Donnerstag, 27. Februar 2014

Formlos (6) - Weiberfastnacht

Ich nutzte die letzten geordneten Stunden, bevor der Ausnahmezustand herrschen würde und die Dinge in diesen schiefen, verrückten und närrischen Trubel des Karnevals hinein gerieten. Mein logischer Verstand und mein rationales Denken sträubte sich davor. Die närrischen Tage musste ich mich hindurch lavieren, möglichst weit abseits. Humor und Frohsinn bereichern das Leben. Ich bin stolz auf die Mentalität des Rheinländers, der mit diesen Charaktereigenschaften bestens für das Leben gerüstet ist. Aber wenn dann alle gleichzeitig, auf Kommando ab der Uhrzeit 11:11 Uhr, in einer Art von Massenhypnose dem lustigen Treiben verfallen, da finde ich nichts anziehendes, mich so enthemmt und so grenzenlos zurecht zu biegen.

Gegen zehn Uhr betrat ich die Metzgerei. Noch nahmen die Dinge ihren geregelten Gang. Ziel Wilhelmplatz, Köln-Nippes, war meine bessere Hälfte aufgebrochen, im Indianerkostüm, in aller Herrgottsfrühe, gemeinsam mit unserer früheren Nachbarin, dessen Bärenfell-artiges und Steinzeit-mäßiges Kostüm sogar erschrecken konnte. Beide waren standfest, würden von Kneipe zu Kneipe ziehen, tanzen, singen, klatschen und mit Gott und der Welt in den Armen liegen.

Noch war die Metzgerei in unserem Ort geöffnet, und ich wollte Gehacktes kaufen, um den Rest meiner Familie bekochen zu können. Eine Clownsfigur neben der gläsernen Schiebetüre, Luftschlangen unter der Decke, Luftballons hinter der Fleischtheke, Karnevalsorden hingen über den schweren Verzierungen eines Glasspiegels. In knallblauen T-Shirt warteten die Verkäuferinnen auf ihre Kundschaft. Mitten auf die T-Shirts plaziert, bewiesen die Türme des Doms nachdrücklich, dass das Herz des Karnevals in Köln 25 Kilometer vor unserer Nase lag. Innig verbunden, gab eine Verkäuferin die Lebensweisheiten des Rheinischen Grundgesetzes zum besten, die beiden anderen Verkäuferinnen opferten sich mit dem Spruch auf: „Mer dunn alles nur vüür Kölle“.

Lachen, Frohsinn, es machte keinen Unterschied, ob es vor oder nach 11:11 Uhr war.

„Marianne, du häss noch net et kostüüm aan … „ pfiff die eine Verkäuferin die vor mir stehende Kundin an, die über ihren korallenroten Lippen lächelte, ihre Mundwinkel verzog, während ihr Blick über der Fleischtheke schwankte.

Aus dem Lautsprecher dudelte Karnevalsmusik. Ein Sultan musste arge Strapazen ertragen. Sein Durst war schlimm, denn er wollte einen klaren Schnaps trinken. In der nächsten Kneipe angekommen, hatte der Wirt aber keinen Klaren. Der Sultan musste leiden, sein Durst nahm kein Ende und er zog mit seiner Karawane weiter.

„Die Karawane zieht weiter, dä Sultan hät doosch …“ stimmten die beiden Frauen ein, sie sangen mit, wippten mit ihren Oberkörpern hin und her, als wollten sie schunkeln. Ein kühler Luftzug schwang durch den Raum, als sich die Schiebetüre öffnete. Ein als Biene Maja verkleideter Winzling trat mit seiner Mama ein. Warm und wollig kuschelten sich die gelb-schwarzen Streifen um seinen Körper, schwarz waren seine Beine mit der Strumpfhose, schwarz war auch die Kapuze, die glatt mit seinen Haaren über der Stirn abschloss.

Im Lautsprecher gingen die Leiden des Sultans weiter. In der nächsten Kneipe angekommen, hatte der Wirt keinen Klaren, sondern als Schnaps nur Kabänes. Doch der Sultan mochte keinen Kabänes. Auch an diesem ungastlichen Ort konnte er seinen Durst nicht löschen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu suchen und mit seiner Karawane weiter zu ziehen.

„Die Karawane zieht weiter, dä Sultan hät doosch …“ die beiden Frauen hatten ihren Spaß und sangen mit. In der dritten Strophe wurde der Sultan endlich erlöst. Von den Kneipen Kölns flog der Sultan mit seiner Karawane in die Wüste, wo er eine Oase fand. Dort konnte er so viel Wasser trinken, wie er wollte. Dennoch zog er danach mit seiner Karawane weiter, so weit, als wolle er mit dem Karnevalslied bis ans Ende der Welt ziehen.

„Ming kostüüm hängt övver de jarderoov … eene jriff un dann hann ich datt aanjetrocke … „ verabschiedeten sich die beiden Frauen. Mit einer flüchtigen Bewegung drehte sich die Kundin weg, ihre rot-schwarz gemusterte Einkaufstasche pendelte in ihrer Hand.

„Maach et joot un vill spass … «, die Blicke der beiden Frauen trafen sich ein letztes Mal, während die eine zielgerichtet auf die Straße zusteuerte. Ich hörte, wie sie das nächste Karnevalslied vor sich her trällerte. Ihre Hüften schwang sie, als wolle sie tanzen.

