „Bröltalbahner Eisenbahn Aktiengesellschaft“. Das Geld floß in den Ausbau des Schienennetzes, das sich bis zur Jahrhundertwende auf 87 Kilometer ausdehnte. Dabei hielt sich die Bezeichnung „Bröltalbahn“ hartnäckig, egal, auf welchem geografischen Terrain sie sich fortbewegte, Pleistal, Hanfbachtal oder bis zur Sieg.

Das galt auch für das Bonner Stadtgebiet. 1891 war die Bröltalbahn bis nach Bonn verlängert worden, um über den Rhein alle Ecken und Nischen des Deutschen Reiches noch besser mit Basalt bedienen zu können. Die Spuren der Bröltalbahn sind bis heute intensiv. Die alte Bahntrasse ist seit Jahrzehnten zu einem Radweg umfunktioniert worden, der auf etwas verworrenen Wegen in den Stadtteil Beuel hinein führt. Ein altes Gleisstück und das Bahnhöfchen, welches bei schönem Wetter vor Ausflugsscharen überquillt, halten die Erinnerung aufrecht. Hinter dem Bahnhöfchen, das kann heute kaum jemand erahnen, wurde all der Basalt verladen. Ein Hafen im Schmalspurformat entstand mit Gleisanlagen, Kränen, Docks und Schiffen, die alles über den Rhein in Nischen und Ecken des Deutschen Reiches verschifften. Erst 1921 wurden die Begriffsbezeichnungen zurecht gerückt, als die Bröltalbahn in „Rhein-Sieg-Eisenbahn“ umbenannt wurde.

Bereits am Vorabend des Ersten Weltkrieges hatte ein gewisser technischer Fortschritt Einzug gehalten. Nach festem Fahrplan verkehrten auf der Bröltalstrecke täglich zwei Personenzüge, sechs gemischte Züge und zwei Güterzüge. Mit einer verbesserten Zugkraft der Lokomotiven verkürzte sich die Zugfahrt, so dass sich die Geschwindigkeit immerhin auf 30 Stundenkilometer erhöhte.

Mit einem besseren Straßennetz, dessen Ausbau die Nationalsozialisten voran trieben, verlagerten sich die Transportwege allmählich auf die Straße. Spätestens in der Nachkriegszeit erodierten Personen- und Gütertransporte. Das Zeitalter der Schmalspurbahn endete, genau genommen, am 17.  Mai 1967. Dem Basalt, der in Pflastersteinen, Gehwegplatten oder Ummauerungen weiterhin benötigt wurde, gelang es, das Ende eine gewisse Zeitlang hinaus zu zögern. Die letzte Bahn fuhr von den Steinbrüchen bei Eudenbach zur Verladung auf Rheinschiffe in Bonn-Beuel. 

Sonntag, 19. April 2015

Ausstellung im Haus der Geschichte "Immer bunter - Einwanderungsland Deutschland"

Ausstellungsplakat
Ein Kleiderspind, in dem kaum mehr als ihre Arbeitskleidung Platz fand, ein schlichtes, doppelstöckiges Bett auf einem olivgrünen Metallgestell, eine düstergraue Matratzendecke mit der Aufschrift „Volkswagen“, auf türkisch warnte ein Schild „DIKKAT, lüften yemek“. Tageslicht fiel behelfsmäßig durch den schmalen Fensterspalt. Die rauchenden Schlote des Volkswagen-Werkes in Sichtweite, mochten sich die Gastarbeiter in ihrem Wohnheim wie in einer Zelle vorgekommen sein: zum Leben besaßen sie gerade das Notwendigste, die Einrichtung war so spartanisch, dass sie gerade als Schlafstätte nach einer anstrengenden Arbeitsschicht dienen konnte. Wen die Enge erdrückte, den trieb es in die Gemeinschaftsräume.

