Mittwoch, 5. Februar 2014

Formlos (4) - Konrad-Adenauer-Brücke


Diesmal war es nicht der romantische Blick, der mich fesselte.

Dem Büroalltag entgegen schauend, fuhr ich mit dem Fahrrad durch die Rheinaue. Der Morgen kroch in die Wolkendecke hinein. Unter den Brückenpfeilern bog ich ab, der Radweg arbeitete sich die Anhöhe hinauf, schwenkte nach links und vereinigte sich auf der Konrad-Adenauer-Brücke mit der Autobahn A562. Auf sechs Spuren rauschte der Autoverkehr in den Tag hinein, hermetisch abgeriegelt durch eine Leitplanke, wo sich der Fahrradweg seinen eigenen Weg bahnte. Die Wellen des Rheins plätscherten. Abgrundtief unter der Brücke, kamen und gingen Schiffe. Flaggen, deutsche, niederländische, belgische, französische, schweizerische, wehten an den Heckseiten der Schiffe, schwere Motoren wühlten im Fahrwasser. Offen, weltoffen, war der Rhein ein Verkehrsweg verwandter und doch andersartiger Kulturen. Fremde aus vieler Herren Länder hatten den Rhein bereist, sie waren dem Rausch der Burgenromanik verfallen, Dichter und Denker hatte der Rhein inspiriert.

Feuerwehr, Polizei.

Wie in einem Nest, am Ende der Autobahnbrücke, standen sie in enger Formation. Das dauerte noch ein Stück, und daher gab ich mich meiner Stimmung hin, die mich in höhere Sphären hob. Dieser Augenblick auf der Autobahnbrücke kombinierte einzigartig die Fluss- und Berglandschaft. Ein paar Kilometer weiter, bog der Rhein nach rechts, krümmte sich sanft, und darüber baute sich die Kulisse des Siebengebirges auf. Ich hatte mir längst abgewöhnt, die Berge zu zählen, denn es konnten niemals sieben Berge sein. Je nach Blickwinkel, wechselte die Anzahl, und von dieser Position auf der Autobahnbrücke kam das Siebengebirge auf neun bis zehn Berge. „Sieben“ konnte für „Siefen“ stehen – das waren Feuchtgebiete längs Bachläufen, symbolisch für ein einheitliches Ganzes oder nach einer Sage haben Riesen sieben Berge angehäuft, um das Tal von den Fluten des Rheins zu befreien. Während die Namensherkunft ungeklärt war, musterte ich mit meinem Blick die Bergkette, die mich zu allen Tagesstimmungen hinriß. In Nebelschwaden versackend, von einem feuerroten Sonnenaufgang umhüllt, von Schönwetterwolken umkränzt oder vor nassen Regenwolken triefend, schaute ich stets gebannt auf diesen Fixpunkt.

Blaulicht flackerte.

Stau ? Ich riss mich aus meinen Träumen heraus, die ich auf dem Fahrrad viel intensiver erleben durfte als im Auto. Ich schaltete um vom romantischen Landschaftserlebnis auf einen Gefahrenpunkt, den ich in gebotener Langsamkeit zu passieren hatte. Der Autoverkehr floß. Feuerwehr und Polizei verengten die Fahrspuren, doch zwei anstelle drei Spuren reichten. Stadtauswärts dümpelte der Berufsverkehr vor sich hin, alles lief in ruhigen Bahnen. Unfall ? Die handelnden Personen waren merkwürdig. Ich vermisste einen aufsehenerregenden Unfall, Polizisten, die den Hergang des Unfalls auf einem Formular festhielten oder die versteinerten Blicke der beteiligten Autofahrer. Drei Feuerwehren und drei Polizeifahrzeuge hatten sich angestrengt gesammelt. Ihre Blicke konzentrierten sich auf einen leeren Merzedes, der bucklig war und auf sein hohes Alter stolz sein konnte. Vergeblich suchte ich nach einem Blechschaden. Dort war absolut gar nichts zu sehen bis auf die Gespräche, die zwischen Feuerwehr und Polizei ratlos umher irrten.

Weiter ins Büro.

Ich konnte keine endlosen Vermutungen anstellen, denn im Büro wartete meine Arbeit. Eine Zeitlang ging mir die Melodie von „Space Oddity“ von David Bowie durch den Kopf: wie der Major Tom durchs Weltall fliegt, wie die Funkverbindung zur Erde abreißt und wie er dazu verdammt ist, ohne Verbindung zur Außenwelt durchs Weltall zu geistern. Ohne direkten Rheinblick, genoß ich das letzte Stück ins Büro. Das Siebengebirge begehrte ein letztes Mal auf, als sich die Berge wie eine Festung über die Parklandschaft erhoben. Das war auf der Anhöhe am chinesischen Pavillon, der mit seinem neu gedeckten Dach noch gediegener wirkte. Im Rosengarten hatten einige welke Exemplare dem Winter getrotzt. Ich verließ die Rheinaue, mitten hinein in Bürotürme und frühere Ministerien, dessen Zaunanlagen die Eindrücke eines Hochsicherheitstraktes verliehen.

Selbstmord.

Zwei Tage später, als ich unsere Tageszeitung aufschlug, erfuhr ich, was geschehen war. Ein Autofahrer hatte mitten auf der Autobahn gestoppt, er war aus seinem Merzedes ausgestiegen und sich am Brückengeländer mit einem Seil erhängt. Als ich diese Zeilen las, war ich mehr als fassungslos. Ich war ganz dicht an den Abgründen einer Tragödie gewesen. 

