Freitag, 1. Februar 2013

Thea Dorn und Richard Wagner - die Deutsche Seele


Der Weg ist das Ziel – dies hatte kein Deutscher gesagt, sondern Konfuzius. Das Buch von Thea Dorn und Richard Wagner lädt ein zur Suche – was man so als typisch deutsch betrachtet. Griffig, nach dem Alphabet sortiert, bei A wir Abgrund beginnend und bei Z wie Zerrissenheit endend, hangeln sie sich durch.

Was man mit Deutschen verbindet. Nicht als Nation, nicht als Entstehungsgeschichte über Fürsten, Feldherrn, Krieger, Politiker, Staatsmänner. Diese kommen auch vor, aber eher am Rande. Die Großen der Geschichte kommen vor, aber sie haben sich unterzuordnen unter die Themen, die den Begriffen gleich gesetzt sind, Themen, die aus lauter Banalitäten bestehen, aus denen sich das Deutsche zusammensetzt. Der Weg ist das Ziel – das Buch ist eine Entdeckungsreise in Begriffswelten, von denen eine spannender ist als die andere.

Thea Dorn, sie ist Anfang 40 – ich kannte sie aus dem Literatur-Club des SWR-Fernsehens. Außer Büchern hatte sie u.a. Drehbücher für Tatorte geschrieben. Richard Wagner ist 1952 in Rumänien geboren und emigrierte Ende der 80er Jahre nach Deutschland.

Bis in die 80er Jahre war ich gehemmt, Deutscher zu sein. Mein eigenes Volk hatte ich als eine Ansammlung von Verklemmtheiten, Geheimnistuereien, Abschottungen, Kommunikationsunfähigen, konventionell Denkenden und auch Eitlen und Lobhudelnden kennen gelernt. Im Beruf lernte ich die Bürokratie kennen: dort herrschten Verhaltensweisen, die eher aus der Wilhelminischen Zeit stammten – Ordnung, Disziplin, Fleiß, Sparsamkeit waren angesagt. Was die Obrigkeit sagte, wurde gemacht; untertänig befolgte man deren Regeln; die Dinge wurden nicht in Frage gestellt; das Denken überließ man lieber den Pferden; man schottete sich ab und suchte sein Glück im eigenen familiären Kreis, an den man keinen anderen heran ließ. Dies waren meine Wahrnehmungen der Deutschen Seele, und ich war überhaupt nicht stolz darauf, Deutscher zu sein.

Hätte ich Thea Dorn und Richard Wagner dreißig Jahre früher lesen können, wäre mein Verhältnis zum Deutschsein bestimmt entspannter gewesen. Puppenhäuser und Weihnachtsmärkte, Schrebergarten und Kitsch, das liest sich vollkommen unaufgeregt und auch unpolitisch. Sie denken sich in Alltagsbegriffen vorwärts, mit denen jeder weithin etwas verbindet. Und innerhalb dieser Begriffswelt bewegen sie in ein intellektuelles Niveau hinein, das nicht die Bodenhaftung verliert – und dies finde ich spannend. Da geht die Suche in der deutschen Vergangenheit los. Querbeet und Querdenken: sie brillieren in Philosophie, Literatur, Geschichte, Mystik, Musik und so weiter. Sie bringen alles mit allem in Verbindung, und – wie durch ein textliches Wunder – passt auch alles zusammen. Thea Dorn und Richard Wagner haben mich bisweilen tief gerührt: wie das Puppenhaus vor dem Dreißigjährigen Krieg entstanden ist und wie die Kinder im Dreißigjährigen Krieg damit gespielt haben. Bier, Abendbrot, Dauerwelle, Strandkorb – sie arbeiten Begriffe ab, mit denen jedermann weithin etwas verbindet. Dabei durchdringen sie in Tiefenbohrungen all die Vielfalt und Facettierungen.

Speziell die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit nimmt ein handhabbares Maß an, ja, sie kommt mir sogar locker vor. In Fernsehberichterstattungen sehe ich demgegenüber eher verkrampfte Züge: die Reduzierung der Gegenwart auf Juden und Vertriebene, häufiges Wegsehen bei der Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit, eine übersensible Reaktion, wenn ausländische Nationen auf unsere NS-Vergangenheit verweisen. Thea Dorn und Richard Wagner reduzieren das schwierige Thema Hitler auf Nebenrollen, die sie anekdotenhaft erzählen und mit ihrer spitzen Feder eine klare Standortbestimmung abgeben. Bei Mitläufern wie dem Philosophen Heidegger erheben sie mahnend ihren Zeigefinger.

