Montag, 18. Februar 2013

Papa, dopst Du auch ?


Im Badezimmer war unsere Kleine halbwegs ruhig. Das Oberteil ihres Frottee-Schlafanzugs hatte sie über gestreift, ihre Lieblingspuppe begutachtete vom Boden aus ihren Fortschritt beim Aus- und Anziehen. Bis zu den Oberschenkeln angezogen, schlabberte ihre Schlafanzughose die Beine entlang. Ihren Haargummi hatte ich herausgenommen, so dass ihr üppiges Haar den Rücken herunterfiel. Ihre nackten Füße hoppsten auf der Badezimmermatte herum. Gegen halb 8 Uhr abends lagen wir gut in der Zeit zum Zubettgehen.

Mit Albernheiten, die ich allabendlich über mich ergehen ließ, hielt sie sich zurück. Weder stimmte sie das Lied „Gangnam Style“ an und fing an herum zu tanzen, noch wollte mich unsere kleine 7-jährige in eine „Sexy Lady“ umtaufen. Aber verschmitzt, als führe sie etwas im Schilde, wanderte ihr Blick zu mir.  Was ließ sie sich heute Abend einfallen ? Dann wurde ihr Gesichtsausdruck streng, kritisch, streifte prüfend an mir vorbei.

„Papa, dopst Du auch ?“
Im ersten Moment registrierte ich diese Schlüsselfrage gar nicht. Ich kam mir vor wie auf einem fremden Planeten, auf dem ich die wichtigsten Ereignisse verpasst hatte. Abendessen, auf Toilette gehen, Zähne putzen, Zubettgehen, dazu Doping ? Ich glaubte, mich verhört zu haben. Ungläubig schaute sie zu mir herauf und bemerkte wohl meine Verwirrung. Sie war genauso irritiert, dass ich nicht antwortete. Als ich sie genauso ungläubig anschaute, fasste sie nach:

„Papa, dopst Du auch ? In den Nachrichten vom Kinderkanal haben sie zuletzt gesagt, dass Radrennfahrer dopen. Du fährst Rennrad. Also dopst Du auch.“
Ihr Blick war hell, und ihre Worte klangen überzeugend. Sie meinte es ernst.

„Nein, das sind alles Profi-Radrennfahrer. Die fahren ungefähr das doppelte am Tag, was ich fahre. Und die fahren auch ganz viele Tage hintereinander. So viel wie die Profi-Radrennfahrer fahren, das schaffe ich nicht.“

Wie so oft, rang ich nach Worten, um Dinge aus der Erwachsenen-Welt kindgerecht auszudrücken. In anderen Situationen hatte ich Schwierigkeiten, etwas in eine Kinder-Sprache zu übersetzen, damit sie dies in ihrer Welt verstehen konnte. Auch diesmal war es mir wohl nicht gelungen. Eine Haarlocke wirbelte über ihre Stirn, und ihre großen blauen Augen starrten mich an.

„Papa, jedes Mal, wenn Du mit dem Rennrad nach Hause kommst, bist Du stolz, welche lange Strecke Du gefahren bist. Also dopst Du auch.“

Die Worte aus dem Munde eines Kindes waren deutlich. War das Image des Radrennsportes so herunter gewirtschaftet ? Dass selbst Kinder in der Grundschule dies verstanden hatten ? Dass alleine das Wort „Radrennsport“ negativ belegt war ? Der Fall Lance Armstrong geisterte durch die Medien. Armstrong hatte in einem Fernseh-Interview seine Doping-Aktivitäten gestanden. Da gleich mehrere Radrennteams vom Doping betroffen waren, konnte man jede Menge Radrennfahrer unter Generalverdacht stellen. In kriminelle Netzwerke hineingeraten, verkörperte der Sport an für sich keinen Wert mehr. Die Trennung war schwierig, welche Leistungssportler mit krimineller Energie nach Ruhm und Ehre strebten und ihr Zuhause mit Medaillen, Pokalen und gelben Trikots pflasterten. Und welche Leistungssportler aus Spaß und Freude an Wettkämpfen teilnahmen. Ich schüttelte den Kopf.

„Nochmal, Schatz. Die verdienen so viel Geld damit, dass sie Radrennen fahren, wovon wir nur träumen können. Die strampeln so viele Kilometer ab, dass sie in einer Saison locker einmal um die Erde fahren. Ich kriege kein Geld dafür, wenn ich mit dem Rennrad fahre.“

Sie grinste mich an und war womöglich froh, mich aus der Fassung gebracht zu haben. Einen wunden Punkt hatte sie getroffen, denn um die sportliche Idee war es schlecht bestellt. Habgierigen Sportlern wie Lance Armstrong waren Tür und Tor geöffnet, sich nach Lust und Laune zu bedienen, und der ursprüngliche Gedanke von Teamgeist, sportlicher Ertüchtigung, Ausdauer, Kondition, mentaler Ausgeglichenheit, Reinigung von Körper und Seele, blieb dabei auf der Strecke.

„Papa, dopst Du auch ?“
Diesmal schwieg ich, denn sie war an dem Punkt angelangt, dass sie nicht verstehen wollte. Sie nahm ihre Zahnbürste, schrubbte mit der Zahnpasta über ihre Zähne. Rasch strahlten diese blendend weißen in ihrem zarten und lieblichen Gesicht. Ein überquellendes Lächeln wanderte mit ihrer kleinen, mitunter zappelnden Gestalt ins Bett, wo sie sich einkuschelte und das Geschichtenbuch in Reichweite lag.