Die Ausstellung „Immer bunter – Einwanderungsland Deutschland“ befasst sich mit dem heiklen Thema der Einwanderung, von den ersten Anfängen in den 1950er Jahren bis in die Gegenwart. Dass Einwanderung ein politischer Dauerbrenner ist, das ein Reizthema in der Bevölkerung ist, zeigt die Ausstellung in einer fast schon zwingenden Logik. Zwei Jahre lang hatten die Organisatoren der Ausstellung, Jürgen Reichel und Ulrich Op de Hipt, recherchiert, um mit Hilfe von 800 Ausstellungsstücken das Thema Einwanderung aufzubereiten. Wegen der Vorlaufzeit fehlen diverse jüngere Entwicklungen: Salafisten, die Zunahme extremistischer Bewegungen, Straßenschlachten zwischen Islamisten und Rechtsextremisten, Pegida, die Anschläge auf die französische Zeitung „Charlie Hebdo“ oder auf ein Kulturcafé in Kopenhagen.

Beginnend in den 1950er Jahren, haben sich die Organisatoren reichlich Mühe gegeben, die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte aus Südeuropa und aus der Türkei zu illustrieren. So ist in der Ausstellung das maschinengetippte Schreiben von Konrad Adenauer an den damaligen Bundesarbeitsminister Anton Storch aus dem Jahr 1955 zu sehen, womit der Bundeskanzler einer „negativen Entwicklung des Arbeitsmarktes“ entgegenwirken will, indem Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben werden. Fotos dokumentieren Warteschlangen in Verbindungsstellen der Bundesanstalt für Arbeit, die mit dem Anwerbungsabkommen ab 1960 in der Türkei aufgebaut wurden (den Anfang machte 1955 Italien). In Stoßzeiten knubbelten sich dort an die 200 Arbeitssuchende, die vorselektiert wurden. Glücklich waren diejenigen, die eine grüne Vorstellungskarte erhielten, denn sie fielen in das Raster von Berufen und eigenen Fähigkeiten, wo Arbeitskräften gesucht wurden. Dann ging es zum Arzt, der die gesundheitliche Eignung testete, das waren Herz, Lunge, Hals, Ohren, Puls, Blutdruck, Sehkraft. Mit einer Legitimationskarte konnten die Arbeitsinteressenten schließlich nach Deutschland reisen, um sich bei einem geeigneten Arbeitgeber vorzustellen.



deutsch-spanischer Arbeitsvertrag (oben links);
Gastgeschenk (Moped) an den millionsten Gastarbeiter (oben rechts);
Fahrkarte Istanbul-München-Express (Mitte);
Ford Transit des Sabri Güler aus Anatolien (unten)
Die Exponate, sorgfältig aus vielen Ecken unserer Republik zusammengetragen,  sind mitten aus der Alltagswelt der Gastarbeiter heraus gegriffen. Der Arbeitsvertrag eines Teodoro Calix Lopez aus Avila, der zweisprachig in Deutsch und Spanisch abgefasst wurde, eine Fischfiletiermaschine, an der wegen der intensiven Geruchsbelästigung vorwiegend Ausländer arbeiteten,  ein Kasten mit Arbeitszeitkarten, auf dem sich türkische, spanische und griechische Namensschilder neben denjenigen von deutschen Arbeitskollegen gesellten, die Einrichtung von Wohnheimen, wozu Konzerne wie Volkswagen verpflichtet waren.

Fotos belegen samt Original-Fahrkarte eine schier endlose Reise im Istanbul-München-Express, deren Abteile mit Koffern so vollgestopft waren, dass die Gastarbeiter bis in die Gänge standen. Andere Exponate sind so großspurig aufgestellt, dass sie nicht zu übersehen sind: das Moped, mit dem der millionste Gastarbeiter Armando Rodrigues de Sà aus Portugal beschenkt wurde, oder der blau lackierte Ford Transit, mit dem Sabri Güler mehr als einhundert Mal die 3.000 Kilometer lange Strecke von Lemgo in Westfalen nach Anatolien herunter gespult hat.

Dass Gastarbeiter herzlich willkommen sind, wendete sich 1973, weil Einwanderung an Wirtschaftswachstum gekoppelt war. Die Wirtschaft stagnierte. Deutsche fürchteten um ihre Arbeitsplätze. Die Bundesregierung reagierte mit einem Anwerbestopp für Gastarbeiter. Im Juli 1973 thematisierte der SPIEGEL die Ausländerpolitik in seiner Titelstory „Ghettos in Deutschland – eine Million Türken“.

