Donnerstag, 22. Januar 2015

Stadt auf Abriss - auf den Spuren des Denkmalschutzes im Stadtbezirk Godesberg

Fachwerkhaus in der Basteistraße 19
Es war ein unscheinbares, zusammen geschrumpftes Fachwerkhaus an einer unscheinbaren Straßenecke, das den Stein des Anstoßes ins Rollen brachte. Hübsch von außen, nett anzuschauen, der Fußweg zum Rhein war kurz, von innen eng zusammen gezwängt, unwinklig, die Wände nicht geometrisch exakt mit dem Lineal vermessen. Die Bausubstanz datierte um die Jahrhundertwende um 1900, so dass der Ärger von Handwerkern vorprogrammiert war, wenn Renovierungsarbeiten und Umbauten Zeit ohne Ende auffraßen. Um dies zu vermeiden, hatten die Bauherren sich entschlossen, abzureißen und neu zu bauen. Als der Bürger Bund Bonn davon erfuhr, berichtete die Presse darüber. Sie fasste bei den Baubehörden nach und stach in die wabbelige Masse des Denkmalschutzes hinein, die dehnbar und interpretierbar war, so dass jeder genau das heraus lesen konnte, was ihm am besten in den Kram passte.

Ich habe diesen Stein des Anstoßes aufgegriffen, mich im Stadtbezirk Godesberg auf die Spuren des Denkmalschutzes zu begeben. Dort liegt auch dieses unscheinbare Fachwerkhaus in der Basteistraße 19. Bei meinem Streifzug habe ich festgestellt, dass der Denkmalschutz ein Betätigungsfeld ist für Lust und Laune, Sinn und Unsinn, Ungereimtheiten und Widersprüche.

Für den historischen Ortskern von Bonn-Rüngsdorf gibt es keine Denkmalbereichssatzung, so dass nichts unter Denkmalschutz steht, es sei denn, einzelne Gebäude sind unter Denkmalschutz gestellt worden. Dazu gehört nicht das Fachwerkhaus auf der Basteistraße 19. Die Baubehörde hat nun beschlossen, einen Bebauungsplan für einen noch zu definierenden Ortskern von Rüngsdorf aufzustellen, zusätzlich soll eine Denkmalbereichssatzung erarbeitet werden, die dann das Fachwerkhaus auf der Bastei einbeziehen soll. Was dabei heraus kommt, wird in den Sternen stehen. Abriss ist derzeit kein Thema.

Ortskern von Bonn-Rüngsdorf
Ein Stück weiter, direkt am Rhein, kann das Rheinhotel Dreesen auf eine noble, alte Bausubstanz aus den 1920er-Jahren zurückblicken, die auf der Fassaden und in der Eisenkonstruktion Elemente des Jugendstils enthält. Nobel waren auch die Staatsgäste, die dort übernachtet haben, so die Präsidenten Eisenhower aus den USA oder Mitterrand aus Frankreich. Denkmalschutz ? Mitnichten, denn die Fassade wurde in der Nachkriegszeit verändert. So könnte ein moderner grobklötziger Erweiterungsbau, der derzeit diskutiert wird, gebaut werden.

Rheinhotel Dreesen
Nach dem Umzug nach Berlin ist auf der Rückseite des Rheinhotels Dreesen bereits fleißig gebaut worden, und zwar dort, wo zuvor die französische Botschaft gestanden hatte. Beim Betrachten der Fotos aus dem Internet, wie einst die Botschaft ausgesehen hatte, zweifele ich. Der Bau sah freundlich und anziehend aus, er sah etwas klotzig im Stil der 1950er Jahre aus und erinnerte mit der hellen, pastellfarbenen Fassade ein wenig an die Farbtöne von Gebäuden, wie man sie in Frankreich vorfindet. Ich bin verwirrt, dass dieser Klotz unter Denkmalschutz gestellt wurde. 2006, als die frühere Botschaft in Wohnraum umgewandelt werden sollte, wurde prompt der Denkmalschutz aufgehoben, so dass abgerissen werden konnte und Eigentumswohnungen neu gebaut werden konnten.


Eigentumswohnungen (oben neu)
französische Botschaft (unten alt); Quelle Wikipedia
Ich folge den Spuren des Denkmalschutzes auf der Rüngsdorfer Straße. Im Villenviertel sehe ich meine Erwartungen erfüllt. Wunderschön, verspielt, voller Ornamente, reich an Stuckarbeiten, schlägt mein Herz des Denkmalschutzes höher und ich kann die Stilrichtungen der Villen vom Klassizismus zum Historismus zu Elementen des Jugendstils studieren. Hier steht ungefähr alles unter Denkmalschutz, Gebäude für Gebäude, die dann wiederum in einer Denkmalliste stehen.



