Freitag, 12. Dezember 2014

William Turner am Rhein

Hochkreuz mit Godesburg
Er war ein Meister, dessen Lebenswerk sich mit dem Licht befasste. Er schaute mitten hinein, in die Kraftfelder des Lichtes, in all die Wechselspiele, Töne, Schattierungen, Tageszeiten, Jahreszeiten. Er reflektierte das Licht in den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft, so wie Aristoteles sie geformt hatte. Er studierte das Licht in seinem Übergang vom Barock in die Moderne. Er schaute nicht nur in sich hinein, so wie die Maler von Stillleben es getan hatten, sondern er ging hinaus in die Natur. Er malte das Licht in all seinen Facetten, das satte, fette, lärmende, schreiende Licht, das die Schiffe auf ihren Fahrten über den Ozean produzierten, das in all seinen Verzögerungen aufwachende Licht im Morgendunst, das die Händler auf dem Marktplatz in einen zarten Schleier einhüllte, das erschreckende Licht eines Großbrandes, der das House of Parliament in London auffraß. Er packte das Licht in Schneestürme, Rauchsäulen und Regengüsse ein, ließ es durch Fenster fließen und über Klippen stürzen. Und er verlieh Landschaften aus Burgen, Felsen und Wasser eine spannungsgeladene Energie, die in dem Wellenspiel des Wassers einen ausgleichenden Ruhepol fand.

William Turner, 1775 in London geboren, sein Vater hatte in jungen Jahren sein Talent entdeckt, war ein Überflieger in der Malerei. Generationen von Impressionisten sollten von ihm lernen, wie man in welchen Situationen welche Formen, Varianten und Ausprägungen des Lichtes in welcher Detailtreue darstellen kann.

Drachenfels
Es gehörte zur Methodik seiner Malerei, dass seine Ideen in einer Wechselwirkung aus den Beobachtungen in seiner Heimat und in fremden Ländern sprudelten. Als sich der europäische Kontinent nach den Napoleonischen Kriegen beruhigt hatte, begab er sich ab 1815 ins Schlepptau anderer Reisenden aus England und plante gezielt Reisen in europäische Länder. In Reiseführern, die in England erhältlich waren, wählte er sorgfältig seine Reiseziele aus. „The Traveller’s Complete Guide through Belgium and Holland with a Sketch of a Tour in Germany“ von Charles Campbell wies die Touristen auf eine Route entlang von Sehenswürdigkeiten, die in Belgien das Schlachtfeld von Waterloo einbezogen und in Deutschland auf dem Landweg über Aachen nach Köln führten.

Turner gewöhnte sich einen Jahresrhythmus an, dass er von Juni bis September europäische Länder bereiste und in den Wintermonaten all seine Eindrücke in einer Vielzahl von Aquarellen und Ölgemälden abarbeitete. In mehreren Reisen durchquerte Turner Deutschland von West nach Ost, von Nord nach Süd, wobei ihn seine erste Reise 1817 an den Rhein führte. So landete Turner, nachdem er die Niederlande und Belgien bereist hatte, am 18. August mit der Postkutsche in Köln.

Da das Zeitalter der Fotografie noch nicht angebrochen war, sammelte er seine Eindrücke in Skizzenbüchern. Sie dienten als Tagebücher, in denen er zum einen seine persönlichen Erlebnisse dokumentierte. Zum anderen zeichnete er mit dem Bleistift in Kleinstarbeit all diejenigen Details, die er für seine späteren Gemälde brauchte – wie etwa das Rheinufer mit einem Grünstreifen bewachsen war, wie Boote am Kai standen, wie sich die Stege zu den Booten neigten usw. Diese Skizzenbücher führte er in unterschiedlichen Größen mit sich, da er je nach Detaillierungsgrad des Objektes in unterschiedlichen Größen zeichnete.

Köln
Auf Schusters Rappen, wandernd, erkundete Turner Land und Leute. Die Eisenbahnlinie entlang des Rheins sollte erst 30 Jahre später gebaut werden, aber anstatt dessen konnte er einem System aus gut befestigten Straßen aus der Napoleonischen Zeit folgen. Dabei war er mit einem Tagespensum von rund dreißig Kilometern sogar ein sportlicher Typ. Damit seine Wanderungen bequem waren, trug er möglichst wenig unnötigen Ballast. Sein Rucksack war ein sogenannter „wallet“, das war ein Beutel, der an beiden Enden geschlossen war, mit einem Schlitz in der Mitte, um die nötigen Dinge hinein zu stecken. Penibel hatte Turner in einem Skizzenbuch sogar den Inhalt seines „wallet“ notiert: 1 Reiseführer, 3 Hemden, 1 Nachthemd, ein Rasiermesser, ein Regenschirm mit Hülle, ein paar Strümpfe, ein Wams, ein halbes Dutzend Bleistifte, 6 Halstücher, ein großes Halstuch, ein Farbkasten. Mancher Leser wird schätzungsweise zweifeln, ob die Liste vollständig ist.

Während seiner Wanderungen hielt Turner inne, er nahm sich Zeit, durchleuchtete die Sehenswürdigkeiten mit mikroskopischem Blick. Er zeichnete, füllte seine Skizzenbücher, machte sich Notizen, damit seine Zeichnungen eine solche Detailtiefe hatten, um sie in späteren Gemälden verwenden zu können.

