Pieter Brueghel (1563), Kunsthistorisches Museum Wien |
„Alle Menschen hatten die
gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte“, so heißt es im elften
Kapitel des Buches Genesis im Alten Testament. Schon Mitte der 80er Jahre herrschte
Einigkeit im Rat der Stadt Köln, dem Verkehrsinfahrt mit der neuen
Nord-Süd-U-Bahn die Front zu bieten. Alle wollten die neue U-Bahn-Linie, die
über sieben Kilometer Länge vom Dom bis zum Verteilerkreis im Süden führen sollte.
1992 beschloss der Rat der Stadt Köln den Neubau, 1998 Aufnahme in den
ÖNPV-Bedarfsplan, 2002 Abschluss des Planfeststellungsverfahrens. Der Bau der
neuen U-Bahn-Linie konnte beginnen.
„Auf, wir formen Lehmziegel
und wir brennen sie zu Backsteinen“ mit diesen Worten begann die Menschen den
Turmbau zu Babel. Der erste Spatenstich der Kölner Nord-Süd-U-Bahn war ein
Glanzlicht. Man wählte den 4. Dezember 2002, den Namenstag der Heiligen
Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute. Feierlich standen der damalige
Oberbürgermeister Kurt Schramma und der Vorstand der Kölner Verkehrsbetriebe
bereit. Mit Spaten und Tatendrang in der Hand, genossen sie das Blitzlichtgewitter
in den Scharen von Pressefotografen.
Die Menschen in Babel wurden
übermütig und wollten hoch hinaus. „Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen
Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit einen Namen … „.
Politiker beziehungsweise Bürgermeister lieben Denkmäler. Sie werden nicht
unsterblich durch einen neu gebauten Kindergarten oder das sanierte Dach einer
Schule, sondern durch Großprojekte. Köln ist vollgestopft mit Großprojekten. Messe
City, Rheinauhaufen, Media Park – eine neue U-Bahn-Linie fügt sich doch nahtlos
in dieses Stadtkonzept hinein !?!? Die neuen U-Bahn-Stationen würden sich tief
ins Gedächtnis eingraben.
St. Johann Baptist; Quelle: Wikipedia |
Verwirrung, Chaos, Skandale.
„Da stieg der Herr hinab, um sich Stadt und Turm anzusehen, den die
Menschenkinder bauten“ so begutachtete Gott den Turmbau zu Babel. In Köln
buddelten sich Tunnelbohrmaschinen mit einem Durchmesser von 7,3 Meter im
Erdreich vorwärts, mitten durch die dicht bebaute Innenstadt. Nachdem das
Erdreich weggefressen wurde, erhielt der schiefe Turm von Pisa eine Kopie in
Köln. Ende September 2004 neigte sich der Turm der Kirche St. Johann Baptist in
der Südstadt zur Seite und ging als „Schiefer Turm von Kölle“ in die
Stadtgeschichte ein. Mittlerweile wurde er wieder aufgerichtet. Was der Herr
danach von Stadt und Turm sehen konnte, was genauso besorgniserregend. Im
November 2004 wurden Rundbögen und Gewölbedecke in der romanischen Kirche St.
Maria im Kapitol beschädigt. Risse traten 2007 im Rathausturm des Historischen
Rathauses auf.
Technische Visionen
realisieren ? Rational durchdacht, kennen technische Visionen keine Grenzen.
Zwischen Frankreich und England haben die Menschen einen 50 Kilometer langen
Tunnel unter dem Meer gegraben. In Dubai steht mit 828 Metern Höhe das höchste
Hochhaus der Welt. Flugzeuge fliegen mit bis zu 1.000 km/h durch die Luft. „…
das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar
sein, was sie sich auch vornehmen“ so beurteilt Gott die Visionen der Menschen
beim Turmbau zu Babel. Anders als beim Eurotunnel, haben sich die
Verantwortlichen beim Kölner U-Bahn-Bau gründlich verschätzt. Größenordnung und
Risiken der Tunnelröhre lagen hier anders. Der traurige Tiefpunkt wurde am 3.
