Montag, 20. Januar 2014

Formlos (2) - Entsorgung



Es gibt Momente, die beschreibt man am treffendsten durch ihr Gegenteil. Weihnachten, das ist ganz viel Feierlichkeit, Familienfest, Freude, Erwartung, Besinnlichkeit unter den Lichtern des mit viel Glitzerschmuck behangenen Tannenbaums. Nun geht alles rückwärts. Einmalaktion statt Feierlichkeit, Unaufgeregtheit statt Familienfest, Wegschauen statt Erwartung, Sachlichkeit statt Freude, maschinelle Verarbeitung statt Besinnlichkeit.

Schluss, aus, vorbei. So wie man das Licht ausschaltet, wird in einem Moment die Weihnachtszeit für beendet erklärt. Bei uns zu Hause ist es ein Abschied auf Raten, wenn stückweise die Weihnachtsdekorationen aus den Zimmern verschwinden. Entsorgung steuert viel mehr auf einen einzigen Augenblick zu.

Entsorgung hat keine Dramatik. Die Weihnachtsbäume warten auf den einen, unspannenden Moment. Wie sie den Straßenrand bevölkern,  ist sogar ein Massenphänomen, denn sie kehren nach festen Handlungsmustern wieder. Ab vor die Haustüre, das Weihnachtsfest wird in die Vergessenheit geschoben. Manche versperren den Bürgersteig, die meisten Weihnachtsbäume achten aber auf ihre Mitmenschen und halten sich jenseits von Laufwegen oder Autoverkehr auf. Oftmals ähneln sich die Handlungsmuster. Unselbstständige Grünflächen sind begehrt. Dort, wo das Grün auf genau zugewiesenen Flecken gegen die hoffnungslos zugepflasterte Stadt aufbegehrt, wird dieses Stückchen Erde aufgewertet. Die grünen Zonen gewinnen an Üppigkeit, wenn sich das Tannengrün gemächlich ausbreitet und querliegende Tannenbäume Unkraut oder Matsch verdecken.

Was dann geschieht, läuft in einer durchgeplanten Sachlichkeit ab. Weihnachtsbäume werden ihrer Wiederverwertung zugeführt. Die Emotionen der Menschen laufen rückwärts ab, denn ungefähr elf Monate später jährt sich das Weihnachtsfest aufs Neue, irgendwo aus dem Sauerland oder der Eifel werden neue Weihnachtsbäume importiert. Es wird dafür gesorgt sein, dass jeder Haushalt aufs Neue seinen Weihnachtsbaum bekommt, damit es dort fleißig glitzert und dekoriert wird.

Die Müllabfuhr hat ihre Touren. Ein Plan organisiert die Abfuhrbezirke. Da wir uns im industriellen Zeitalter befinden, schonen Maschinen die Handarbeit beim Einsammeln und Wiederverwerten der Weihnachtsbäume. Der Farbton in Orange hat Tradition. Er warnt, erregt Aufmerksamkeit. Der Signalton hat auch den Eindruck in mir hinterlassen, dass die Arbeit der Müllmänner wertvoll ist.
Die zwölf Kubikmeter Sammelvolumen bewegen sich von Haus zu Haus vorwärts. Der Behälter ist so groß, dass ich meine, er könnte die Weihnachtsbäume der halben Stadt schlucken. Die Müllpresse verrichtet ganze Arbeit. Es rattert, reibt, zerreibt, zerkleinert, stampft mit Herkuleskräften zusammen, die Müllpresse stöhnt. Langsam, im Schneckentempo, ohne Schwung, stochert der LKW vorwärts. Der Dieselmotor brummt zwischen Doppelhaushälften.

Ein Handgriff genügt. Die orangene Schutzbekleidung der Müllmänner sticht in den winterlichen Morgen, fest stapfen ihre Sicherheitsschuhe über den Asphalt, der Müllwagen treibt sie hinter sich her. Ich erlebe das Weihnachtsfest rückwärts. Die Weihnachtsgeschenke sind wieder vergessen, das winzige Baby des Jesuskindes ist ein paar Wochen alt geworden. Christliche Nächstenliebe wird zum nächsten Fest, dem Osterfest, wieder recycled.

Der eine Müllmann, ein stämmiger, derber Typ, macht kurzen Prozess. Er greift in Vergängliches hinein. Die Einmaligkeit des Augenblicks verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Er entsorgt das Weihnachtfest, indem er den Tannenbaum am Stamm packt und senkrecht in die Höhe hebt. Ohne nachzudenken, sind seine Handgriffe Routine. Der Weihnachtsbaum bäumt sich auf, streckt die Zweige zur Seite, und der Müllmann übergibt Bündel von Tannennadeln an die nüchterne Realität. Ein Schwung, und die Müllpresse schreddert und zerkleinert und staucht das Weihnachtsfest zusammen.

