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Holzschnitzerei im Museum Schnütgen, Köln |
Die
Geschichte handelt von Tod und Trauer. Auf einem Berg, in der Bibel genannt
Golgatha, übersetzt mit Schädelstätte, hängt Jesus am Kreuz, nackt, gedemütigt,
Nägel zwischen den Gliedmaßen, die Brust mit einem Lanzenstich aufgerissen. Höllenqualen
erduldend, übertrifft die Szene so manches, was unsere heutige Film- und
Fernsehlandschaft an Action-Szenen und Massakern zu bieten hat. Eine
Menschenmenge hat sich versammelt und verfolgt das Schicksal der drei Gekreuzigten,
das seinen Gang genommen hat, unumkehrbar. Sie werden ihren Todeskampf
verlieren. Krieger aus dem Heer des Statthalters Pontius Pilatus halten die
Menge in Schach. Auch die guten Krieger, die die Geschichte nicht wahrhaben
wollen, stellen sich auf die Seite der bösen Krieger. Frauen weinen, manche
brechen in sich zusammen, darunter hat Veronika Trost zu spenden versucht,
indem sie Jesus das Schweißtuch gereicht hat. Das Grauen findet einen
Höhepunkt, als die letzten Worte „Mein Gott – warum hast Du mich verlassen“ Jesus
in den Tod hinein befördern.
Der Ort
der Kreuzigung namens Golgatha, ein Felsen, einige Kilometer nördlich der Jerusalemer
Altstadt gelegen, nahm dieselben Wege der Übersetzung wie die Bibel selbst. Aus
dem Aramäischen, dem Sprachgebiet im heutigen Iran und Irak, wanderte das
Wortgebilde ins Hebräische. Im Griechischen blieb derselbe Wortstamm erhalten, später
formte das Lateinische den Ort der Schädelstätte zu „calvarius locus“ um.
Dieser
„calvarius locus“ prägte sich ein, er bestimmte lateinische Bibelübersetzungen
des Mittelalters. Die Menschen trugen die Bürde des Lebens mit Demut, Feinde
bedrohten seine Existenz, den Launen der Natur waren die Menschen hilflos
ausgeliefert. Sie suchten nach Orientierung in dieser Christusgestalt, nach festen
Abfolgen und Riten, ein Netz, in das Kirche und Herrscher das Volk einbanden.
Zu diesen festen Riten gehörte auch die Leidensgeschichte von Tod und Trauer.
Der „calvarius
locus“– oder auch Kalvarienberg genannt – hat im Rheinland Eingang gefunden in
vielschichtige Formen des Kunsthandwerks im Mittelalter. So findet sich die
Leidensgeschichte von Tod und Trauer im Kölner Museum Schnütgen, das im Jahr
2013 die spektakuläre Neuerwerbung eines Kalvarienberges feierte. Es handelte sich
um eine Holzschnitzerei aus den Niederlanden, die auf eine Zeit um 1430/1440
datiert werden konnte. Dabei wirken in der Menschenmenge die geschnitzten Gesichtszüge
der einzelnen Personen so plastisch, dass jedes Gesicht seine eigene Geschichte
erzählt, welche durch dramatische Gesten noch verstärkt wird.
Ein
weiterer Ort des Geschehens, wo sich die Gestalt eines Kalvarienberges erhebt,
ist Ahrweiler. Glaubt man der Legende, so kehrte ein Kreuzritter um 1440 aus
Jerusalem an die Ahr zurück. Ahrweiler war zu dieser Zeit eine wohlhabende
Stadt voller Mauern und Türme, in dessen Mittelpunkt die St. Laurentius-Kirche
stand. Mit den Türmen und Mauern verglich der Kreuzritter Ahrweiler
augenblicklich mit Jerusalem. Dabei fiel ihm auch der Hügel auf, der etwa in
der derselben Entfernung von den Stadtmauern lag wie die Schädelstätte Golgatha
von der Jerusalemer Altstadt. Kurzerhand funktionierte der Kreuzritter den
Hügel um, der bis dahin als Gerichtsort mit einem Galgen diente.
