Es hatte sich zufällig ergeben. Der Abstecher von Freiburg nach
Breisach war kurz und ergiebig. An einem lauen Septemberabend übernachtete ich
in einem Gasthof, nachdem ich tagsüber gemeinsam mit dem großen Mädchen ihr neues
WG-Zimmer gestrichen hatte.
Die Biografie von Richelieu hatte mich auf Breisach gelenkt.
Richelieu, der Stratege, der Lenker, der Frankreich mit seiner heutigen Gestalt
auf der Landkarte wesentlich formte, richtete seinen Blick auf die Peripherie
Frankreichs. Lange hatte Frankreich während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648)
zugeschaut, wie eine Schlacht nach der anderen Deutschland verwüstet hatte. Spät,
das war 1635, griff Frankreich in den Krieg ein. Richelieu, der Stratege, sah
die Bedeutung und die Lage Breisachs hinter dem Stückchen Elsass, das zu
Frankreich gehörte. Denn Lothringen, die Gegend um Belfort oder die
Franche-Comté waren eigene, unabhängige Herzogtümer.
Ich genoß die Wärme des Septemberabends. Ich schritt durch
das Gutgesellentor. Oben auf dem Berg thronte die gigantische Gestalt des St. Stephans-Münsters.
Ich passierte ein weiteres Stadttor, das Hagenbachtor, ich umkurvte die
Münsterkirche. Dahinter öffnete sich ein schier endloser Blick in die
oberrheinische Tiefebene hinein. Zu meinen Füßen lag der Rhein. Jenseits dieser
Trennlinie begann Frankreich, das Ende des Horizonts markierte das Bergmassiv
der Vogesen.
Ich begriff die strategische Bedeutung von Breisach. In
Breisach kreuzten sich wichtige Handelsstraßen, die von der Schweiz kamen und
nach Baden führten. Eine Brücke überquerte den Rhein. Über den Rhein gezogene
Ketten verhinderten, dass feindliche Schiffe durchfahren konnten. Und
schließlich: Breisach war um 1500 zu einer Festung mit dreifachen Mauern und
Wassergräben ausgebaut worden, die in Europa ihresgleichen suchte. Sie zu
erobern, schien ein Ding der Unmöglichkeit.
Frankreich suchte im Dreißigjährigen Krieg nach Verbündeten.
Nachdem die Schweden Bernhard von Weimar nach der verlorenen Schlacht von
Nördlingen (1634) fallen gelassen hatten, bezahlte Frankreich ihm ein Heer von 12.000
Soldaten und 6.000 Reitern. Breisach lag perfekt, um den Machtbereich
Frankreichs zu erweitern. Während Deutschland ausgezehrt war, weidete jenseits
des Rheins in Frankreich ausreichend Vieh und es gab noch genug zu essen. Die
Idee entstand, Breisach zu belagern.
Von den Mauern Breisachs hatte die Zeit nicht viel übrig
gelassen. Den Rest dürfte Breisach der zweite Weltkrieg gegeben haben, der die
Stadt zu 85% zerstört hatte. So wirkte Breisach auf mich wie ein Flickenteppich,
in dem die Vergangenheit kurz aufblühte und sehr lebendig erschien. Danach
verschwand die historische Kulisse im Wiederaufbau der Nachkriegszeit. Wo die
Freilichtbühne war, fand Breisach zur historischen Größe zurück: dort hatten
sie standgehalten, die meterdicken Mauern aus dem Mittelalter, aus denen der
Tullaturm herausragte.
Wie belagerte man eine solche Festung ? Bernhard von Weimar ließ
eine Festung um die bestehende Festung herum bauen. Dazu hatte er 200 Arbeiter
angeworben, die den Festungsbau beherrschten, sowie 2.000 Landbewohner, die
mithalfen. Diese perfekte Methode bot zum einen den Vorteil, dass die Festung
ohne Schäden erobert werden konnte und übergangslos als Festung genutzt werden
konnte. Zum anderen trat diese dem Schwachpunkt einer jeden Belagerung
entgegen: dem Entsatz. Dass nämlich feindliche Heere gegen die Belagerer
kämpfen und diese zu vertreiben drohten.
