Sonntag, 25. Januar 2015

Zivilcourage

Burkan Ilhan; Quelle Facebook
Als Burkan Ilhan zum Fenster hinaus schaute, konnte er die Hilferufe lokalisieren. Der 22-jährige half seinem Vater gerade beim Renovieren der Mietwohnung in Köln-Bocklemünd. Es war ein Familienvater mit Sohn, der mehreren Schlägertypen gegenüberstand und mit seinen Rufen um Hilfe rang. Burkan sah auf dem Rasen vor seinem Wohnblock die Horde von Typen, dunkel gekleidet, die die beiden umzingelt hatten. Ihre grimmigen Gesichter verhießen nichts Gutes. Auf den Straßen spazierte niemand, und selbst wenn sich jemand nach draußen getraut hätte, hätte er einen weiten Bogen um die gruselige Szene gemacht. Die Hilferufe erstarrten zwischen viergeschossigen Wohnblocks. Der Himmel war so stumpf wie die Flachdächer, die auf den Wohnblocks lasteten. Die Kante vom Rasen zum Bürgersteig war so messerscharf wie die bedrohliche Szene.

Bruder, Vater und er, sie eilten nach draußen, um diesen Pulk von Schlägertypen zu verjagen, was ihnen auch gelang. Aber Burkan war einen Tick zu selbstsicher, was ihm beinahe das Leben kostete. Eine Nachbarin bot an, die Polizei zu holen, doch er lehnte ab. Schließlich kamen die zehn bis fünfzehn Schlägertypen zurück. Mit Messern und Böllern bis an die Zähne bewaffnet, droschen sie auf ihn ein. Ein Metallpfosten traf seinen Kopf, Burkan wurde bewußtlos. Die Schlägertypen verschwanden, als Passanten vorbei kamen, und im Krankenhaus wachte Burkan wieder auf.

Schwer verletzt hatte Burkan überlebt, nachdem die Ärzte um sein Leben gerungen hatten. Der Metallpfosten hatte seinen Schädel zertrümmert, und die Ärzte hatten die inneren Blutungen stoppen können, indem sie mit einer Stahlplatte die Schädeldecke fixiert hatten. Nach einer Woche war Burkans Gesundheitszustand stabil und er war außer Lebensgefahr.

Die Situation dürfte uns alle erschrecken. Können wir uns in Stadtteilen wie Köln-Bocklemünd noch ungefährdet auf die Straße wagen ? Regiert dort, angestachelt durch die Gewalt und Exzesse anderenorts, das Faustrecht und der Mob von Schlägern am helllichten Tag ? Da die Mietwohnungen in Köln-Bocklemünd denjenigen ähneln in Köln-Porz, Köln-Deutz oder Köln-Gremberghoven, wo ich mich oberflächlich auskenne, hätte ich Bocklemünd niemals für ein Problemviertel gehalten. Derartige Situationen sind nicht mehr einschätzbar. So auch geschehen im Jahr 2007, als vier Jugendliche im Alter von 18 und 19 Jahren einen Familienvater im Beisein seiner vier Kinder krankenhausreif schlugen, nachdem dieser an Weiberfastnacht von einer Karnevalssitzung in Köln-Ostheim zurückkehrte.

Solche Situationen sind mir erspart geblieben, glücklicherweise, dass ich entscheiden musste zwischen Zivilcourage und Wegschauen. Vor Menschen wie Burkan ziehe ich meinen Hut und ich schulde ihm meine Hochachtung. Ich muss zugeben, wahrscheinlich hätte ich weggeschaut, indem ich mir auf einer logischen Ebene zurecht konstruiert hätte, dass alles gut wird, dass keinerlei Gefahr besteht, dass die Situation nicht so schlimm ist oder dass andere höhere Zufälle alles richten werden. Und damit hätte ich wahrscheinlich auch nicht alleine gestanden, denn mit der Anonymität unserer Gesellschaft schwindet auch die Verantwortung oder die Fähigkeit zur Empathie. Das ist das Einfühlungsvermögen, sich in einen anderen Menschen hinein versetzen zu können. Diese Defizite wurden in Experimenten mehrfach bewiesen. In Fußgängerzonen wurden Belästigungen und Übergriffen simuliert, die wie echt aussahen. Sehr viele Passanten gingen vorbei und schauten weg, bis endlich jemand den Mut fasste und dem entgegentrat. Zivilcourage ist selten und edel. Leider gibt es auch Beispiele von Menschen, die Zivilcourage bewiesen haben und dafür ihr Leben lassen mussten. So Dominik Brunner, als er sich 2009 in einer Münchener S-Bahn drei Jugendlichen entgegenstellte und später mit 22 Schlägen und Fußtritten zu Tode getreten wurde.

Als Burkans Gesundheitszustand stabil war, durfte er sich als Held fühlen. Zurecht. Er lächelte zuversichtlich. Sein schwarzer Vollbart kontrastierte mit dem weißen Verband auf seinem Kopf, der seinen Schädel überragte. Unaufhörlich sprach er in die Fernsehkameras, als stecke er voller Botschaften. Sein Verhalten habe Sinn gemacht, weil es einem guten Zweck gedient habe. Er würde immer wieder so handeln. Sein Handeln sei richtig und ein kleiner Schritt für die Menschheit. Und er hätte auch keine Angst gehabt. Sein Bruder bescheinigte ihm Fröhlichkeit und Härte. Allesamt waren sie glücklich, dass er überlebt hatte.