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Ahrweiler, Kreuzwegstationen des Klosters Kalvarienberg |
In diesen
vergänglichen Zeiten des Mittelalters suchten die Menschen ihren Glauben zu
zeigen, indem sie Körper und Seele einem Reinigungsprozess unterzogen: sie
pilgerten. Das waren nicht nur die großen Pilgerstätten des Mittelalters –
Jerusalem, Rom oder Santiago de Compostella – sondern auch Pilgerorte und
Pilgerkapellen von lokaler Bedeutung.
Der
Kreuzritter ließ eine Kapelle als Pilgerstätte für die Leidensgeschichte bauen,
das war der Kalvarienberg. 1650 entstand dort ein Franziskanerkloster, in dessen
Schriften das Gründungsjahr der Kapelle 1505 festgehalten ist. Um die
Pfarrkirche St. Laurentius mit dem Kalvarienberg zu verbinden, wurde ein
Kreuzweg mit den dazugehörigen Stationen der Leidensgeschichte gebaut. Diese Anordnung
ist durchaus typisch für Kalvarienberge, die sich ab dieser Zeitepoche über
ganz Europa verstreut haben. Angelehnt an die biblische Zahlenwelt, besteht
dieser Kreuzweg in Ahrweiler aus vierzehn Kreuzwegstationen, wobei es
anderenorts auch Kreuzwege mit sieben Stationen gibt. Eine Besonderheit, nicht
nur im Rheinland, hebt den Ahrweilerer Kreuzweg heraus: die erste Station, noch
original erhalten, stammt aus dem Jahr 1546. Um sie zu bewahren, wurde sie von
der Mauer des Stadttors entfernt und ist seit 1991 im Ahrweilerer Stadtmuseum
zu sehen. Die übrigen Kreuzwegstationen datieren aus dem 18. Jahrhundert.
Nachdem
1505 die Holzkapelle gebaut wurde, die um 1671 durch eine größere Kirche
abgelöst wurde, wird der Kalvarienberg regelrecht von Pilgern überflutet. Zum
Jahr 1629 findet sich in den Chroniken des Franziskanerklosters: „Der als eine
heilige Stelle berufene Berg wird das ganze Jahr hindurch von Gläubigen
besucht, vorzugsweise an Freitagen, von wegen der Wochenmesse. Von den Festen
an bis zum Ausgang des Sommers kommen die Wallfahrten und Prozessionen häufiger,
diese manchmal mit neun oder zehn Kreuzen.« Zum Ende des 30-jährigen Krieges
war der Andrang von Pilgern so stark, dass das Hören der Beichte von 5 Uhr
morgens bis 11.30 Uhr dauerte. Sowohl in als auch außerhalb der Kirche wurde
ununterbrochen die Kommunion gereicht. 1652 berichtet die Chronik, dass am 17.
Mai Prozessionen aus Blasweiler, Heckenbach, Gelsdorf, Löhndorf, Flerzheim,
Fritzdorf, Beul und Karweiler gleichzeitig auf dem Kalvarienberg ankamen, so
dass in Ahrweiler das Brot ausging. Der Sog der Pilgerströme verstärkte sich
unter anderem deswegen, weil es sich zufälligerweise ergab, dass Kranke nach
der Pilgerreise wieder geheilt wurden.
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Gemälde des Meisters der Heiligen Veronika, um 1400 Köln, Wallraf-Richarz-Museum |
Die
Pilgerströme rissen erst ab, als napoleonische Truppen in das Rheinland
eindrangen. 1802 mussten die Franziskaner das Kloster und die Kirche aufgeben,
1806 wurde der Kalvarienberg verkauft, 1897 wurde mit Ausnahme der
Wallfahrtskirche alles abgerissen; es entstand ein Neubau in neugotischem Stil,
so wie er noch heute zu sehen ist.
Weitere
Zeugnisse, dass das Kunsthandwerk den Kalvarienberg als Motiv für die Malerei entdeckt
hat, finden sich im Kölner Wallraf-Richarz-Museum. Um 1400 gruppierten sich um
Stefan Lochner, der nach Flandern gereist war, um die dortige Malerei zu
studieren, kleine Atelierwerkstätten in der Nähe der heutigen Kölner Schildergasse. Die Maler
malten in Auftragsarbeit Bilder für die wachsende Anzahl von Kirchen im Kölner
Stadtgebiet, das waren vor allem Altarbilder, Tryptichen oder mehrteilige,
aufklappbare Gemälde für Altaraufsätze.
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