Villenviertel auf der Rüngsdorfer Straße
In Godesberg angekommen, ist das Gefüge des Denkmalschutzes so zerrissen wie die Stadt selbst. Die Vision einer Stadt auf Abriss hat in Godesberg Gestalt angenommen, nachdem die 1964 begonnene Altstadtsanierung weite Teile der Innenstadt platt gewalzt hatte, um diese durch identitätslose Neubauten zu ersetzen. Nach alter, denkmalgeschützter Bausubstanz muss man in der Fußgängerzone suchen, das sind die alte Apotheke, das Hotel „Zum Adler“ oder das Kleine Theater. Andere Denkmäler haben sich an den Außenrand des Kurparks oder der Kurfürstenallee verkrochen. Widersprüche und Ungereimtheiten sind eklatant. Gebäude stehen unter Denkmalschutz, von denen ich dies nie und nimmer vermutet hätte. So der schnörkellose Bau der Kammerspiele aus den 1950er Jahren, der, gerade weil er so formal und flach ist, den Top-Status eines Denkmals erhalten hat. Oder die Stadthalle, die als typischer Bau der Nachkriegsarchitektur eingestuft wurde. Dass der Glaspavillon gegenüber dem Bahnhof unter Denkmalschutz steht, erscheint mir eher als ein Witz. Am Hintereingang ist angeblich ein Mosaik zu sehen. Logischer erscheint mir demgegenüber der Bahnhof als Denkmal, da dieser auf seiner Fassade und im Eingangsbereich Elemente des Jugendstils zeigt. Dabei bemerke ich am Rande, dass Jugendstil mal so, mal so (Rheinhotel Dreesen) gehandhabt wird.




Bad Godesberg: alte Apotheke (oben), Kammerspiele (darunter),
Stadthalle (darunter), Glaspavillon gegenüber Bahnhof (unten)
Ich verlasse Godesberg und begebe mich nach Friesdorf, wo die wohl bekannteste Firma auf Bonner Stadtgebiet – HARIBO – anzutreffen ist. Um 1900 siedelten sich in diesem Industriegebiet Firmen aus unterschiedlichsten Branchen an, die Karrosserien, Fahrzeugaufbauten, Öfen, Badewannen, Konserven, Gummibärchen, Lakritz, Eisenprofile, Alaun, Motorräder, Ziegel oder Lacke produzierten. Bis zum Jahre 2012 standen noch die imposanten Fabrikhallen aus rotem Backstein auf dem Werksgelände, das heute hinter dem HARIBO-Shop liegt. Industriedenkmäler zu schützen und zu erhalten, das ist sicherlich kritisch in Zeiten von schnellen Technologiesprüngen, in denen Fabriken und die Produktion komplett neu aufgestellt werden müssen. Ich selbst wünsche mir jedenfalls, das mehr Industriedenkmäler erhalten werden. So manch altes Fabrikgebäude hat einen spröden und wunderschönen Charme.

Überreste einer alten Fabrik auf dem HARIBO-Gelände
Denkmalschützer dürften hierzulande als Bremser gelten. Sie stemmen sich gegen die ökonomisch günstigere Variante – den Abriß. Da die Vorschriften des Denkmalschutzes dehnbar sind – der Jurist wird dies als Ermessensspielraum bezeichnen – ist es oftmals eine Frage der Zeit, wie lange Denkmalschützer diese Diskussion durchhalten, bis sie schließlich vor den höheren Mächten ökonomischer Prinzipien einknicken. Diese Entwicklung ist nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen schleichend. So wie beim Fachwerkhaus in der Basteistraße 19. Wenn nicht der öffentliche Druck über die Berichterstattung in der Presse entstanden wäre, dann wäre das Eckhaus längst abgerissen worden.

Im Großen wie im Kleinen wird uns die Vision einer Stadt auf Abriss wohl nicht erspart bleiben. Neue Wege für einer verkehrsgerechte Stadt, neue Ladenpassagen zum Bummeln und zum Verweilen, Wohnraum in bester Lage zu bezahlbaren Preisen, die Durchdringung mit postmoderner Architektur, kürzere Zyklen der Gebäudenutzung: die Zentrifugalkräfte, abzureißen, wirken von allen Seiten. Mit der Stadt auf Abriss schwindet das kulturelle Erbe dahin. Manche Städte sind soweit, dass die Stadt auf Abriss zum Normalzustand geworden ist. In Troisdorf wurde so etwas gefeiert. Im November 2009, als nach dem Abriss eines großen Areals in der Fußgängerzone ein neues Straßenpflaster verlegt worden war und neue Straßenlaternen aufgestellt waren, wurde ein 120 Meter langer Teppich ausgerollt. Die Troisdorfer Bürger und Bürgerinnen feierten diese Abrissorgie an der Straßenecke Hippolytusstraße/Kölner Straße mit einem Straßenfest.