Zimmermannsnagel des Bombenattentats im Juni  2004 in Köln-Mülheim
Seitdem hat sich die Einwanderungspolitik globalisiert. Asylbewerber aus aller Herren Länder sind dazugekommen. Die Parole „Das Boot ist voll“ fand Eingang in die Asyldebatte. Während sich die Parteien bis heute uneinig sind, wie viel Einwanderung sie wollen, kapseln sich Parallelgesellschaften ab, junge Frauen werden zwangsverheiratet, Ehrenmorde werden begangen. Unsere Integrationsansätze sind isoliert und beziehen sich nur auf den Arbeitsmarkt. So werden indische Computerspezialisten ins Land geholt. Philippininnen helfen, den Pflegenotstand zu lindern, Russen und Bulgaren arbeiten auf dem Bau. In unbeliebten Branchen wie etwa dem Straßenbau oder dem Reinigungsgewerbe arbeiten weitaus mehr Ausländer als Deutsche.

Im Endeffekt funktioniert die Integration über den Arbeitsmarkt aber nicht, weil Bildung und Chancen auf dem Arbeitsmarkt ungleich verteilt sind. Junge Erwachsene mit Migrationshintergrund bewegen sich nicht auf Augenhöhe mit ihren deutschen Landsleuten. Das belegt der Lagebericht des Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration vom Oktober 2014. Demnach haben Ausländer dreimal so oft keinen Berufsabschluss wie Deutsche, das sind dreißig Prozent aller Ausländer. Ein Kreislauf aus Armut, Gewalt und Perspektivlosigkeit wird in Gang gesetzt.

Ausländerthemen sind heikel, populistisch. Es ist einfach, an die niederen Instinkte zu appellieren, Ungerechtigkeiten zu Ausländern und Asylbewerbern hervorzuheben, und die Stimmung in der Bevölkerung anzuheizen. Die Ausstellung zeigt, wie sich die Parteienlandschaft verändert hat, als Ende der 1980er Jahre die Republikaner und die DVU (Deutsche Volks-Union) auf der Bildfläche erschienen. Die Ausstellung prangert den Rechtsextremismus an, indem sie den Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Wohnhaus in Mölln 1992 zeigt, bei dem drei Türken getötet wurden. Oder die Ausstellung hat einen zehn Zentimeter langen Zimmermannsnagel konserviert, womit die Splittergruppe des Nationalsozialistischen Untergrundes im Jahr 2004 eine Nagelbombe in der Keupstraße in Köln-Mülheim vor einem türkischen Friseursalon explodieren ließ.

Plakataktion
Dass sich die Tagesereignisse überschlagen, dem kann die Ausstellung naturgemäß nicht nachkommen. Das beunruhigt, wie ungefähr im Wochentakt politische Brandstifter versuchen, den Rechtsstaat in die Knie zu zwingen – letzte Woche ein Brandanschlag auf eine Moschee in Witten, in der Woche davor auf ein Anschlag auf eine Asylbewerberheim in Tröglitz. Zeitgleich geistern Schlagzeilen durch die Gegend, wie viel Überläufer in die IS es in Deutschland gibt.

Das Problemfeld des Umgangs mit dem Islam kommt effektiv zu kurz. Die Ausstellung stellt sich die Gegenwart viel zu einfach vor. Integrationspolitik reduziert sich auf Imbisse und exotische Kochkünste, auf einen Karneval der Kulturen, wie er einmal jährlich in Berlin stattfindet, auf Plakataktionen, die in poppigem Gelb Harmonie verbreiten, oder auf Deutschkurse, dass Ausländer aus aller Herren Länder mit einem Stück Papier in Form eines Zertifikats prompt integriert sind.

