Mittwoch, 21. März 2012

altes Tagebuch

Der Umschlag ist bereits in zwei Teile zerfallen und hat dennoch seine Schönheit bewahrt. Angekratzt an den Ecken, heben sich Birnen, Erdbeeren und rote Weintrauben auf dem Umschlag von dem hellen Hintergrund ab. Vom Zahn der Zeit angefressen, hat das Tagebuch in unserer Schrankkommode geschlummert.

Ich nehme das Tagebuch. Momente der Rührung überfallen mich, in den alten Seiten herumzublättern. Seite für Seite spüre ich zwischen meinen Fingern, das federweiche Papier kommt mir zerbrechlich vor wie Kristallglas.

Ich lande im Jahr 1994. Wie ein Film läuft die damalige Zeit vor meinen Augen ab. Unzufrieden war ich in meinem Job. Meine Aufgaben waren weg rationalisiert worden. Körperlich saßen wir noch an unseren Arbeitsplätzen, und niemand konnte uns sagen, ob wir von der Bildfläche verschwinden sollten oder ob wir neue Aufgaben bekämen.

Es ist nicht nur Erinnerung oder Emotion, sondern auch meine Handschrift, die mich im Tagebuch verblüfft. Seit fast zehn Jahren bin ich dazu übergangen, mein Tagebuch, welches ich ständig verfeinert habe, am PC zu schreiben. In der letzten Zeit ist die Form des Tagebuches zunehmend in Blogs übergegangen, wobei Internet und PC für mich dasselbe ist.

Handschrift zu PC: ich stelle fest, dass sich Welten gegenüber stehen, die ungefähr so weit auseinander liegen wie die Erde vom Mond oder wie Mozart zu Deep Purple. Die Handschrift, dies ist Ausdruck der eigenen Persönlichkeit: das ist Eleganz, Geschmeidigkeit, Schwung, Stil, Maß, Proportion in jedem Wort.

Jedes Wort mit der Hand zu schreiben, wäre mir heute viel zu aufwändig. Beinahe, möchte ich behaupten, habe ich es verlernt: ich würde nur noch kraxeln, unleserlich, schnell die Buchstaben dahin schmieren, weil ich keine Geduld mehr habe und weil ich das Endergebnis sehen möchte: den fertigen Text.

Freilich: ein Stück weit habe ich beim Bloggen beibehalten, mit der Hand zu schreiben. Im Kopf schwebt mir eine Idee vor. Aus der Idee muss ein Thema extrahiert werden. Um einen Blog zu schreiben, müssen Querbeziehungen dargestellt werden, Details müssen herausgearbeitet werden, all die Bilder, die im Kopf herum schwirren, müssen geordnet, sortiert, neben einander gestellt werden. So etwas klappt nicht am PC in Word oder Excel. Dieses ungeordnete Gebilde muss ich mit der Hand auf einen Zettel aufmalen. Details muss ich hinein zeichnen. Wie bei einem Baum muss sich eine Struktur herausschälen: die Grobstruktur – das ist der Stamm – und die Feinstruktur – das sind die Äste. So ein Konzept erstellen, das kann ich nur über meine Handschrift.

Struktur, Abschnitte, Tage, handgeschrieben sieht die Form des Tagebuches aus dem Jahr 1994 vollendeter aus wie in meinen heutigen Blogs. Die Gefühle, ob ich traurig oder fröhlich war, ob ich gut oder schlecht drauf war, spiegeln sich nicht nur im Text, sondern auch in der Handschrift. Alte Tagebücher sind Ausdruck der Tagesstimmung, der Leidenschaft, in jedem Wort. Alte Tagebücher sind Kostbarkeiten.

7 Kommentare:

  1. Das ist nicht so verbreitet, dass Männer Tagebuch schreiben, oder?

    Ich schreibe meine Briefe immer noch per Hand, mit Goldfederfüllhalter und Tinte (im Moment grüne mit Tannenduft - soooo viele Weihnachtsbriefe waren es dann doch nicht).
    Tagebücher habe ich auch alte - ich habe immer in den Urlauben Tagebuch geschrieben. Ursprünglich war es dazu gedacht, die vielen Fotos später an Hand der Daten besser zuordnen zu können. Aber dann sind auch Gedanken und Gefühle mit eingeflossen. Es ist immer wieder schön, darin zu lesen und ich bin sofort wieder in den "Schwedensommern" (hach, Mensch - ich will da jetzt sofort hin, aber bitte mit 24-Stnden-Sonne und 24°C).

    Tagebuch und Blog sind für mich aber schon zwei Welten. Das Blog ist öffentlich, das Tagebuch NUR für mich.

    Grüße! N.

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  2. Seitdem ich blogge, schreibe ich keine Tagebücher mehr. Ist auch besser so, denn im Laufe der Jahre haben sich einige Hefte angesammelt. Mein erstes Tagebuch ist immerhin schon 35 Jahre alt ;)
    Liebe Grüße

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  3. alte Schriften die ich hatte und mein Leben notierte in meiner Aufarbeitungszeit.. ein Tagebuch was ich träumte und erlebte, was mir Angst machte und Freude brachte 9 Jahre jeden Tag manhcmal 3 Seiten und gemalt und diese Therapeutin schmiss sie einfach weg und ich schrieb in einer Mail dass ich sie zurück haben wollte und sie schmiss sie so unbedacht weg.. es war vieles was ich heute nicht mehr nach vollziehen konnte und es wäre auch ein Beweis meiner Vergangenheit gewesen für mich selber!
    Tagebuch wie sich das berührt wenn man es liest und wieder fühlt wenn man es mal liest. Ich habe viele Homepage gehabt früher die habe ich alle gespeichert und konnte nach lesen nach Jahren und es macht Sinn drin rum zu stöbern, ich lache auch oder denke o man was war das für eine Zeit! Heute schreibe ich in meine Blogs und könnte auch mir nciht merh vorstellen mit Handsie zu beschreiben diese Blätter der Zeit!
    Lieben Gruss Elke

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  4. ja - ich merke auch dass ich beim Schreiben mit der Hand immer ungeduldig werde. Da verliere ich dann sogar manchmal den ein oder anderen Buchstaben ;-)
    Ich erinnere mich gerade daran, dass ich in der Grundschule noch "Schönschreiben" gelernt habe. Ich hatte damals im Schönschreiben eine ganz gute Note ;-) naja ... ist nicht viel davon hängen geblieben *g*

    lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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  5. Een mooie bespiegeling - en ja, wij merken het allemaal, we verliezen de vaardigheid en het geduld om met de hand te schrijven.
    Groet uit Leuven,
    Leen

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  6. Handgeschriebene Texte sind durch nichts zu ersetzen. Man überlegt detaillierter, wenn man mit der Hand schreibt, als wenn man in die Tasten haut.
    Ein Hand geschriebenes Tagebuch ist ein Stück von einem selbst, aber in unserer schnelllebigen Zeit hat kaum noch jemand Zeit, lange Texte per Hand zu schreiben, insofern sind solch alte Schriften einfach Kostbarkeiten.

    LG Christa

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  7. Hej Dieter,
    ich hatte irgendwie nie richtig Geduld für ein Tagebuch. Ich habe mal damit begonnen und das wenige tatsöchlich bis heute aufgehoben. So, und im Nachhinein würde ich da gerne mehr lesen. Damit bestätigt sich, was Christa schreibt.
    Neulich schrieb ich mal wieder einen Brief von Hand, das war ungewohnt und richtig schwere Arbeit für die Rechte. Ich finde das ganz prima ein Tagebuch zu besitzen.

    Gruß,
    Beate

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