Donnerstag, 2. August 2012

Verplempert, vergammelt, verpennt ...


… diese Formulierung hat mich in Perdita's Blog nicht losgelassen. Perdita’s Geschichte ist tragisch, denn sie leidet an Krebs. Gottseidank erfreue ich mich bester Gesundheit. Aber: verplempert, vergammelt, verpennt, das gilt genauso für meine eigene Biografie. So manche Zeitfresser kann ich aufzählen, die nutzlos das Zeitkontingent meines eigenen Lebens haben verstreichen lassen.

Nachdem ich die 50er-Altersmarke überschritten habe, neige ich stärker zu Rückblicken. Und bei diesen Rückblicken stoße ich auf Ineffizienzen bei Umgang mit der Zeit, die Identifizierung von unnützen Zeitfressern. Aristoteles definiert die Zeit als einzelne Augenblicke und als Zeit als solcher. Die Augenblicke stehen für sich, erst die Zeit verbindet sie zu einer Linie, die uns, wann immer wir an sie denken, an ihr Ende erinnert …. Ich versuche, die Augenblicke in ihrer Einzigartigkeit wahrzunehmen, und noch viel lieber schaue ich nach vorne, ich schmiede Pläne, was ich alles mit der noch zur Verfügung stehenden Zeit anfangen kann.

Verplempert, vergammelt, verpennt, wie ich in meinen jüngeren Jahren mit der Zeit umgegangen bin, das beschreibt einigermaßen treffend Pink Floyd in ihrem Stück „Time“, welches sich auf der LP „Dark Side of the Moon“ (1973) wiederfindet:

Tickend zerrinnt die Zeit eines langweiligen Alltags 
Du verplemperst und verschwendest gedankenlos die Stunden 
Lungerst herum in deinem Revier der Großstadt 
Und wartest auf irgendeinen, der dir weiter hilft
Müde vom Liegen in der Sonne 
bleibst du im Haus, um auf den Regen zu starren
Du bist jung, das Leben lang, 
und es gilt, Zeit totzuschlagen 
Und dann, eines Tages stellst du fest, 
zehn Jahre sind vorbei 
Niemand gab dir das Signal, loszurennen
du hast den Start verpasst. 

In jungen Jahren war sehr viel Orientierungslosigkeit dabei. Die Suche nach einer Ideologie. Die Suche nach einem geistigen Fundament, auf das ich meinen Lebensentwurf aufsetzen konnte. Zu vieles war polarisiert in Kommunismus und Kapitalismus. Die Lehren der Kirche waren mir zu fernab der Realitäten. Es dauerte, bis ich Bindungen und Beziehungen aufgebaut hatte. Oberflächlich an den Themen kratzend, war ich mir bis dahin vorgekommen wie in Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“: zu belanglosen Gesellschafen gehörend, belanglose Menschen kennenlernen, die über belanglose Themen redeten. Das Geplauder in dieser Gesellschaft war leer, und die Zeit ließ sich nicht modellieren, um daraus einen Inhalt formen.

Auch danach hatte ich mich zu oft verzettelt, weil mein Ziel nicht genau genug umrissen war. Es kommt derjenige schneller am Ziel an, der genau weiss, was er will. Zu oft und zu intensiv habe ich mir die Dinge links und rechts des Weges angesehen. Manchmal ist mir auch eine grundlegende Vision abhandengekommen.

Verplempert, vergammelt, verpennt, meine handwerklichen Fähigkeiten können auch einen Beitrag dazu leisten. Handwerklich nicht mit allzu vielen Talenten gesegnet, habe ich mit familiärer Unterstützung insgesamt acht Jahre einen Altbau renoviert mit dem Ergebnis, dass dieser für unsere familiären Bedürfnisse nicht erweiterbar war. Diesen Altbau haben wir schließlich 2008 verkauft und sind in ein ausreichend großes Haus umgezogen. Diese acht Jahre Renovierung (minus Zeiten, in denen es auch mal Pause beim Renovieren gab) waren sozusagen umsonst.

Erst vor einigen Jahren habe ich begonnen, die Dinge zu tun, die ich wirklich gerne tun möchte. Was über Jahrzehnte hinweg als Traum herum gegeistert ist, auch zu machen. Sozusagen ein Stück Selbstverwirklichung. Wie Ernst Bloch es in seinem Werk „Das Prinzip Hoffnung“ formuliert: Träume bewusst machen, leben in er-leben umwandeln, den Augenblick be-greifen und er-greifen. Bereits in den 80er Jahren hatte ich mehr oder weniger umfangreiche Literatur gelesen, Zeitungsberichte und Reportagen, Geschichtliches und Philosophisches, Romane und Erzählungen, Biografien und Sachbücher. Doch irgendwie meine Lehren und Schlüsse daraus gezogen, das hatte ich kaum.

Ich habe lernen müssen, mit Restriktionen umzugehen. Bereits Kant hatte in seinen Schriften zur Metaphysik festgestellt, dass die Zeit an für sich eine Restriktion ist. Der Mensch kann nicht mehrfach gleichzeitig handeln. Es muss also ausgewählt werden, welches Zeitkontingent wie verwendet wird. Geld ist die nächste Restriktion, dann folgt das Beziehungsgeflecht rund um Familie und Freundeskreis. Dies ist schätzungsweise die schwierigste Ebene der Restriktionen: Alter, Krankheit, Umgang mit Konfliktsituationen, Probleme bei der Erziehung, … Letztlich sind wir alle Teil einer Gemeinschaft, und übermäßig ausgeprägte Egoismen hinsichtlich der Zeitverwendung sind da fehl am Platze.