Am 19. August 1817 übernachtete er in Bonn, am nächsten Tag war er hingerissen von den Ausblicken auf den Drachenfels und das Siebengebirge. Den Drachenfels zeichnete er in sein Skizzenbuch mit dem größten Format, das war das „rhine-book“. Eine längere Weile hielt er sich am Hochkreuz und an der Godesburg auf, um Außenränder und Details möglichst genau zu skizzieren. Dann wanderte er weiter bis nach Remagen, wo er übernachtete. Auf dem Weg dorthin hielt er den Ausblick auf Erpel und Linz sowie die Aussicht in der anderen Richtung auf die Apollinaris-Kirche in einem kleineren Skizzenbuch fest, das war das „waterloo-and-rhine-book“.

Der 21. August 1817 muss ein ziemlicher Gewaltmarsch gewesen sein, denn er wanderte in einem Stück von Remagen nach Koblenz. Somit zeichnete er an diesem Tag nur eine ausführliche Skizze, das war der Felsen „Hammerstein“ auf der anderen Rheinseite des Brohltales.

Moselbrücke Koblenz
Dafür blieb er zwei Nächte in Koblenz. Koblenz war seine Stadt. Er war wie gefesselt von der Moselbrücke, dem Moseluferpanorama, der Mündung der Mosel in den Rhein und der Festung Ehrenbreitstein. Jahre später, zog es Truner immer wieder nach Koblenz zurück. 25 Jahre sollte es aber dauern, bis er eines seiner Meisterwerke malte, das war die Moselbrücke mit der Festung Ehrenbreitstein.

Im Mittelrheintal widmete er sich dann den Burgen, das waren Stolzenfels, Lahneck, die Marksburg, Katz und Maus. Bis Bingen war er wandernd unterwegs, das letzte Stück nach Mainz fuhr er mit dem Schiff. Ab Mainz ging es dann nach Köln zurück, wobei er fast durchweg das Schiff benutzte, mit einer Ausnahme: die Perspektive auf den Rolandsbogen war komplett anders, daher verließ er das Schiff. Am 29. August 1817 wechselte er auf ein Boot,  ruderte um die Insel Nonnenwerth herum. Er studierte die Vielschichtigkeit der Perspektiven, wie der Rolandsbogen in Szene gesetzt wurde. In seinem Gemälde rückte er später die Proportionen zurecht, ließ den Rhein breiter wirken, die Felsen steiler, den Rolandsbogen noch mächtiger. Solch einen Blick konnte er nur vom Rhein aus einfangen.

 Am 29. und 30. August 1817 übernachtete er in Köln, wobei der den unvollendeten Dom und das Rathaus zeichnete. Danach reiste er ab in Richtung England. Im Winter des Jahres 1817/1818 verarbeitete er eine Vielzahl seiner Skizzen zu Gemälden. Das Skizzenbuch verkaufte er anschließend an einen Kunsthändler, der Walter Fawkes hieß.

Sieben Jahre später, 1824, verschlug es Turner abermals an den Rhein. Er reiste nach Lüttich, fuhr von dort aus die Maas aufwärts. Bis Verdun, von dort aus ritt er nach Metz, wechselte dort auf das Schiff und fuhr die Mosel entlang. Mehrere Tage verweilte er in Trier und in Cochem, wo er detailtreue, ganzseitige Skizzen fertigte. Zwei Tage blieb er vom 1. bis zum 3. September in Koblenz. Auf der Rückreise nach Köln befasste er sich abermals mit dem Felsen Hammerstein, mit dem Drachenfels, dem Siebengebirge und mit der Stadt Köln selbst. Erstmals fertigte er auf dieser Reise eigene Skizzen von Düsseldorf und von Aachen an. 1839 unternahm Turner eine weitere Reise an die Mosel und an den Rhein.

Seine künstlerische Ausbeute war überwältigend. 150 Jahre lang blieb diese Ausbeute allerdings nahezu unbekannt. Bis diese Bilder in der Londoner Tate Gallery ausgestellt wurden. Erst dann sind die Rheinländer auf diese Kostbarkeiten aus ihrer Gegend in der englischen Malerei aufmerksam geworden.

Quelle: Cecilia Powell, William Turner in Deutschland

Dienstag, 9. Dezember 2014

die Kölner Bettelordnung von 1437

Bettler am Wegesrand (1568)
In den Nachmittagsstunden des 22. März 1572 konnten die Bewohner der Kölner Altstadt ein bizarres Schauspiel erleben. Acht „nackedige bueben“, in kümmerlichen Lumpen gekleidet, die zusammen nicht einmal einen Gulden Wert waren, wurden „bey paren gekoupelt“ als „muessig gengere unnd muylenstoessere“ von der Polizei und den „clocken“ aus Wohnhäusern in der Altstadt heraus gefischt, so steht es in den Ratsprotokollen der Stadt Köln.

Der Haufen dieser zwielichtigen und bunt zusammengewürfelten Gestalten versammelte sich auf der Straße. Das war David Roesen aus Tournai in Belgien, von Beruf eigentlich Krämer, der beim Taschendieb erwischt worden war; der Leinenweber Rutger von Gymnich, der im Fremdenhospital übernachtet und tagsüber gebettelt hatte;  Johann von Hillesheim (aus der Eifel), ein fauler frescher Bursche, war im Hospital aufgelesen und heraus geworfen worden; Hans Jerguleman aus Ulm, ein gelernter Büchsenmacher, hatte vor allem in Kirchen gebettelt; Peter Meyer aus Béthune in Nordfrankreich, der eigentlich Tuchscherer war, hatte in Weinstuben Geld und Kleidung gestohlen; der Bäcker Leonhart Wale aus Lüttich bettelte und hatte sich bei einer Frau namens Agnes einquartiert;  Leonhardt Junghblueth aus St. Vith, ein Landsknecht, bettelte und hatte mit seiner Frau Unterschlupf in einer Scheune gesucht; schließlich Daniell Metz von Weisenheim am Sand in der Pfalz, ein Bettler und „muylenstoesser“.

