Samstag, 27. Juni 2015

eine Eigenkirche unter dem Marktplatz ? - Spurensuche in Eitorf

Marktplatz Eitorf
Im Grunde genommen war es makaber und der Baggerführer musste all seine Regungen in einen emotionalen Eisschrank stecken. Sein  Löffelbagger grub sich in menschliche Skelette hinein, Schädel, Knochen, Röhrenknochen, Beckenreste, Gebisse, also all das, was die Verwesung vom menschlichen Körper nach Jahrtausenden übrig gelassen hatte. Die Baggerschaufel verfrachtete dann den Geist der Toten auf LKWs, wo sie zwischen Erdklumpen zerstoben, um mit ihrer Unsterblichkeit in der zerkrümelten Masse des Erdreichs auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Die eigentliche Herausforderung wartete mehrere Erdschichten darunter. Unter den Fundamenten der mittelalterlichen Kirche vermutete man neben dem Friedhof mit all den Skeletten karge Überbleibsel einer sogenannte Eigenkirche. Ihre Existenz reichte noch ein Stück weiter zurück, über die Toten aus dem Mittelalter hinweg zu den Wurzeln des Christentums im Rheinland. In der geschichtlichen Zeitrechnung war dies der Übergang von der Römerzeit ins frühe Mittelalter.

1969 kam der große Augenblick, als der Marktplatz in Eitorf umgestaltet werden sollte. Indizien hatten sich verdichtet, dass unter der alten romanischen Kirche eine Eigenkirche sich hätte befinden können. Die romanische Kirche wiederum war vollständig platt gemacht worden. Zunächst war 1889 das baufällige Kirchenschiff abgerissen worden. Den Turm aus dem 12. Jahrhundert, der stehen geblieben war, hatte ein Volltreffer der Alliierten Truppen am 8. März 1945 vernichtet. Die Nachkriegszeit gab dem Turm den Rest, als die Ruinen abgetragen wurden, um den Marktplatz zu pflastern und einzuebnen.

Es war der Eitorfer Heimatforscher Hermann Josef Ersfeld, der unter den Fundamenten der romanischen Kirche eine Eigenkirche vermutete. Eigenkirchen entstanden mit der Auflösung des römischen Reiches, als fränkische Volksstämme seßhaft wurden. Die Franken pflegten ihre heidnischen Bräuche und verehrten viele Götter. Parallel dazu entwickelte sich das Christentum, weil sich die großen Herrscher taufen ließen. Das war der Frankenfürst Chlodwig, der sich als Dank für die im Jahr 496 gewonnene Schlacht bei Zülpich in Reims taufen ließ, bis hin zu Karl dem Großen, der nach seiner Taufe 796 dem Christentum zu großen Sprüngen verhalf, indem er unterstützte, dass der Papst von Rom aus über Bischöfe eine kirchliche Infrastruktur aufbaute.

Eisenplatte des Turms auf dem Eitorfer Marktplatz
Während sich in Römerstädten wie Köln Kirchenbauten wie St. Ursula, St. Gereon oder St. Severin etabliert hatten, verlief die Christianisierung abseits der Römerstädte anders. Einen Ort zu finden, um die Rituale des Christentums zu feiern, läßt sich aus vielen Stellen der Bibel ableiten, so aus dem Matthäus-Evangelium: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ In seinen Anfängen war das Christentum höchst virtuell. Tatsächlich handelte es sich um eine Versammlung, bei der rund um einen Altar das letzte Abendmahl gefeiert werden konnte. Solche Versammlungen konnten in jedem Haus stattfinden, welches dann, wenn das Ritual eingeschwungen war, zu einer Hauskirche erklärt werden konnte. Selbst die großen romanischen Kirchen von St. Ursula, St. Gereon oder St. Severin dürften in ihren Anfängen eine Hauskirche, ein Gebetsraum oder eine kleine Kapelle gewesen sein. Da dieser Raum dem Hausherren gehörte, bezeichnet man diese Kirchenform als Eigenkirche. Sieht man von den Römerstädten ab, gibt es in dieser dunklen Epoche viele Jahrhunderte lang keine wirkliche christliche Sakralarchitektur, wie wir sie als Kirchen heute kennen. Diese setzt ungefähr in der Epoche der Karolinger ein, wobei die Entwicklung über die Jahrhunderte hinweg je nach Volksstamm höchst unterschiedlich verlaufen sein konnte.

