Kempenich 1348. Kleinheit und Größe verbinden sich
im 14. Jahrhundert in diesem Eifeldorf, das heute hinter der Umgehungsstraße
der Bundesstraße B412 ein unscheinbares Dasein fristet, sich seicht zusammen
schiebend in seiner Höhenlage. Heute führen alle Wege zum Nürburgring: im nicht
motorisierten Zeitalter war die Wegeführung naturgemäß anders, und so bringt
das Wegenetz zu den mittelalterlichen Städten Ahrweiler, Mayen, Münstermaifeld
und Koblenz die Geschehnisse des Mittelalters auch nach Kempenich.
„Die Stadt war noch kleiner, als sie erwartet hatte.
Genau genommen war sie nicht viel mehr als ein von einer Stadtmauer umgebenes
Dorf mit einem winzigen Marktplatz zu Füßen der allerdings recht ansehnlichen
und wehrhafte Kirche“, so beschreibt Petra Schier Kempenich in seiner Kleinheit
und Größe, als die Hauptfigur ihres Romans, die Eifelgräfin Elisabeth von
Küneburg, den Eifelort erreicht.
Die Handlung beginnt genau zwei Jahrhunderte vorher,
als sich drei Kreuzritter in Jerusalem ihre Kriegsbeute teilen. Im Angesicht
eines magischen Kruzifixes schließen sie einen Pakt, dass sie und ihre Familien
sich bis in alle Ewigkeit schützen wollen. Als Beutestück teilen die drei
Kreuzritter sich ein Kreuz, das sich in drei Teile zerlegen läßt.
Nach der Ankunft auf
der Burg Kempenich, wohin sich Elisabeth wegen zu erwartender Erbstreitigkeiten
begibt, entwickelt sich die Handlung ohne jegliche Effekthascherei,
ohne Verbrechen und ohne allzu große Spannungen. Der Roman lebt von
Alltäglichkeiten und Beiläufigkeiten, indem die Autorin Abläufe und
Gewohnheiten in der Abfolge von Tagen und Jahren erzählt. Dabei musste ich an
manchen Stellen schmunzeln, wenn sich zum Beispiel niemand daran stört, wenn ein betrunkener Priester einen Gottesdienst abhält, wobei die lateinischen
Formeln der Liturgie zum Zungenbrecher werden, so dass er diese unvollständig
und falsch herunter plappert.
Abgesperrt von den Undurchdringlichkeiten der Eifel,
ist das Leben auf einer solchen Burg ebenso wenig langweilig wie die Länge des
historischen Romans, der immerhin 576 Seiten füllt. Die Frauen vertreiben sich den Tag mit Näh- und
Stickarbeiten. Abwechslung bieten Feste, die dann im großen Rahmen gefeiert
werden. Gaukler musizieren und vertreiben die Zeit mit Künststücken und
Spielereien. Klatsch und Neugierde über Liebe und Liebschaften drehen die
Runde. Für Abwechslung sorgen Ausflüge in die mittelalterlichen Städte Mayen,
Ahrweiler und Koblenz.
Petra Schier beschreibt
diese Situationen in einem sehr flüssigen, anschaulichen und leicht
verständlichen Stil. Zudem
hat die Autorin mit sehr viel Liebe zum Detail recherchiert, wie die Burg in
Kempenich einst ausgesehen haben könnte, wo die Burgherren wohnten, Schlafräume,
Gästeräume, Kemenate, Hof, Wirtschaftsräume, über drei Etagen hinweg. Von der
Burg, die auf drei Seiten im Anhang nachgezeichnet ist, ist heute nur ein
Jagdhaus übrig geblieben, welches in der Anordnung der Räume nichts mehr mit
der damaligen Kempenicher Burg zu tun hat. Das meiste haben anstürmende
französische Truppen nach dem Dreßigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert zerstört.