15 Kommentare:

  1. Krasses Aufwachen von der Rheinromantik...

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  2. ein interessanter Text. Ich habe mich beim Lesen auch in die Rheinromantik mit Autobahn und Siebengebirge fallen lassen. Da hat mich der letzte Absatz auch ge-betroffen gemacht.

    lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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  3. Sowas ist immer schrecklich, gerade weil man dort solch einen Suizid nicht vermuten würde. Sei froh dass du es nicht richtig gesehen hast, denn solch ein Bild vergisst man nie :-(

    Schön geschrieben dein Text ging es mir wie Maegwin und Heidi.

    Liebe Grüssle

    Nova

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  4. Bin gestern abend über die Brücke gefahren. Beim Lesen stellte sich mir unwillkürlich die Frage, wie jemand dort stoppen kann, aussteigen und sich aufhängen kann, ohne das es jemand bemerkt. Fahren wir wirklich so achtlos? Mich bewegt das sehr.
    Gruß vonner Grete

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    1. Vlt war es abends oder nachts.
      Aber stell dir vor, du siehst dort jmd auf der Brücke oder gar auf dem Geländer. Was willst du dann tun? Von Rechts wegen bist du verpflichtet, den Suizid versuchen zu verhindern. Du weisst aber auch, dass der Selbstmörder dies weiss. ...

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  5. Was hier mit einer schönen und spannenden Erzählung anfing, endete dann wirklich tragisch.
    Ich stimme meinen Vorschreiberinnen zu, du kannst froh sein, dass nicht vor Ort mitbekommen zu haben, was sich dort am Ort des Geschehens wirklich abspielte.

    Liebe Grüße
    Christa

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  6. Du warst zwar ganz dicht an den Abgründen einer Tragödie gewesen, aber es war nicht mehr wirklich etwas davon zu bemerken/sehen. Hättest du die Zeitung nicht gelesen oder wäre die Seite entnommen worden, wüsstest du noch nicht mal, was dort geschehen war.
    Diese Art von Suizid finde ich relativ cool, wenn es denn gelingt. Allerdings - wie o.g. - auch leider ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen. Den Mut muss erst mal jmd aufbringen. Stell dir vor, du hängst da halb auf der Brücke, und traust dich dann doch nicht. Er macht sein Unglück, seine Ausweglosigkeit, in unserer ach so tollen glänzenden Welt, öffentlich. Jeder kann es wissen und sollte dies auch. Nur warum, was ihn zu diesem Schritt getrieben hat, wird leider immer verschwiegen. Selbst wenn sich ein Selbstmörder die Mühe macht, einen Abschiedsbrief zu schreiben, wird er uns, der Öffentlichkeit, vorenthalten. Wenn in Berlin-Mitte Selbstmörder vom Hochhaus springen, geht das gar nicht in die Presse, aber wenn in Marzahn jemand springt, wird der Suizid von den Medien breitgetreten, um den plattenbau-geprägten Bezirksteil weiterhin zu verteufeln.
    Grüssle zum Donnerstag, Wieczora (◔‿◔) | Mein Fotoblog

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  7. Hallo Dieter,
    das passiert mir beim täglichen Pendeln auch oft, dass ich an solchen Tragödien vorbeifahren muss.
    Nachher liest man es dann und ist geschockt.
    Bei uns hat sich vor ein paar Wochen jemand mitten in der Fußgängerzone von einem Hochhaus gestürzt..
    VG
    Elke

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  8. Ja. Eine Tragödie. Ist doch erstaunlich, was im Leben alles so nebeneinanderher passiert. Trotz der Tragik dessen, was du knapp verfehlt hast eine wirklich schön erzählte Geschichte, die einen wunderbar mit nimmt.

    lieben Gruß
    Brigitta

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  9. Hallo Dieter
    Deine Geschichte stimmt mich wirklich nachdenklich....
    Ja, das ist wirklich tragisch!
    Liebe Grüsse Yvonne

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  10. Wie grauenvoll. Da fährt man träumend und munter vor sich hin ... da kannst Du froh sein, dass Du den Erhängten nicht gesehen hast.
    Sehr schön geschrieben. Das Ende riss auch mich aus meiner Träumerei.

    Liebe Grüße,
    Vera

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  11. Sehr spannend geschrieben.
    Deine Beschreibungen lassen uns Leser mit eintauchen in die Landschaft und deine Gefühle.
    Um so mehr kommt der Schluss wie ein Schock und reißt einen aus der alltäglichen "Idylle "
    Man wird nachdenklich.
    Herzliche Grüße
    Jutta
    Sehr

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  12. Wie entsetzlich und traurig! Aber vielleicht war es gut, dass dir das in jenem Augenblick nicht bewusst war!
    Spannend geschrieben!
    LG Calendula

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  13. Ach du meine Güte, Dieter...
    Jetzt hab ich eine Gänsehaut!
    Eine schlimme Geschichte, spannend von dir erzählt!

    Herzliche Sonntag-Abend-Rostrosengrüße!!!
    Eine schöne neue Woche wünscht dir die Traude

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  14. welch eine spannend erzählte Geschichte die so romantisch beginnt, nichtsahnend genießt du die morgendliche Fahrt und dann das was einen im Nachhinein aus den Pantinen haut....

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