Montag, 22. Juni 2015

Petra Schier - Die Eifelgräfin

Kempenich 1348. Kleinheit und Größe verbinden sich im 14. Jahrhundert in diesem Eifeldorf, das heute hinter der Umgehungsstraße der Bundesstraße B412 ein unscheinbares Dasein fristet, sich seicht zusammen schiebend in seiner Höhenlage. Heute führen alle Wege zum Nürburgring: im nicht motorisierten Zeitalter war die Wegeführung naturgemäß anders, und so bringt das Wegenetz zu den mittelalterlichen Städten Ahrweiler, Mayen, Münstermaifeld und Koblenz die Geschehnisse des Mittelalters auch nach Kempenich.

„Die Stadt war noch kleiner, als sie erwartet hatte. Genau genommen war sie nicht viel mehr als ein von einer Stadtmauer umgebenes Dorf mit einem winzigen Marktplatz zu Füßen der allerdings recht ansehnlichen und wehrhafte Kirche“, so beschreibt Petra Schier Kempenich in seiner Kleinheit und Größe, als die Hauptfigur ihres Romans, die Eifelgräfin Elisabeth von Küneburg, den Eifelort erreicht.

Die Handlung beginnt genau zwei Jahrhunderte vorher, als sich drei Kreuzritter in Jerusalem ihre Kriegsbeute teilen. Im Angesicht eines magischen Kruzifixes schließen sie einen Pakt, dass sie und ihre Familien sich bis in alle Ewigkeit schützen wollen. Als Beutestück teilen die drei Kreuzritter sich ein Kreuz, das sich in drei Teile zerlegen läßt.

Nach der Ankunft auf der Burg Kempenich, wohin sich Elisabeth wegen zu erwartender Erbstreitigkeiten begibt, entwickelt sich die Handlung ohne jegliche Effekthascherei, ohne Verbrechen und ohne allzu große Spannungen. Der Roman lebt von Alltäglichkeiten und Beiläufigkeiten, indem die Autorin Abläufe und Gewohnheiten in der Abfolge von Tagen und Jahren erzählt. Dabei musste ich an manchen Stellen schmunzeln, wenn sich zum Beispiel niemand daran stört, wenn ein betrunkener Priester einen Gottesdienst abhält, wobei die lateinischen Formeln der Liturgie zum Zungenbrecher werden, so dass er diese unvollständig und falsch herunter plappert.

Abgesperrt von den Undurchdringlichkeiten der Eifel, ist das Leben auf einer solchen Burg ebenso wenig langweilig wie die Länge des historischen Romans, der immerhin 576 Seiten füllt. Die Frauen vertreiben sich den Tag mit Näh- und Stickarbeiten. Abwechslung bieten Feste, die dann im großen Rahmen gefeiert werden. Gaukler musizieren und vertreiben die Zeit mit Künststücken und Spielereien. Klatsch und Neugierde über Liebe und Liebschaften drehen die Runde. Für Abwechslung sorgen Ausflüge in die mittelalterlichen Städte Mayen, Ahrweiler und Koblenz.

Petra Schier beschreibt diese Situationen in einem sehr flüssigen, anschaulichen und leicht verständlichen Stil. Zudem hat die Autorin mit sehr viel Liebe zum Detail recherchiert, wie die Burg in Kempenich einst ausgesehen haben könnte, wo die Burgherren wohnten, Schlafräume, Gästeräume, Kemenate, Hof, Wirtschaftsräume, über drei Etagen hinweg. Von der Burg, die auf drei Seiten im Anhang nachgezeichnet ist, ist heute nur ein Jagdhaus übrig geblieben, welches in der Anordnung der Räume nichts mehr mit der damaligen Kempenicher Burg zu tun hat. Das meiste haben anstürmende französische Truppen nach dem Dreßigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert zerstört.