März 2009 mit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs erreicht. Ein
Prestigeprojekt und Tote ? Wann hatte es so etwas gegeben ? Zudem gingen Jahrhunderte und Jahrtausende alte Dokumente in der Trümmerwüste verloren. Rund 300 angrenzende
Wohnhäuser waren danach einsturzgefährdet und mussten zum Teil abgerissen
werden.
Als hätten die
Verantwortlichen nicht aus Fehlern gelernt, setzten sich danach Verwirrung,
Chaos und Skandale fort. Großprojekte sind hoch komplex. Eine Unmasse von
Beteiligten mischen mit. Beim Turmbau zu Babel entstand die babylonische
Sprachverwirrung: „Auf, steigen wir hinab, und verwirren wir dort ihre Sprache,
so dass keiner mehr die Sprache des anderen versteht.“ Die Verwirrungstaktik
ging bereits auf, um die Finanzierung des Großprojektes sicher zu stellen. Um
die Kostenobergrenze einzuhalten, hatten die Planer ganz einfach einige
Positionen weggelassen. Großprojekte sind so komplex, dass nur die Bauexperten
mit ihrem Fachwissen die Planung durchdringen können. Die Bürokraten in den
Verkehrsministerien bemerkten diese Vergeßlichkeiten nicht, weil sie die
Sprache der Bauexperten nicht verstanden. Also stellten die Bürokraten die
Gelder bereit – und mit dem Bau konnte begonnen werden. Ungleich schlimmer
erging es dem Oberbürgermeister Kurt Schramma, der als Bauherr in Baugremien
saß, dort kein Wort verstand und wegweisende Entscheidungen fällen sollte – und
nach dem Einsturz des Stadtarchivs zurück trat. Andere Bürokraten –
kostenbewusste Einkäufer – richteten Chaos auf der Baustelle an, indem sie nicht
mit den Auftraggebern redeten. Sie nahmen stets die billigsten Anbieter, die
ungefähr soviel Ahnung vom Bauen hatten wie die Kandidaten aus „Bauer sucht
Frau“ von den Scholastikern des 12. Jahrhunderts. Und dann schwirrten noch die Schlipsträger
der Bauaufsicht auf der Baustelle herum, die glaubten, jede Menge zu sagen zu
haben. Anstelle im richtigen Moment etwas zu sagen, schauten sie weg: im Januar
2010 war Bewehrungsstahl für die Stahlbetonröhre in großem Umfang von der
Baustelle gestohlen worden, so dass der Tunnel unter der Kölner Altstadt kaum mit Stahl
verstärkt war. Niemand wurde über diesen Fall für den Staatsanwalt informiert. Im
nachhinein konnte nichts mehr nachgebessert werden. Stürzt die Kölner Altstadt
in einigen Jahrzehnten in den U-Bahn-Tunnel hinab, so wie es das Stadtarchiv
2009 gemacht hat ? Wer weiß … Einen Monat später näherte sich neues Unheil,
denn der Rhein führte Hochwasser. Ein paar Gehminuten vom Rhein entfernt,
drohte Grundwasser in den Tunnel einzudringen. Erneut Verwirrung, Chaos und
Skandale, doch der Rhein war gnädig gesonnen und das Hochwasser verschwand so
schnell, wie es gekommen war.
Quelle: Wikipedia |
Das Großprojekt der
Nord-Süd-U-Bahn hat einige Verantwortliche schwitzen lassen und in ein
Krisenmanagement gestürzt. Den Größenwahnsinn stoppen ? Beim Turmbau von Babel
war dies möglich. „Der Herr zerstreute sie über die ganze Erde, und sie hörten
auf, an der Stadt zu bauen.“ Nach dem Einsturz des Stadtarchivs mochte dies so mancher
gedacht haben. Doch es war schon zu viel in das Großprojekt hinein gesteckt
worden. So wie man es beim Dom getan hatte – ihn über mehrere Jahrhunderte als
Bauruine stehen lassen – das wollte niemand. Die Kosten waren längst aus dem
Ruder gelaufen. Hier verfolgen alle Verantwortlichen eine Duckmäuser-Strategie,
indem sich wie beim Turmbau zu Babel ihre Aussagen verflüchtigten und über die
Erde zerstreuten, so dass niemand ein Gesamtbild konstruieren konnte.
