Montag, 2. Januar 2012

Nachlese 2011; gelesene Bücher - Teil 1

Das Buch „Wellenschlag“ von Georges Simenon war eines meiner Weihnachtsgeschenke, denn ich habe mit viel Begeisterung mittlerweile 10 Simenons verschlungen. Dabei interessieren mich mehr die Non-Maigret-Romane, für die Simenon etwas weniger bekannt ist.

In einer einfachen, unkomplizierten Sprache beschreibt Simenon mit reichlich psychologischem Tiefsinn die Alltagswelt der kleinen Leute. So auch hier: „Wellenschlag“  ist mit seinen 163 Seiten als Bettlektüre an einigen Abenden flüssig zu lesen – oder wie bei mir während der Busfahrt.

Die Geschichte ist eine unglaubliche Tragödie. Jean ist Waisenkind und lebt bei seinen beiden Tanten auf dem Gut Wellenschlag in Marsilly in der Nähe von La Rochelle an der französischen Atlantikküste. Jean hat Marthe, seine Freundin, geschwängert. Eigenmächtig veranlassen seine beiden Tanten, dass Marthe abtreibt, ohne dass Jean bzw. ihr Vater davon etwas wissen. Nach der Abtreibung kommt es zu Komplikationen, und eigentlich könnte nur eine Totaloperation helfen, die 10.000 Francs kostet und für die das Geld fehlt. Marthes Blutungen werden immer schlimmer, so dass sie schließlich stirbt. Zuvor hatte Jean Marthe geheiratet.

Der Roman spielt 1938 in einer Steinzeit der Telekommunikation, ohne größeres Telefonnetz, ohne Mobilkfunkkommunikation, ohne Internet oder e-Mail-Verkehr.

Was Marthes Tod betrifft, hätten auch aus heutiger Sicht Krankenkassen in einem solchen Fall die Kosten für eine Totaloperation nicht übernommen.

In dieser Steinzeit der Telekommunikation werden Informationen weitestgehend im Café de la Poste in Marsilly ausgetauscht. Dort finden sich Charaktertypen mit allen Haken und Ösen: Jeans Schwiegervater Sarlat, der Schulden hat; Justin, der wegen diverser Liebschaften als Bürgermeister nicht wiedergewählt worden ist; der Elsässer Kraut, der sich als Gelegenheitsarbeiter durchschlägt und außer Essen und Trinken keinerlei anderen Aktivitäten nachgeht; Jourin, der nach Belieben fremdgeht und dennoch verheiratet ist. Dazu kommen Metzger, Maurer, Hufschmied, Lehrer, also alles, was sich so im Dorf herumtreibt. Dementsprechend stark wird das Café frequentiert, wobei jede Menge gesoffen wird, Karten gespielt wird und endlos über Politik herum palavert wird.

Das ist eine Welt, in die Jean nicht hineinfindet, weil er mit solchen derben Charaktertypen nicht umgehen kann. Anstatt dessen ist er in seinem Alltag gefangen, der auf Gut Wellenschlag stattfindet. Jeden Tag erntet er von morgens früh bis abends spät Austern, indem er bei einem niedrigen Gezeitenstand während der Ebbe die Austern mit Netzen aus dem Meer fischt. Umspült von Wassermassen, werden Karren durch Matsch und Schlick gezogen, was eine fürchterliche Knochenarbeit ist.

Seine beiden Tanten haben ein Netz um ihn gesponnen, dem er letztlich nicht entweichen kann. Ihr Immobilienbesitz ist groß, denn außer dem Gut Wellenschlag, welche 30 ha groß ist, besitzen sie noch zwei Mietshäuser. Sämtliche Gebäudeinfrastruktur und den Fuhrpark stellen sie zur Verfügung. Marthe lebt bei den beiden Tanten, die täglich die beiden bekochen und sich um Marthes schlechter werdende Gesundheit kümmern.

Sein Schwiegervater Sarlat öffnet ihm im Café de la Poste die Augen, indem er die beiden Tanten als „Drachen“ bezeichnet. Doch Jean kann damit nicht umgehen, er will Sarlat verprügeln und wird prompt aus dem Café geschmissen. Anstatt dessen arrangiert er sich mit seinen Tanten und lässt sie weiter gewähren.

Als seine Frau stirbt, trauert Jean nur für eine kurze Zeit. Er lebt bei seinen Tanten in seiner engstirnigen Welt weiter und fühlt sich fortan nicht als Witwer, sondern wird als Junggeselle alt.

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