Mittwoch, 5. August 2015

Rheinisches Freilichtmuseum Kommern

Kappenwindmühle
Als unser Sohn noch im Kindergartenalter war, konnten wir ihn nicht stoppen. Treppenstufe für Treppenstufe stapfte er hinauf. Zuerst in die Windmühle hinein, dann über eine Leiter in die Stockwerke der Windmühle hinauf. Er hatte seinen Spaß, immer neue Höhenregionen zu erklimmen. Ganz oben angekommen, auf Bretterdielen in schwindliger Höhe sich fest krallend, das Gelände des Freilichtmuseums wie aus einem Segelflugzeug überfliegend, registrierte er erst an diesem Punkt, was er geschafft hatte. Er taumelte, sein Gesicht färbte sich kreidebleich vor Höhenangst, bloß nicht wieder zurück über all die knirschenden Treppenstufen. Es kostete Mühe und Überredungskunst, ihn von ganz oben auf den sicheren Erdboden zurück zu bewegen. Rückwärts, Schritt für Schritt, in Zentimetern getaktet, gelang es uns schließlich.

Als unsere großen Kinder noch klein waren, hatten wir in einer gewissen Regelmäßigkeit das Freilichtmuseum in Kommern besucht. Nun – nach einem Abstand von rund zehn Jahren – sind wir wieder über die Landstraße gerumpelt, haben uns durch das sperrige Gebilde von Euskirchen hindurch gewurstelt, auf den letzten zwanzig Kilometer hat uns die gut ausgebaute Bundesstraße wie im Schlaf nach Kommern geführt.

Sanft eingebettet in die beginnenden Höhenzüge der Eifel, durften wir unser Alltagsleben, geprägt von  Fernseher, Smartphone, WLAN, SMS, What’s App, Internet und anderen Segnungen unseres Wohlstands, hinter uns lassen. Getrost holten uns die Vorzeiten der Gebäudetechnik ein, ohne Strom, zentrale Wasserversorgung und ohne Zentralheizung. Eifel und Westerwald, Niederrhein und Bergisches Land, Bauernhöfe und Fachwerkhäuser, traditionelles Handwerk und die Harmonie von Mensch und Landwirtschaft, ein Sägewerk und zwei Windmühlen – diese bunte Mischung aus wieder aufgebauten Gebäuden durften wir in dem Freilichtmuseum bestaunen, das 1958 gegründet wurde und nach landschaftstypischen Besiedlungsformen des Rheinlandes aufgebaut war. Wir durften Einblick nehmen in Wohnverhältnisse, in denen Haus, Werkstatt und Tierhaltung unter einem Dach untergebracht waren. Schafe, Kühe und Ochsen dominierten, das belegt beispielhaft eine Zählung aus dem Jahr 1816  in Scheuerheck am nördlichen Rand der Eifel. 46 Ochsen, 116 Kühe und 840 Schafe kamen auf 85 Bauernhöfe.

Wie karg die Lebensbedingungen waren, das zeigen fast alle Häuser, unter anderem eines aus Bilkheim im Westerwald. An einer Feuerstelle, einem Kastenofen, sammelte sich bei kalten Außentemperaturen die Familie. Einen Fußboden im heutigen Sinne gab es nicht, anstatt dessen bewegte man sich auf gestapftem Lehmboden. Die Ernährung war bescheiden, karg und eintönig. Brot wurde in dem hauseigenen Backofen gebacken.  Fleisch wurde nur zu festlichen Anlässen verspeist. Nachdem die Kartoffel im 18. Jahrhundert ganz Europa erobert hatte, dominierten Kartoffeln in sämtlichen Zubereitungsformen den Speiseplan. Bohnen, Erbsen und Kohl kamen aus den Gemüsegärten hinzu.






Impressionen aus Kommern
Das Freilichtmuseum Kommern haben wir stets als Familienerlebnis wahrgenommen. Das war auch diesmal so. Kinder durchdringen diese Welt traditioneller Lebensformen, alter Handwerkskunst, wiederaufgebauten Gebäude sowie das Nebeneinander von Mensch und Tieren mit einem hohen Maß an Neugierde. Es scheint so, als läge dieses Leben ohne all unsere liebgewonnenen Alltagsbequemlichkeiten, in dem unsere Großeltern noch aufgewachsen sind, in irgendwelchen dunklen Kammern. Mit beiden Beinen auf dem Boden unserer Vergangenheit stehend, lohnt sich die Entdeckungsreise in diese Vorzeiten stets.

