Mittwoch, 6. November 2013

Straße der Reliquien

Viktorschrein Xanten
Sie kamen aus dem fernen Afrika und marschierten über die Alpen an den Rhein. Das römische Reich war multi-kulturell, vermischte die Völker des damaligen Weltreiches und schuf nicht nur in der Armee, sondern auch in den Städten ein einheitliches Ganzes. Dem Rhein drohte Gefahr, die römische Provinz Niedergermanien hatte um Hilfe gerufen. Diesmal probten keltische Barbaren, die Bagauden, den Aufstand.

Soldaten aus dem Mittelmeerraum formierten sich, darunter 6.000 Legionäre aus dem fernen Theben in Ägypten. Bunt zusammengewürfelt, zusammengeschweißt durch ihre Disziplin, erreichte die Viel-Völker-Armee den Rhein und sollte für klare Verhältnisse sorgen. Es kam aber zum Eklat: der Heerführer Mauritius übte eine kollektive Befehlsverweigerung; seine Soldaten widersetzten sich, als getaufte Christen aufständische Christen töten sollten. Ende des 3. Jahrhundert kam es zu Massakern an Christen. Die Legionäre marschierten von Römerlager zu Römerlager und schafften es nebenher  irgendwie, die keltischen Bagauden zu beseitigen.

Die Massaker an Christen schrieben Weltgeschichte. Im Mittelalter, als sich die Kirche als Struktur und Ort des Gottesdienstes herausgebildet hatte, brauchte sie Heilige. Das waren die Märtyrer, die Jahrhunderte zuvor entlang der Römerstraße getötet worden waren. Diese dienten als Aushängeschild, hatten Vorbildfunktion, zogen die gläubigen Christen an. Dabei entwickelte sich zeitgleich mit Heiligsprechungen eine Reliquienkult, der nicht viel älter war als das Christentum selbst. Bereits im Jahr 156 wurde der Bischof Polykarp aus Smyrna in  Kleinasien in Rom verbrannt, weil er sich weigerte, das Christentum zu verleugnen. Bezogen auf Polykarp, wird erstmals wird im Brief an die Epheser der Reliquienkult erwähnt: „So sammelten sie seine Gebeine auf, die wertvoller waren als kostbare Steine und besser als Gold … die Knochen waren Sitz des Lebens und Voraussetzung für die Wiedergeburt …“

Ungefähr ab dem Jahr 800, erreichte der Reliquienkult auch das Rheinland. Dabei ist die Straße der Reliquien keine touristische Straße, wie man ansonsten die romantische Straße in Franken oder die Deutsche Weinstraße in der Pfalz kennt. Die Straße der Reliquien beschreibt vielmehr die Marschrichtung der Legionäre von Römerlager zu Römerlage, insbesondere von den Castellen Bonna (Bonn) und CCAA (Köln) nach Colonia Ulpia Traiana (Xanten).

Das Christentum steckte noch in seinen Anfängen. Nachdem die Römer die Christen gnadenlos verfolgt hatten, duldete Kaiser Konstantin in seinem Edikt von 313 das Christentum. Die Thebäer aus Ägypten hatten sich taufen lassen, während die römische Armee ein Gemisch aus Heiden und Christen darstellte. Die Einstellung der Christen, Konflikte friedlich zu lösen, unterlief die Eroberungsstrategie der Römer, die in Gewaltausbrüchen an Christen mündete.

Christliche Märtyrer wurden zu Heiligen. Deren Gräber wurden geöffnet, Leichname wurden geborgen. „Sie fanden alles glückliche und beste, das in der Erde beigesetzt war … mit Leichtigkeit hoben sie ihn aus der Erde, am ganzen Körper unversehrt, mit allen Gliedern versehen, so dass nicht ein Haar an seinem Haupte fehlte …“ so beschreibt der Bischof von Eichstätt im Jahr 777 die Graböffnung des Wynnebald von Heidenheim.

