Zielloses Herumstreunen in Kneipen. Langeweile, Neugierde
und Aufbruchstimmung trieben mich aus meiner Single-Wohnung heraus. Doch jedes
Mal, wenn ich die Kneipenszene rund um die Kölner Universität aufsuchte, stumpfte
deren Einfallsreichtum ab. Die Gesichter an der Theke waren austauschbar. Die
Verbindungen, die ich knüpfte, waren kurzweilig und verschwammen in der
Unbeständigkeit des Augenblicks. Ich wechselte in die nächste Kneipe. Oder in
die Altstadt. Bis mich die Ziellosigkeit in meine Single-Wohnung zurück trieb.
Sartre’s Roman „Der Ekel“ beschreibt den Historiker Roquentin,
der eine Biografie schreibt. Ebenso ziellos streift er durch die Kleinstadt
Bouville und verbringt einen nicht unerheblichen Teil seiner Zeit in Cafés.
1938 geschrieben, ist der Roman „Der Ekel“ eines der frühen
Werke Sartres (1905-1980). Im Gegensatz zu seinem Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“
(Original „l’être et le néant), stellt die Form des Romans eher die Ausnahme
dar; der überwiegende Teil seines Werks sind philosophische Schriften.
Anders wie bei mir, als ich in Köln auf der Suche nach
Kontakten war, sind Aufbruchstimmung und Ziellosigkeit bei Roquentin
Dauerzustand. Dadurch ist der Roman schwerfällig zu lesen. Roquentin
recherchiert in der Bibliothek für seine Biografie und streift, um sich
abzulenken, durch Cafés. Seinen Mitmenschen steht er gleichgültig gegenüber,
ja, er ist sogar eine Art Misantrop und sieht nur das Schlechte an seinen
Mitmenschen. Er begegnet in den Cafés Spinnern, Besserwissern, Aufreißer von Frauen,
Mitläufern. Menschen, denen ihre Mitmenschen gleichgültig sind, Menschen, die
sich gegenseitig anschweigen. Menschen mit Vorurteilen, Fehlurteilen und kleinbürgerlichen
Ansichten. Er empfindet Ekel gegenüber diesen Menschen. Er will diesen Ekel
überwinden, indem er die Gründe untersucht.
Dabei klingen die Formulierungen, wie er seine Mitmenschen
beschreibt, bisweilen merkwürdig:
„Jetzt ist der Regen da: er schlägt leicht gegen die Milchglasscheiben;
wenn auf den Straßen noch verkleidete Kinder sind, wird er ihre Pappmasken
aufweichen oder verschmieren …“
Oder:
„Der Aufseher kam auf uns zu: ein Mann mit dem Schnurrbart
eines Tambourmajors. Er spazierte stundenlang zwischen den Tischen umher und
knallte mit den Absätzen. Im Winter spuckte er ins Taschentuch, das er
anschließend im Ofen trocknen ließ.“
Bei mir hatten sich irgendwann zwischenmenschliche
Anknüpfungspunkte aufgebaut. Interaktion und Kommunikation begannen zu fließen,
wenngleich sehr langsam. Später war das Herumstreunen nicht mehr ziellos, und
Szenekneipen oder Cafés haben mich dauerhaft inspiriert.
Sartre ist aber kein Netzwerker, sondern Philosoph. Angeekelt,
findet sich Roquentin an einem Punkt wieder, wo er inmitten all seiner
gleichgültigen Mitmenschen seine eigene Existenz hinterfragt. Sich anlehnend an
Descartes, erforscht er sein Inneres: ich denke also bin ich (cogito ergo sum).
Zurückgeworfen auf sein eigenes Ich, muss Roquentin sich positionieren, sich
selbst definieren.
Dieser Existenzialismus, mit dem Sartre ein Durchbruch
gelungen ist, liest sich in dem Roman genauso schwerfällig. So sinniert
Roquentin eine gefühlte Ewigkeit lang vor sich her, wie seine eigene Existenz
zu beschreiben ist:
„… die Existenz ist wabbelig und rollt und schwankt, ich
schwanke zwischen den Häusern, ich bin, ich existiere, ich denke, also schwanke
ich, ich bin, die Existenz ist ein gefallener Sturz, wird nicht fallen, wird
fallen, der Finger kratzt an der Luke, die Existenz ist eine Unvollkommenheit.
Der Herr. Der schöne Herr existiert. Der Herr fühlt, dass er existiert … „
Usw.
Roquentin ist also auf Dauersuche nach seiner eigenen
Existenz. Das hört sich widersprüchlich an, aber gerade dies hat mich an dem
Roman fasziniert. Sartre schickt seine Romanfigur in diese Dauersuche hinein.
Roquentins Lebensinhalt ist, ein Biografie zu schreiben (was eigentlich ein
Ziel ist). Roquentin definiert sich ständig neu und sucht einen Neubeginn.
Seine erste Erkenntnis ist, dass er keine historische Biografie schreiben will, sondern
einen Roman. Dazu will er nach Paris umziehen. Zwischendurch trifft er sein
Ex-Geliebte wieder, in die er sich hoffnungslos neu verliebt. Sie reist aber
nach einigen Tag ab nach New York. Über den gesamten Roman hinweg endet die
Dauersuche nach der eigenen Existenz darin, dass Roquentin vieles verwirft,
sich ständig neu definiert und nichts von dem erreicht, was er sich vorgenommen
hat. Und die Grundstimmung des Ekels ist nicht verschwunden.
Bezogen auf meinen eigenen Blog, denke ich bei Roquentin an den
Post über Lieven Deflandre. Lieven Deflandre hatte eine pessimistische
Grundhaltung gegenüber Politik, Staat, Gesellschaft, Alltag. Beziehungen zu
seinen Mitmenschen pflegte er über soziale Netzwerke. In seinen Posts
beschreibt er die Leere der Cafés in Gent, wo er gelebt hat, und wie ihn die
Menschen in den Cafés abgestoßen haben.
Bei dieser Grundhaltung, wie Menschen wegsehen, wie in der
Informationsflut Lebensziele abhanden kommen, wie in den Nachrichten nur über
Negatives berichtet wird, wird dieser Menschentyp eines Roquentin mitten unter
uns sein.
Scheint ein interessanter Roman gewesen zu seinmein Lieber. Viele dieser Typen wie Roquentin leben unter uns, wir erkennen sie meist erst auf den zweiten Blick.
AntwortenLöschenLiebe Abendgrüße
Angelika