Donnerstag, 15. Dezember 2011

Köln, Zülpicher Straße

Wie oft war ich dort früher entlang gelaufen ? In der 80er Jahren hatte ich sechs Jahre in Köln gewohnt. Vom Bahnhof Köln-Süd bis zum Zülpicher Platz, das war ein bequemes Stück zu Fuß über die Zülpicher Straße, nicht weit weg vom Herzen Kölns und dem Einflussbereich der Universität, denn in dieser Zone zwischen Bahndamm und Hohenstaufenring prägten die Studenten das Straßenbild. Heute ging ich seit langem dieses Stück wieder zu Fuß.

Was war von früher noch geblieben ? Unbeschreiblich viel, denn früher und heute war es faszinierend, auf so engem Raum in eine solche Vielfalt von Kneipen eindringen zu können. Das Innenleben der Kneipen war stets einfallsreich: in der einen Kneipe baumelten an der Decke Netze und Kleiderbügel, in der anderen begegneten einem ausgestopfte Tiere, in einer Kneipe in einer Seitenstraße wurden nur Vinylplatten gespielt – im Zeitgeist der 70er Jahre. Kwartier Latäng nannte sich eine Kneipe, eine Lobeshymne auf Kölsch an das kulturelle und bodenständige Viertel in Paris. 

Als ich in Köln gewohnt hatte, hatte mich diese Kneipenvielfalt magisch angezogen. Zugegeben, sie tat es heute noch. 

In den 80er Jahren hatte ich festgestellt, dass ich in der Dynamik der Großstadt angekommen war. Gruppen und Grüppchen frequentieren die Kneipenszene, man blieb anonym. Eine richtige Stammkundschaft fand man dort nicht, vieles blieb unverbindlich, schwammig, oberflächlich. Tiefergehende Kontakte hatte ich während meiner sechs Kölner Jahre dort nie knüpfen können. 

Zu dieser Zeit war ich gerne tagtäglich die Zülpicher Straße rauf und runter gegangen, um in kreativer Umgebung vor dem Zubettgehen ein Bier zu trinken. Nach draußen gehen und diese Vielfalt von Leuchtreklamen auf mich wirken lassen. Soul Bar, Cuba Bar, Spielhöllen, mit dieser Menge von Lichtern und Leuchtreklamen war es ein Abklatsch auf die Reeperbahn – aber vollkommen sauber, ohne Sex, Drugs and Rock’n’Roll. So war ich richtig gut drauf.

Kein Zweifel, die Zülpicher Straße konnte mitten im Trubel der Großstadt neue Akzente setzen: mein heutiger Gang führte an der Filmdose vorbei, auf dessen Bühne die Entertainer Ralf Morgenstern und Dirk Bach ihre Karriere begannen. Dann das Off Broadway, ein alternatives Szene-Kino, das einzige in der Umgebung, welches originale Filme in Englisch oder Französisch mit Untertiteln zeigte. Ein Stück dahinter, prangerte in einer Pizzeria an der Wand ein Flachbildschirm, fast so groß wie ein Wohnzimmerschrank. Bundesligaspieler kickten sich den Ball zu, so dass man meinte, man wäre am Tisch mit dem servierten Essen direkt Live im Stadion anwesend. Zwischen der intensiven Kneipenlandschaft herrschte auch Verfall: um ein leerstehendes Ladenlokal hatte sich niemand mehr gekümmert, Plakate verrammelten die Fensterscheiben, auf heruntergelassenen Rolläden waren Graffitis schlecht gesprüht, aus denen sich mit viel Phantasie Gesichter interpretieren ließen. Die Fast-Food-Gastronomie war hier kräftig expandiert. Asiatisch, griechisch, marokkanisch, alles kreiste irgendwie um Falafel, den man an jeder Straßenecke bekam, und es kam mir vor, dass dies das Nationalgericht auf der Zülpicher Straße war.

Eine Konstante, an der sich nichts verändert hatte, war Gilberts Pinte. Unverrückbar, lud der geschwungene und gelb beleuchtete Schriftzug zum Eintreten ein. Eingang und Fenster waren eingerahmt zwischen hervorstehenden Wandelementen und einem verspielten Balkon. Mit dem weißen Anstrich wirkte die Fassade jung und frisch wie früher. Direkt auf die Straßenecke der Roonstraße zulaufend, fiel man geradezu in das Lokal hinein.

Der Zülpicher Platz, dort wollte ich mit der Straßenbahn weiterfahren. Dem Platz mit dem Chor zugewendet, wirkte die Herz-Jesu-Kirche wie ein Fremdkörper in dieser Kneipen- und Vergnügungslandschaft. Zudem war die Kirche gnadenlos zwischen Hauptverkehrsadern eingezwängt, auf denen unerbittlich der Verkehr rollte. Barbarossaplatz, Zülpicher Platz, Roonstraße, Zülpicher Straße, bis tief in die Nacht würde das Leben in den Straßen pulsieren. 

Meine Straßenbahn nahte. Die Linie 9 rauschte weiter hinein, in das pulsierende Leben von Köln.

3 Kommentare:

  1. Das mit den Kirchen in Vergnügungsvierteln fällt mir auch immer auf. Aber das ist wohl der Stadtentwicklung geschuldet. Modernes und altes einträchtig nebeneinander, toll, wenn das klappt!

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  2. Ich bin froh das ich nicht mehr in der Großstadt lebe und geniesse das ruhige Leben auf dem Land.
    LG
    Nicole

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  3. Danke für diesen schönen Spaziergang über eine der lebendigsten Straßen Kölns!
    Ich bin oft hin und her gerissen, ob ich die Ecke mag oder nicht - am Tag finde ich sie meist grottenhässlich; wenn abends die Lichter angehen, ist es toll, dort einzutauchen!
    Filmdose, Gilberts Pinte und Müller-Lüdenscheid, Oma Kleinmann, Flotte und wie sie alle heißen... das sind auch meine Erinnerungen an tolle Nächte im Veedel. Auch wenn ich in meinen "wilden Zeiten" die Südstadt vorgezogen habe! ;)

    Dank Dir für Deinen Kommentar bei mir - ich freu mich immer, wenn mal ein "neues Gesicht" dort auftaucht! Und wie ich hier nun sehen kann, sind wir ja fast Nachbarn! :)

    Viele Grüße
    Britta

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