Sonntag, 15. Dezember 2013

mittelalterlicher Weihnachtsmarkt und Esskultur


Ich bekomme keinen Drehwurm, denn die Handkurbel dreht sich butterweich in meiner Hand. Das Kinderkarussel gleitet dahin, unsere Kleine freut sich auf dem Holzpferd, dass ich mich gemeinsam mit einem anderen Vater anstrengen darf. Ich durfte kurbeln, denn der Motor war noch nicht erfunden. Wir waren auf dem Mittelalterlichen Weihnachtsmarkt in Siegburg. Dort war alles mittelalterlich, auch  das Mittelalterliche Kinderkarrussel.

Dennoch fühlte ich mich erlöst, als die Glocke das Ende der Karrusselfahrt einläutete. Danach knurrte der Magen. Hunger und Durst regten sich. Der Weihnachtsmarkt war konsequent. Weil er uns ins Mittelalter versetzte, suchten wir Reibekuchen, Rostbratwurst, Krakauer, Thüringer oder Backfisch vergeblich. Ich staunte aber, dass in der Taverne Glühwein angeboten wurde. Das Mittelalter kannte praktisch keinen Glühwein, während die Römer Wein erhitzten und ihn mit Pfeffer, Lorbeer und Safran würzten. Im ältesten erhaltenen römischen Kochbuch „De re coquinaria“ stehen solche Rezepturen. Schließlich löschte ich meinen Durst mit einem heißen Apfelsaft.

Pieter Brueghel, Besuch beim Mündel (1616), Museum voor schone Kunsten Antwerpen
Ein Feuer aus Holzscheiten, eine zentrale Kochstelle, dicke Laibe Brot, ein Brei aus Getreide: obschon erst 1616 zum Ausgang des Mittelalters gemalt, beschreibt das Gemälde von Pieter Brueghel treffend, wie sich die Menschen im Mittelalter ernährt haben. Die Stände des mittelalterlichen Weihnachtsmarktes haben sich sichtlich Mühe gegeben, die Esskulturen des Mittelalters zu rekonstruieren.

Wie auf dem Gemälde von Pieter Brueghel, kreiste die Ernährung um das Brot. Die Viehzucht reduzierte sich, die Nutzung als Ackerland nahm zu, weil Mehl gelagert werden konnte und – wenn die Ernteerträge ausreichten – Brot das ganze Jahr über gebacken werden konnte. So aß der Mensch im Mittelalter rund viermal so viel Brot wie heute, nämlich 200 Kilogramm pro Nase zu 57 Kilogramm heute. In der Dreifelderwirtschaft dominierte der Roggen, weil er die geringsten Ansprüche an den Getreideanbau stellte. Er wuchs auch auf kargen Böden, eine zu trockene oder zu nasse Witterung setzte ihm am wenigsten zu. Hefe verbreitete sich übrigens erst im hohen Mittelalter, so dass Brot im frühen Mittelalter als Fladen gebacken wurde.

Backofen
Im späten Mittelalter gelang der Erbse der große Durchbruch, denn Hülsenfrüchte konnten in der Dreifelderwirtschaft untergebracht werden. Zwei Jahre lang Getreideanbau, das dritte Jahr musste der Acker ruhen, denn Kunstdünger wurden erst in der Neuzeit erfunden. „Süpplin“ – bedeutungsschwer schaue ich auf die mittelhochdeutsche Bezeichnung des Standes, wo man Eintöpfe essen konnte. Das Oberhemd war in Falten gelegt, die weißen Hemdsärmel weiteten sich, seine Kopfbedeckung war aus demselben Weiß und hing genauso herab. Erbsensuppe stand oben auf der Speisekarte. Das passte zu dem Gemälde von Pieter Brueghel, wo die Suppenküche im Mittelpunkt des Hauses stand.

Fleisch war selten, aber im Mittelalter wurde durchaus Fleisch gegessen, vor allem Schweinefleisch. So regelt bereits die „Lex Salica“ des Merowingerkönigs Chlodwig (verfasst 507-511), wie Schweinediebstahl bestraft wird. Dort wird genau beschrieben, wer wo und welche Schweine hält und wie der Diebstahl durch Hiebe, Rutenschläge oder auch – bei mehrmaligem Vergehen – durch Abhacken der Hand bestraft wird. Gerichte wie „Altmärkische Grünkohlpfanne mit Mettwurst“ haben die Menschen im Mittelalter durchaus gegessen, wenngleich Mettwurst oder Kotelett oder Spießbraten eher eine Ausnahme gewesen sind.

