Freitag, 28. Dezember 2012

Schicht im Schacht in Kamp-Lintfort

… so las ich den Artikel in unserer Tageszeitung, der – wohl auch bedingt durch unsere räumliche Ferne zum Ruhrgebiet – in die untere Ecke des NRW-Geschehens gerutscht war.

Die Zeche in Kamp-Lintfort am Niederrhein wurde geschlossen, das war das Aus für 2.500 Bergleute. Hannelore Kraft verabschiedete die Bergleute, blickte mit starrer Miene in die gleichfalls erstarrten Gesichtszüge der Bergleute. Das Fernsehen hatte genauso in der WDR-Lokalzeit darüber berichtet. Die Bergleute wurden auf andere Zechen verteilt, fanden vielleicht auch einen anderen Job, manche gingen in den Vorruhestand.

Obschon ich nicht aus dem Ruhrgebiet stamme, kann man fast sagen, dass ich mit dem Zechensterben groß geworden bin. „Hände weg von Sophia Jacoba“ hieß es in den 90er Jahren. Es wurde gestreikt und protestiert, die Zeche war modernisiert worden und zählte zu den produktivsten in ganz Europa, doch es half nichts: 1997 wurde Sophia Jacoba in Hückelhoven, das zum Aachener Steinkohlenrevier zählte, geschlossen. Genauso wie andere Zechen in der Aachener Gegend (Alsdorf), konnten Ersatzarbeitsplätze innerhalb des sich ausweitenden Braunkohlentagebaus zwischen Köln und Aachen gefunden werden. Hier schaffte man es also, den Strukturwandel sozial verträglich zu bewältigen.

Die Dimensionen im Ruhrgebiet sind ungleich größer. 1957 wurde noch in 141 Zechen Kohle gefördert, 1989 waren die Zechen auf 24 geschrumpft, 1998 auf 11, 2007 auf 6 Zechen. Demnach müsste das Ruhrgebiet unter einer dauerhaften Depression leiden. Die Herausforderungen für die Verantwortlichen in der Wirtschaftsförderung mussten gewaltig sein, neue Industrien anzusiedeln. Und das bei der gleichzeitig erodierenden Stahlindustrie. Den Verantwortlichen gelang dies – unter anderem in der Forschung sowie in der Informations- und Kommunikationstechnologie, wenngleich die Arbeitslosigkeit in Städten wie Gelsenkirchen oder Oberhausen dauerhaft zu den höchsten Deutschlands zählt.

Großflächig sterbende Industriezweige: den Bewohnern des Ruhrgebiets wird eine ungleich höhere Leidensfähigkeit abverlangt wie der übrigen Republik. Flexibilität, Kreativität, Wachstumsbranchen ansiedeln, neue Geschäftsideen suchen, diese Schlagwörter dürften den Menschen im Pott wohl an den Ohren herauskommen.

Trotz Opel oder Nokia: mehr oder weniger regelmäßig besuchen wir Cousinen, Cousins und Tante meiner Gattin in Oberhausen. Von Depression ist nichts zu spüren. Im Gegenteil: so wie ich die Menschen kennen gelernt habe, schätze ich den Menschenschlag des Ruhrgebiets sehr. Aus dem Arbeitermilieu stammend, sind die Menschen bodenständig, sie identifizieren sich mit der umliegenden Industrie, sie packen an und jammern nicht herum. Sie sind praktisch, problemlösungsorientiert, sie sind nicht abgedreht und behalten Bodenhaftung. Vielleicht haben sie den Urinstinkt des Bergmanns behalten, dass sie nur gemeinsam Gefahrensituationen meistern können: sie suchen die Gemeinschaft, über den Bergmannsberuf haben sie Ausländer aus aller Herren Länder integriert. Ich muss zugeben, mit seinem offenen Wesen ähneln die Menschen im Ruhrgebiet sogar stark dem Rheinländer (wobei Kamp-Lintfort, Oberhausen oder Duisburg tatsächlich zum Rheinland gehören).

