Dienstag, 5. Juni 2012

Müllverbrennungsanlage


Müll war schon immer dubios, undurchsichtig, skandalträchtig. So schmierte der Müllunternehmer Trienekens in den 90er Jahren Mitglieder des Kölner Rats, um den Bau der Müllverbrennungsanlage in Köln-Niehl durchzusetzen. Damals wurde demonstriert, Bürger und Grüne gingen vor die Barrikaden, verunsichert durch erhöhte Dioxinbelastungen. In den 90er Jahren herrschte Aufbruchstimmung: mit Müll konnte Geld verdient werden, die Filteranlagen wurden aufgerüstet, die Bürger finanzierten dies über ihre Abfallgebühren, Trienekens wurde zum Multimillionär. Bis seine Geschäftspraktiken aufflogen: er und die Mitglieder des Kölner Rats wurden zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt, er musste eine Geldstrafe von 10 Millionen Euro zahlen, außerdem hatte er Steuern hinterzogen.

Dubios und skandalträchtig, diese Grundstimmung herrscht derzeit rund um die Bonner Müllverbrennungsanlage. Diesmal geht um etwas viel einfacheres als Bestechung oder Steuerhinterziehung – nämlich den Anstrich.

Fahrt zur Bonner Müllverbrennungsanlage. Aus einer Sackgasse kommend, biegt sich die Straße platt um das Werksgelände eines Energieanlagenbauers. Dahinter haben ein Eros-Center und die Rotlichtszene Fuß gefasst. Industriebrache: der ins Alter gekommene Schlachthof gegenüber wurde Ende letzten Jahres geschlossen, weil es an Hygiene und Brandschutz haperte. Seitdem gammeln die Gebäude im Barackenstil vor sich hin. Auf dem Gewerbe- und Gründungszentrum, das der Verlassenheit wieder Leben einhauchen soll, wird man neuansässige Firmen vergeblich suchen.

Die Ausmaße der Müllverbrennungsanlage sind gigantisch. Mit dem Rohrsystem, das über die Straße hinweg führt, sich gabelt, sich verzweigt, in Fabrikgebäude führt, in die Höhe kragende Kessel speist, erinnert mich die Anlage an Stahlwerke oder an Anlagen der chemischen Industrie.

Eher unspektakulär zeichnet das eigentliche Streitobjekt die Müllverbrennungsanlage. Grün, orange, grau, die Farbkomposition passt augenscheinlich zusammen. Die Abstufungen fallen mir noch auf: helle Streifen wechseln mit dunklen ab, und ich denke an Bekleidung, wo solche Streifenmuster bieder wirken, abgetragen und fernab der aktuellen Modetrends.

Die Müllverbrennungsanlage soll ausgebaut werden, und mit dem Anstrich hat sich ein Farbphilosoph verewigt. Erstaunt hatte ich registriert, dass es so etwas gibt: einen Farbphilosophen. Eigentlich eine merkwürdige Kombination - Müllverbrennungsanlage und Farbphilosophie.

Friedrich Ernst von Garnier, der Farbphilosoph, hat ab den 70er Jahren über siebzig Gebäude in einem ähnlichen Farbstil angestrichen – wie in der Bonner Müllverbrennungsanlage. Von ihm stammen Weisheiten wie „Ohne lebendige Farbigkeit kann sich kein Geist entzünden“ oder „Organische Farbigkeiten sind die natürliche Basis allen farbigen Bauens … dies ist der erste lebendige Weg der Erde zu ihrem ganz realen Farbenbild“. Weltweite Auszeichnungen hat Garnier angesammelt – 1985 in den USA den Product Award oder 1999 den European Steel Design Award.

Wenn die Müllverbrennungsanlage ausgebaut wird, muss die Außenfassade natürlich gestrichen werden. Die Planer und die Stadtwerke möchte die Fassade gerne so anstreichen, wie es ihnen gefällt. Doch Garnier hat etwas dagegen und begründet dies mit dem Urheberrecht: die Gestaltung des Anstrichs ist Werk von Garnier. Der Anstrich des Erweiterungsbaus muss sich anpassen und seine künstlerische Handschrift tragen. Abgestuft in Streifen, sich anlehnend an die Grundfarben Grün, Orange und Grau, gegen anderweitige Farbgestaltungen setzt er sich vehement zur Wehr. Der Auftrag möchte bitte an ihn gehen – wie alle anderen Anstricharbeiten davor.