Ich kam mir vor wie in einer fremden Welt. Als ich mein Gehacktes gekauft hatte, verkrümelte ich mich. Nach Hause, einen Teil des Tages arbeitete ich ohnehin anstelle im Büro von zu Hause aus. Am Laptop, die Kinder bekochen, den Abend wollte ich zum Lesen nutzen. Es geht nicht anders. Während der Karnevalstage muss ich meinen Verstand in ein Reservat stecken, um noch festen Boden unter den Füßen zu haben.

Darin stimme ich sogar mit dem Rheinischen Grundgesetz überein. „Jede jeck is angisch“ heißt es dort, also: jeder Mensch ist anders. Das ist gut so, und die Rheinländer sind schon immer tolerant gewesen. Aich gegenüber Nicht-Karnevalisten.

8 Kommentare:

  1. Ja mein Lieber, kommt mir sehr bekannt vor, hier sind auch die Jecken los. Ausnahmezustand bis Aschermittwoch. Selbst die Schulen haben am Morgen gefeiert und sind bis Mittwoch geschlossen. Ich muß das ehrlich gesagt auch nicht haben. Aber was tut man nicht alles. Sonntag kütt hier der Zuch und dafür werden Mutzen und Krapfen gebacken.

    Wünsche dir ne jecke Zeit liebe Grüße
    Angelika

    AntwortenLöschen
  2. Ach Dieter! Es klingt ein bisschen melancholisch bei dir, so distanziert und zugeknöpft.
    Aber es ist bei mir auch nicht so, dass ich jedes Jahr auf den Tischen tanze. Ich habe auch immer große Pausen vom Karneval gemacht in meinem Leben. Dieses Jahr auch wieder. Mal lockte der Wintersport, mal die Familie, mal schöne andere Reiseziele. Und dann gab es wieder ganz heiße Karnevalsphasen. So seit 2007, als ich mich einem Stammdesch anschloss, mit dem ich, das Mädchen aus der nordbadischen Provinz, vier Mal beim Rosenmontagszug mitlief. Und das war einfach grandios. Jetzt also wieder Nordbaden.
    Schick dir trotzdem ein "Drei mool Kölle Alaaf" aus Nippes!
    Astrid

    AntwortenLöschen
  3. Ja, so ist das mit den Feiern, insbesondere bei Karneval und ganz besonders in deiner Gegend. hehe
    Schade, dass es nicht so dein Ding ist. Selbst bin ich auch nicht so die Party-Maus. Beim Ausrichten (v.a. Organisation) helfen und als (Hobby-)Fotografin hingehen ist eher mein Fall. Manchmal nerven mich die vielen Veranstaltungen bei uns, denn einerseits möchte ich alles sehen, aufnehmen und ein wenig miterleben, andererseits entsteht dadurch (Termin-)Stress... Aber in Berlin ist dieses Jahr der große Karnevalsumzug am Kudamm ausgefallen. Wurde ja leider nie gefördert von offizieller Seite (ganz anders der Karneval der Kulturen), eher behindert von wegen Lärmschutz, dies das Ananas
    wieczoramatische Grüße zum Abend, Wieczora (◔‿◔) | Mein Fotoblog

    AntwortenLöschen
  4. Lieber Dieter,
    ....und trotzdem gefällt mir der rheinische Karneval immer noch besser
    als der hiesige Fasching. Mir kommt die hiesige Fröhlichkeit immer so
    aufgesetzt vor.
    Einen schönen Restabend wünscht dir
    Irmi

    AntwortenLöschen
  5. Hier im Ort kann ich die Trommler auch fast täglich üben hören *gg* So wird sich schon eingestimmt. und die ersten Karnevalsköniginnen sind gewählt worden. Ich würde mir im Rheinland wahrscheinlich um die Zeit Urlaub nehmen und voll mitmachen :-)))

    Liebe Grüssle

    Nova

    AntwortenLöschen
  6. Hier in der Gegend ist der Fasching kein großes Thema und somit geht er eigentlich immer etwas spurlos an mir vorbei.
    Mehr los in Sachen Karnevalszeit war als die Kinder noch klein waren. Kindermaskenbälle und Faschingspartys und viel Spaß für die Kleinen.

    Lieben Gruß, Michaela

    AntwortenLöschen
  7. Dann sind wir schon zu zweit :) , denn ich stehe dem ganzen Spuk auch eher skeptisch gegenüber.
    Bei meiner Freundin bricht Karneval sogar immer Stress aus. Rechtzeitig Karten für Sitzungen besorgen (ist gar nicht so einfach, weil viele geklüngelt werden), jedes Jahr ein neues aktuelles Kostüm herstellen, geduldig vor den Kölner Kneipen auf Einlass warten und abends noch mal warten, warten, warten bis endlich ein Taxi frei ist damit sie wieder nach Hause kommt. Nach Karneval dann der Schwur "nie wieder" ...wird aber bis 2015 wieder vergessen sein.

    Trotzdem, dreimal Kölle Alaaf!

    Arti

    AntwortenLöschen
  8. Tja, am schlimmsten finde ich Karnevalssitzungen im Fernsehe. Jedes Jahr bemuehe ich mich heraus zu finden, wo denn der Humor eigentlich ist. Spaetestens beim dritten Orchester dadamdadamdadam fliehe ich und schalte den Fernseher ab.

    Frueher habe ich vielleicht mal beim Umzug gestanden (in Krefeld) und Kamelle aufgefangen. Heute kriegte mich keine muede Maus mehr aus meinem Lesesessel.

    AntwortenLöschen