Dienstag, 15. Oktober 2013

ein Stück Renaissance in Euskirchen

St. Martin Euskirchen
Die Kirche St. Martin in Euskirchen hatte im letzten Jahrhundert Glück gehabt.

Nach der Jahrhundertwende sollte die Kirche abgerissen werden. Die Textilindustrie boomte, Euskirchen war Eisenbahnknotenpunkt nach Köln und Bonn, es herrschte Aufbruchstimmung in neuen Industriebranchen. Die Einwohnerzahl wuchs und wuchs, so dass die Gottesdienste überquollen. Zweihundert Meter weiter, sollte die Herz-Jesu-Kirche ein vielfaches größer gebaut werden und St. Martin abgerissen werden. Dem Architekten Aloys Schlösser ist es zu verdanken, dass beide Kirchen, St. Martin und die Herz-Jesu-Kirche erhalten blieben. Glück hatte St. Martin genauso im Zweiten Weltkrieg, als das komplette Euskirchen 1944 nach Dauer-Bombardements zerstört wurde – mit Ausnahme der Pfarrkirche St. Martin.

Praller Sonnenschein hatte mich im Oktober mit meinem Rennrad nach Euskirchen gelockt, ein Ziel, um das ich sonst wegen der flachen Strecke einen Bogen gemacht hatte.

Die Pfarrkirche St. Martin existierte bereits im Jahr 870, das beweisen Urkunden aus dem Vertrag von Meerssen, als das Reich Karls des Großen geteilt wurde. Dass sie einmal eine romanische Kirche war, davon ist heute gar nichts mehr zu sehen. Rund 500 Jahre später wurde jahrhundertelang an ihr herum gebaut, so dass sie durch und durch gotisch aussieht.

Wieso Euskirchen als Ziel für eine Radtour ? Die Verbindung von Antwerpen zum Rheinland  hatte mich neugierig gemacht. Es waren zwei Bewegungen, die zu Beginn der Neuzeit ganz Europa erfassten und ein neues Denken begründeten. Die Reformation nahm ihren Ursprung in Ostdeutschland und erreichte um 1600 sowohl Flandern wie das Rheinland. Nachdem protestantische Bilderstürmer in Antwerpen für Schrecken und Verwüstung der Kirchen gesorgt hatten, fand das Bürgertum einen Konsens, beide Religionen als gleichrangig zu betrachten, während in den übrigen spanischen Niederlanden Calvinisten und Katholiken mit blindem Fanatismus aufeinander einschlugen. Im Rheinland war die Entwicklung ähnlich wie in Antwerpen. Hier waren es Klöster wie Kamp-Lintfort oder auch Fürsten/Kurfürsten, die entweder eine gegenseitige Toleranz der Religionen durchsetzten oder eine Dominanz des katholischen Glaubens unter Duldung der Protestanten. 

Das Gedankengut beziehungsweise die Kunstepoche der Renaissance breitete sich über Italien nach Flandern aus. An der Scheldemündung gelegen, war Antwerpen eine der reichsten Handelsstädte Europas. Peter Paul Rubens, der als Kind in Köln aufwuchs, zog mit seiner Familie nach Antwerpen. Von dort aus reiste er nach Italien, um Tizian, Veronese und andere Maler kennen zu lernen und kehrte nach Antwerpen zurück.

Rubens, Der Fall des Pheaton; Quelle Wikipedia
Rubens‘ Malerei griff auf  Motive der Antike zurück. Prometheus, Herkules, Jupiter, Kallisto, Perseus oder Andromeda wurden im Geist der Renaissance in seinen Gemälden wiedergeboren. In der heutigen Begriffswelt würde man Antwerpen als „Think Tank“ bezeichnen: auf einer Insel der Ruhe inmitten der Reformation sammelten sich die geistigen Bewegungen. Die Schriften von Horaz, Homer, Ovid oder Seneca wurden wieder gelesen. Es entstanden neue Schriften von Humanisten wie Erasmus von Rotterdam oder Grotius. Auftraggeber für Gemälde, die in einer Art von Massenproduktion entstanden, waren Kirchen. In derselben großen Stückzahl entstanden ab 1500 in Werkstätten holzgeschnitzte Altäre.

Ich kettete mein Rennrad an die Eingangstafel, betrat in meiner Radfahreraufmachung die Pfarrkirche St. Martin in Euskirchen. Ich war irritiert, dass ich schüchterne Frauenstimmen hörte.

„Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“

Eine Handvoll älterer Frauen betete in der rechten Stuhlreihe den Rosenkranz. Ich war unsicher, wie ich mich verhalten sollte, denn ich schritt mit kurzer Hose, Fahrradhelm auf dem Kopf und Fotoapparat in der Hand durch die Kirche, dessen gotische Fenster ungewohnt kurz in die Höhe strebten.