Rangordnungen bestimmen das Alltagsgefüge, die sich
nach den sozialen Verhältnissen gliedern. Die Burgherren unterscheiden nach Leibeigenen, Gesinde, frei geborenen
Bauern, Bediensteten, Rittern usw., die sich dann in der Hierarchie nach
höfischen Regeln verhalten sollen. Niederschmetternd ist vor allem die Rolle
der Frau: eine adäquate Bildung wird ihr verweigert, sie besitzt kein
Mitspracherecht, ihre Heirat dient alleine der Absicherung von Machtinteressen,
oft wird ihr Körper als sexuelles Freiwild betrachtet. Dem widerläuft
Elisabeth, indem sie ihre Dienerin Luzia gleichstellt und ihr Lesen und
Schreiben beibringt. Wie der Zufall es will, besitzen Elisabeth und Luzia zwei
Teile des magischen Kruzifixes, so dass sie innig miteinander verbunden sind.
Dieses leuchtet immer dann auf, wenn es vor einem unvorhersehbaren Ereignis
warnen will.
Klug und gebildet,
bewegt sich Elisabeth, auf Augenhöhe mit der Männerwelt. Die einzige
Schwachstelle des Romans ist, dass die Handlung im Kern eine Liebesgeschichte
ist. So viele Schleifen, die gedreht werden, in denen der eine umworben wird und der
andere die Gefühle nicht erwidert, erscheinen mir zu langatmig, bis sich die
Gräfin Elisabeth von Küneburg und der Ritter Johann von Manten sehr, sehr spät zueinander
finden. Spannender ist die politische Dimension: als ein Ritter aus Maifeld an
Elisabeths Körper handgreiflich wird und Johann von Manten ihn niederschlägt,
wollen die Maifelder aus Rache den Krieg. Um diesen abzuwenden, erfordert dies
ein nicht unerhebliches Verhandlungsgeschick.
Ich war etwas
erstaunt, dass die Handlung des Buches, ohne bis dahin langweilig zu werden, im
letzten Drittel an Fahrt aufnimmt. Maßgebliche Schuld daran hat die Pest, die
von Südeuropa aus über den Handel auf dem Rhein die Eifel erreicht. Verglichen
mit dem Umland, sind die Toten auf der Burg Kempenich halbwegs überschaubar, da
sich die Burg über ihre Tore und Mauern vollständig abriegeln läßt. Dennoch
erschüttern die Zustände im Siechenhaus auf der Burg. „Kranke husteten,
keuchten, jammerten oder murmelten in Fieberträumen. Die Luft war stickig, denn
die Fensterläden waren verschlossen. Außerdem hing der Geruch nach menschlichen
Ausscheidungen, Schweiß und Erbrochenem in der Luft. Im Stroh raschelten Mäuse
und Ratten auf der Suche nach Essbarem.“ so beschreibt Petra Schier dieses
apokalytische Grauen, das an der einen oder anderen Stelle an Gemälde von
Hieronymus Bosch erinnert.
Die Autorin
beschreibt sehr plastisch den Alltag mit der Pest, über die beschränkten
Mittel, die den Menschen zur Verfügung standen,
über Aufopferung und Heldentum derjenigen, die die Pestkranken gepflegt haben,
aber auch den Aberglauben, wenn etwa Juden festgenommen werden sollen, weil sie
angeblich Brunnen vergiftet haben. Die Wendung zum Schluß des Buches überrascht.
Nachdem die Menschen immunisiert sind und
die Pest abgeklungen ist, nutzt Elisabeths Stiefonkel die Nachwirren des Schwarzen
Todes. Während Elisabeths Vater sich auf der Rückkehr von Böhmen in die Eifel
befindet, will dieser die Herrschaft der Küneburg an sich reißen. Genauso
überrascht der Epilog, dass das dritte Teil des magischen Kreuzes im Keller eines Weinhändlers in Koblenz auftaucht.
Petra Schiers
Beschreibungen haben mein Wissen über das Mittelalter immens bereichert. Ihr
Stil ist stets anschaulich, bildhaft, präzise und reich an Details, wie die
Menschen im Mittelalter gelebt haben. Abstrakte Strukturen von Ständen,
Herrschaftsstrukturen, Besitztum und Rittern werden dort stets lebendig.
Lieber Dieter,
AntwortenLöschenganz herzlichen Dank für die ausführliche Buchbesprechung.
Es steht bereits auf meiner Liste. Das werde ich mir auf
jeden Fall besorgen.
Einen guten Wochenstart wünscht dir
Irmi
Schöne Buchbesprechung das Leben in der Eifel im Mittelalter war schon etwas anderes als heute.
AntwortenLöschenGruß
Noke