Über den Rhein, den Warenaustausch und den Handel, war Köln im Mittelalter reich geworden. Dabei hatte die Kirche ihre Machtposition genutzt, um auch die Außenseiter und die Armen in die Gesellschaft einzubeziehen. Die Kirche suchte danach, den Wohlhabenden Gelegenheiten zu christlicher Mildtätigkeit zu geben. Dies bedeutete: die Kirchen riefen die Reichen, Kaufleute, Fürsten, Grafen, Herzöge und Patrizierfamilien zu Spenden auf, damit Arme und Reiche gleichermaßen den Segen Gottes erhalten konnten. Im 15. Jahrhundert begann dieses System zu funktionieren, um ein gewisses Existenzminimum zu gewährleisten. Jeder Mensch sollte ein Dach über den Kopf haben, Arme sollten nicht verhungern, um Kranke sollte sich gekümmert werden. Hospitäler und Armenhäuser wurden gebaut, die dann die Grundversorgung der Armen übernahmen, wenn diese krank waren oder aus anderen Gründen keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen konnten. Darüber hinaus wurden Arme, deren Grundversorgung nicht sichergestellt war, auf ihrer Kleidung als Arme gekennzeichnet. Diese Kennzeichnung wurde restriktiv gehandhabt: die Armen mussten Bürger der Stadt Köln sein, und Nachbarn oder der Pastor mussten ihr persönliches Schicksal bestätigen, welches zur Armut geführt hatte. In diesem Fall war das Betteln eine anerkannte Lebensform, da die Bettler ihren Lebensunterhalt nicht anderweitig aufbringen konnten.

verschiedene Arten der Kunst des Bettelns
Zeichnung Hieronymus Bosch um 1500
Die Sozialstandards waren im mittelalterlichen Köln hoch, und die Menschen verhielten sich vom Prinzip her genauso wie in der heutigen Zeit. Die Menschen wanderten aus Gegenden mit niedrigem Sozialstandard nach Köln, man könnte auch sagen, dass Köln von Armutsflüchtlingen heimgesucht wurde. Im mittelalterlichen Sprachgebrauch bezeichnete man diese Armutsflüchtlinge als „muylenstoesser“. Sie bettelten, waren keine Bürger der Stadt Köln, sie waren arbeitsfähig, lungerten herum oder gingen keiner geregelten Tätigkeit nach. Oder sie nutzten die Leistungen von Armenhäusern und Hospitalen, obschon ihnen diese nicht zustanden, oder sie tauchten schlichtweg in Wohnungen unter.

Die meisten Bettler gingen von Tür zu Tür, sie standen auf der Straße oder vor Kirchen. Bisweilen nahm das Betteln abstoßende, aufdringliche Formen an, wenn Bettler in Gottesdienste eindrangen. So störte Greitgen von Overraedt die Predigt, sie schlug auf einen Messdiener ein und die Kirchengemeinde musste sie in tumultartigen Szenen wieder aus der Kirche hinaus werfen.

So wie heute, versuchte man mit Bürokratie und Vorschriften das Problem in den Griff zu bekommen. Das hatte  aber nicht den durchgreifenden Erfolg, den die Verantwortlichen sich erhofft hatten. So kam die Kölner Bettelordnung von 1473 zustande, die auf Hochdeutsch übertragen so lautet:

„Unsere Herren vom Rat vernehmen, dass viele Leute, Männer und Frauen, hier in der Stadt der Bettelei nachgehen., obwohl sie stark und gesund sind und ihr Brot selbst gut verdienen können. Auch finden sich hier viele „muylenstoesser“. Deshalb gebieten unsere Herren, dass all diese Gesunden für ihren Lebensunterhalt arbeiten und dienen sollen, und wer das nicht will, soll sich schnellstens zur Stadt hinaus machen. Wer sich nicht nach diesem Befehl richtet, in Köln bleibt und bettelt, den sollen die Gewaltrichter gefangen nehmen und ein Jahr lang in einen der Stadttürme legen, wo er nur Wasser und Brot bekommen soll, und danach soll man ihn aus der Stadt jagen.“

Um dies zu überwachen, wurde eigens eine Ordnungspolizei eingerichtet, das waren die „clocken“. Die Ordnungshüter trugen ein glockenförmiges Gewand, woraus dann die Bezeichnung „clocken“ wurde. Diese hatten auch die Befugnis, die Häuser zu betreten und dort nach „muylenstoessern“ zu suchen.

Unterstützt wurde das System von Ordnungsstrafen durch den Bau von Zuchthäusern. Diese Strafvollzugsform wurde aus Amsterdam übernommen und wurde auf jugendliche Kriminelle angewandt, indem diese ihre Strafe in Form von Arbeit abbüßten.

Heutzutage fürchten Ladeninhaber um den Ruf ihrer Einkaufsmeilen, wenn sich dort zu sehr Bettler niederlassen. Dann werden sie aus bestimmten Zonen entfernt, lassen sich anderer Stelle nieder und breiten sich in einer Art von Ameisen-Strategie wieder aus: einzeln schwärmen sie irgendwann an ihre alten Plätze zurück, und das Problem der Bettelei wird nur zwischen Orten hin- und hergeschoben, aber nie bereinigt.