Unkommentiert, ist es zum Schluß der Ausstellung dem Urteil des Betrachters überlassen, ob dieser den Islam als Bedrohung auffasst. Fest in der Mitte des letzten Ausstellungsraums verankert, erweckt eine in dickem Schwarz verhüllte Frau den Eindruck eines Mahnmals. Inmitten der großen Verschleierung muss man genau hinsehen, um den Schlitz der Augen gerade noch zu erkennen. Mir ist dabei unheimlich geworden.

die große Verschleierung


Donnerstag, 9. April 2015

Wohnungseinbrüche und Bürgerwehren

Die polizeiliche Kriminalstatistik des Jahres 2013, die der Bundesinnenminster Thomas de Maizière im Juni 2014 vorstellte, war für die Bonner Region ein Schock. Bei den Wohnungseinbrüchen war Bonn mit 563,8 Einbrüchen bezogen auf 100.000 Einwohner die Spitzenposition beschert. Auch auf den nachfolgenden Tabellenplätzen war das Rheinland gut vertreten: Aachen folgte mit 517,3 Einbrüchen und Köln mit 493,5 Einbrüchen.

Die Banden organisieren sich in Großstädten, sie suchen anonymisierte Wohnstrukturen und keine gewachsenen Nachbarschaften, denn dort wäre das Entdeckungsrisiko zu hoch. Die Wege aus dem Einbruchsort müssen kurz und vielgliedrig sein: ideal ist die Verkehrsinfrastruktur in Städten, wo sich die Straßen in verwirrenden Verkehrsführungen verlieren, in Vororten, wo sie unvermittelt abtauchen können, und mit einem Netz von Autobahnzubringern, wo sie schnell das Weite suchen können.

Kein Wunder, dass das Rheinland unter dem bundesweiten Trend klagt, wonach Wohnungseinbrüche von 2007 nach 2013 um 40% angestiegen sind. Es leiden nicht nur die Großstädte, sondern auch das Umland. Da bleibt höchstens offen, nach welchem Zufallsprinzip die Verbrecher gerade zuschlagen. Gut betuchte Einkommensschichten haben sich überall an der Peripherie der früheren Bundeshauptstadt niedergelassen. So fühlen sich Königswinter, Siegburg, Bornheim, Troisdorf, Bad Honnef, Meckenheim oder Rheinbach verflucht, wenn sie von Einbruchsserien heim gesucht werden. All diese Städte fallen in den Zuständigkeitsbereich der Bonner Polizeipräsidentin. Die Bürger von Bonn und deren Umland fühlen sich im Stich gelassen, weil sie einerseits ordentlich Steuern zahlen, damit der Staat seine Aufgaben für Sicherheit und Ordnung übernimmt, andererseits läuft die Kriminalität aber aus dem Ruder, insbesondere beim Straftatbestand von Wohnungseinbrüchen.

Können sich unsere Bürger noch sicher fühlen ? Die Polizei wiegelt gerne ab und relativiert. In irgendeiner Ecke unserer Republik seien die Einbruchszahlen noch viel schlimmer, rechnen die Beamten gerne vor. So wurde in Meckenheim bei einem gut betuchten Softwareunternehmer eingebrochen und alles mit feinem blauen Staub aus Feuerlöschern besprüht, um Spuren zu verwischen. Dieser feine blaue Staub, der in alles eindrang, war so etwas wie die Kapitulation vor Vermögensschaden und Vandalismus: nichts konnte mehr gebraucht werden, kein Sweatshirt, keine Hose, keine Unterhose, die feine blaue Stab hatte sich in Schränke hinein verteilt, in  Schubladen, in die Kücheneinrichtung, auf das Bett, auf Erinnerungen, auf Fotos und familiäre Glücksmomente, so dass von einem Moment dieser feine blaue Staub alle persönliche Dinge vernichtete.

