Schon nach einem Monat war
die Begeisterung in Starre übergegangen. Am 3. August 1914 hatte auf der
Wilhelmstraße in Berlin das Volk gejubelt. „Ich kenne keine Parteien mehr, ich
kenne nur noch Deutsche“, in einer flammende Rede hatte der deutsche Kaiser zu der Kriegserklärung Stellung bezogen. Die Menschenmassen waren außer sich, die Stürme
der Begeisterung nahmen kein Ende. Alle wollten in diesen heiligen Krieg, in
dem sich alle Nationen gegen das Deutsche Reich verschworen hatten.
Quer durch Belgien, dessen Neutralität
sie verletzten, marschierten die deutschen Truppen immer tiefer nach
Frankreich, bis die Schlacht an der Marne das schwindelerregende Tempo des
Durchmarschs stoppte. Das war einen Monat später. Danach erstarrte der erste
Weltkrieg in einem Stellungskrieg, in dem Geländegewinne nur in Metern verbucht
werden konnten. Irrsinnige Materialschlachten entstanden, in denen die Feinde
sich gegenseitig mit Mörsern, Granaten, Bomben, chemischen Kampfstoffen und mit der ganzen Tötungsmaschinerie bekämpften.
Neben den Kriegsschauplätzen
im Norden – Ieper, Vimy oder des chemin des dames – war es vor allem Verdun,
das als Symbol des Wahnsinns Eingang in die Geschichte gefunden hat. Der Ring
von Festungssystemen, unterirdisch angelegt, mit Munitionsdepots, Lazaretten
und selbst Bäckereien, setzte sich südlich von Verdun quer durch Lothringen
fort.
Dort tobten die Kämpfe in
derselben Erbarmungslosigkeit wie im Rest von Nordfrankreich. Im Gegensatz zu
Verdun eroberten die deutschen Truppen bereits im September 1914 die Festung
Saint-Mihiel – etwa 30 Kilometer westlich von Metz. Südlich von Saint-Mihiel
erstreckten sich ausgedehnte Wälder, in denen der Stellungskrieg tobte,
ähnliche Materialschlachten wie in Verdun geschlagen wurden und die Feinde sich
gegenseitig neutralisierten.
Dörfer und Städte, die in
diese Frontlinie hinein gerieten, sahen ähnlich zerstört aus wie manche Städte
im Rheinland nach dem zweiten Weltkrieg – wo beispielsweise Düren zu 100%
zerstört wurde. Diese totale Zerstörung ereilte im ersten Weltkrieg auch den
Frontabschnitt in den Wäldern vor Saint-Mihiel. Darunter war auch das Dorf
Regniéville.
Alleine der Stumpf der
barocken Kirche ragte aus der Trümmerwüste heraus. Anderenorts entlang der
Frontlinie wurden Glockentürme militärisch zweckentfremdet: mit ihrer Höhe
ragten sie aus der Hügellandschaft hinter der Mosel heraus, und man nutzte sie
als Beobachtungsposten. Man entfernte die Glocken; Dachziegel nahm man heraus,
um die Lücken als Schießscharten zu verwenden; Maschinengewehre positionierte
man auf der Plattform des Glockenturmes.
Nachdem Regniéville zwischen
die Fronten geraten war, flohen die Bewohner in sichere Teile Lothringens – das
war tiefer nach Westen oder Süden in das Mittelgebirge der Argonnen hinein. In
einem Tagebuch berichtet ein französischer Soldat, wie im März 1915 die Gegend
um Regniéville als militärisches Aufmarschgebiet diente. Zwischen zerstörten
Dörfern und Städten klammerte sich der übrig gebliebene Stumpf des Glockenturms
an seine Existenz und beobachtete das geschäftige Treiben, das an einen
Ameisenhaufen erinnerte. Fahrzeugschlangen mit Waffen, Munition und Kanonen holperten
über unwegsame Straßen. Die aufeinandergestapelte Munitionskisten erreichten
mitunter die Höhe von Häusern, die nun zu Ruinen geworden waren. Aus den Schützengräben
trugen die Sanitäter des Roten Kreuzes das Elend von Verwundeten und Toten in
Sicherheit. Kompanien von Soldaten marschierten in ihre Stellungen, in
umgekehrter Richtung kehrten andere Soldaten zurück.
Den harmonischen Klang der
Glocke hatte der Krieg längst ausgelöscht. Dafür hallte in der Ferne der
metallische Klang des Kanonendonners. Nervös, fast im Flüsterton, entluden sich
Gewehrschüsse in kurzer Abfolge hintereinander. In der Ferne, wuchs der Lärm
eingeschlagener Granaten mit einem dumpfen Knall an.
