Dienstag, 26. Juni 2012

Karl-May-Festspiele

Um eine Handvoll Marshmallows hatten sich die beiden Männer gezankt. Rücken an Rücken, belauerten sie sich nun vor dem Saloon der Westernstadt. Beide wollten Satisfaktion – durch ein Duell. Der eine zückte seine schwarze Weste zurecht. Der andere, der wie ein Ganove aussah, blickte grimmig und entschlossen unter seinem braunen Schlapphut. „Düll“ – ein „ü“ anstelle des „ue“, mit dieser eigenwilligen Wortschöpfung war zuvor die umstehende Menge zum Lachen gebracht worden. Alles wartete, Hochspannung, und um das Geschehen auf die Spitze zu treiben, war der Leichenwagen war bereits vorgefahren. Doch jedes Mal, wenn man meinte, das Duell käme zur Ausführung, brachen die beiden ab. Zunächst wurde aus dem Publikum eine Leichen-Vermesserin gebraucht. Viviane, eine hochgewachsene Frau, übernahm diesen Job, und mit Messlatte vermaß sie den Mann, der wie einen Ganove aussah und der offensichtlich als Verlierer feststand: er passte genau in den Leichenwagen hinein. Dann musste eine Zeugin aus der umstehenden Menge rekrutiert werden, die sofort beruhigt wurde, denn eigentlich bräuchte sie gar nichts zu machen. Das änderte sich schlagartig, denn dem Duellierenden mit der schwarzen West fiel ein, dass er an einem wichtigen Geschäftstermin teilnehmen musste und verschwand auf der Stelle. An seiner Stelle durfte nun die Zeugin stellvertretend an dem Duell teilnehmen. Zehn Schritte abzählen, umdrehen, und die Zeugin zeigte prompt Nerven und rang mit sich, den Abzug zu finden. Es machte Peng, ein Schuß, und der Ganove fiel geradlinig in den Sarg hinein.
Karl-May-Festspiele in Elspe im Sauerland. Wenn man nach Ritualen in unserer Familie sucht, die ein gewisse Feierlichkeit ausstrahlen und voller Spannung sind, dann sind es diese Karl-May-Festspiele. Sie nennen sich auch Elspe Festival: diese Beschreibung ist umfassender, denn neben Karl May werden auch Country Festivals veranstaltet oder zur Weihnachtszeit kann man bei einem ausgiebigen Dinner schlemmern.
Karl May – komplett mit 30 Bänden findet sich sein Werk in unserem Wohnzimmerschrank wieder, und komplett mit 30 Bänden hat meine Frau dieses Werk gelesen. Im Gegensatz zu mir, denn ich habe eher spärlich herumgeblättert, nur „Der Schatz im Silbersee“ habe ich gelesen. Ich erinnere mich noch an die Figur des Colonel, ein mit allen Wassern gewaschener Verbrecher, der alle gegeneinander ausspielt und bei dem Geld und Schatz und Reichtum das Ziel allen Strebens sind.
Von den Ursprüngen im Roman, wie sich Geschehen, Handlung und Personen aufbauen, ist man hier in Elspe ungefähr so weit entfernt wie das Rheinland vom Südpol – genauso wie in der Verfilmungen mit Lex Barker, Stewart Granger oder Pierre Brice, die mich als Jugendlicher ganz tief berührt haben. Winnetou I wurde in diesem Jahr aufgeführt – wenn man die Handlung betrachtet, hätte es genauso „Der Schatz im Silbersee“ oder „Der Ölprinz“ sein können. Der rote Faden der Handlung ähnelt sich von Jahr zu Jahr: der weiße Mann ist der böse Kapitalist, der eine Eisenbahnlinie durch das Gelände der Indianer bauen will. Der böse Kapitalist giert nach Geld und Schatz und Reichtum – und tötet in seiner Rücksichtslosigkeit Indianer. Der gute Winnetou und der gute Old Shatterhand versuchen, den Konflikt zwischen Weißen und Indianern zu schlichten und geraten zwischen die Fronten: die Indianer glauben, dass sie Partei für die Weißen ergreifen, und eine Art Gottesurteil – ein Kampf zwischen Winnetou und dem Ober-Indianer-Häuptling – entscheidet. Natürlich gewinnt der gute Winnetou diesen Kampf und nun werden die weißen Verbrecher verfolgt. Sie werden gefunden – mit ganz viel Rauch und Feuer und Explosion stürzen sie in eine Schlucht, in die sich ein Wasserfall ergießt.
Wenn nur die Handlung einfallslos kopiert würde, wären wir sicherlich nicht Jahr für Jahr über einen solch langen Zeitraum wiedergekehrt. Das besondere Erlebnis ist die Freilichtbühne. Im Freien ist Platz, die Handlung kann sich ausdehnen. Tische und Stühle geben ein gemütliches Plätzchen ab vor der Westernstadt. Die Beine lang auf den Tisch ausgebreitet, lassen sich die Bewohner der Westernstadt von der Sonne bescheinen, bis die Banditen aufkreuzen, die dann nach einer wilden Schießerei wieder verjagt werden. Zelte und Tipis beherbergen Indianer, jung und alt, große und kleine Kinder, Mamas und Papas, Omas und Opas. Der senkrechte Felsen, der sich heldenhaft aufbäumt, ist der Ort der Explosionen, der die Verbrecher vernichtet. Wie bei einem Urknall schießt das Feuer in die Höhe, begleitet von Rauchsäulen, die dunkel und schwarz sind wie die Nacht. Hinter dem steilen Hang kommen zuvor die Verbrecher aus dem Hinterhalt angerückt, um hinterrücks an all das Geld und den Schatz und den Reichtum heran zu kommen. Mitten hindurch rückt auf Schienen die Eisenbahn heran, qualmend, schwerfällig, keuchend, pechschwarz wie die Kohlen im Tender. Pfeilschnell, sind da noch all die Pferde, die hin und her quer über die Bühne huschen, Indianer verfolgen Verbrecher – oder umgekehrt. Dabei gerieten wir immer wieder ins Schmunzeln: wenn die spanische Senorita mit ihrer Bratpfanne entscheidend in die Schlägerei eingriff und die Feinde niederstreckte; als der Sheriff eine Ladung Dynamit ins Haus zurücktransportierte, weil er glaubte, sie sei neben den Einsenbahnschienen vergessen worden – dabei übersah er die brennende Zündschnur; das Lachen von Sam Hawkins:“ wenn ich mich nicht irre … hihihihi“, das in Phasen des Schweigens oder bei Sätzen, die zusammenhanglos daher schwebten, einen Humor der absonderlichen Art erzeugte.