Eigenkirchen aufgrund von Funden nachzuweisen, ist ein archäologisches Kunststück. Die Altersbestimmung von Gestein oder Knochen ist zu grob, da Halbwertszeiten radioaktiver Elemente mit ihrer Strahlenintensität zurückgerechnet werden, was nur grob in Einheiten von Jahrhunderten oder Jahrtausenden möglich ist. Enthalten die Fundstücke Kohlenstoff,  können die Halbwertszeiten ein bißchen kürzer eingegrenzt werden. Präzise ist die Altersbestimmung bei Holz: bei Bäumen wie Eiche oder Buche können die Jahresringe fast bis auf das Jahr genau ermittelt werden. Bei anderen Funden hat man sich in dieser dunklen Epoche der späten Antike oft mit vergleichenden Methodiken beholfen, indem Funde und Altersbestimmungen an anderen Orten in ein valides Konstrukt überführt werden, das erfahrungsgemäß mehr Lücken als aussagefähige Punkte enthält.



Modell der Eigenkirche in Theux/Belgien
oben Eigenkirche
Mitte Grundriss der Eigenkirche (6.-7. Jahrhundert)
unten romanische Kirche (11. Jahrhundert)
Vor zwei Jahren hatte ich das grandiose Erlebnis, das Modell einer Eigenkirche bestaunen zu können.  In der Kirche Saints-Hermes-et-Alexandre in Theux in den belgischen Ardennen hatten Grabbeigaben unter dem Chor der Kirche, kombiniert mit Holzresten, offensichtlich eine genauere Datierung einer Eigenkirche ermöglichte. Diese Gebetskapelle stammte aus dem sechsten bis siebten Jahrhundert, auf die im neunten Jahrhundert der Chor und das Langhaus gebaut wurde und 1091 die romanische Kirche.

Ganz ähnlich hätte es in Eitorf aussehen können. Da das Pfarrarchiv in Eitorf die kirchlichen Ereignisse erst ab 1646 dokumentierte, durchforstete der quirlige Heimatforscher Hermann Josef Ersfeld die Stadtarchive von Bonn, Köln und andere Quellen in Bistümern und im Erzbistum Köln. Fündig wurde er nicht im Rheinland, sondern  in Westfalen.  1168 wurde die romanische Kirche von Eitorf fertiggestellt, das belegen Güterverzeichnisse des Bonner Cassiusstiftes.  In der Zeitrechnung davor, am 18. März 927, bestätigt der Deutsche Kaiser Heinrich I. dem Stift in Herford Besitzungen, die dem Stift im Zuge von Bedrängnissen durch Heiden streitig gemacht wurden, darunter ein Ort „hunbech secus fluvium secinam“. „Secinam“ bedeutet Sieg und „hunbech“ kann nur die Ansiedlung „Hombach“ bedeuten, das heute Stadtteil von Eitorf ist. Den Heiden konnte dieser Besitz nur streitig gemacht werden, indem das Gebiet an der Sieg christianisiert worden war. Ersfeld entwickelt eine weitere Argumentation über die Gründungsgeschichte des Benediktinerinnenkloster Vilich, das 978 mit dem Zweck gegründet wurde, das Christentum im Auelgau, wozu auch die Gebiete an der Sieg gehörten, zu verbreiten. Anderthalb Jahrhunderte später, 1144, bestätigte dann König Konrad III. die Gründungsbesitzungen des Benediktinerinnenklosters von Vilich, wozu auch eine „villa eidtorph“ gehört. Eine „villa“, das war ein Haus, ein Landhaus oder ein Hof, den ein Gutsbesitzer bewirtschaftete. Anderenorts gehörten Kirchen zu den Gründungsbesitzungen von Vilich. Wenn es denn in Eitorf eine „villa“ gab und wenn das Gebiet von „hunbech“ christianisiert war, dann konnten sich die gläubigen Christen nur in einer Eigenkirche zu ihren Gebeten versammeln.

fiktive Zeichnungen der Eigenkirche in Eitorf
1969, als der Marktplatz ausgebuddelt wurde, war die Konstellation ungünstig. Kulturgut genießt in unserer Gesellschaft keinen allzu großen Stellwert, und, in ihrer eigenen Ignoranz beharrend, mischen die Behörden tatkräftig mit, dass die Abläufe der Bauausführung Vorrang haben vor der Größe von archäologischen Entdeckungen. Für das Rheinische Landesmuseum war dieses Gebiet an der Sieg offensichtlich tiefste Provinz, so dass sich kein Archäologe in Eitorf blicken ließ.