6 Kommentare:

  1. Wie passend! Sinn und Unsinn und gefühlt auch Lust und Laune...So oft frage ich mich warum und warum nicht?
    Und doch ist die Institution so wichtig und hat auch viel Gutes hervorgebracht.

    Interessante Beispiele hast Du gewählt.

    Herzliche Grüße

    AntwortenLöschen
  2. Über den Sinn des Denkmalschutzes lässt sich sicher trefflich streiten. Wenn ich jedoch an einige historische Bauten in unserem kleinen Ort denke, die einfach verschwunden sind, weil es den Denkmalschutz noch nicht gab - schade drum! Danke für den Post und LG Martina

    AntwortenLöschen
  3. Bravo, den Titel sollte man auch alles Ortsschilder für diese arme Stadt schreiben! Treffender kann man es nicht sagen!

    Ehrlich gesagt, würde ich den Stadtplanern, die Godesberg so zugerichtet haben, mal einen in die Fresse hauen. Da das sonst nicht so mein Vokabular ist, macht es hier an dieser Stelle deutlich, wie wütend mich das jahrzehntelange Zerstören eines schönen alten Rheinstädtchens macht. Ich selbst habe Godesberg so noch in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts erlebt. Den Niedergang dann auch, als ich 1975 auf der Rigalschen Wiese für das Jugendamt der Stadt gearbeitet habe. Und alles weitere ebenso, da meine Schwiegereltern in Godesberg leb(t)en... Dass es in Godesberg denkmalschutz geben soll, kann ich nicht glauben.
    Im deutschen Osten wurden Städte nach der Wende wunderbar Hergerichtet, so dass ich mich dort so wohl gefühlt habe wie in Orten der französischen Provinz, und hier im Westen regiert nach wie vor die Abrissbirne und zwar ohne Not. Denn anderswo kümmert man sich doch auch erfolgreich um die alte Bausubstanz. Hat "der Rheinländer" kein ästhetisches Bewusstsein, keinen Geschmack? Dass Köln mit zu den hässlichsten Städten des landes gehört, habe ich immer auf die immense Kriegszerstörung zurückgeführt, musste mich aber eines Besseren belehren lassen, nämlich dass dies hinterher geschehen sei. Das würde ja mein (Vor-)Urteil eher bestätigen.
    Dir danke für diesen Post!
    Herzlichst
    Astrid

    AntwortenLöschen
  4. Ich finde es immer zu k***** wenn man teilweise die Bestimmungen liest bzw. was sich Stadtväter so erlauben können. Da wird beschlossen und wenn es nicht mehr in ihren Plan passt dann wieder aufgehoben. Da werden schöne alte Alleen zunichte gemacht weil die Straßen ja verbreitert werden müssen und wenn dann, wegen des hohen Verkehrsaufkommen, eine neue Planung ansteht dann wird wieder daran "gebastelt". Ich kann sowas nie nachvollziehen, denn ich finde es absolut schade wenn solch alten Gebäude verschwinden müssen....auch wenn ich niemals ein denkmalgeschützes Haus wegen der Auflagen und Kosten besitzen möchte.

    Viele Grüsse

    N☼va

    AntwortenLöschen
  5. Tja, der Denkmalschutz hat nicht gerade den besten Ruf, aber er ist es nicht alleine. Für mich ist das ein undurchdringliches Geflecht von Interessen. Bad Godesberg empfinde ich auch als besonders hässlich mit diesem merkwürdigen Komplex der 60er (?) um die Burg herum. Das scheint mir die Zeit, wo die schlimmsten Bausünden begangen wurden.
    LG, Ingrid

    AntwortenLöschen
  6. Danke für den Bericht Dieter.
    Tja, der Denkmalschutz ... wird von den Gemeinden und Städten so ausgelegt, wie es ihnen am besten in den Kram passt ... ob Sinn oder Unsinn bei dem jeweiligen Gebäude.

    In Hersel steht auch ein Fachwerkhaus. Um darin sicher wohnen zu können, müsste es aufwendig saniert werden und die Kosten wären enorm. So enorm, dass die Eigentümer sie nicht tragen können bzw. es billiger war, das Haus von Innen heraus quasi neu zu bauen. Außen die alte Fassade, die irgendwann wahrscheinlich um das innen neuen Haus abfällt ;-)

    LG Frauke

    AntwortenLöschen