Rangordnungen bestimmen das Alltagsgefüge, die sich nach den sozialen Verhältnissen gliedern. Die Burgherren unterscheiden nach Leibeigenen, Gesinde, frei geborenen Bauern, Bediensteten, Rittern usw., die sich dann in der Hierarchie nach höfischen Regeln verhalten sollen. Niederschmetternd ist vor allem die Rolle der Frau: eine adäquate Bildung wird ihr verweigert, sie besitzt kein Mitspracherecht, ihre Heirat dient alleine der Absicherung von Machtinteressen, oft wird ihr Körper als sexuelles Freiwild betrachtet. Dem widerläuft Elisabeth, indem sie ihre Dienerin Luzia gleichstellt und ihr Lesen und Schreiben beibringt. Wie der Zufall es will, besitzen Elisabeth und Luzia zwei Teile des magischen Kruzifixes, so dass sie innig miteinander verbunden sind. Dieses leuchtet immer dann auf, wenn es vor einem unvorhersehbaren Ereignis warnen will.

Klug und gebildet, bewegt sich Elisabeth, auf Augenhöhe mit der Männerwelt. Die einzige Schwachstelle des Romans ist, dass die Handlung im Kern eine Liebesgeschichte ist. So viele Schleifen, die gedreht werden, in denen der eine umworben wird und der andere die Gefühle nicht erwidert, erscheinen mir zu langatmig, bis sich die Gräfin Elisabeth von Küneburg und der Ritter Johann von Manten sehr, sehr spät zueinander finden. Spannender ist die politische Dimension: als ein Ritter aus Maifeld an Elisabeths Körper handgreiflich wird und Johann von Manten ihn niederschlägt, wollen die Maifelder aus Rache den Krieg. Um diesen abzuwenden, erfordert dies ein nicht unerhebliches Verhandlungsgeschick.

Ich war etwas erstaunt, dass die Handlung des Buches, ohne bis dahin langweilig zu werden, im letzten Drittel an Fahrt aufnimmt. Maßgebliche Schuld daran hat die Pest, die von Südeuropa aus über den Handel auf dem Rhein die Eifel erreicht. Verglichen mit dem Umland, sind die Toten auf der Burg Kempenich halbwegs überschaubar, da sich die Burg über ihre Tore und Mauern vollständig abriegeln läßt. Dennoch erschüttern die Zustände im Siechenhaus auf der Burg. „Kranke husteten, keuchten, jammerten oder murmelten in Fieberträumen. Die Luft war stickig, denn die Fensterläden waren verschlossen. Außerdem hing der Geruch nach menschlichen Ausscheidungen, Schweiß und Erbrochenem in der Luft. Im Stroh raschelten Mäuse und Ratten auf der Suche nach Essbarem.“ so beschreibt Petra Schier dieses apokalytische Grauen, das an der einen oder anderen Stelle an Gemälde von Hieronymus Bosch erinnert.

Die Autorin beschreibt sehr plastisch den Alltag mit der Pest, über die beschränkten Mittel, die den Menschen  zur Verfügung standen, über Aufopferung und Heldentum derjenigen, die die Pestkranken gepflegt haben, aber auch den Aberglauben, wenn etwa Juden festgenommen werden sollen, weil sie angeblich Brunnen vergiftet haben. Die Wendung zum Schluß des Buches überrascht.  Nachdem die Menschen immunisiert sind und die Pest abgeklungen ist, nutzt Elisabeths Stiefonkel die Nachwirren des Schwarzen Todes. Während Elisabeths Vater sich auf der Rückkehr von Böhmen in die Eifel befindet, will dieser die Herrschaft der Küneburg an sich reißen. Genauso überrascht der Epilog, dass das dritte Teil des magischen Kreuzes im Keller eines Weinhändlers in Koblenz auftaucht.

Petra Schiers Beschreibungen haben mein Wissen über das Mittelalter immens bereichert. Ihr Stil ist stets anschaulich, bildhaft, präzise und reich an Details, wie die Menschen im Mittelalter gelebt haben. Abstrakte Strukturen von Ständen, Herrschaftsstrukturen, Besitztum und Rittern werden dort stets lebendig.

2 Kommentare:

  1. Lieber Dieter,
    ganz herzlichen Dank für die ausführliche Buchbesprechung.
    Es steht bereits auf meiner Liste. Das werde ich mir auf
    jeden Fall besorgen.
    Einen guten Wochenstart wünscht dir
    Irmi

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  2. Schöne Buchbesprechung das Leben in der Eifel im Mittelalter war schon etwas anderes als heute.

    Gruß
    Noke

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