Der zentrale Blickfang, den ich gesucht hatte, lag mitten im Chorraum der Kirche. Es war ein Hochaltar, der 1510 in der Werkstatt von Adrian van Overbeck in Antwerpen entstand. Die holzgeschnitzten Motive entstammten aus der Bibel: die Heilige Sippe mit Maria, die Vermählung Josefs mit Maria, der Tempelgang Marias, die Almosenverteilung durch die Eltern Marias, der Heilige Jakobus der Ältere und der Evangelist Johannes. Die Werkstatt von Adrian van Overbeck, in der auch Tischler, Holzschnitzer, Bildhauer und Maler tätig waren, belieferte weitere Kirchen im Rheinland mit Altären, so Kempen und den Kölner Dom.



Dies war die Verbindung von Antwerpen nach Euskirchen. Weitere Altäre aus anderen Werkstätten in Antwerpen standen quer verteilt über das Rheinland – so in Rees, Kalkar, Xanten, Rheinberg, Dinslaken, Linnich und vieles mehr ….

Vorsichtig wie ich gekommen war, verließ ich dieses Stück Renaissance in Euskirchen. Die Rosenkranz-betenden Frauen nahmen keine Notiz von mir. Als ich nach draußen trat, wärmte die herrliche Herbstsonne.

10 Kommentare:

  1. Lieber Dieter
    Das hört sich sehr interessant an. Danke für die tollen Eindrücke!
    Einen gemütlichen Abend wünscht Dir Yvonne

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  2. Interessante Informationen und schöne Bilder.
    Den "Übergang" von einer schön kühlen Kirche an einem warmen Sonnentag nach draußen mag ich auch gerne.

    lieben Gruß
    Brigitta

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  3. Lieber Dieter, nun war ich schon so oft in Euskirchen - aber diese Kirche habe ich nicht im Visier gehabt. Danke für den Post!
    LG
    Astrid

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  4. Ja, die Kirche ist schon toll. Auch wenn ich evangelisch bin, ich kenne sie auch von innen. Schließlich ist Euskirchen seit mehr als 30 Jahren meine Heimat. Schön, dass du hier warst.
    Vielleicht noch nicht ganz passend, aber da kommt die Kirche drin vor.

    Advent ( Am Fenster )

    Gezuckert liegt die Stadt zu meinen Füßen.
    Ein Blick nach rechts, die Felder sind in weiß getaucht.
    Ein helles Tuch, so rein als wär´s noch nie gebraucht.
    Die Glocken von St. Martin lassen grüßen.

    Aus manchen Dächern quellen graue Fahnen.
    Sie weben einen Reigen der von Wärme zeugt,
    der sich erhebt und trotzt und nicht der Kälte beugt.
    Die Menschlichkeit darin lässt sich erahnen.

    Ich steh am Fenster, denke an Sonette,
    an Thesen, Antithesen und Terzette.
    An Schein und Wirklichkeit und an die Quintessenzen.

    An das was war, was kommen mag im Leben,
    an die, die ihre Träume aufgegeben.
    Und bin wie meine Stadt, hab Mauern und auch Grenzen.

    ©Perdita Klimeck

    Ich bin das übrigens selbst. Die Grete ist ja nur eine Kunstfigur.

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  5. Hallo Dieter, ein herliches Gotteshaus und viele Hintergrundinfos, ein toller Beitrag.
    Ich liebe so alte ehrwürdige Gotteshäuser sehr. Da hast du wieder eine schöne Radtour gemacht.

    Liebe Abendgrüße
    Angelika

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  6. Eine wunderschöne Kirche und da wäre ich auch reingegangen. Die Tage des Rosenkranzes...das sind dann Tage die alle Welt miteinander verbinden bzw. eins haben. Hier fanden auch überall diese Feste statt und mein Dia del Rosario wird mein nächster Glockenturm^^

    Schön auch zu lesen dass du noch solch wärmende Sonnenstrahlen genießen kannst. Wünsche sie dir von Herzen

    Liebe Grüssle

    Nova

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  7. So schön zu lesen, dass diese Kirche stehen bleiben durfte. Ich freue mich, dass du auch Fotos ihres Innenraumes mitgebracht hast.
    Hast du schon mal bemerkt, dass gerade in den Altarbereichen eine unheimlich schöne Energie zu spüren ist. Dieser Hochaltar hier ist schon sehenswert. :-)

    Weiterhin gutes Licht und wärmende Strahlen für weitere Radtouren.:-)

    Liebe Grüße und dir noch einen schönen Abend
    Christa

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  8. Ein sehr aufschlussreicher Bericht. Ich habe viel gelernt.
    Es ist besonders anzuerkennen, dass du auf deinen Radtouren Wert darauf legst, auch den inneren Menschen zu Wort kommen zu lassen und nicht nur den Sportler.

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  9. Hallo Dieter,
    schön dass du eine unserer drei katholischen Kirchen in Euskirchen besucht hast und hier vorstellst. Sie hat übrigens einen total schiefen Kirchturm, was besonders aus der Entfernung auffällt.
    Ich wünsche dir noch viele angenehme herbstliche Radtouren.

    Viele Grüße
    Arti

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  10. This church is a very nice and pleasant, fortunately it has not been demolished and we can enjoy your pretty chronic.
    Have a fantastic week ahead*:)

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