Als im November 1918 der
zweite Weltkrieg zu Ende ging, war außer den kargen Resten des Glockenturmes
nichts mehr von Regniéville übrig geblieben. Ob bzw. Wie Regniéville wieder
aufgebaut wurde, entschied letztlich das Erzbistum in Toul. Es gab insgesamt
drei Orte in Lothringen, in denen diese Orte mitsamt der Kirche in einem
solchen Umfang zerstört waren, dass sich ein Wiederaufbau der Kirche nicht
lohnte. Im Jahr 1920 entschied der Erzbischof von Toul, dass diese drei Orte
(außer Regniéville waren dies Remenauville, Fey-en-Haye und Flirey) als Mahnmal an den
zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgebaut wurden. Die Kirchen wurden ebenso
nicht wieder aufgebaut, wobei an derselben Stelle neue Kirchen in einem
zeitgemäßen Stil gebaut wurden.
So wurde in Regniéville im
Jahr 1920 eine Kapelle (anstelle einer Kirche) im neoromanischen Stil neu
gebaut – mitsamt einem Glockenturm.
Der Glockenturm von Regniéville
gehört heute zur Gemeinde Thiaucourt. Und in Thiaoucourt wurde eine der größten
deutschen Soldatenfriedhöfe in Frankreich angelegt.
Ganz herzlich möchte ich mich
bei Mam Léa für die ausgezeichnete deutsch-französische Zusammenarbeit
bedanken, denn sie hat es mir erlaubt, ihre Fotos von Regniéville auf meiner
Blog-Seite zu veröffentlichen.
Vielen lieben Dank auch von mir, so haben die Fotos deinen Bericht sehr schön untermalt. Schön wieder ein Stück Zeitgeschichte kennenzulernen.
AntwortenLöschenLiebe Abendgrüsse
Nova
Aus der Dunkelkammer der Geschichte tauchen die Mahnmale auf, von denen, so empfinde ich, die Male bleiben, das Mahnen jedoch nur noch oberflächlich wahrgenommen wird.
AntwortenLöschenGruß
Beate
Danke für deinen Beitrag zur Geschichte unseres & unseres Nachbarlandes, das mir so viel bedeutet. Warum das so ist, kannst du in meinem Post zum Jahrestag des Deutsch-franz. Vertrages hier lesen:
AntwortenLöschenhttp://www.lemondedekitchi.blogspot.de/2013/01/frankreich-und-ich.html#links
Ein schönes Wochenende!
LG
Astrid
Lieber Dieter,
AntwortenLöschenich habe jetzt eine leichte Gänsehaut bekommen, bin eingetaucht in eine andere Zeit... und sehr froh, dort nicht wirklich zu sein. Sehr schön untermalt sind deine Schilderungen durch die Fotos von Mam Léa, diese Kooperation gefällt mir auch gut!
Alles Liebe und herzliche Rostrosengrüße!
Traude
auch von mir wieder lieben Dank für die Informationen.
AntwortenLöschenlieber Wochenendgruß von Heidi-Trollspecht
Hallo Dieter,
AntwortenLöschenwieder mal ein toller Beitrag zum Nachdenken.
Auch eine gelungene deutsch-französische Kooperation.
Eine schönes Wochenende wünscht
Elke
Very nice blog post Dieter. It's very interesting and it makes people think (I hope) ;-)
AntwortenLöschenGreetings from The Netherlands,
DzjieDzjee
Ein sehr informativer Post!
AntwortenLöschenKlasse,dass die Zusammenarbeit so gut geklappt hat.
So macht bloggen gleich noch mehr Spaß.
Ich wünsche dir und deinen Lieben einen entspannten Familiensonntag und bin schon gespannt,
worüber du als nächstes schreibst...
Line
Merci pour cet article très intéressant que j'ai pu lire grâce à la (très mauvaise) traduction google ! Heureusement, mes modestes notions d'Allemand me permettent de remettre les phrases à l'endroit, tant bien que mal.
AntwortenLöschenDans le secteur de Verdun, 6 villages détruits sur les 9 villages "morts pour la France" n'ont pas été reconstruits.
Dans le saillant de Saint Mihiel dont il est question ici, ont été détruits Regniéville, Remenauville, Fey-en-Haye et Flirey. Ces deux derniers ont été reconstruits à côté de leur emplacement initial.
Les ruines de tous ces villages sont très émouvantes.
On peut pleurer sur les villages, mais plus encore sur tant de morts, des deux côtés ! Victimes de la folie des hommes.
J'espère que l'amitié nous réunit à jamais.
MamLéa