Im Rheinland ranken sich Mythen und Legenden um die thebäische Legion. Die Gräber von Märtyrern aus Nordafrika wurden geöffnet. Sie waren in der Nähe von frühchristlichen Kapellen begraben, die Vorläufer waren für bedeutende spätere Kirchenbauwerke. In Bonn waren es Cassius und Florentius, die unter der heutigen Münsterkirche begraben waren. Über dem Grab des Kölner Märtyrers Gereon wurde die spätere romanische Kirche St. Gereon gebaut. Der Xantener Dom entstand über dem Grab des Heiligen Viktor. Die Gräber wurden in Xanten im 9. Jahrhundert, in Köln und Bonn im 12. Jahrhundert geöffnet. Die sterblichen Überreste wurden später in Reliquienschreinen aus Gold aufbewahrt.

Im Rheinland boomte ein regelrechter Reliquien-Tourismus. Es waren nicht nur verweste Leichen von Heiligen, die als Körper von Kopf bis Fuß in den Reliquienschrein wanderten, sondern auch Teile. So wird von der Heiligen Elisabeth von Thüringen berichtet, dass ihr der Schädel abgetrennt wurde; dieser wurde mit einem eigenen Kopf-Reliquiar verziert, während ihr übriges Skelett in einem Reliquienschrein aufbewahrt wurde. Wie in der heutigen Gerichtsmedizin, wurden Leichen seziert. Zähne wurden herausgebrochen, Knochen oder Finger abgetrennt. Wie Schmuck wurden Reliquien am Körper getragen, in Reliquienkästchen, Kapseln zum Umhängen oder in Schnallenreliquiaren. 

Den Kölner Erzbischof Bruno (gestorben 965) hatte die Sammellleidenschaft gepackt. Er sammelte Reliquien und fromme Gegenstände aller Art, stellte sie in seinen Kirchen aus. Von überall her pilgerten die Menschen zum Wallfahrtsort Köln. Die Tradition der Reliquienverehrung hat sogar bis heute nicht nachgelassen. So wird der Viktorsschrein in Xanten alle 25 Jahre geöffnet, der Zustand der Reliquien wird geprüft und in einer Urkunde dokumentiert. In der sogenannten Viktorstracht wird der Reliquienschrein feierlich durch die Stadt getragen.

Die bedeutenden Reliquienschreine im Rheinland fußen auf der thebäischen Legion. Und die Afrikaner aus Ägypten haben nicht nur mit ihren Reliquien ihre Spuren hinterlassen. Mohrenstraße heißt eine Straße in der Kölner Innenstadt. Neben dem Heiligen Gereon wurde Gregorius Maurus als thebäischer Legionär ermordet. Das Wort „Mauren“ für Nordafrikaner hat daher seinen Ursprung. Gregorius Maurus steht mit seiner Figur in St. Gereon. Pechschwarz ist seine Hautfarbe.

Es ist eine der ältesten Zeugnisse deutsch-afrikanischer Geschichte.

4 Kommentare:

  1. Lieber Dieter,
    danke für die Auffrischung der Geschichte.
    Vieles war mir noch präsent - aber einige
    Dinge eben doch nicht mehr.
    Einen schönen Abend wünscht dir
    Irmi

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  2. Oh Dieter, das ist ja ein toller Bericht in die Geschichte, Toll gemacht. Danke

    Liebe Grüße
    Angelika

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  3. danke für die Info Dieter. Für mich ist das alles neu. Vielleicht habe ich in der Schule nicht aufgepasst ... oder es hat mich damals nicht interessiert.
    Egal ... jetzt fand ich deinen Text auf jeden Fall interessant :-)

    lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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  4. Hallo Dieter, ich mag diese alten Geschichten sehr und höre auch sehr gerne zu, wenn jemand so gut Bescheid weiß.
    Heute schüttelt man natürlich den Kopf über so viel Unsinn den die Kirche veranstaltet hat ...und noch veranstaltet..... z.B. mit den Heiligsprechungen...und das im 21. Jahrhundert.
    Dann kam Luther, aber das hat noch gedauert....erst wurde noch Amerika entdeckt.....ab da gings langsam bergauf für das einfache Volk.
    Ich finde deine Zeilen äußerst spannend...Dankeschön!
    Herzlichst MinaLina

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