So entwickelten sich die Ausgrabungen zu einer merkwürdigen Schicksalsgemeinschaft zwischen dem Heimatforscher, dem Gemeindedirektor, der Interesse zeigte an den Ausgrabungen,  und den Arbeitern, die aus aller Herren Ländern kamen. „Schau mal, das ist der Pisspott von Karl dem Großen“ kommentierte ein Arbeiter einen der Funde, als ein Eisenbecher gefunden wurde. Die Arbeiter hatten strikte Anweisung: „Wenn etwas auftaucht, dann rasch weg damit, bevor die Denkmalschützer erscheinen und uns aufhalten.“

Sie waren überfordert. Der Heimatforscher unterrichtete an einem Gymnasium in Troisdorf und konnte werktags nur ab den Nachmittagsstunden den Ausgrabungen beiwohnen. In diesen Stunden sammelte er alles ein, was er irgendwie kriegen konnte, Münzen, Tonpfeifen, Knochen, Schädel, Fliesen, Wandputz, und alles, was verrostet aussah. Schutt und Trümmer stapelten sich im Garten des Heimatforschers. Der Moment, dass die ausgebaggerten Fundamente unter dem Chor sichtbar wurden, war kurz. Die Hoffnung wuchs, dass die Grabungen die konkrete Gestalt einer Eigenkirche zusammen flicken könnten. Doch dann fuhr der Bauleiter dazwischen, dass alles zuzuschütten sei. Am nächsten Tag  war von Fundamenten und Ausgrabungen nichts mehr zu sehen. Der Traum von einer Eigenkirche hatte sich verflüchtigt in einer Wolke von Phantasie, die niemand bis auf weiteres beweisen oder widerlegen konnte. Eine archäologische Sensation im Rheinland war ausgeblieben. Bis dahin müssen wir alle so damit umgehen, wie dies die Menschen im Mittelalter getan haben, ohne jegliche naturwissenschaftliche Beweise. Sie haben geglaubt. So wie in ihrer Eigenkirche.

Quelle: Hermann Josef Ersfeld, Mitten in Eitorf

5 Kommentare:

  1. Ein sehr interessante Post und ich kann mir sehr gut vorstellen wie begeistert du warst als du so ein Modell gesehen hast.

    Mich hat es aber auch geschüttelt und auch erbost bei dem Gedanken das die Knochen einfach so "weggemacht" wurden und ebenfalls mit der strikten Anweisung. Einfach unglaublich, aber auch hier ging es wieder einmal nur ums Geld. Schlimm wenn solche Funde für die Menschen keinen Wert haben, sie nicht sehen können welche Geschichte dahinter steckt, immerhin ein Teil von uns allen auf den auch noch Rücksicht genommen werden sollte und muss. Echt ein Trauerspiel!!!!

    ...und mal wieder ist es der Mensch der alles zum Fall bringt.

    Danke dir für diesen Post und mein Wissen dass ich erweitern konnte.

    Wünsche dir ein schönes Wochenende und sende viele Grüsse

    N☼va

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  2. Ja, so war das 1969, noch gar nicht so lange her, es war ein anderes Bewusstsein. Schade... von Hermann-Josef Ersfeld, habe ich noch einige Heimatbücher... mein Vater war ja Eitorfer. Und vom alten Turm hing immer eine Zeichnung mit Gedicht in meinem Elternhaus.
    Liebe Grüße Marita

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  3. Das erinnert mich doch sehr stark an die Geschichte, als in Köln der Rheintunnel gegraben wurde und nur ein Lehrer hinter den LKW-Ladungen mit der Erde herfuhr und die mittelalterlichen Zeugnisse des Alltags rettete, die jetzt im stadtmuseum ausgestellt sind. Damals galt nur die Römerzeit was. Aber in Köln nimmt man ja vieles locker...
    Einen schönen Sonntag!
    Astrid

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  4. Ein sehr interessanter Bericht Dieter ... danke fürs Niederschreiben :-)
    Eine schöne Woche für dich.

    LG Frauke

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  5. danke wieder für den lebendigen Geschichtsunterricht.
    Da habe ich wieder viel gelernt.

    Herzliche Grüße von Heidi-Trollspecht :-)

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