„Die Bekämpfung des Wohnungseinbruchs ist der Handlungsschwerpunkt in unserer Behörde“, das erklärte ziemlich lapidar die Bonner Polizeipräsidentin auf Anfragen ihrer Bürger, ob sie sich noch sicher fühlen könnten. Aber denkt sie wirklich so ? Ausgeraubt und vom blauen Staub eingenebelt, sahen die Bürger von Meckenheim das anders und versuchten, der Polizei auf die Sprünge zu helfen. Ein pensionierter Beamter des Verteidigungsministeriums gründete eine Bürgerprojektgruppe „Sicherheit in Meckenheim“. In kurzer Zeit sammelte er 1.856 Unterschriften und adressierte eine Petition an den Innenminister des Landes NRW. Was geschah, klingt wie ein Wunder: die Polizeistation in Meckenheim wurde aufgestockt, Streifenpolizisten zeigten eine häufigere Präsenz, in den Straßen wuchs wieder ein Gefühl von Sicherheit.

Nicht viel anders ist die Situation in Bad Godesberg. Reiche Einkommensschichten in den Villenvierteln sind geradezu für Wohnungseinbrüche prädestiniert. Es sind insbesondere Wohnviertel von Rüngsdorf bis Mehlem, wo in Rheinnähe nicht nur Selbstständige und Unternehmer ihren Lebensabend verbringen, sondern auch frühere Politiker.

Dort wird nicht nur eingebrochen, sondern organisierte Banden klauen auch Luxuskarrossen.  Nachdem die Geschäftsleute sich in der Godesberger Innenstadt zusammengetan hatten, damit in privater Sicherheitsdienst nachts Streife lief, um Einbrüche in Geschäfte abzuwenden, wurde dieses Modell auf das Villenviertel übertragen. Für fünfzig bis einhundertfünfzig Euro im Monat bietet dieser Sicherheitsdienst eine „Villenstreife“ an, um zu kontrollieren, ob Einbrecher auf frischer Tat ertappt werden.

Die Aktion ist bestens durchorganisiert. Der Kunde kann bestimmen, in welcher Häufigkeit kontrolliert werden soll, dabei hilft eine Checkliste: Inaugenscheinnahme des Objekts, ordnungsgemäßer Verschluss der Zugänge, verdächtige Fahrzeuge oder Personen in der Nähe. Die Kontrollpunkte werden akribisch abgehakt, so dass der Kunde nachvollziehen kann, dass alles in Ordnung ist.

Die Verantwortlichen, die für die innere Sicherheit zuständig sind, eiern längst herum. Die innere Sicherheit spart sich kaputt. Wie viele Polizisten in unsere Bundesland Streife fahren, hängt nicht von der Häufigkeit der Verbrechen ab, sondern von politischen Vorgaben, welche Anzahl von Polizisten sich aus irgendwelchen zurückgerechneten Haushaltsvorgaben sich für den Innenminister des Landes NRW ergeben.

Der Innenminister weiß nicht so ganz, was er von diesem Outsourcing des staatlichen Gewalt-Monopols halten soll. Was passiert, wenn die privaten Sicherheitsdienste einen Verbrecher stellen ? Es muss einen Übergabepunkt an die Polizei geben, private Sicherheitsdienste können keinen Verbrecher festhalten oder inhaftieren

Steigende Verbrechen haben den Staat vor Fakten gestellt. Der Staat sieht sich offensichtlich außer Stande, seine Aufgaben für Sicherheit und Ordnung wahrzunehmen. Auf Dauer wird ihm nichts anderes übrig bleiben zu kooperieren – oder den Personalbestand von Polizisten an die Kriminalität anzupassen.

Sonntag, 5. April 2015

frohe Ostern

Ich wünsche Euch allen ein frohes Osterfest, viel Spaß beim Ostereier-Suchen und Ruhe und Entspannung an den Feiertagen ...


Samstag, 4. April 2015

Hochhaussprengung

Kaiserbau Troisdorf 1999, Quelle Wikipedia
Ungelenk, abgestumpft, leidenschaftslos war es sechzehn Jahre lang so etwas wie das Wahrzeichen von Troisdorf. In historischen Altstädten sind es oft Türme , Zinnen und Stadttore, die zu einem inneren Kern einer Stadt hinführen. Wenn man sich Troisdorf über die Flughafenautobahn A59 näherte, dann schraubte sich sechzehn Jahre lang ein Denkmal der ganz besonderen Art in die Höhe. Spröde und beiläufig, fiel der Blick über die Lärmschutzwand auf den Rohbau eines achtzehnstöckigen Hochhauses. Fertigbauteile, die sich wie Streichholzschalten aufeinander stapelten, wuchsen zu einem Denkmal in die Höhe, so prägnant wie ein Turm mit Zinnen vor den Toren von Troisdorf und einer nicht-mittelalterlichen Stadt.

