Donnerstag, 17. Januar 2013

80 Jahre und Autofahren

Oma, Opa, Sohn, Schwiegertochter und Enkeltochter hatten es sich schmecken lassen. Das Restaurant hatten wir verlassen und wir schlenderten zum Parkplatz zurück, zu dem eine Stichstraße jenseits der Hauptstraße führte. Ein Feldweg und Wiesen schlossen sich an, die von der buckeligen Gestalt eines Holzzauns markiert wurden. In der Ferne brummte der Autoverkehr auf der Landstraße.

Eingequetscht von einem Bretterzaun, war der Parkplatz eine Herausforderung. Schräg am Bretterzaun geparkt, musste ich vier, fünf, sechsmal vor- und zurückfahren, um aus der Parkposition heraus zu kommen. Ich musste fast um 360 Grad drehen, aber mit der Ecke des Bretterzauns dazwischen. Nach vorne schauen, nach hinten schauen, Lenkrad nach links einschlagen, Lenkrad nach rechts einschlagen, die Enge war tückisch, um nicht am Zaun oder dem Auto auf der benachbarten Parkfläche anzuecken. Das verlangte ein Höchstmaß an Konzentration.

Dasselbe Wendemanöver stand dem Opa bevor, denn wir hatten uns auf zwei Autos aufgeteilt. 80 Jahre, steinalt, eine unübersehbare Fülle von Lebenserinnerungen, den zweiten Weltkrieg als Kind erlebt, mit 13 Jahren bei Kriegsende an Hitlers letztem Aufgebot vorbeigeschrammt, mit 15 Jahren in die Fabrik geschickt, ein Haus gebaut ohne eine D-Mark Hypothek aufzunehmen, vor fünf Jahren Goldhochzeit, klammerte sich die eine Hand um die Eingangstüre; fleischig und blass, tastete sich die andere Hand ins Fahrzeuginnere. Bauch und Rückgrat zögerten, bis sie einsteigen und die gleichförmige Masse des Körpers in einem Rutsch auf den Fahrersitz fiel. Seine schlohweißen Haare standen in die Höhe.

Die mattgrüne Lackierung des Opel Astra, der genauso in die Jahre gekommen war, war so bleischwer wie das trübe Wetter, denn seit einer Woche wollte die Wolkendecke einfach nicht aufreissen.

Ich hatte stets ein mulmiges Gefühl, wenn er Auto fuhr. Er hatte abgebaut. So manche Bewegung geschah im Zeitlupentempo, wenngleich er unverändert im Garten aktiv war und mit handwerklichen Kenntnissen glänzen konnte. Er fuhr stets ohne Brille – er war kurzsichtig und trug keine Gleitsichtbrille: würde das gut gehen ? Wie sollte er auch anders ? Sie lebten im tiefsten Land auf dem Dorf. Wenn man vom Bäcker und Metzger absah, musste man zum Einkaufen, zur Sparkasse oder zu Ärzten in die Nachbarstadt fahren. Busverbindungen ? Fehlanzeige.

Bevor ich auf die Hauptstraße abbog, beobachtete ich das Geschehen im Rückspiegel, denn mich selbst hatte die Wenderei einige Nerven gekostet. Er fuhr rückwärts in den Jägerzaun hinein, bremste aber rechtzeitig ab, damit dieser nicht abknickte. Als er wieder nach vorne fuhr, sah ich, dass dies nicht tragisch war, denn der Zaun war an weiteren Stellen eingedrückt, denn die Parkfläche war effektiv zu eng. Ähnlich wie bei mir, manövrierte er etliche Male hin und her, bis er die Situation meisterte.

Oma, Opa, Sohn, Schwiegertochter und Enkeltochter fuhren nach Hause.