Die letzte Reise des Weihnachtsbaums hat begonnen. Sie endet im Kompostwerk. Eine riesige Zerkleinerungsmaschine häckselt dort die vergangene Weihnachtspracht in kleinste Bestandteile. Mikroorganismen leisten im Kompostwerk ganze Arbeit. Weihnachten wird in Humus verwandelt. Das gesegnete Weihnachtsfest wird sich danach in unseren Gärten wiederfinden.

12 Kommentare:

  1. ich habe vergangene Woche auch noch über die Weihnachtsbaumberge gestaunt ... und jetzt ist alles weg ... neee nicht weg ... wird in Humus verwandelt. Der Gedanke gefällt mir sehr. Wieder sehr schön geschrieben Dieter.

    lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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  2. Lieber Dieter,
    wieder ganz toll beschrieben. Ich habe in der Zeitung gelesen,
    dass die Weihnachtsbäume für Elefanten ein Leckerbissen
    sind und auch an Zoos geliefert werden. (Natürlich nur in den
    Städten, in denen ein Zoo ist)
    Einen schönen Abend wünscht
    Irmi

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  3. Das ist ja ein schöner Text! Eine Superidee "das Rückwärtserzählen". Gefällt mir sehr ... und beantwortet nebenbei noch wunderbar die Fragen, die dein gestriges Posting bei mir aufgeworfen haben.

    Ich poste den Link zu diesem Text dann unter meinen morgigen Text.

    lieben Gruß
    Brigitta

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  4. Habe bei HaPe auch sehen können dass die Ziegen dort fleissig an hingelegten Tannenbäumen knabbern. Finde ich auch eine gute Idee, jedenfalls alles was -nicht nur wegwerfen- zu tun hat.

    Liebe Grüssle

    Nova

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  5. -Das gesegnete Weihnachtsfest wird sich danach in unseren Gärten wiederfinden.-
    Hier hast du ja wirklich deine Gedanken kreisen lassen. So richtig. Deine Betrachtung des weihnachtlichen Kreislaufes gefällt mir sehr gut.
    Gruß vonner Grete

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  6. ich zitiere: "das gesegnete Weihnachtsfest wird sich danach in unseren Gärten wiederfinden" ...

    .... um dem Leben auf die Füße zu verhelfen, um damit den Sinn von Weihnachten weiterzutragen.
    Eher eine wunderbare Fortsetzung in unserer irdischen Welt.

    Die gegensätzliche Stimmung hat etwas! Ausgezeichnet nachzuvollziehen bis ins Detail und das auch noch mühelos. Prima!

    Gruß,
    Beate

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  7. Ja, zo gaat dat. Hier lagen de kerstbomen in de gemeentetuinen. Tuinen langs de weg, eigendom van de gemeente. Ze werden opgehaald, ja. je beschrijft het heel goed. Schrijverstalent!

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  8. Hallo Dieter,

    ach, das liest sich so traurig. Unser Baum ist zur Hälfte in der Biotonne gelandet und die andere Hälfte liegt noch im Garten.
    Es gab Zeiten, da kam mir nur ein Baum mit Wurzeln ins Haus, damit er nach Weihnachten weiterleben durfte. Vielleicht sollte ich das wieder einführen.

    Liebe Grüße,
    Vera

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  9. Beinahe, beinahe, koennte mir so ein Weihnachtsbaum direkt leid tun.
    Aber nur beinahe.

    Das schaffst nur du, den Untergang eines Weihnachtsbaumes in ein Tragoedie umzuarbeiten.

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  10. Weihnachten rückwärts. All die Freude, das Glitzern, der Schmuck: für die Tonne. All die prächtigen Weihnachtsbäume - für die Tonne. All die schönen Gedanken von Liebe und Heiligkeit - dito. - Gut beobachtet, gut geschrieben. Genau mit der richtigen Portion Nüchternheit. Die ich in der Form nicht aufbringen kann, weil mein Mitleid mit den Bäumen jedes Jahr steigt (vor allen mit denen, die nicht verkauft wurden und sozusagen umsonst geschlagen wurden). Trotzdem - ein happy end. Mehr oder weniger.

    Wer dankt eigentlich mal den Müllabfuhr-Leuten? Die unseren Müll, und nach Weihnachten zusätzlich noch all die Bäume entsorgen? (Übrigens: Das Wort "entsorgen" konnte ich noch nie besonders gut leiden. Es klingt so steril, kalt und technisch, bürokratisch und endgültig, daß ich es selbst so gut wie nie verwende. ;-) )

    Zum Thema Weihnachtsbaum fällt mir eben noch ein Märchen von Hans Christian Andersen ein: Der Tannenbaum.

    Viele Grüße, Sathiya

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  11. Hallo Dieter,
    hier haben sie gleich wieder übertrieben im Stadtpark und mitsamt den Weihnachtsbäumen auch gleich mal ganze Strauchgruppen entsorgt. Jetzt sehen viele Ecken im Park ganz kahl und leer aus. Da war es dann wohl nicht die Müllabfuhr, sondern der große Alleshäcksler des Umweltbetriebes...
    VG
    Elke

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  12. Sehr schöner Artikel, in dem erklärt wird wie sich der Kreislauf der Weinachtsäume Schließt.

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