Verplempert, vergammelt, verpennt. Niemand wünscht sich, so aus der Umlaufbahn geworfen zu werden wie Perdita. Im Kampf gegen den Krebs wünsche ich ihr ganz viel Kraft und ganz viel Durchhaltevermögen !

„Carpe diem“: ich versuche, meine Zeit bewusst zu erleben, zu genießen und möglichst auch zu gestalten.

Um dem zu entkommen, was Pink Floyd schon fast grausam beschreibt:

Also rennst du und rennst, um
die Sonne zu fangen, die sinkt, 
Und du rennst im Kreis, nur um hinter dir selbst wieder aufzutauchen
Die Sonne ist noch ziemlich die selbe, doch du bist älter, 
mit kürzerem Atem und einem Tag näher dem Tod. 




7 Kommentare:

  1. Unsere Uhr tickt und man sollte sich wirklich immer,immer vor Augen halten was man verplempert,vergammelt und verpennt....
    LG
    Nicole

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  2. das Rad der Zeit, das Rad der Geschichte, mit dem Bild des Rades verknüpft man genau dieses immer Wiederkehrende. Eine sehr interessante Sache, die Du da aufgegriffen hast!!! Im Buddhismus wird es als Samsara bezeichnet, dem man durch die Erleuchtung entkommt, ein weiter Weg.
    Ja und, "verplempern" ist nicht "Nichtstun" :-). Das muss wohl auch erst wieder gelernt werden.

    Danke für dieses Thema, das wirklich wert ist, immer wieder darüber nachzudenken (... und dann zu handeln)

    Gruß aus Schweden
    Beate

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  3. und wieder habe ich meinen Kopfhörer auf während ich deinen Text lese. Da sehe ich alles wie in einem Film. Danke für deine Gedanken.
    lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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  4. Ein interessantes Thema hast Du aufgegriffen, da sollte vielleich jeder ein wenig drüber nachdenken.
    Buddha sagt dazu:
    Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben,
    sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.

    Ich wünsche Dir ein erholsames Wochenende
    Liebe Grüße
    Angelika

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  5. Lieber Dieter, ich war bei deinem "Alten Zoll"-Post, interessante Bilder & Schilderungen, aber jetzt bin ich doch hier gelandet, um zu kommentieren; ich denke, es liegt an der (von mir geliebten) Pink Floyd-Nummer... und überhaupt daran, dass mich dieses Thema mehr anspricht. Vielleicht weil ich die 50 auch überschritten habe, aber vermutlich einfach, weil ich mir ebenfalls schon so meine Gedanken über "verpennte Zeit" gemacht habe. (Übrigens auch mit unter 30 schon ;o)) Allerdings bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich diese Gammelzeiten zwischendurch einfach BRAUCHE. Ich bin nicht die Zielstrebige und Schnelle (und ich frage mich, ob die Zielstrebigen wirklich glücklicher sind als ich. Diejenigen, die ich KENNE, sind es NICHT). Es geht im Leben nicht darum, in irgendeine u.U. erstrebenswerte Richtung zu hecheln, sondern darum, möglichst seinen ureigensten Rhythmus zu finden. Und der kann ganz anders sein als der von anderen Menschen. (Eins meiner Lieblingsbücher in diesem Zusammenhang: "Die Entdeckung der Landsamkeit" von Sten Nadolny.) Wer weiß, was in deiner "verpennten" Zeit in dir entstanden ist? Und das renovierte Haus - betrachte es nicht als Vergeudung. WIr haben auch jahrelang unsere Stadt-Wohnung renoviert, um dann, sobbald sie fertig war, aufs Land zu ziehen. Hier wussten wir dann schon um vieles besser, was wir wollen. Auch Beziehungen, die nicht hielten, die Versuche, die nicht klappten, man KANN sie als Energie- und Zeitverschwendung betrachten, MUSS es aber nicht. Wir haben nix verplempert, sondern geübt und Erfahrungen gesammelt. Nachträglich lässt sich so allem einen Sinn verleihen - und wenn ich mir mein Leben so anschaue, ist das keineswegs ein Selbstbetrug.
    Ganz liebe Grüße - und hab ein schönes Wochenende!
    Herzlichst, Traude

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  6. Landsamkeit = natürlich Langsamkeit
    sobbald -b
    (und falls du noch was findest - einfach ignorieren, bitte :o))

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  7. Dieter, das ist ein Thema, über das bestimmt schon viele nachgedacht haben.
    Was nützt es, sich über die Vergangenheit Gedanken zu machen, ob es richtig war oder nicht, die damalige Zeit mit diesem oder jenen zu füllen bzw. zu verplempern.
    Wenn wir sie aus heutiger Sicht damals verplempert haben, dann hatte das für unsere Entwicklung mit Sicherheit einen Sinn. Damals waren uns andere Dinge wichtiger als heute. Es ist der Lauf der Zeit.

    Liebe Grüße
    Christa

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