Wir fuhren mit unserem Auto nicht die Hauptstraße, sondern am Ortsrand entlang. An der Periphierie des Waldhufendorfes spannte sich die Seitenstraße in die Länge. Selbst auf dem Land war vieles zugebaut. An freistehenden Einfamilienhäusern mit großen Grundstücken konnten wir den Einfallsreichtum der Bauherren bewundern. Schmiedeeiserne Zäune, Säulen am Eingang, massives Fachwerkgebälk, pastellfarbener Mauerputz mit grünen, mediterran anmutenden Fensterläden, manche Bauherren hatten halbe Villen in die Landschaft gepflanzt. Dahinter senkte sich der Blick in die Felder hinab, die hinter einer Mulde wieder anstiegen und in der Ferne grenzenlos waren. In die Wiesen, die vom Frost ausgebleicht waren, schob sich die breite Gestalt eines Aussiedlerhofes.

Bei Oma und Opa angekommen, warteten wie ungefähr die Dauer einer Werbepause, was uns nicht beunruhigte.

„Klappt es noch mit dem Autofahren ?“
„Ja, solange es geht. Das Alter kann niemand aufhalten.“

Wohl war mir dabei nicht zumute. Bruder und Schwägerin kümmerten sich zwar um sie, aber wie lange würde die Autofahrerei gut gehen ? Würde er früher oder später einen Unfall bauen ? Gab es so etwas: einen altersbedingten Zwangsentzug des Führerscheins ? Dabei war mir genauso unwohl.

„Gehen wir rein und trinken wir eine leckere Tasse Kaffee … „
Als Kontrast zu den frostigen Temperaturen schmeckte der Kaffee besonders gut.

Lecker gegessen und ein paar leckere Tassen Kaffee getrunken, fuhren wir später einhundert Kilometer entfernt nach Hause zurück.

11 Kommentare:

  1. Oh ja, das kenne ich zu gut. Gerade in ländlichen Gegenden, in denen man vom Auto abhängig ist. Da wäre ich auch absolut gegen einen Zwangsentzug des Führerscheins. Wie sollen die Menschen denn sonst zum Arzt oder mal in einen größeren Laden kommen? Zumal gerade die medizinische Versorgung dann nicht mehr gewährleistet wäre, hab vor Jahren schon gelesen, dass Landärzte händeringend Nachfolger suchen. Dass der mit den Jahren zunehmende Verkehr für ältere Menschen stressig ist kann ich mir allerdings auch gut vorstellen. Mein Vater hat mal erzählt, dass in seiner Kindheit und Jugend sich noch lange nicht jeder ein Auto hat leisten können. Er ist inzwischen auch umgestiegen. von gern mal schicken Schlitten auf Stadtgeländewagen. Kann er besser ein- und aussteigen sagt er. Das Alter kann niemand aufhalten. Wahre Worte.

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  2. Ja mein lieber Dieter auf dem Land bist Du auf das Auto angewiesen. Öffentliche Verkehrsmittel lächerlich, ich sehs hier. Hoffe der alte Herr hat sein Auto noch lange unter Kontrolle.
    Es wäre ganz schlimm, wenn er den Führerschein abgeben müsste...was dann? Immer auf andere angewiesen sein.

    Liebe Abendgrüße
    Angelika

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  3. Solch eine Situation kenne ich auch noch zu gut. So hat mein Ex-SchwVa mit zunehmendem Alter auch sehr abgebaut und ich selber mochte nicht mehr mit ihm mitfahren. Er sah immer alles gelassen und ich war schweißgebadet nachdem ich ausgestiegen bin.

    Sicherlich ist es gerade in ländlichen Regionen nicht einfach wenn alte Menschen nicht mehr fahren dürften, dennoch finde ich es öfters eine ziemliche Gefahr sie fahren zu lassen. Vor allem dann wenn sie nicht mehr regelmäßig fahren und sehr unsicher werden. Dazu kommt noch die schlechte Versorgung auf dem Land in Deutschland. Spreche von dort weil sie hier noch gegeben ist. Jeder kleine Ort ist gut versorgt, mit Geschäften oder auch fahrenden Händlern, und die Busverbindungen lassen einen die ganze Insel bereisen.

    Ein zweischneidiges Schwert...

    liebe Abendgrüssle

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  4. Also bei uns ist das auch so öffentliche Verkehrsmittel können das eigene Auto nicht
    ersetzen. Mein Vater ist auch mit 83 noch selber gefahren.

