Quelle: Wikipedia |
Ich habe mich selber
hereingelegt. Ich ärgere mich, dass ich in der letzten Woche die Überschrift
„Umweltkatastrophe“ benutzt habe. Heute schreibe ich erneut über eine
Katastrophe. Dabei fällt mir auf, dass Katastrophen in den Medien inflationär
vorkommen. Fast kommt es mir vor, als würde nur noch über Katastrophen
berichtet. Kriege, Überschwemmungen, Hurricanes, Taifune, Dürren,
Hungerkatastrophen, Erdrutsche, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Flugzeugabstürze und
so weiter. Informationen sind ein globalisiertes Gut, und an irgendeiner Ecke
unserer Welt geschieht immer eine Katastrophe, über die in den Medien und in
den Nachrichten berichtet werden kann. So stumpft der Mensch ab – Katastrophen
werden zu einem fiktiven Gebilde, das einen kurz berührt, wahrscheinlich auch
sehr intensiv, das dann aber verdrängt werden kann, weil es nicht vor der
eigenen Haustüre, sondern in einer komplett anderen Ecke unserer Welt geschehen
ist.
Die Niederländer haben ein
eigenes Verhältnis zu Katastrophen. Für unser westliches Nachbarland gibt es
nur eine einzige Katastrophe, die sämtliche anderen Katastrophen in den
Niederlanden überragt. Dies erklärt auch das Wort. „De ramp“ nennen sie ihre
nationale Katastrophe. „Ramp“ bedeutet Katastrophe, die Vorsilbe „de“
entspricht dem deutschen Artikel „die“. Folglich gibt es in den Niederlanden
nur „die“ Katastrophe und keine weitere, die gleichrangig zu betrachten ist.
Die Katastrophe ereignete
sich vor fast genau 60 Jahren, am 1. Februar 1953. Sie weist einige Parallelen
zur Hamburger Sturmflut am 17. Februar 1962 auf, allerdings in einer vollkommen
anderen Größenordnung.
Am 31. Januar 1953 bildete
sich am Rande eines Tiefdrucksystems über Skandinavien nördlich von Schottland
ein Randtief, das sich rasch verstärkte und über die Nordsee zur Deutschen
Küste zog. In der Nacht zum 1. Februar 1953 wurde aus dem Randtief ein
Schnellläufer, der sich zu einem Sturmtief und dann einem Orkantief
entwickelte. An der niederländischen Küste tobte sich ein Orkan bis zu
Windstärke 12 aus, von denen Böen eine Windgeschwindigkeit bis zu 144 km/h
erreichten.
Deiche haben die Geschichte
der Niederlande wie bei keinem anderen Volk geprägt. Bis weit ins Mittelalter
hinein waren weite Teile der Niederlande eine unwegsame Sumpf- und
Moorlandschaft, so wie sie der Römer Plinius beschrieben hatte. Im Mittelalter
schichteten die Bewohner in Friesland und in Groningen Erdhügel auf, auf denen
sie Kirchen bauten. Dort suchten sie Schutz vor dem Wasser. Aus den Erdhügeln
wurden Deiche, die Menschen gruben Kanäle, Windmühlen leiteten Wasser in die
Kanäle hinein, aus der Sumpf- und Moorlandschaft wurde fruchtbares Ackerland.
Wasser und Deiche – sie sind das prägende Element der Niederländer. Durch
Deiche sind die Niederländer unabhängig geworden – 1648 wurde der 80-jährige
Freiheitskrieg gegen die Spanier gewonnen, weil Landflächen mit
Hilfe eines ausgeklügelten Deichsystems gezielt unter Wasser gesetzt werden
konnten.
Im zweiten Weltkrieg hatten
die deutsche Armee die Deiche bombardiert. Die Schäden waren behoben worden,
doch bereits während des zweiten Weltkrieges hatte die oberste niederländische
Deichbehörde – der rijkswaterstaat – auf den sanierungsbedürftigen Zustand
hingewiesen. Nach Ende des zweiten Weltkrieges investierte die Niederlande
vorhandene Gelder in die Poldergewinnung. Die Deiche wurden nicht
generalüberholt, sondern mit Betonmauern erhöht.
Dies sollte sich am 1.
Februar 1953 rächen. Ähnlich wie bei der Hamburger Sturmflut, kam die
Katastrophe mitten in der Nacht. Die Wellen wuchsen in Vlissingen bis auf 4,55
Meter über Normalniveau an und unterspülten viele Deiche. Um 3 Uhr brachen die
ersten Deiche in Zeeland bei Oude Tonge, Overflakkee, Kortgene und Kruinigen.
Weitere Deichbrüche folgten in Noord-Brabant, in Zuid- und in Noord-Holland. In
der Nacht und in den Morgenstunden des 1. Februar 1953 brachen alleine in der
Provinz Zeeland Deiche an 589 Stellen. Längs der niederländsichen Küste, waren Deiche auf einer
Länge von 187 Kilometern zerstört worden.
Im Morgengrauen vermittelte
das Tageslicht einen ersten Eindruck vom Umfang der Katastrophe. Weite Teile
Zeelands waren ein einziges Wassermeer, aus dem Hausdächer, Kirchtürme und die
Flügel von Windmühlen heraus ragten. Rund ein Viertel der Niederland liegt
unterhalb des Meeresspiegels, so dass weite Teile der Kernprovinz Holland und
der westliche Teil von Noord-Brabant überflutet wurden. Einzige Ausnahme blieb
das Gebiet um Rotterdam und Den Haag.