Erfrischend ist ihr Stil, dass sie nicht nur Goethe, Schiller, Kant, Hegel, Heine oder Heinrich von Kleist aus dem Schlaf zitieren können, sondern auch Zeitgeist und Aktuelles erzählen. So teilen sie die Begeisterung der Massen für den Fußball – die Fußball-Weltmeisterschaften 1954 und 2006 erhalten genauso ihren Stellenwert wie die Fußball-Bundesliga. Ebenso begeistern sie sich für Lena Meyer-Landruth nach dem gewonnenen Eurovision Contest. Der Autobahn widmen sie ein eigenes Kapitel samt den unterkühlt-elektronischen Musikklängen der Düsseldorfer Gruppe Kraftwerk. In den Krimisendungen der Tatorte sehen sie das Prinzip des Föderalismus. Ekel Alfred alias Heinz Schubert sehen sie als Sparringspartner des Spießbürgers. Über all diesen Fernseh-Helden steht Winnetou bei den Karl-May-Festspielen.

In diesem Wälzer von 560 Seiten werde ich noch lange herum blättern. Es ist eines derjenigen Bücher in der letzten Zeit, die mich am stärksten bewegt hat.

7 Kommentare:

  1. Hallo Dieter, das scheint ein interessantes Buch zu sein, wie Du es beschreibst. Ein Buch von der Vergangenheit bis zur gegenwart spannend und erfrischend erzählt erzählt.
    Danke für die ausführliche Beschreibung.

    Gute Nacht und einen schönen Sonntag
    liebe Grüße
    Angelika

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  2. Kann mich Angelika nur anschliessen, so scheint es wirklich ein sehr interessantes Buch zu sein. Ich als sozusagen Ausländer im Ausland kann nachemfinden wie oft man sich eigentlich für die eigenen "Landsleute" schämen muss, und so manche typischen Dinge kann ich immer wieder feststellen. Da ist es gar nicht so weit her das mit Deutsch einige Sachen verbunden werden^^

    Zum Thema 3. Reich kann ich auch sagen dass das Thema ein Stück Geschichte ist, allerdings sollte es nicht immer wieder vorgehalten werden (wie es gerade politisch ja leider oft passiert) Ich selbst hatte eine tolle Geschichtslehrerin und wir haben es fast ein Jahr lang behandelt. Nicht nur stupide mit Büchern, nein, auch mit Anschauungsmaterial in Form von Filmen usw. Wahnsinnig interessant gestaltet ging dies nicht ohne Nachzudenken an einem vorbei.

    Danke dir für die Vorstellung des Buches, so werde ich mir den Titel mal rausschreiben und schauen dass ich es bestelle.

    Wünsche dir und deiner Familie ein schönes Wochenende und sende herzliche Grüsse

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  3. Vielen Dank für die interessante Buchrezension. Nett, dass du dir so viel Mühe bei der Präsentation gegeben hast. Bei Gelegenheit und Bedarf werde ich vlt darauf zurück kommen.
    Danke für deinen Kommentar. (≧◡≦) Hätte gar nicht gedacht, dass du so viel ausser Haus bist, sondern dich eher als Familienmensch, der gerne zu Hause ist, aber auch als viel zu knauserig für häufige Gastronomiebesuche eingeschätzt. Ist ja ganz interessant, dass du oft in Café am Laptop sitzt. Dabei musste ich ehrlich gesagt an einen Text von dir denken, den du mal im Stil einer Kurzgeschichte geschrieben hast... Viel in der Gastronomie war ich früher auch. Eine Vorliebe damals von mir. Heute kann ich mir das nicht mehr leisten. Aber -vlt. auch deshalb als Abwehrreaktion - heute mag ich es auch nicht mehr, so oft in einem halböffentlichen Wohnzimmer zu sitzen. Doch ab und an... und dann wäre es natürl gerade für die verwöhnte Grosstädterin schön, auch eine Auswahl vor der Tür zu haben.
    Viele Grüße zum Wochenende, Wieczora (◔‿◔) | Mein Fotoblog
    PS: Ich habe meinen Cash vorhin entlehrt und deine URL aus dem Gedächtnis eingegeben, dabei aber den Bindestrich vergessen. Einen zsmgeschriebenen Rheinlandblogger gibt es auch, aber nur für geladene Gäste. Erst mal nicht schlecht gestaunt, und deinen alten Blog aufgerufen... hahaha