Überall sahen wir Familien mit Kindern – die über ihre Erlebnisse in den Jahren und Vorvorjahren erzählten. Familien mit Anhang drängten sich auf dem engen Gelände zusammen, das in der Topografie des Sauerlands mittelgebirgshaft anstieg und an den flachen Stellen mit Imbissen und der Westernstadt einlud. Far West, mit seinen Häusern aus derbem Holz war der Wilde Westen originalgetreu verpackt, und im Saloon in der Westernstadt trat man ein in dieses dicht gestaffelte Holz: mit den blanken Holztischen, der hölzernen Wandverkleidung und den Leuchtern aus schwerem Eichenholz wurde man geradezu durchdrungen von einer Cowboystimmung.
                                    
Wie im Fernsehen, konnten Familien mit Kindern durch das Rahmenprogramm zappen. Bespaßung – ab ging es in die Pferdeshow. In diesem Jahr wurde so eine Art Pferderennen veranstaltet. Rote Tonnen mit dem Werbeschriftzug von Coca-Cola hatten ein Dreieck abgesteckt, in dem geritten werden musste, wobei einmal die Tonnen umkreist werden mussten. In möglichst kurzer Zeit und fehlerfrei musste dies geschehen – ohne dass die Tonne umfiel und ohne dass der Cowboyhut fliegen ging. Die Mannschaften der Ukulalas und der Cannons spielten gegeneinander – dabei war die Anspielung auf Fußball-Mannschaften eindeutig. Zwei Männer und eine Frau mussten jeweils nacheinander diesen Geschicklichkeitsritt bewältigen, dies in einer Hin- und Rückrunde und in einem Finale. Zum Schluß konnten sich die Sieger von den stehenden Ovationen der Besucher bejubeln lassen. Im Lauf der Jahre hatten sich die Veranstalter bei dieser Pferdeshow immer etwas Neues einfallen gelassen – Pferde wurden auf Szenen im Feuer dressiert, Pferde ritten in Action-Szenen mit jede Menge Schlägereien, Pferde vollzogen mit der Eleganz von Balletttänzern Dressur-ähnliche Ritte, Pferde ließen sich auf ihren Rücken mit artistischen Kunststücken ihrer Reiter verzaubern. Bespaßung – zum Rahmenprogramm gehörte noch eine Musik-Show. Ordentlich zur Sache ging es in einer Action-Show, in der ein Dorf-Sheriff und sein Deputy gegen Banditen zu kämpfen hatte.