    Gruß
    Noke

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  5. Ihr könnt nicht ohne Auto und bei uns kommst du teilweise mit Auto kaum vorwärts, aber das kennst du sicher auch aus Köln.
    Sehr schön geschriebener Text.
    Danke für deinen cmt un die Antwort auf meine Frage: Aber was würdest du tun, wenn du Jemanden bei der illegalen Sperrmüllentsorgung erwischst???
    Bei uns gibt es seit kurzem eine Telefon-Nr. um "Schmuddel-Ecken" zu melden. Aber bei einer Couch wird wohl noch keine Schmuddelecke vorliegen. Daher würde ich auch nicht anrufen. Nicht, dass die noch auf die Idee kommen, das Ding wäre von mir. Kann zwar beweisen, seit wann ich meine Möbel haben, aber so etwas muss ja gar nicht erst sein. Die Müllabfuhr fährt schließlich selbst jeden Tag durch die Straßen und sieht, was wo wie herumsteht.
    Gruss Wieczorama (◔‿◔) | Mein Fotoblog

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  6. ich habe den Text wieder sehr gerne gelesen. Deine Art alles um dich herum zu beschreiben gefällt mir immer besser. Ich weiß nicht ob es an dir oder an mir liegt ;-) Na - auf jeden Fall ist es wieder eine kleine Geschichte zum Miterleben und Nachdenken.

    lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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  7. Ein Bericht, wie das Leben ihn spielt. So ist es, wir werden älter und wollen auf das Gewohnte nicht verzichten und viele im Alter sind auf den fahrbaren Untersatz angewiesen. Der Supermarkt liegt am Dorfrand, zu weit zum Laufen, kleiner Läden haben im Dorf dicht gemacht, also müssen Opa und Oma weiterhin mobil bleiben, denn nicht immer sind Kinder oder Enkel in greifbarer Nähe, die das eine oder andere auch sofort erledigen können.

    Nun ja, der kleine Dotzer am Jägerzaun war nicht weiter tragisch, das passiert auch Jüngeren, aber trotzdem bleibt die Sorge: Wird das auch weiterhin so glimpflich abgehen? Ich wünsche es dem Opa von Herzen. :-)

    Zu deiner Frage zum Gronauer Hof......die Zukunft des Hofes ist ungewiss und ich kann nicht mit Sicherheit sagen, aus welchen Epochen die jetzigen Gebäude noch sind, aber ich werde mich mal erkundigen.
    Kannst die Geschichte, wenn du magst, ja noch mal hier nachlesen:

    http://www.gronaubadvilbel.de.tl/Gronauer-Hof.htm

    Lorsch ist schon eine gute Ecke von uns entfernt, das sind ca. 90 km.

    Liebe Grüße
    Christa

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  8. Hallo Dieter, schau mal hier...

    http://angelikadiesunddas.blogspot.de/2013/01/tagging-der-trend-aus-den-usa.html

    ...vielleicht hast Du Lust mitzumachen.

    liebe Grüße
    Angelika

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  9. Ja,du hast Recht...Kaffee geht immer!
    Besonders,wenn man so viele Gedanken im Kopf hat.
    Was den Führerschein angeht,so bin ich auch noch nicht auf eine eindeutige Meinung gekommen.
    Vielleicht sollte man im höheren Alter jährlich einen Fahrtest/Reaktionstest machen?
    Schafft man evtl. den Schulterblick schon gar nicht mehr?
    Ach,keine Ahnung.

    Viele Grüße,

    Line

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  10. Ich selbst bin absolute Tee-Trinkerin, aber das, worauf es ja bei Tee und Kaffee gleichermaßen ankommt, ist der gemeinsame Genuss, dann schmeckt es direkt doppelt so gut.
    Zum Autofahren glaube ich, ist es nicht unbedingt eine Frage des Alters, denn manch 30-jähriger fährt wahrscheinlich unsicherer oder unvorsichtiger, als ein besonnener älterer Herr mit 80 Jahren, dennoch kann ich die Ängste natürlich nachvollziehen und wünsche dir und deiner Familie allseits gute Fahrt.

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