Nachdem im Dezember die erste
U-Bahn-Haltestelle am Alten Markt feierlich eröffnet worden ist, ist die
U-Bahn sogar in den Heiligen Sphären des
Doms angekommen. Es rauscht, vibriert, zittert, wenn eine U-Bahn den Dom
unterquert.
Verwirrung, Chaos und
Skandale nehmen kein Ende. „Do laachste dech kapott“, mag der Kölner diese
Angelegenheit mit seinem rheinischen Humor kommentieren. Wenn nicht alles so
bitterernst wäre. Und wenn nicht das zum Fenster heraus geschmissene Geld an
anderen Ecken fehlen würde. Bibliotheken oder Schwimmbäder müssen geschlossen
werden. Vereine können nicht mehr unterstützt werden. Wenn der Winter vorbei
ist, wird die Rumpelei über Schlaglöcher zum Dauerthema. Und so weiter.
Hej Dieter,
AntwortenLöschen1A Bericht, einfach Klasse,
danke
Beate
Ja mein Lieber ich denke die Deutschen sind nicht mehr in der Lage vernüftige Abläufe in Grossobjekte zu bringen, viel weniger sie auch noch vernüftig fertig zu stellen.
AntwortenLöschenBeispiele gibts genug: Köln, Stuttgart, Berlin.
Liebe Abendgrüße
Angelika
Es reicht langsam mit so viel Unvernunft. Über solche Großprojekte sollte man in der Planungsphase etwas gründlicher nachdenken und was mir absolut nicht in den Kopf will, ist, wie man sich derart mit Kosten verschätzen kann.
AntwortenLöschenWerden stets nur Dumpingpreisangebote abgegeben, um mit aller Gewalt ein Projekt durchzuziehen? Gibt es denn überhaupt noch eine Baustelle, die im Rahmen der ursprünglich festgelegten Summe zu Ende wird? Wohl kaum und das sollte doch den Verantwortlichen mehr als zu denken geben.
Hoffe, du hast die närrisch Zeit gut überstanden. :-)
Liebe Grüße
Christa
Klasse Post, und auch mich lässt er wieder den Kopf schütteln. Das mit dem Dom-Witz habe ich nämlich von dem Udo gehört und konnte damit nicht wirklich etwas anfangne, aber nun isses klar. So rumpelt es wirklich im Dom. Da fragt man sich wann dort was passiert und die ersten Schäden kommen.
AntwortenLöschenFragt man sich ob sowas wirklich sein muss. U-Bahn ist ja schön (kenne noch einen kleinen Teil aus meiner Kindheit) aber es ging doch auch so mit der Straßenbahn überirdisch.
Dinge zu bauen und woanders fehlt es an Ecken und Ende kenne ich auch von hier....einfach nur zum Kotzen.
Liebe Grüssle
Het ingestorte stadsarchief, dat was ook hier in het nieuws, Dieter. Van de scheve toren wist ik niets. Treffend, die vergelijking met de toren van Babel.
AntwortenLöschenDanke, dass du mit deinem Beitrag an diese düsterste Kapitel der Stadtgeschichte der letzten Jahre erinnerst. Meine Chefin meinte immer, wenn das passiert wäre, als sie am Rosenmontag dort vorbeigezogen sind...
AntwortenLöschenSchön, dass deine Frau auch Karnevalsverkleidungen selbst herstellt. Da gibt es ein echtes Potential in dieser Stadt, dem ich auch mal ein Forum bieten wollte.
LG
Astrid
Erschreckend und krass! Vor allem, dass er schon so viel früher Anzeichen auf die Unstimmigkeiten gab. Wer billig kauf, kauft doppelt und in dem Fall auch noch tragisch.
AntwortenLöschenUnd der Vergleich mit Babel ist soooo passend!!!