Bettlerzeichen um 1500
So war der Abschreckungseffekt der Kölner Bettelordnung von 1437 begrenzt. Gegenüber den Bettlern befanden sich die Ordnungshüter in hilfloser Unterzahl, so wie heute etwa Zollbeamte an den Grenzen innerhalb der EU gegenüber Drogenschmugglern. Köln war reich und Handwerker waren stark nachgefragt, aber Arbeit in einer solchen Größenordnung, dass alle Bettler hätten beschäftigt werden können, gab es in den Handwerksbetrieben nicht. So fiel es den Bettlern nicht schwer, bei ihrer Anzahl ihre Art von Ameisen-Strategie zu praktizieren. Sie tauchten unter in Häusern, dazu war das System aus verwinkelten Gassen, Hinterhöfen, Gärten, Schuppen und Bretterverhauen zu unübersichtlich. Da manche Hausbesitzer nicht viel besser gestellt waren, machten sie gemeinsame Sache mit den Bettlern. Sie konnten bei ihnen wohnen und sie ließen sie betteln, wobei sie einen bestimmten Anteil des erbettelten Geldes – oftmals den zehnten Teil – als Miete bezahlen mussten. Wenn die Bettler in Wirtshäusern übernachteten, war es üblich, dass auf das Übernachtungsgeld ein – oder mehrere – „helffgen“ Bier, das sie trinken mussten, angerechnet wurde. So artete so manche Übernachtung eines Bettlers in einem Zechgelage aus.

Mancher Bettler stellte sich krank – und wurde von einem Hospitälern aufgenommen. Warf man die Bettler an einem Stadttor hinaus, versuchten sie es so lange an einem der übrigen Stadttore, bis sie von dort aus wieder in die Stadt hinein gelangten. Ähnlich dreist waren Bettler, die sich als Pilger ausgaben. Pilger genossen im Mittelalter Sonderrechte, denn sie brauchten beispielsweise keinen Wegezoll zu zahlen und oftmals durften sie kostenlos übernachten. Pilger gaben fälschlicherweise vor, sie wären Pilger – und sie durften betteln.

Die acht zwielichtigen Gestalten, die in den Nachmittagsstunden des 22. März 1572 aus der Stadt geworfen wurden, dürften die Kölner Bürger früher oder später wieder gesehen haben. So wechselte so mancher Bettler ins Umland von Köln. Zum Beispiel Mery Pontier, aus Paris kommend. Eine Zeitlang bettelte er in Lüttich, dann kam er nach Köln. Er wurde in einem Hospital aufgenommen, wo ihn ein „klocken“ aufspürte und aus der Stadt hinaus warf. Er wanderte nach Bonn. Den Bonnern fiel erst nach rund einem Jahr auf, dass er mit Betteln seinen Lebensunterhalt bestritt. Kurz darauf flog er aus Bonn heraus. Dort tat er sich mit zwei Italienern zusammen und kehrte nach Köln zurück. Dort wurde er im Gefängnis des Stadtturms inhaftiert und als „Wiederholungs“-Bettler heraus geschmissen. Danach reißen die Quellen ab. Was nicht bedeuten muss, dass er in Köln niemals mehr gesichtet wurde.


Quelle: Franz Irsigler/Arnold Lassotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker

Montag, 8. Dezember 2014

neues Layout

So manchem Leser ist sicherlich aufgefallen, dass ich fleißig am Layout meines Blogs herum gewerkelt und herum gebastelt habe. Mir selbst kam der Hintergrund zu unruhig vor und die Themen, über die ich schreibe, zu unübersichtlich strukturiert. Zumal diese auch sehr heterogen sind, angefangen bei Rennradtouren über typisch Rheinländisches bis hin zu meinen Gedankenexperimenten, die ich lose in alle unterschiedlichen Richtungen schweifen lasse. Feststellen musste ich auch, dass all die familiären Dinge, über die ich anfangs in Tagebuchform geschrieben habe, nicht mehr so richtig in dieses Umfeld passen. "Panta rhei", alles fließt, so hatte einst Demokrit gesagt. Das dürfte auch für meinen Blog gelten, dass die Themen ständigen Veränderungen unterworfen sind. Es wäre vielleicht schön, wenn ich das eine oder andere Feedback bekommen könnte, wie mein Blog in seiner Struktur und seinem Aussehen auf den Leser wirkt (weniger die Inhalte). Über den einen oder anderen Hinweis, wo ich meinen Blog verbessern könnte, würde ich mich freuen.

Woran ich jedenfalls verzweifelt bin, das ist die Gestaltung der obersten Menüzeile. Irgendwie schaffe ich es nicht, in der Layout-Gestaltung der Blogspot-Software nebeneinander liegende Menüpunkte darzustellen. Die Menüpunkte  "Startseite; wer bin ich ?; worüber schreibe ich ?, ... " kriege ich nur untereinander dargestellt, dazu lassen sich die einzelnen Textfelder nicht separieren und mit dem dazugehörigen Text verlinken.

Mein Wunsch wäre es, eine Menü-Ziele in einer solchen Form darzustellen:






Kann mir jemand dazu einen Tipp geben ?

Unter "Text konfigurieren" habe ich versucht, die Menüzeile zu gestalten. Dabei bin ich fast wahnsinnig geworden, weil es nicht so geklappt hat, wie ich es mir vorgestellt hatte.


Ich gehe davon aus, dass es andere Gestaltungsformen gibt, die ich noch nicht kenne.

Vielen Dank vorab für die Mithilfe.


Sonntag, 7. Dezember 2014

Brückenmännchen und Brückenweibchen

… erzählen von der Rivalität der beiden Rheinseiten. Was in Köln als „Schäl Sick“ abqualifiziert wurde, darüber gerieten sich in Bonn Brückenmännchen und Brückenweibchen in die Haare.