Die Pläne klangen hoch trabend. Ein Airport-Luxus-Hotel in nie dagewesenen Dimensionen sollte entstehen, komplett verglast,  Restaurantbetrieb rund um die Uhr, eine Bar mit Tanzfläche, Kosmetik-, Friseur-, Juwelier-, Drogerie-, Mode-, Tabak- und Zeitungsläden, Tennisplätze, Minigolfanlage, Joggingpfade, ein Swimmingpool auf dem Dach – mit eintausendzweihundert Betten hätte das zweitgrößte Hotel in der damaligen Republik gebaut werden sollen.

34.000 Quadratmeter, das sind sechs Fußballplätze, solch ein Grundstück, direkt an der Autobahn A59 gelegen, kaufte der Kölner Bauunternehmer Franz Kaiser. Das war 1970. Danach vergingen vier Jahre, bis die Baugenehmigung erteilt wurde, danach legten sich Planer und Bauarbeiter mächtig ins Zeug. In dreizehn Monaten stand der Rohbau. Doch dann war Schluß, als die Stadt Troisdorf an der Reihe war, Leistungen zu erbringen. Die Zufahrtsstraße sollte ausgebaut werden, das Hotel sollte an das Kanalnetz angeschlossen werden, ein nahegelegener Baggersee sollte renaturiert werden. Nachdem sich nichts tat und Zusagen der Stadt Troisdorf nicht eingehalten wurden, kündigten die Planer und die Baufirma den Vertrag. Nichts ging mehr, die Parteien stritten sich ohne Ende, so dass sich die Gerichte mit dem Fall befassten. Seitdem klammerte sich die Ruine des achtzehnstöckigen Hochhauses zwischen Getreidefeldern und wurde, benannt nach ihrem Bauunternehmer, als „Kaiserbau“ im gesamten Rheinland bekannt.

Erst 1992, als der Bundesgerichtshof die Streitigkeiten für beendet erklärte, konnte die Fläche wieder genutzt werden. Dort sollte ein Gewerbegebiet entstehen. Da die Bausubstanz der Hochhausruine verwittert war, sollte diese gesprengt werden.

Bis zum Jahr 2001 sollte es dauern, bis die Sprengung durchgeführt wurde. Die Schaulustigen, zu denen ich mich gesellte, drängelten sich bis zum rot-weißen Absperrband. Die äußeren Bedingungen waren optimal, denn in den Vormittagsstunden eines sonnigen Maitages regte sich kaum Wind. Die Anspannung auf diesen einzigen Moment, auf den sich alles konzentrierte, war enorm. Die Sprengung umfasste nicht einmal eine Minute, und wie auf einem Uhrwerk setzte Zündstufe auf Zündstufe mechanisch aufeinander auf. Spontaner Beifall wurde geklatscht, nachdem Berge von Beton punktgenau in sich zusammen gesackt waren. Wie ein feuerspeiender Drachen, wälzte sich im Anschluss eine Staubwolke vorwärts und hüllte all diejenigen ein, die der Absperrung zu nahe gekommen waren.


Die Chancen stehen gut, dass sich die Ereignisse vom Mai 2001 aus Troisdorf in Bonn wiederholen werden, wenngleich der Fall anders gelagert ist. Dort ist die Adresse des Bonn-Centers „Am Bundeskanzlerplatz“ nobel. Der Ort ist geschichtsträchtig. Nach seiner Eröffnung am 25. November 1969 beherbergte das Bonn-Center ein Hotel mit 300 Betten, in dem diverse Staatsgäste übernachteten. Vier Botschaften waren während der Bonner Hauptstadtzeit untergebracht, Fernsehstudios, internationale Nachrichtenagenturen. Ab Mitte der 1980er bis Ende der 1990er Jahre hatte sich dort das Informationsbüro des Europäischen Parlaments eingenistet. Der Niedergang kam nicht mit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin, sondern mit dem Auszug der Deutschen Post. Dies geschah 2011, und seitdem stehen drei Viertel des Gebäudes leer.