Damit könnten die Gerichtsinstanzen beschäftigt werden. Ein Philosoph als knallharter Geschäftsmann. Präzedenzfälle gibt es einige – als in den Säulen der Bundeskunsthalle Löcher gebohrt wurden oder das Garten-architektonische Bild der Rheinaue verändert wurde.

Man könnte sich auch außergerichtlich einigen. Im Fall einer Fassadengestaltung an einem Wohngebäude konnte ich im Internet eine Entschädigungszahlung von mehreren Zehntausend Euro recherchieren, um diese abweichend vom Urheberrecht gestalten zu können. Da ich kein Jurist bin, kann ich diesen Fall rechtlich nicht beurteilen. Es könnte aber so kommen: Garnier lässt nicht locker und pocht auf sein Urheberrecht. Die Stadtwerke und Garnier verzichten darauf, ihre Differenzen vor Gericht auszutragen. Der Richter entscheidet: nicht Garnier, sondern jemand anders darf anstreichen. Es ließe sich also auch indirekt mit Müll Geld verdienen, und auch diesmal würde der Bürger dies über seine Abfallgebühren finanzieren.

Ich beneide Garnier. Solch einen Job hätte ich gerne. Er muss darauf verzichten zu arbeiten und erhält dafür mehrere Zehntausend Euro. Wenn ich in seiner Haut stecken würde, diese Zeit würde ich genießen: nichts tun, mich herum lümmeln, die Zeit verstreichen lassen, und dafür abkassieren.

So ungerecht kann die Welt sein !

7 Kommentare:

  1. Hej Dieter,
    ein fantastischer Blick auf die Welt der Abfallwirtschaft!!!!! Sehr verlockend ist es, so viel Geld ohne einen Handstrich einzustreichen. Das Trügerische daran ist, Millionen machen nicht automatisch glücklich. Das hat das Leben dann doch sehr fair eingerichtet.

    Wieviel zu wenig ist, entscheidet letztlich jeder für sich und schlimmstenfalls die Habsucht.

    Toller Bericht,
    Gruß Beate

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  2. Urheberrecht bei einem Farbanstrich einer Müllverbrennungsanlage ist ja klasse.
    Künstler müsste man sein.

    Gruß
    Noke

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  3. schiziphren
    Erst mal meine Meinung zum Verbrennen von Müll. Wenn es richtig gemacht wird, die Schweizer haben ein gutes System, wo die Verbrennungsrückstände auch verwertet werden können, ist es besser als nach Nahost zu schicken oder im Lande Landstriche auf Jahrhunderte zu verschmutzen, selbst wenn alles zugedeckt wird, da ist es ja noch schlimmer.
    Dann zum Geschäftemachen.Der Müll an sich hat wohl das Potential auf unrechtmäßige Art Geld zu drucken. Das war schon früher so, bei uns in der DDR, wo jedes Glas und jede Zeitung noch Bares brachte und fast alles der Wiederverwertung zugeführt wurde, waren die Schrotthändler zwar schmudelig, aber reich, nur sah man´s ihnen nicht an.
    Grün ist eine schöne Farbe, sie beruhigt und hier soll sie sicher die Bürger beruhigen, also doch ein Fall für einen Philosoph.
    Grüße Ulrike
    PS: Du solltest mal ein Buch schreiben, wunderschön geschrieben

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  4. Ja,da hast du Recht. Das würde ich auch genießen.
    Besonders,weil ich grade alle Hände voll zu tun habe...
    ...unbezahlt natürlich;-)

    LG Line

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  5. Wofür muss eigentlich ein Urheberrecht noch herhalten, kopfschüttel!

    Mit Müll kann man doch richtig Geld machen. Inzwischen reißen sich doch die Gesellschaften um den Müll, um ihn zu verbrennen, wozu also noch trennen?

    Eigentlich müssten die Müllgebühren für die Bürger sinken, denn die Verbrennungsanlagen stecken sich die Taschen voll, belasten aber nichtgerechtfertigterweise weiterhin die Kommunen mit horrenten Summen, eigentlich ein Skandal.

    Es geht doch immer nur um eines: das liebe Geld

    Dein Beitrag, Dieter, ist mal wieder klasse!

    Noch zu deiner Frage der Scrap-Challenge auf meinem Blog. Nein, es ist keine Blog-Challenge, sondern ich nehme an Scrap-Challenges eines Grafk-Forums (photoshopdesign) teil.

    LG Christa

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  6. wir haben gerade "Neues aus der Anstalt" im ZDF gesehen. Ich denke du könntest mit manchen deiner Beiträge gute Vorlagen liefern ;-)

    ich fand deinen Text wieder sehr interessant.
    lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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  7. Een bizar en interessant verhaal!

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