13 Kommentare:

  1. Tcha mein Lieber, da siehst Du mal wie sehr sich die Kinder für die Realität interessieren und wie schnell man doch den Papa aus der Reserve locken kann.

    Liebe Grüße
    Angelika

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  2. Herrlich, diese Kinder! Die sind schwer unterschätzt, finde ich!-
    Danke für deine Radioliste! Ich muss zugeben, ich höre beim Nähen immer nur WDR 5. Und das ist das Feature meine liebste Sendung. Gerne nähe ich auch bei Kabarett-Sendungen...
    Diese Woche wirds wohl schwer mit dem Radfahren: Es soll wieder schneien...
    Trotzdem eine gute Woche!
    Astrid

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  3. Guten Abend, Dieter (◠‿◠)
    Die Kurzen bekommen schon mehr mit als die Eltern erwarten. (≧◡≦) Im Kinderkanal hätten sie das Thema vlt. besser erklären sollen. Was das für ein Beruf ist u.s.w. Die trainieren nämlich 8 Stunden täglich, so wie du arbeitest. Dabei sitzen sie nicht nur auf dem Rad, sondern sind auch im Fiti und es gibt auch mitunter Theorie. Sogar das Pinkeln während der Tour ist professionell. Der Beruf des Radsportlers ist so extrem, dass er auf das Leben komplett übergreift, was sich z.B. sehr stark auf die Ernährung auswirkt.
    Mitternachtsgruss von Wieczora (◔‿◔) | Mein Fotoblog

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  4. *lautlacht*...was für eine herzerfrischende Abendgeschichte zum Morgen. Klasse!!! Kannste mal sehen wie sowas rüberkommen kann. Ein Satz in Kika gesagt und schon werden Verbindungen gemacht...Papa und sein Rad-Papa und so stolz-somit Papa auch Doping *gg*

    Entweder ein geschickter Zug oder ein geschicktes Missverständnis der Kika-Aussage^^

    Herzliche Morgengrüssle
    Nova

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  5. Du fährst Rennrad. Also dopst Du auch. - Das ist traurig. Und ja leider nicht auf den Radrennsport begrenzt. Welchem Leistungssportler kann man überhaupt noch glauben? Hat die Gier der Zuschauer nach immer neuen Rekorden den Trend befeuert oder die Gier nach Sponsorengeldern?
    Aber noch viel trauriger ist, dass jeder ehrliche Sportler von vorn herein zum Scheitern verurteilt scheint, weil jeder Pharmacocktail mehr Leistung bringt als hartes Training. Und jeder ehrliche Sportler gerät unverschuldet in den Generalverdacht. Da ist der Schritt nicht weit zu: wenn sie es eh alle glauben, kann ich es auch tun. Wir reden ja hier meist von jungen Menschen, die den Tag leben und nicht das Jahrzehnt.

    Es ist ein weites Feld. Und es beginnt schon damit, dass du keine Sportgruppe findest, die den Sport um des Sportelns willen tut, sondern um Turniere zu gewinnen.

    Grüße! N.

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  6. Hej Dieter,
    der Profisport ist eine Verdienstmöglichkeit wie jede andere geworden. So wie im Geschäftsleben mit unlauteren Mitteln Geschäfte gemacht werden können, wird im Sport gedopt. Das erhöht die Einnahmen zweifelsfrei. Hier steht also das Geld im Vordergrund (auch wenn oft etwas anderes behauptet wird).

    Im Amateursport geht es sicher in erster Linie um den Sport und den Wettbewerb selbst. Ausnahme: Die Olympischen Spiele, die wurden auf hässliche Art instrumentalisiert.
    In beiden Lagern bestätigen Ausnahmen die Regel!

    Grüße aus schneestürmischen Schweden
    Beate

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  7. ja - die Doping-Skandale haben an dem Radsport schon was kaputt gemacht. Wobei ... es ist ja nicht nur der Radsport.
    Und dann frage ich mich ... wie können die so hochgesteckten Ziele ohne Doping überhaupt noch erreicht oder übertroffen werden?

    ... ja ... lieber beim Amateursport bleiben :-)

    lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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  8. un blog très complet sur un joli pays
    j'ai beaucoup aimé votre page sur le lac de Constance, le Rhin, Cologne ...et les photos illustant en général les vues de régions ou villes

    bravo pour votre travail


    cordialement
    Cirta ( lecteur du blog de MamLéa)

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  9. Haha,deinen Blick hätte ich nur zu gerne gesehen!!!
    Tja,Kinder eben;-)

    Schön ist ja,dass dich deine Tochter so gut im Blick hat und sich traut Fragen zu stellen.

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  10. Haloo Dieter,
    es ist schon traurig, was sich im Kopf unserer Kleinen so abspielt. Wer Rennrad fährt, dopt.
    Es ist schlimm, dass diese schwarzen Schafe selbst im Kinderzimmer Thema sind.
    Liebe Grüße
    Irmi

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  11. Und???? Dopst du nun oder nicht? *g*
    Da kann Papa sich nur wundern über diese Frage oder? Abwegig ist sie ja nicht, denn das Doping ist inzwischen gerade im Radsport zum Bestandteil geworden. :(

    Liebe Grüße
    Christa

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  12. Eine tolle Anekdote, wenn auch mit ernstem Hintergrund.

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  13. Diese Woche erzählte mir eine Bekannte, dass sie von ihrer Enkelin gefragt wurde, ob sie auch Pferdefleisch in der Lasagne kochen würde.
    Kinder kriegen zwar viel mit, aber die letzten Details an Informationen fehlen dann doch. So gibt es für uns Erwachsene zumindest immer etwas zum Schmunzeln.

    Liebe Grüße Arti

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