Der Stand mit „Met“ trifft einen Kern mittelalterlicher Trinkkultur. Die Römer hatten den Weinanbau zu den Germanen gebracht. Die Germanen tranken aber Met und keinen Wein. Das war Hafer, der in Wasser gegärt wurde und mit Honig versetzt wurde. Fränkische Volksstämme vertrieben die Römer, so dass sich der Met im Mittelalter wieder verbreitete. Der Durchbruch des Biers kam später, im 13. Jahrhundert. So berichtet die Chronik der Stadt Landshut im Jahr 1265, dass sich der niedrige Preis für das Bier durchgesetzt hat: „ein Eimer Bier kostet 18 Pfennige, ein Eimer Met kostet 42 Pfennige und ein Eimer Frankenwein 55 Pfennige.“ Fortab wurde Bier zum Volksgetränk, dass die Menschen selbst dem Wasser vorzogen, denn es war wegen des Gärungsprozesses ohne Krankheitskeime.

Der Hunger führte uns in die Irre. Wir aßen in der Spätzleküche, die eigentlich gemäß dem Mittelalter dieses Nudelgericht mit einer Kräutersoße garnierte. Das Würzen mit Kräutern war durchaus verbreitet – so hatten wir beispielsweise bei unseren Urlauben einen rekonstruierten mittelalterlichen Kräutergarten auf der Insel Reichenau am Bodensee kennen gelernt. Aber Spätzle ? Urkundlich hat sie erstmals im Jahr 1725 der Württembergische Rat erwähnt – und 1725 liegt eindeutig nicht mehr im Mittelalter. Dennoch schmeckten sie lecker, den Gesamteindruck dieses mittelalterlichen Weihnachtsmarktes ließen wir uns auf der Zunge ergehen. Dieser Weihnachtsmarkt stach heraus aus der Identitätslosigkeit anderer Weihnachtsmärkte.


Das Mittelalter hatten wir genossen. Als wir den Siegburger Weihnachtsmarkt gegen 15 Uhr verließen, wurden wir regelrecht tot getrampelt, so viele Menschen wollten das Mittelalter sehen. Wir wussten, dass die Zeitfenster am Wochenende schmal waren, um das Mittelalter einigermaßen entspannt vor unseren Augen ablaufen zu lassen.

7 Kommentare:

  1. Ach wie schön mein Lieber, herlich hast du den Weihnachtsmarktbesuch beschrieben und viel Hintergrundinfos zum Mittelalter dazu gestellt. Ja ab Mittag wird immer sehr voll, da macht keinen Spass mehr.

    Wünsche dir und deinen Lieben einen schönen 3. Advent.

    Liebe Grüße
    Angelika

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  2. Gerade diese Märkte habe ich immer geliebt, so wurden sie auch damals in Norddeutschland von Jahr zu Jahr mehr, so wie auch der Andrang (leider). Nach der körperlichen Anstrengung (wobei ich denke dein Radfahren an bestimmten Steigungen ist anstrengender) hattest du dir auch eine Stärkung verdient^^

    Wünsche dir und deinen Lieben einen wundervollen 3.Advent und sende herzliche Inselgrüssle

    Nova

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  3. Hallo Dieter
    Habe Dein Weihnachtsmarktbesuch sehr genossen.Schade das ich nicht in Deutschland sein kann,denn Weihnachten sind da wunderschön!!!
    Für die Feiertage.....
    Sag, was soll ich dir wünschen, wo wir doch schon alles haben?
    Ein bisschen mehr Friede und Zeit für gemeinsame Tage.
    Für Weihnachten viel Fröhliches und Besinnliches.
    Für das neue Jahr Bewegendes und Glückliches.
    Wir sehen uns nächstes Jahr wieder

    Liebe Grüsse❤❤❤
    Christa

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  4. Einen schönen Weihnachtsmarkt habt ihr da und ein schöner Bericht.

    Gruß
    Noke

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  5. Hallo Dieter,
    was bin ich froh, dass es auch noch andere Märkte gibt, als die üblichen, die man überall findet.
    Viele VorweihnachtsGrüße Ninja

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  6. Ich mag ja total gerne Mittelaltermärkte, noch vor kurzem war ich so ein Mittelaltergroupie, hab mich sogar verkleidet und bin überall hingefahren. Aber die Märkte ähneln sich doch sehr.
    Danke für den lehrreichen Ausflug ins Mittelalter... ich glaub, ich nach mir jetzt einen heißen Met (den hab ich immer zu Hause).

    Und danke für Dein nettes Angebot, ich bin bestimmt irgendwann wieder im Rheinland und komme darauf zurück.

    Wünsche Dir eine schöne restliche Adventszeit!

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  7. ich bin je eigentlich gar kein so großer Fan von Mittelaltermärkten ... aber wenn ich deinen post so lese ... könnte ich doch echt einer werden :-)
    Hat wieder Spaß gemacht zu lesen.

    lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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