Über diese Brücke stritt man sich diesseits und jenseits des Rheines, das waren die Bonner und die Beueler, und zwar, noch bevor die Brücke gebaut wurde. 1898 wurde die Brücke über den Rhein fertiggestellt, und davor waren sich die beiden Rheinseiten uneinig – was heutzutage keine Seltenheit ist – wie die Trasse verlaufen sollte und wer bezahlen sollte. Dabei rückten die Bonner von ihrem Vorhaben nicht ab, die Brücke aus ihrem Zentrum über den Rhein in die Felder und Wiesen und Ackerland des Stadtteils Beuel hinein zu planen. Um in das Beueler Zentrum mit der neugotischen Kirche St. Josef zu gelangen, musste man einen strammen Fußweg in Kauf nehmen. Als die Beueler sich weigerten, sich an der Finanzierung zu beteiligen, weil sie an ihrem Zentrum vorbei führte, revanchierten sich die Bonner mit dem Brückenmännchen. In die Brücke eingebaut, streckte es den Beuelern sein Hinterteil entgegen, um der anderen Rheinseite einen Denkzettel zu verpassen. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Brücke zerstört, das Brückenmännchen wurde aus Trümmern zurechtgeflickt und in einer Gaststätte aufgestellt. 2008 wurde eine Kopie in die neue Hochwasserschutzmauer am Rheinufer eingebaut.



Die Reaktion aus dem Stadtteil Beuel kam prompt. Eine Weile später, nachdem sie das Brückenmännchen mit seiner eindeutigen Geste gesichtet hatten, erschufen sie das Brückenweibchen in ihrem Zentrum. Um die Jahrhundertwende hatten sich in Rheinnähe eine Vielzahl von Wäschereien angesiedelt, und die Wäscherinnen waren, nicht nur zu Karnevalszeiten, für ihre resolute Art bekannt. Sie fertigten die Skulptur einer Waschfrau mit grimmigem Gesichtsausdruck und einem Pantoffel in der Hand, die auf alle Bonner auf der anderen Rheinseite losprügeln wollte.




Das Brückenweibchen verschwand im Zweiten Weltkrieg, bis es 1949 auf einem Sockel am Rheinufer wieder auftauchte. 2008 fand das Brückenweibchen neben dem Brückenmännchen ihren Platz in der neuen Hochwasserschutzmauer.

Freitag, 5. Dezember 2014

Bruttosozialprodukt

Angenommen, wir hätten die Freiheit, unseren Beruf nicht nach rationalen Kriterien auszuwählen. Also: Einkommen, Karriereplanung, Attraktivität des Arbeitgebers, Sicherheit des Arbeitsplatzes, wie interessant die Tätigkeit ist oder inwieweit die Tätigkeit zu den eigenen Fähigkeiten passt, das könnten wir alles ausblenden. Wenn wir diese Kriterien beiseite schieben, dann reduziert sich die Berufswahl auf das, was den Menschen aus seinem Inneren antriebt. Völlig losgelöst, würde er dann nach seiner eigenen inneren Berufung streben. Schul- und Studienabgänger sollten sich demnach nicht auf den Arbeitsmarkt, auf Stellenangebote und auf die eigene Karriereplanung stürzen, sondern sich eher in die Rolle eines Schatzsuchers begeben, der mit einem Metalldetektor den Boden abtastet, der auf Signale horcht und voller Freude losgräbt, wenn ihn die Ahnung eines Schatzes erreicht hat.

Die Verwerfungen können im Verlaufe des Arbeitslebens gewaltig sein, wenngleich durch Vorschriften des Arbeitsschutzes, den Einsatz von technischen Hilfsmitteln und ein verschärftes Umweltbewußtsein die Arbeitsplätze an für sich humaner geworden sind. Arbeitsteilig, eingepackt in Hierarchien, mit hoch spezialisiertem Fachwissen, mit ständigem Druck auf die Aufgaben, mit hoher Flexibilität in bezug auf die Anforderungen, lenkt die Arbeitswelt den Menschen in rigide Bahnen. Im Verlauf von Jahrzehnten können die Verwerfungen riesig sein, wenn anstelle von Freude und Vorfreude bei der Schatzsuche Ernüchterung herrschen angesichts verloren gegangener Lebensträume, einem Zeitgefühl, dass sich zwischen Powerpoint-Präsentationen, Meetings und endlosen Zahlenkolonnen zerstreut hat, und einem beschämenden Gefühl der eigenen Selbstwahrnehmung.

Genau auf die Suche nach solchen Verwerfungen hatte sich der Schweizer Schriftsteller Alain de Botton in seinem Buch „Freuden und Mühen der Arbeit“ gemacht. Neben Bürowelten, globalen Wertschöpfungsketten oder einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Rücken des Londoner Tower begleitete er in einem Kapitel einen Berufsberater, der insolvente Firmen aufsuchte oder auf Messen präsent war. Oder Menschen gingen aus eigenem Antrieb auf ihn zu, weil sie sich beruflich umorientieren wollten. Der Berufsberater nahm sich Zeit für seine Kunden, ganz im Sinne des Psychologen Abraham Maslow, dessen Spruch er sich über die Toilette gepinnt hatte: „Zu wissen, was wir wollen, ist nicht normal, sondern das seltene und nur mühevoll zu erringende Resultat einer psychologisch recht komplexen Leistung.“

Es überraschte mich nicht, dass bei sich bei so viel Einfühlungsvermögen die Fälle häuften, dass Angestellte ihren Job kündigten, um den Neigungen nachzugehen, zu denen sie sich tatsächlich berufen fühlten. So kündigte eine 37 jährige Abteilungsleiterin in einer Steuerberatungskanzlei ihren Job, um eine Tätigkeit in einem Verein gegen Obdachlosigkeit und Wohnungsnot zu beginnen. Der Berufsberater hielt Seminare ab über das Selbstvertrauen, um den Teilnehmern zu vermitteln, wie stark sie doch waren, welche ungeahnten Kräfte in ihnen steckten und dass sie Ziele suchen sollten. Und dass sie diese verwirklichen sollten in ihrer eigenen Geschichte, in der sie selbst der Drehbuchautor waren.

