Freitag, 16. Dezember 2011

Schnellbus 55


„Ist das der Schnellbus ?“ fragt die Mittvierzigerin mit dem Regenschirm in der Hand.
„Nein“ antwortet der Busfahrer.
Eigentlich ist diese Frage überflüssig, denn die übergroße Leuchtschrift zeigt auf der Frontseite unwiderruflich die Buslinie 550 an.
„Wann kommt der Schnellbus ?“
Der Busfahrer zuckt mit den Achseln.


Eine typische Szene ? Eher nicht, denn die Verspätungen des Schnellbusses halten sich derzeit in Grenzen. Vor einem Jahr herrschten aber zu bestimmten Abfahrtszeiten italienische Verhältnisse, denn dann kam der Schnellbus nach Lust und Laune oder er fiel ganz aus.

November bis Januar, in dieser dunklen Jahreszeit macht es mir keinen Spaß mehr, im Stockfinsteren mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren und wieder nach Hause zurück. Auf unbeleuchteten Passagen ist das Fahrradfahren bisweilen auch gefährlich, wenn Spaziergänger, Hunde oder Jogger aus dem Nichts auftauchen, so dass ich ihnen nur um Haaresbreite entweichen kann.

Im Schnellbus muss sich mein Körper und meine mentale Verfassung auf einen komplett anderen Rhythmus umstellen. Die Taktung von Bewegung, Sinne und Wahrnehmung wird durch die Abfolge von Bushaltestellen bestimmt, egal, ob der Bus steht oder fährt. Vieles geht gemächlicher ab. Erst warten, bis der Bus am Busbahnhof einfährt. Ist dieser nun eingefahren und zum Stillstand gekommen, mutieren manche Busfahrer zum Genießertypen. Sie schwelgen in einer bierseligen Ruhe, steigen aus, verschließen sämtliche Bustüren, verschwinden im Schneckentempo und lassen die Fahrgäste stehen und fleißig schmoren. Eine Zigarettenlänge später kehren sie dann mit einem Pappbecher Kaffee zurück, damit man schlussendlich einsteigen kann.

Ein Glück, dass ich am Busbahnhof, der ersten Haltestelle, einsteige, denn dort habe ich noch die freie Wahl des Sitzplatzes. Gerne verkrümele ich mich auf den hinteren Sitzbänken, um ein Buch oder eine Zeitung auspacken. Dies ist durchaus eine der Vorzüge des Busfahrens: die Zeit zum Lesen. 

Sitzen, vor mich hergucken, in Buch oder Zeitung herumschmökern. Der Rhtyhmus des Busfahrens ist mehr an Zufälle gekoppelt als an eine regelmäßige, fortschreitende Bewegung. Im Stadtgebiet stolpert der Bus eher nach vorne: immer wieder bremsen, Ampel stehen auf Rot, Vorwärtsbewegung, dies abschnittsweise, denn Beschleunigungsmanöver werden ständig unterbrochen durch rote Bremslichter im voraus fahrenden Verkehr. An den Haltestellen, nachdem die Fahrgäste eingestiegen sind, verzögert sich die Abfahrt schon mal ins Unermessliche, wenn der Fahrscheinverkauf zu einer riesengroßen Aktion ausartet.

Neben Verspätungen ist das schlimmste, wenn die Heizungen nicht funktionieren. Bei einer regnerischen und muddeligen und milden Witterung wie heute lässt sich dies ertragen, doch wenn draußen die Temperaturen mit etlichen Minusgraden in den Keller stürzen, wird dies zu einem echten Problem. Bibbern und Zittern ist da angesagt, und mit Schal, dicker Jacke, Fausthandschuhen und Ohrwärmern muss ich mich gegen die sibirische Kälte so einpacken, als ob ich mit dem Fahrrad unterwegs wäre. Die ganzen Fensterscheiben sind dann eingehüllt in eine Dekoration von Eisblumen. Das macht überhaupt keinen Spaß und ich komme mir von der Außenwelt isoliert vor wie in einem Gefängnis.

Wenn der Bus das Stadtgebiet verlassen hat, beeilt er sich ordentlich und wird (hurra !!!) zu einem Schnellbus – mit dem Komfort einer eigenen Busspur. Konzentration und Lesen fallen mir leichter, wenn sich die Fahrgäste nicht hektisch hin- und herbewegen und mit dem Blick auf das Display ihres Smartphones in sich ruhen. Die Dunkelheit draußen hat dann nichts lähmendes mehr, wenn die Lichter der Straßenlaternen als Punkte vorbei fliegen. Die Busfahrt gewinnt an Fluss und Kontinuität. Ich komme zum Lesen: „Die Hirnkönigin“ von Thea Dorn, und Seite für Seite blättere ich vorwärts.

An der großen Kreuzung kommt vor der roten Ampel die Blechlawine zum Stillstand. Wenn die Ampel auf Grün umspringt, wird die sich die Busfahrt fortsetzen. Ich freue mich auf zu Hause.

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