Was tun ? Der Leerstand klingt etwas merkwürdig, da Büroraum ansonsten hängeringend gesucht wird. Anders wie bei Wohnraum, ist die Bereitstellung von Büroraum ein seltsames Gemisch aus einer Bausubstanz, die wie aus dem Nichts schnellst möglichst aus dem Boden gestampft werden soll, aus Nutzern, die ihre Vorstellungen, wie der Büroraum auszusehen hat, präzise und genau formulieren, aus  Architekten, die sich profilieren wollen und nach höheren Segnungen von Architekturpreisen streben, und der unabhängigen Position der Verantwortlichen der Stadt, die sich aber nur herum gezerrt fühlen von den übrigen Beteiligten.

Bonn-Center
Je höher die Bürotürme wachsen, um so mehr erschreckt, wie kurzlebig die Bausubstanz ist. All die Bauten aus den 1970er Jahren kommen nun in die Zeit, dass saniert werden muss. „Das Objekt befindet sich in keinem nachhaltigen Zustand – von diversen Brandschutzaspekten bis zu baulichen Mängeln“, so urteilten Gutachter über das Bonn-Center. Die Bausubstanz ist anscheinend so schlecht, dass es sich nicht lohnt, über all die sechzehn Stockwerke hinweg zu entkernen und von Grund auf zu sanieren.

Weg zu sprengen und neu zu bauen, das sieht gar nicht einmal abwegig aus. In der vorletzten Woche wuchsen Ideen, ein neues Hochhaus zu bauen mit einer Bürofläche von 60.000 Quadratmetern, die fast doppelt so hoch wie das Bonn-Center ist. Das könnte sich rechnen. Die Lebenszyklen verkürzen sich enorm bei Büroflächen. Dass langlebig und ökologisch gebaut wird, daran denkt offensichtlich niemand. Auch anderenorts wird weggesprengt. 2004 wurde das Sparkassengebäude in Hagen, gerade einmal 29 Jahre alt und 98 Meter hoch, weggesprengt. Den Uni-Turm in Frankfurt, 116 Meter hoch, 42 Jahre alt, ereilte 2004 dasselbe Schicksal. Das Iduna-Hochhaus in Hamburg am Millerntor, Asbest-verseucht, 1995 weggesprengt, schaffte es auf 30 Jahre. Weggesprengt wurde auch das Agfa-Hochhaus in München 2008, es wurde immerhin 49 Jahre alt, was schon etwas traurig stimmt, wenn dies das Maß aller Dinge sein soll, was die Nutzungsdauer von Büroimmobilien betrifft.

Troisdorf läßt grüßen. Noch wird über das Bonn-Center diskutiert, wobei die Konzepte von Abriss und Hochhausneubau gerade drei Wochen alt sind. Die Sprengung wird aber nicht mit Troisdorf vergleichbar sein. Troisdorf lag im freien Feld, während Wohngebiete und die Bahnlinie nach Koblenz am Bonn-Center viel näher dran liegen. Es kursierte ein Abrisstermin im Juni 2016. In Troisdorf habe ich die Präzision bewundert, wie zielgenau die Gebäudeteile zusammen stürzten. Wenn es so kommt, wird in Bonn das Können der verantwortlichen Sprengmeister extrem gefordert sein. Dieses Event wird im Bonner Raum sicherlich Kreise ziehen.

Und es bleiben Fragen offen, die die Gemüter der Stadt erregen: Was wird aus dem Pantheon, dem Kabarett, das im Keller gastiert ? Was wird aus dem Mercedes-Stern, der, sich unablässig drehend, ein Zeichen weit über den Bundeskanzlerplatz hinaus setzt ? Lösungen werden sich bestimmt finden ….