Unser kleines Mädchen, das mittlerweile in die Erwachsenen-Schuhgröße hinein gewachsen ist, hatte diesmal eine Klassenkameradin mitgenommen. Innerhalb des weitläufigen Geländes überwogen Familien mit Kindern, in Bollerwagen bequemten sich die Kleinen. Nebenher konnten wir uns darüber freuen, dass Kinder keinen Eintritt zu bezahlen durften.

Das Freilichtmuseum legt Wert darauf, dass es sich nicht um Abbruch handelt, sondern um Abbau. Der Aufwand zur Erhaltung der alten Bausubstanz ist immens. In allen Regionen des Rheinlandes hat bis ins letzte Jahrhundert der Fachwerkbau dominiert. Dazu wird das tragende Gerüst der Fachwerkbalken freigelegt. Lehm, Stroh, Zielgelsteine aus den Zwischenräumen werden herausgenommen, aufgestapelt, gereinigt und konserviert. Dann werden in dem Fachwerk die Verbindungen gelöst, die die Zimmerleute verhauen haben. Dazwischen liegen dendrochronologische Untersuchungen, um anhand des Holzes das Alter des Gebäudes zu bestimmen.

Bockwindmühle
Fotos und Aufmaßzeichnungen steuern den Wiederaufbau, der um einiges aufwändiger ist als der Abbau. Fast immer müssen große Teile des Fachwerks restauriert, ergänzt oder wegen Verfalls oder starker Beschädigung rekonstruiert werden. Bei manchen Gewerken verbietet sich wegen der traditionellen Bauweise der Einsatz von Maschinen und Geräten. So muss bei der Zimmerarbeiten die Methode des Abbindens gewahrt bleiben: Wand für Wand und Gebinde für Gebinde müssen liegend verzimmert und aufeinander angepasst werden, dasselbe gilt für das Untermauern und Ausfachen der Zwischenräume. Die Dachdeckung geschieht in den Niederrheinischen Baugruppen über Reet-Dächer aus Schilfrohren. Reichlich Mühe haben sich die Verantwortlichen auch gegeben, die Inschriften über den Hauseingängen zu erhalten. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort, dieses Haus hat Theis Kloft erbaut, dieses Haus steht in Gottes Hand, behüte es vor Feuer und Brand, Amen, Anno 1687“, diese Art von Symbolik beeindruckt, die sich an die ersten Verse des Johannes-Evangeliums anlehnt.

Nach rund drei Stunden waren wir hundemüde gelaufen. Der Aufgang zur Kappenwindmühle bei Diepholz, auf der unser Sohn die Höhenangst überfallen hatte,  war gesperrt. Anstatt dessen konnten wir das Innenleben der Bockwindmühle bei Jülich bestaunen, wie sich die Kraft der Windmühlenflügel auf das Mahlwerk der Mühlsteine überträgt.

Auf dem Spielplatz vor dem Ausgang ließen wir diesen schönen Tag ausklingen. Dabei aßen wir Brot aus der Museumsbäckerei. Unsere beiden Mädchen rutschten, schaukelten, drehten nach ihrer Müdigkeit wieder richtig auf, während wir aus Tupperdosen in unseren überquellenden Rucksäcken aßen.

5 Kommentare:

  1. Ein wundervolles Museum, dass ich seit den Anfangszeiten kenne und immer wieder gerne besucht habe. Wird mal wieder Zeit...
    Danke für die Erinnerung!
    GLG
    Astrid

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  2. Ach ja, allgemeine Nostalgie und auch persönliche - bei mir ist es wesentlich länger als 10 Jahre her - damals habe ich so einige Landschaftsmuseen besucht, Cloppenburg etc. -ich müßte mich aufraffen, allein macht das weniger Spaß. Ich danke Dir für den schön verfaßten Artikel mit herzanrührenden Bildern, WW-Wolfgang

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  3. Lieber Dieter, gerne habe ich mich von Euch (gedanklich) mitnehmen lassen. ;)
    Das freilichtmuseum besuchte ich früher SEHR gerne, alleine schon wegen der handwerkskunst der zimmerleute. Für mich war "das dorf" sehr lebendig, so naturgtreu "gestaltet", daß ich jederzeit das gefühl hatte, die wirklichen bewohner betreten gleich den raum, garten, etc.
    Allein die bauerngärten, eine pracht! Ich erinnere mich sehr gerne an die besuche dort ....

    Liebe Sommer-grüße über den großen teich,
    Bine

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  4. ich habe deinen Text über eure Besuche im Freilichtmuseum sehr gerne gelesen.
    Die Fotos sind auch sehr schön.

    Herzliche Grüße von Heidi-Trollspecht

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