Für unseren Sohn war es in diesem Jahr wahrscheinlich das letzte Mal, denn er nörgelte herum und verfolgte desinteressiert das Geschehen. Lustlos trottete er hinterher. Am liebsten wäre er wahrscheinlich gleich wieder umgekehrt und nach Hause zurück gefahren. Wir hätten sicherlich nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn er sich anstatt dessen im Vergnügungspark auf Achterbahnen ausgetobt hätte oder sich im Kino mit Action-Szenen hätte berieseln lassen.
Die Schauspieler standen noch auf der Bühne und ließen sich vom Publikum feiern, da zog es die ersten Besucher zum Ausgang hinaus. Die Verabschiedung dauerte schier endlos, als Winnetou, Old Shatterhand, Sam Hawkins und andere Schauspieler jeweils einzeln nach vorne traten, sich auf ihrem Pferd verbeugten, ins Publikum lächelten, zuwinkten und zurücktraten, bis der nächste an der Reihe war. Der Beifall bauschte sich auf, Wellen der Begeisterung strömten den Schauspielern entgegen, die bunt kostümiert in Reih und Glied standen. Dann flaute der Beifall ab, bis der nächste Darsteller sich mit seinem Pferd dem Publikum zuwandte.
Unser Sohn drängte zum Ausgang. Er hatte Recht, denn die Autoschlange war dabei sich zu formieren. Etwas später würden wir im Stau stecken und auf den Parkplätzen fest hängen bleiben. Danach lagen noch zwei Stunden Autofahrt vor uns. Und unser kleines Mädchen musste am nächsten Tag in die Schule.

5 Kommentare:

  1. Dein post, Dieter, weckt Erinnerungen......Jeder Karl May Film, der im Kino lief, wurde besucht, geheult in Winnetou Teil III, die Bücher regelrecht verschlungen. Pierre Brice ein unvergessener Winnetou, genauso wie Lex Barker als Old Shatterhand. Beide waren halt die Originale, die durch keine anderen Schauspieler wirklich zu ersetzen waren. Zumindest empfand ich das immer so.
    Aber ich habe in Bad Segeberg auch mal die Karl May - Festspiele besucht und fühlte mich richtig in den Wilden Westen versetzt.
    Das Rahmenprogramm drumherum, genauso, wie du es schilderst, war einfach Abenteuer pur.

    Bestimmt war dieser Ausflug für euch ein wunderschöner Tag, der euch allen noch lange in Erinnerung bleiben wird.

    Liebe Grüße
    Christa

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  2. In meiner Kindheit habe ich mir das auch angesehen mit meinen Eltern.Ich fand es wunderbar beeindruckend.

    LG
    Nicole

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  3. Hej Dieter,

    mein erster Urlaub mit den Eltern an der Ostsee,- Bad Segeberg und ich weiß noch wie ich vor Spannung mein Taschentuch in der Hand drehte. Wenn ich mich recht erinnere war Pierre Brice damals als Gast-Schauspieler engagiert. Tolle Geschichte.

    LG
    Beate

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  4. Toller Bericht, was du da schreibst und die Bilder .. warum gehst du unter der Woche und nicht am Wochenende oder in der Ferienzeit dort hin .. es wäre für deine Kleine doch viel besser gewesen!

    Lieben Gruss Elke

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  5. Als kleiner Bengel habe ich die Bücher förmlich gefressen :-) Vor kurzem habe ich Old Surehand als Gratis-Exemplar auf dem Kindle gelesen und hey, aus der Erwachsenen-Sicht kann ich überhaupt nicht mehr nachvollziehen was mich damals so fasziniert hat, schade eigentlich.
    Ich war vor ein paar Jahren mal bei den Karl May Festspielen in Bad Segeberg, war interessant, nicht mehr aber auch nicht weniger.
    Dein Bericht ist gut geschrieben, hat Spaß gemacht zu lesen

    VG
    Micha

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