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  4. Lieber Dieter,
    auf jeden Fall scheint es voll mit Anregungen und mit der Aufforderung zur Neuinterpretation, zu einem Blick aus einer anderen Perspektive als bisher zu sein, und das finde ich schon interessant. Wir mögen Bücher, in die man immer wieder mal hineinlesen und sich dabei auf unterhaltsame Weise auch Bildung zuführen kann, sehr gern. (Auch wenn das jetzt vielleicht ein bisschen seltsam klingt: Bücher dieser Art bilden unsere WC-Bibliothek...) Als ich den Namen des männlichen Teils des Autorenteams las, dachte ich zuerst, er sei ein Nachkomme JENES Herrn Wagner, aber es scheint wohl eher dem Zufall bzw. dem Humor oder Faible seiner Eltern zu verdanken zu sein, dass er so heißt wie der Komponist...
    Herzliche Rostrosengrüße, Traude

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  5. Danke für den informativen Buchtipp!
    Ich wünschte,dass ich mehr Zeit zum Lesen hätte...in der Schwangerschaft habe ich die Bücher nur so verschlungen.Heute stehen da eher andere Dinge auf meiner Liste.
    Vielleicht komme ich ja wieder dazu,wenn meine jüngste einen geregelteren Schlaf hat;-)

    Viele Grüße und einen schönen Sonntag,

    Line

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  6. Lieber Dieter, danke für deinen Gegenbesuch! Ich muss dich aber aufklären, dass Badenser nicht gleich Badenser sind. Und die aus Südbaden, also um Freiburg herum, rümpfen bei uns die Nase & geben uns den nicht gerade schmeichelhaften Namen "Badisch - Sibirien". Das ist die Landschaft östlich der Bergstraße über Odenwald - Bauland bis zum Taubergrund hin. Politisch kam die Gegend erst nach der Erhebung zum Großherzogtum 1811 zu Baden. Auch der Dialekt ist eher dem mainfränkischen ähnlich und nicht dem alemannischen. So viel dazu. Meine Tochter hat übrigens auch 2 Semester in Freiburg studiert ( auf eigenen Wunsch ) und dann alle Hebel in Bewegung gesetzt, um in die häßlichste Stadt der Welt zurück kommen zu können. Das Viertel Badenserin in ihr hat nicht gereicht, um auszuhalten, dass abends die Bürgersteige hochgeklappt werden ;-) Sie ist eben eine echte Nippeserin, verheiratet mit einem Franzosen und Mutter einen kleinen französischen Nippeserin. Das zu uns...
    LG
    Astrid

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  7. Auf den Bericht hab ich schon gewartet, seit ich in Deiner Side-Bar gesehen hab, dass Du es liest. Ich bin früher ein wahrer Thea Dorn Groupie gewesen, ihre Krimis habe ich geliebt und sehnsüchtig auf einen neuen gewartet. Ich habe alle Lesungen besucht, die erreichbar waren, zum Teil bin ich über 100 Km weit gefahren. Auch ihre Talkshows mag ich sehr gerne, früher gab es die Buchtalkshow "Schümer und Dorn", die fand ich noch besser als "Literatur im Foyer", sie war leichter, beletristiklastiger und lustiger. Thea Dorn ist für mich eine Quelle unerschöpflichen Wissens, sowohl von trashigsten Filmen und Serien bis zum anspruchvollsten Buch.
    Bei dem Buch muss ich aber irgendwie gestehen, dass mich das Thema nicht interessiert. Wobei das was Du schreibst, klingt total nach Thea Dorn und vielleicht wird das für mich ausschlaggebend sein, das Buch zu lesen.
    Ich ringe ja noch etwas mit mir.

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