In der Tat, die Aktivitäten des Berufsberaters, die Persönlichkeiten, Lebensgeschichten und die daran hängenden Arbeitswelten komplett neu definierten, könnten in einer Massenflucht ausarten. Ungefähr so wie gegen Ende des Ersten Weltkriegs, als russische und habsburgische Soldaten demoralisiert Fahnenflucht begingen, in Massen zum Feind überliefen und so zum Untergang des Zarenreiches beziehungsweise der K.u.K.-Monarchie beitrugen. Dabei habe ich noch nicht einmal all die Billig-Jobs betrachtet, die schätzungsweise aus rein ökonomischer Not – überwiegend Frauen – diese Form des Lebensunterhaltes betreibt. Der Fensterputzer, die Supermarktkassiererin, die Telefonistin, die Kunden vom Wechsel des Stromanbieters überzeugen soll, oder die Servicekraft in einer Fast-Food-Kette, werden ihren Job eher in Ausnahmefällen als Freude und Vorfreude bei einer Schatzsuche empfinden,  wenn sie für wenig Geld die hohe Kunst beherrschen müssen, mit den Launen ihrer Kunden in allen Lebenslagen umzugehen.

Ich gehe davon aus, dass eine potenzielle Massenflucht zum großen Teil zu den künstlerischen Berufen einsetzen wird. Aus uns würde ein Volk von Dichtern, Denkern, Schriftstellern, Sängern, Rockmusikern, Malern, Grafikern, Fotografen, Schauspielern, Drehbuchautoren und Kabarettisten. Und natürlich Handwerkern, bei denen eine scharfe Trennlinie schon Wirklichkeit ist. Zu Hause wird mit viel Liebe und Fleiß gewerkelt, wenn Badezimmer renoviert werden, wenn tapeziert wird oder wenn Terrassen neu gestaltet werden. Am Arbeitsplatz werden die Aufgaben eher in lästiger Routine und ohne Freude abgearbeitet, wenn eine Klimaanlage in einem Großraumbüro instandgesetzt wird, wenn Fassadenelemente gestrichen werden oder eine Flachdachkonstruktion abgedichtet wird.

Aber ich denke, unser ökonomisches System hält solche Wanderungsbewegungen aus, dazu ist es zu stabil. Es verspricht Wohlstand, das hatte bereits Adam Smith in seinem wegweisenden Werk „Wealth of Nations“, das 1776 erschien, festgestellt. Er entwickelte ein Modell, in dem sich in einem Wirtschaftskreislauf der Wohlstand über Arbeitsteilung, optimaler Güterversorgung und Wachstum verbesserte.

Grundlage dafür war die Fabrikproduktion, in der Arbeitsschritte aufgeteilt wurden, Maschinen eingesetzt wurden und Tätigkeiten spezialisiert wurden. Dadurch wurde die Produktion gesteigert, die Wirtschaft wuchs, indem sie neue Absatzmärkte fand, die Einkommen stiegen. Trotz Massenverelendung in der Frühphase der industriellen Revolution, trotz Aufschwungphasen, die zwei Weltkriege nach sich zogen, trotz Klimadiskussion, die wir momentan erleben und trotz Rezessionen in den 1980er und 1990er Jahren, gelten Adam Smiths Theorien in ihren Grundsätzen bis heute. Wirtschaft ist ein Kreislauf, auf den alles einzahlt. Der Mensch wird zum Konsumenten, indem er Güter auf Märkten nachfragt. Dabei wird er zum Typ des „homo oeconomicus“, da er seinen Nutzen beim Güterkonsum maximieren will. Durch den Verbrauch entsteht wiederum Wohlstand, der auf volkswirtschaftlicher Ebene einen Gewinn abwirft. Dieser Kreis dreht sich vom Prinzip her bis heute weiter, da unsere Wirtschaft – letztlich dank Exporten in alle Welt – ungebremst wächst.

Dichter, Denker, Schriftsteller, Sänger, Rockmusiker, Maler, Grafiker, Schauspieler, Drehbuchautoren, Kabarettisten werden daher weiterhin Nischenexistenzen bleiben. Größere Aufstände wegen Verwerfungen innerhalb der Arbeitswelten sind daher nicht zu erwarten. Gleichwohl zollen die Arbeitsteilung, die nie das fertige Werk erscheinen läßt, globale Wertschöpfungsketten, die bessere Standards von Arbeits- und Umweltschutz weg verlagert, und ein Zwang zur Kosteneinsparung, der in manchen Firmen an Terrorismus grenzt, ihren Tribut.

Da die Aussteiger oder Nischenexistenzen in ihrer Anzahl sehr klein sind, sind die Auflösungstendenzen unseres ökonomischen Systems eher marginal. Wir werden daher alle weiterhin am Bruttosozialprodukt beitragen. Auch in diesem volkswirtschaftlichen Begriff lebt Adam Smith mit seinen Theorien fort, da das Bruttosozialprodukt in den 1940er Jahren als Meßzahl für den Wohlstand entwickelt wurde. Wir definieren uns über unseren Wohlstand. Wir selbst werden zum Bruttosozialprodukt, wenn wir aus dem Kreislauf des Wohlstands nicht ausbrechen können.