Ganz, ganz viele Burkan Ilhans braucht unser Land.

5 Kommentare:

  1. Hmmm, ja wenn IHR das in einer soooo viel dichter besiedelten Gegend NICHT schafft, 'Gegen-zu-rotten', was soll ich dann im ach so viel duenner (und damit weniger leicht meeehr Hilfe bekommend ^^) besiedeltem Australien sagen/machen gegen DERlei 'Gschwerl' ?!
    Weisst Du, ich bin DENen ggue. mittlerweile so weit, wie 'Harry Brown' (Michaell Caine) im gleichnamigen Film ^^ (oder 'ku kluxen' mit denen ^^).
    Vor ALLEM der (ca.) Satz im Film ggue. der Polizistin machte mich denken: "... (Ireland) ....hatte einst wenigstens einen Grund; der Rowdie-Jung-Mob macht Mord ja nur aus Spass und Langeweile "
    Und - let's face it: ES ist von ANFANG an 'vorsaetzlich geplanter Mord'; sooo 'hart bewaffnet' zum 'Diskutieren' zu gehen ^^!

    Uebrigens haette ich eine Art 'Vorstrafe' fuer entsprechende Taeter; d.h.: BEVOR sie die gesetzliche, offizielle Strafe erhalten:
    DERart mit Holzstock ueber die Hintern in aller Oeffentlichkeit verdreschen, dass denen jeglicher Gefaengnisaufenthalt hinterher als 'Schutzhaft' vorkommt ^^ - grmpf!

    AUCH wenn DAS wieder als 'braun' von mir erscheint: 'weiss' im Sarg liegen ist zwar 'christlich' aber mM etwas unsinnig tolerant und es reicht: die Polizei (=genauso wenig wie hierzulande die Feuerwehr bei Braenden = die wuerden ja GERNE - wenn sie nur koennten ^^!) KANN nicht ueberall sein; NUR die 'Falsch-Rotter' wissen was sie schlechtes, wann und wo vorhaben und 'wir' lassen uns damit -obwohl eigentlich in der Mehrheit - immer so furchtbar leicht mit unserer eigenen 'Misch-dich-nicht-ein-Mentalitaet' EIN Stueck Freiheit nach dem Anderen nehmen durch DEren DAdurch Einschuechterungsmoeglichkeit .
    Iiiijaaa, ich weiss: auch ich bin riesig gefaehrdet EINmal beim ueblichen 'Dagegen-Stellen' durch bessere Bewaffnung meines Gegenuebers dann 'ins Gras' zu beissen; aber BOY, diese gelangweilten Berufs-Rowdies und 'no-good-to-nothing' (= viele naemlich leider auch selbst WENN man ihnen aaaalles Gewuenschte auf der Welt zu Fuessen legen wuerde ^^ ^^ ^^!) habe ich mittlerweile ARG ueber meinem 'Fass-voll-Level' ^^!

    LG, Gerlinde

    PS: ich verstehe Dich, wenn Du diesen Kommentar evtl. loeschen wuerdest; never mind!

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  2. Hallo Dieter,
    eine wirklich schlimme Geschichte. Und die Polizei klagt dazu noch über Personalmangel. Wenn das so weiter geht, werden wir bald wie in London überall Überwachungskameras in den Großstädten haben. Aber ob das hilft?
    VG
    Elke

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  3. Diese Gewaltbereitschaft, der man überall begegnet, macht einem nur fassunglos und man fragt sich "warum".
    Gerade auch immer mehr Jugendliche werden zu extremen Gewalttätern.
    Vielen fehlt eine Perspektive auf ein Leben in der Gesellschaft und auch daran gilt es zu arbeiten. Das soll aber kein Freispruch für diese Menschen sein, die mit Gewalt nur so um sich schlagen, egal aus welchen Motiven heraus.

    Liebe Grüße
    Christa

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  4. mir gehen zu dem Thema viele Gedanken durch den Kopf. Hätte ich die Zivilcourage? ich möchte sie auch nicht beweisen müssen ... ganz ehrlich.
    Und dann auch bei mir die Frage nach dem Warum - Warum gibt es so eine brutale Gewaltbereitschaft bei jungen Menschen? Läuft in unserer Gesellschaft etwas schief?
    Ich lese zur Zeit das Buch von Kirsten Heisig. Das Ende der Geduld. Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter.
    Die inzwischen verstorbene Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig trat z.B. dafür ein, dass eine "zeitnahe" Verurteilung jugendlicher Kleinkrimineller durchgeführt werden muss, damit sie einen Sinn hat. Ein mir sehr einleuchtender Gedanke.

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  5. Zivilcourage ja, aber vorher überlegen, ob man in der betreffenden Situation allein etwas ausrichten kann und wenn ja was. Ich bin auch eher der Typ, der wütend wird, wenn er Unrecht sieht und dazu neigt, nach vorn zu gehen. Und ich müsste mich schwer zurück nehmen, wenn ich sehe, dass die Gegenüber in der Überzahl sind und ich die Situation allein eh nicht verbessern kann, wenn ich den Schritt nach vorn wage, sondern mich einfach zusätzlich als Opfer quasi anbiete. Das bringt nämlich gar nichts. Aber Handeln ist immer angesagt ... Polizei rufen, andere Leute animieren etc.

    LG Frauke

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