Die betroffene Bevölkerung konnte nur aus der Luft
oder über Boote versorgt werden. Mit dem Gang der Gezeiten wich am 1. Februar
tagsüber die Flut wieder zurück, in den Abendstunden und in der Nacht stieg sie
aber wieder an, und zwar bis zu 5 Metern.
Die Menschen harrten auf
Dächern aus. In den Morgenstunden des 1. Februars hatte die niederländische
Regierung bereits den Notstand ausgerufen. Armee und Katastrophenschutz waren
rund um die Uhr im Einsatz. Belgische, französische, englische und
amerikanische Soldaten halfen genauso.
1.835 Tote war die
verheerende Bilanz, dazu Sachschäden in Millionenhöhe, Obdachlose, ertrunkene
Tiere.
Quelle: Tourist-Information Zeeland |
Ähnlich wie bei der Hamburger
Sturmflut, wurden die Ereignisse in mehreren Fernsehdokumentationen sorgsam
aufbereitet. Alljährlich ist der 1. Februar in den Niederlanden ein nationaler
Gedenktag. Läßt sich so die eine Katastrophe heraus filtern, die wirklich eine
Katastrophe ist ? Ich denke ja, denn bei dem Umfang dieser Katastrophe werden
viele Niederländer noch Bekannte oder Verwandte kennen, die davon betroffen
waren. Diese Katastrophe war Auslöser für den Delta-Plan, das gesamte Deichsystem an der niederländischen Küste neu
zu bauen. Technische Denkmäler des Deichbaus sind so entstanden. Neeltje Jans
ist eine künstlich angelegte Insel, die den „zeeuwsen“ (seeländischen) Inseln
vorgelagert ist. Neeltje Jans ist eine viel besuchte Touristenattraktion und
Mahnmal an die Katastrophe zugleich. Die Sturmflutwehr mit hydraulisch
absenkbaren Toren kann bei einem heranziehenden Super-Orkan in einer Stunde das
gesamte Oosterschelde-Gebiet komplett abriegeln. Dem Super-Orkan Kyrill hat
Neeltje Jans jedenfalls stand gehalten. Wasser und Deiche – in diese Ur-Elemente
tauchen die Niederländer ab. Damit sich die eine einzige Katastrophe nicht
wiederholt.
danke für den interessanten post.
AntwortenLöschenlieber Gruß von Heidi-Trollspecht
Das hast Du interessant geschrieben, Dieter.
AntwortenLöschenIch habe die neue Sturmflutabwehr besichtigt und bin davon sehr beeindruckt gewesen.
Bisher hat sie allen Wassern getrotzt.
Liebe Grüße
Angelika
Lieber Dieter
AntwortenLöschenEin sehr interessanter Post. Vielen Dank dafür!
Danke auch für Deinen lieben Kommentar auf meinem Blog.
Eine glückliche Woche wünscht Dir Yvonne
Danke dir auch für den interessanten Post, so mag man sich sowas gar nicht vorstellen d.h. davon betroffen zu sein.
AntwortenLöschenAllerdings wie immer bei solchen Überschwemmungen ist bzw. war der Mensch der Auslöser. Denkt man an diese ganzen Begradigungen muss man sich nicht wundern wenn Flüsse "überlaufen", Wiesen wurden bebaut und schon standen die Häuser im Wasser.
Die Sturmflutwehranlage muss sehr interessant sein, gewaltig was da geschafft wurde^^ So können sich die Menschen wenigstens in Sicherheit wähnen, auch wenn das Wasser seine Gewalt hat.
liebe Grüsse
Nova
Hej Dieter,
AntwortenLöscheninflationär ist das richtige Wort. Katastrophe hat etwas "Magisches"(Quoten erhöhendes), wie sonst könnte man sich die Gaffer bei Unfällen etc erklären. Wir werden also magisch vom Negativen angezogen, sind entsetzt und gleichzeitig ... ja was? Vielleicht froh, das es "uns" nicht trifft.
Gruß
Beate
Das ist ein sehr interessanter Beitrag über die schweren Überschwemmungen der Niederlande, danke, ich wußte bisher darüber nur sehr oberflächlich Bescheid (genau genommen nichts).
AntwortenLöschenDas Wort "Katastrophe" wird in der Tat immer häufiger benutzt, um als Kauftrigger zu wirken oder jemanden zu einer Handlung zu bewegen. Ich stelle für mich fest, daß ich auf das Wort Katastrophe allein schon abwehrend reagiere, weil damit fast alles belegt wird, ob es katastrophal ist oder nicht, Hauptsache, die Nachricht/Zeitung/Sendung/Meinung verkauft sich damit besser.
Ein schöner, guter, informativer Blog, Kompliment!
Viele Grüße, Sathiya
Hallo Dieter,
AntwortenLöschenja, ich schließe mich an, sehr interessant und wie immer gut aufbereitet! Was die Einzigartigkeit der Katastrophe betrifft - möge das tatsächlich so sein. Ich mache mir, seit ich vom Schzmelzen der Pole, vom Steigen der Meere höre, doch so meine Gedanken über manchen Landstrich, manche Insel dieser Welt, die unter oder nicht weit über dem Meeresspiegel gelegen sind...
Herzliche Grüße, Traude
Uih, da galt es tatsächlich eine wichtige Bildungslücke bei mir zu schließen. Diese Katastrophe war mir nicht bekannt.
AntwortenLöschenIch danke dir für den ausführlichen Bericht.