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Tünnes und Schäl

Denkmal Tünnes (Quelle Wikipedia)
Ihre Witze füllen Bücher und kursieren nicht nur in Köln, sondern über das ganze Rheinland hinweg bis ins Ausland und in die ganze Welt hinein.

Schäl trifft Tünnes, der im nächtlichen Köln etwas unter einer Laterne sucht.
Schäl fragt: „Wat hässde dann  verlore ?“
Tünnes: „Ming Portemonnaie.“
Schäl: „Wo dann ?“
Tünnes: „Hingen ahn d’r Eck.“
Schäl: „Waröm söökst de dann he unger de Latän ?“
Tünnes: „He eß het heller.“

In all ihren Witzen schält sich die trägere Variante des Verstandes heraus, der sich aber zu helfen weiß. Wichtiges und unwichtiges kann er trennen. Der Verstand darf sich erlauben, sich treiben zu lassen in einem seichteren Niveau der Gemütlichkeit. Nach getaner Arbeit formuliert er seinen Anspruch auf Ruhe. Dazu gehört das Kölsch in der Eckkneipe, der Schwatz mit den Nachbarn und Rituale wie der Karneval. Der Verstand verbohrt sich nicht Tiefsinnigkeiten, die isoliert für sich betrachtet nichts einbringen. Der Verstand kann auch aufblühen, wenn er kommuniziert und Netzwerke bildet. Insbesondere der Witz ist das treibende Moment des Verstandes, um Eingang in eine Situationskomik zu finden und messerscharfe Urteile zu bilden.
  
So gibt es manche hochkarätige und prägende Persönlichkeiten, die die Kölner Lebensart verkörpern. Witz und Humor ist all den Originalen gemein. Willi Millowitsch steht für sein Volkstheater, Trude Herr für eine deftige und offene Art von Humor, die Bläck Fööss für eine milieubetonte Art von Musik, die auf den Menschen aufsetzt. Willi Millowitsch und Trude Herr haben die Kölner dermaßen lieb gewonnen, dass sie ihnen ein Denkmal gesetzt haben.

Schäl (Quelle www.haenneschen.de)
Tünnes und Schäl, auf ihrem Bronzedenkmal in der Kölner Altstadt, im Blickfeld der romanischen Kirche Groß St. Martin, sind genauso beindruckende Kölner Originale. Beiden gemeinsam ist der treuherzige, brave, zulächelnde, etwas naive Blick. Gleichzeitig schaut Tünnes reichlich verschmitzt drein, so dass man sich in Acht nehmen muss, damit er einen nicht über den Tisch zieht.

Tünnes und Schäl, im Gegensatz zu Willi Millowitsch, Trude Herr oder die Bläck Fööss, haben nicht wirklich gelebt, sondern ihre Figuren sind auf der Puppenbühne entstanden. 1802 wurde nach mehrfachen Umzügen das Hänneschen-Theater, ein Puppentheater, in der Kölner Altstadt heimisch. Auf dessen Bühne erscheinen die Häuser in der Kölner Altstadt als „Knollendorf“. Dabei hat die Stadtbezeichnung „Knollendorf“ ihre eigene innere Bedeutung: das Stadtgebiet von Köln wuchs um diese Zeit,  die Urbanisierung schritt in ungeahnte Dimensionen voran, Felder wurden von der Großstadt einfach mal so geschluckt. Das trieb die Kappesbauern aus dem Umland in die Kölner Großstadt, die genauso Zuckerrüben ernteten, daher „Knollendorf“.

Sinnbild dafür war der Bauer, der einen blauen Kittel trug und ein rotes Halstuch. Rot und knollenförmig ist genauso seine Nase, denn er huldigt gerne einem oder auch ganz vielen Gläsern Kölsch. So wurde aus dem Vornamen „Anton“ in Köln „Tünnes“.

Gegensätze ziehen sich erwiesenermaßen an, daher tat sich der einfach gestrickte Bauer „Tünnes“ auf dem Land mit dem kleinbürgerlichen Städter „Schäl“ zusammen. In Köln ergab diese merkwürdige Kombination, dass beide nicht mit reichlich Intelligenz gesegnet waren. „Schäl“ ist schlank, mit einem Frack bekleidet und trägt einen Hut. Sein Name läßt Raum für Interpretationen, denn „schäl“ kann „schielen“, „schlecht“, „falsch“ oder „doppeldeutig“ bedeuten. Folglich ist höchste Vorsicht geboten, denn er gleitet leicht in kriminelle Verhaltensweisen ab, wenn er berechnet und sein messerscharfer Verstand ihm einen Vorteil verschaffen will.

Tünnes kommt eilig ins Lokal und ruft dem Wirt zu:
„Schnell ene Doppelte eh d’r Krach losgeiht !“
Er kippt den Doppelten.
„Noch einen, eh d’r Krach richtig losgeiht !“
Als Glas fast leer ist, fragt der Wirt:
„Wat für ene Krach denn ?“
„Ich kann nämlich nit bezahle !“

So wie die Figuren im Hänneschen.Theater geschaffen wurden, gab es einen Zeitversatz. Tünnes, der Immigrant aus dem bäuerlichen Umland von Köln, war von Anbeginn im Puppentheater des Hänneschen-Theater dabei, während es Schäl erst 50 Jahre später hinein schaffte.