Der Weg von der Autobahnabfahrt der A3 zu den Verwandten in Oberhausen: äußerst unspektakulär verläuft die Straße an mehreren Discountern vorbei, ein Baumarkt, ein Autohaus, eine Reifenwerkstatt, andere Handwerksbetriebe. Nicht unweit von der abgerissenen Gutehoffnungshütte, war ich auf dieser Fahrt jedes Mal von Oberhausen enttäuscht. Nichts Ruhrgebiet-typisches, Industriegebiete, die sich nicht von denen in unserer Gegend unterschieden; Zechen, Kohlehalden, Stahlwerke sollte ich vermissen. Diese Defizite sollte dann in diesem Sommer Essen wieder wettmachen: ich war hingerissen von der Zeche Zollverein, so hautnah, wie uns in diesem Weltkulturerbe das Leben des Kumpels beschrieben wurde.

Als ich den Bericht über Kamp-Lintfort las, war ich geschockt, dass danach nur noch zwei Zechen im Ruhrgebiet übrig geblieben waren – eine in Bottrop und eine in Marl. Das Ende der Ära nahte. 2018 sollte die letzte Zeche dicht gemacht werden. Das Ruhrgebiet ohne Zechen ? Die Stahlindustrie litt momentan genauso. Wegen Fehlinvestitionen in Brasilien schrieb Thyssen-Krupp millionenschwere Verluste. Ich hatte gelesen, dass Thyssen-Krupp nicht ausschloss, die Stahlsparte zu verkaufen. Was käme dann ? Würde dem Zechensterben das Stahlwerkssterben folgen ?

Noch war es nicht soweit. Doch das Beispiel der Zeche Zollverein hatte mir gezeigt, dass die althergebrachte Industrie des Ruhrgebiets nur noch konserviert in einem Industriemuseum zu besichtigen war. Dass nur manche Exemplare in solche Industriemuseen gerettet worden waren, konnte den Bewohnern sogar niemand verübeln. Vor allem bei Kokereien oder Stahlwerken (die mit Kokskohle befeuert worden sind) wird so manche Dreckschleuder mit enormen Schadstoffemissionen dabei gewesen sein. So ist die Luft heutzutage zum Vorzeigeobjekt geworden. Saubere Luft, Grün, jede Menge Natur, dies ist zum Aushängeschild des Ruhrgebiets geworden. In den 50er oder 60er Jahren wäre dies noch unvorstellbar gewesen. Die Kulissen mit brodelnden Stahlwerken, zu denen der Tatort-Kommissar Schimanski in Duisburg seine Fälle gelöst hat, ist längst passé. Verglichen mit dem Industriegürtel rund um Köln, die die chemische Industrie voll im Griff hat, ist die Luft im Ruhrgebiet schätzungsweise einiges sauberer.

Die Vorstellung fällt mir schwer, dass es in einigen Jahren ein Ruhrgebiet ohne Zechen geben wird. Das ist mir erst zuletzt klar geworden. So etwas wie die Bodenplatte oder die Basis wird dann wegfallen.

Was würde dann kommen ?

2 Kommentare:

  1. Hej Dieter,
    ja, da geht es mir genauso. Obwohl ich das Ruhrgebiet direkt nie besucht habe, bin ich doch mit dem Eindruck "Ruhrpott=Kohle" groß geworden. Es war ganz einfach etwas Feststehendes - ein Herz und eine Seele.

    Gruß
    Beate

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  2. Ja mein lieber Dieter ich bin gebürtig aus Hagen und das war führende Stahlstadt in ganz Europa, Alle Hüttenwerke wurden geschlossen und und dann kam der Pott dran.
    Ich habe die Demos gesehen und mein Opa war dabei, doch genützt hats nichts.
    In den 70 iger Jahren ging das Zechen sterben los.
    Nun sind schon viele Zechen geschlossen. Sophia Jacoba habe ich hautnah mit erlebt und es war schon für die Arbeiter und auch für die Einzelhändler in Hückelhoven schlimm.

    Ja der Pott ist längst nicht mehr das was er mal war.
    Liebe Grüße
    Angelika

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