Von Köln aus kommend, brauste im Dunkeln das Ortseingangsschild
vorbei. Die Straßenlaternen ergossen ihr helles Licht. Wie magere Schatten,
huschten schlecht ausgeleuchtete Reihenhäuser an meinem Fahrrad vorbei. Ich
stoppte am Alten Turm, denn die Neugierde reizte mich, Baudenkmäler vor der
eigenen Haustüre kennen zu lernen.
Ich vermutete eine burgähnliche Anlage, die untergegangen
war durch Kriege oder andere Zerstörungen, denn der Turm überragte mit seiner steilen
Höhe die Umgebung.
Als ich näher trat und die Hinweistafel des Kulturpfades
unserer Stadt las, packte mich das blanke Entsetzen. Der Turm hatte nichts mit
einer Burg oder einer wehrhaften Befestigung zu tun, sondern es war ein
Glockenturm, der zu einer Kirche gehörte, die 1970 abgerissen worden war. Die
Straße war ausgebaut worden, und dabei hatte die Kirche gestört.
Ich fühlte mich wie in einer Bananenrepublik. In Romanen von
Amir Valle hatte ich von dem beklagenswerten Verfall in Kuba gelesen, wo Häuser
in sich zusammenstürzten und Menschen unter sich begruben. Aber niemand würde
dort auf die Idee kommen, eine Kirche abzureißen. Ich machte eine gedankliche
Reise durch die Welt. Philippinen, Mongolei, Madagaskar, Elfenbeinküste,
Equador, Costa Rica, wer würde dort eine Kirche abreißen ? Mein Bild von der
Bananenrepublik vor der eigenen Haustüre verdichtete sich.
Der Alte Turm stammte aus dem 12. Jahrhundert. Der
Glockenturm beherbergte zwei Glocken aus den Jahren 1847 und 1855. Die Glocke
aus dem Jahr 1847 war im ersten Weltkrieg eingezogen worden, um für Kriegszwecke
verbraucht zu werden. 1922 wurde eine neue Glocke gegossen. Diese beiden
Glocken hatten den zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden. Einmal im Jahr
fand ein Turmfest statt, in dem die beiden Glocken „gebeiert“ wurden (das
Tradition des Beierns hatte ich bei Marita im Freilichtmuseum Windeck kennen
gelernt).
Die romanische Kirche war im Mittelalter zerstört worden,
während der Turm aus dem 12. Jahrhundert diese Epoche unversehrt überstand. Im
18. Jahrhundert wurde ein Saalbau in romanischem Stil angebaut. Dieser neu
geschaffene Baukörper formte die St. Ägidius-Kapelle. Altäre und Inneneinrichtung fügten
sich in üppigem Barockstil ein.
1966 wurde eine neue Kirche gebaut und mit rückläufigen
Zahlen von Kirchgängern wurde die Kirche nicht mehr genutzt. Der in die Straße
gequetschte Chor muss tatsächlich ein Hindernis für den Verkehr gewesen sein.
An dieser Engpassstelle hätte man eine Ampel schalten können, um den Verkehr
einspurig durch das Nadelöhr zu führen. So wie ich dies beispielsweise aus
Bonn-Oberdollendorf kenne, wo Fachwerkhäuser in die Straße hinein ragen. Aber abreißen
? In unserem Nachbarort, wo ich aufgewachsen bin, zieht sich genauso die
Dorfstraße in scharfen Kurven um die Kirche. Dann fließt der Verkehr langsamer,
LKW’s müssen aufpassen, man muss auf andere Rücksicht nehmen. Wieso nicht hier
?
Ich verließ den hell erleuchteten Platz, auf dem der
Glockenturm seine messerscharfen Umrisse in die Höhe reckte. Die dumpfen Lichtkegel
der Straßenlaternen fielen auf den Asphalt, der flüchtig unter meinen Rädern
verschwand.
Im Original hatte ich die St. Ägidius-Kapelle nie kennen
gelernt. Mit ihrer putzigen und kleinen Gestalt, so wie ich mir sie vorstellte,
musste sie einzigartig gewesen sein. Oft waren es nicht die großen Dome oder
Kathedralen, die mich faszinierten, sondern die kleinen Kirchen, die zum festen
Bezugspunkt wurden und in denen sich der Mensch sich schnell heimisch fühlte.
Eine stille Melancholie überfiel mich. Meine Traurigkeit
löste sich im Fahrtwind auf, der über mein Gesicht strich.
Hallo lieber Dieter
AntwortenLöschenDie Geschichte der Kirche und des Turmes hats Du sehr schön in Worte gefasst. Wie kann man nur eine Kirche abreissen für den Strassenverkehr, muss ich nicht verstehen ...oder?
Liebe Wochenendgrüße
Angelika
Sehr interessant und ich bin ebenfalls erstaunt das vor einem Gotteshaus kein Halt gemacht wurde. Alles nur um eine Straße zu verbreitern :-(((( So wäre doch dein Vorschlag genial gewesen, aber da kannste mal wieder sehen wie so manche Stadtplaner denken *kopfschüttel*
AntwortenLöschenLiebe Wochenendgrüssle
Nova
guten morgen Dieter
AntwortenLöschenerst mal bedanke ich mich auch bei Dir,für Deine Ehlichkeit.Ich kommentiere immer so wie ich denke,und manchmal werde ich missverstanden.Aber die meisten,so wie ich auch,verstehen das,also so wie Du,und das finde ich immer toll!!!!!
Der heutige Bericht ist wirklich traurig,ich könnte auch heulen.In Köln bin ich öffters gewesen,aber diese Kirche kenne ich nicht.Die Strassen verbreiten...ja...ja...und immer alles kaputt machen.Leider sind wir Menschen zu schwach um so was zu stoppen.Manchmal sind wir wie Hühner...aber das ist unsere Natur.Gratuliere dir das Du immer solche Dokumente findest!!!!Und sorry,wenn ich mich manchmal falsch ausdrücke,das kommt auch wegen der Sprache,denn seit viele Jahre,spreche ich selten Deutsch
so......macht es euch schön -))))
lieben gruss
Christa
Lieber Dieter,
AntwortenLöschenZunächst einmal vielen Dank für deinen lieben Willkommensgruß und deinen zielführenden Hinweis in Sachen Blognamens-Änderung. (Zuerst hatte ich mir nämlich gedacht, du wärst ein neuer Leser :o))
Ja, und nun zu deiner Erschütterung, die ich gut verstehen kann. Vor etwa einem halben Jahr fühlte ich mich ähnlich, als ich beobachten musste, wie eine entzückende kleine Kapelle (die seit Jahr und Tag in einem Feld stand, an dem ich auf meinem Weg zur Arbeit vorbeifuhr) abgerissen wurde (weil dort ein Gewerbepark entstehen soll). Doch diese Angelegenheit fand ein Happy End: Offenbar hatte es schon im Vorfeld Beschwerden gegeben und eine Bürgerinitiative hatte es geschafft, dass diese kleine Kapelle an einem anderen Ort wieder aufgebaut wurde. Hier siehst du Fotos von der Kapelle vor ihrer "Übersiedlung": http://www.facebook.com/media/set/?set=a.467801279914879.117057.467730563255284&type=3
Liebste Grüße, die "aus dem Wilden Westen Zurückgekehrte" ;o))
Traude