Tünnes (Quelle: www. haenneschen.de)

Dabei riss ein weiterer innerstädtischer Kölner Konflikt auf. Der Puppenspieler, der den Schäl spielte, kam aus einem rechtsrheinischen Stadtteil. In dieser Zeit, um 1850, lebte die strikte Trennung durch die Rheinlinie nach. Schon die Römer hatten linksrheinisch gesiedelt, während das Römerkastell „divitium“ – später Deutz“ - den germanischen Barbaren zugerechnet wurde. Ebenso fußte aller Reichtum im Mittelalter auf linksrheinischem Gebiet, ebenso stehen alle romanischen Kirchen linksrheinisch. Was konnten die Kölner überhaupt mit der rechtsrheinischen Seite anfangen ? Sie wurde gleich in einen Topf geschmissen mit den bäuerlichen Vorfahren vom Schlage eines „Schäl“, der schielend durch die Weltgeschichte lief und mit seinem etwas reduzierten Verstand seine eigenen Mittel entwickelten musste, um sich zu behaupten.

So fanden Tünnes und Schäl Eingang in die Stadtgeschichte Kölns. Die rechte Rheinseite wurde fortan „Schäl sick“ (also falsche oder schielende Rheinseite) genannt. Die Trennlinie ist scharf und reicht bis Düsseldorf und bis nach Bonn hinein.

Im Puppenspiel, haben sich Tünnes und Schäl bis heute mit ihrem Temperament gut gehalten. Wer möchte, kann gerne in diese höchst phantastische Welt des Puppentheaters im Kölner Hänneschen-Theater eintauchen. Die Vorstellung ist allerdings in Kölscher Sprache, so dass der Besucher nicht so ganz sprachfremd sein sollte. Genau das verleiht aber dem Puppenspiel einen besonderen Reiz.

Sonntag, 30. November 2014

Synagogenplatz

Synagoge in den 1930er Jahren;
Quelle Wikipedia
Bisweilen wundere ich mich über mich selbst, dass ich eine unsichtbare Hemmschwelle überwinden muss, um mich mit unserer deutschen NS-Vergangenheit zu befassen. Einerseits mag dies daran liegen, dass mich geschichtliche Themen mit verwickelteren politischen Konstellationen – wie etwa der Erste Weltkrieg - stärker interessieren. Wer die Bösen in SA, SS, NSDAP & Co waren, ist vergleichsweise einfach zu beantworten. Andererseits bin ich aus heutiger Sicht geschockt, was sich alles an Verbrechen, Massenmorden und Völkermord angesammelt hat.

Am 3. November 1938 erfuhr der polnische Jude Herschel Gryszpan in Paris, dass seine jüdische Familie vertrieben worden war. Daraufhin erschoß er einen Legationssekretär in der deutschen Botschaft in Paris. Er war Mitglied der NSDAP war und starb am 9. November 1938. Noch in der Nacht, nach dem Tod des Legationssekretärs Ernst Eduard vom Rath, ordnete Joseph Göbbels an:

„Sämtliche jüdische Geschäfte sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören. Nach der Zerstörung hat eine SA-Wache aufzuziehen, die dafür zu sorgen hat, dass keinerlei Wertgegenstände entwendet werden können. […] Die Presse ist heranzuziehen. Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken, jüdische Symbole sind sicherzustellen. Die Feuerwehr darf nicht eingreifen. Es sind nur Wohnhäuser arischer Deutscher zu schützen, allerdings müssen die Juden raus, da Arier in den nächsten Tagen dort einziehen werden. […] Der Führer wünscht, dass die Polizei nicht eingreift. Sämtliche Juden sind zu entwaffnen. Bei Widerstand sofort über den Haufen schießen. An den zerstörten jüdischen Geschäften, Synagogen usw. sind Schilder anzubringen, mit etwa folgendem Text: ‚Rache für Mord an vom Rath. Tod dem internationalen Judentum."

Nun tobte der Mob in ganz Deutschland, so auch in Bonn-Beuel. Am 10. November wurde die jüdische Synagoge abgefackelt, die 1902 erbaut worden war. So hat die deutsche Nation es geschafft, sich auf Augenhöhe zu bewegen mit den Taliban, die Buddha-Statuen in die Luft sprengen, oder mit Islamisten wie Boko Haram, die in Nigeria Kirchen während eines Gottesdienstes in Brand setzen und Besucher des Gottesdienstes nieder metzeln.


An der Stelle, an der einst die Synagoge stand, wurde 1992 ein Mahnmal gebaut. Mich überrascht, da ich des öfteren an dem Mahnmal vorbei geradelt bin, es aber nie bemerkt habe, da ich stets nach rechts abseits vom Blickfeld des Mahnmals abgebogen bin.


Der Platz heißt nun „Synagogenplatz“.


Das Mahnmal bilden sechs unterschiedlich hoch gemauerte, dreieckige Säulen, deren Grundrisse einen Davidsstern ergeben.


Im Zentrum des Mahnmals steht ein Gedenkstein.


Dieser trägt die Aufschrift:
1933 lebten IN BEUEL 140 JÜDISCHE
BÜRGER. 1941/1942 WURDEN 46 IM
KLOSTER ZUR EWIGEN ANBETUNG IN
BONN-ENDENICH ZWANGSINTERNIERT
UND VON DORT IM SOMMER 1942 DEPORTIERT .
SIE STARBEN IN LITZMANNSTADT ,
THERESIENSTADT UND AN
UNBEKANNTEM ORT IM OSTEN.


Die Oberfläche des Gedenksteins zeichnet das Aussehen der Synagoge nach.


Die Straßenkreuzung am Synagogenplatz wurde nach Siegfried Leopold benannt, der in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt wurde und dort sogar überlebte.