Ich schlenderte durch das ungewöhnliche Stadtbild Breisachs.
Die wichtigsten Punkte lagen am Rande. Die Münsterkirche und der Rathausplatz an der einen Ecke, an der anderen
Ecke die Freilichtbühne der Sommerfestspiele. Was lag in der Mitte ? Kein Marktplatz, sondern ein Turm. Das war der Radbrunnenturm, der einst mit 54 Metern Höhe die oberrheinische Tiefebene überragt hatte und bereits im dreißigjährigen Krieg gestanden hatte.
Schreckliches und Unvorstellbares hatte sich während der
Belagerung abgespielt. Die Belagerung begann im Mai 1638 und dauerte sieben
lange, lange Monate. Viele Herzöge, Generäle und Feldherren rannten vergeblich
gegen Bernhard von Weimar und seine Festung vor der Festung an. Darunter wurden
Größenordnungen von Kriegern vernichtend geschlagen, 18.500 Mann der Feldherren
Savelli und Götzen oder 10.000 Mann des Generals Lamboy. Die übrigen Schlachten
waren kleiner, doch Frankreich schickte Verstärkung und Bernhard von Weimar
wehrte sämtliche Versuche des Entsatzes ab.
Während der Belagerung waren die Menschen waren bis auf ihr
Skelett abgemagert. Der Hungertod gehörte zum Alltag. Dass Mäuse und Ratten
gegessen wurden, war selbstverständlich. Es muss sogar Fälle von Kannibalismus
gegeben haben, dass Tote ausgegraben wurden und ihr Fleisch gegessen wurde. Am
17. Dezember 1638 kapituliert die Festung Breisach schließlich und die Truppen
Bernhard von Weimars marschieren ein. Von 4.000 Einwohnern haben nur 150
Einwohner die Belagerung überlebt.
Bevor ich zum Gasthof zurückkehrte, begab ich mich bergab
vor die Mauern Breisachs. Mit dem Rheintor haben die Franzosen ihre Spuren
hinterlassen. Nach der Kapitulation gehörte Breisach 59 Jahre lang zu
Frankreich. Im Stil des Festungsbaumeisters Vauban haben sie das Rheintor
gebaut.
Zurück im Gasthof, war ich beeindruckt von Breisach. Ich
setzte mich nach draußen und ließ auf mich wirken, was ich gesehen hatte. Die
Bezeichnung „Europastadt“ passte, denn außer der von Frankreich mit gestalteten
Geschichte hörte ich Schweizern am Nachbartisch zu. Sie pflegten ihren Dialekt,
so dass ich nichts verstand. Das hörte sich urgemütlich und gesellig an. Ich
bestellte einen Grauburgunder, sog das spritzige Aroma in mich hinein und
genoss die frische Kühle des Weines.
Breisach nicht im Rheinland, aber passend zum Rheinlandblogger. ;)
AntwortenLöschenGrüße! N.
Lieber Rainer
AntwortenLöschenDanke für dieses schöne Posting.
Du hast so lebendig über die Stadt und ihre Geschichte erzählt, ich bin begeistert.
Liebe Grüße und einen schönen Nachmittag
Angelika
Wirklich sehr interessant und lebendig erzählt. Ich kann mich da Angelika nur anschliessen. Danke dir dafür.
AntwortenLöschenliebe Grüße
Nova
Was soll ich schreiben, es ist, wie immer, ein interessanter und informativer Bericht über diese schöne Stadt.
AntwortenLöschenDer Grauburgunder war bestimmt nicht zu verachten und man findet so manches Weintor im Südwesten unserer Republik von den Franzosen. :-)
Liebe Grüße
Christa
Gugge mal da:
AntwortenLöschenhttp://ask.fm/Tereschen:
Wie alt warst du als du deinen ersten Rechner (egal ob PC, Lapi...) bekommen hast? so 7 oder 8, hab da immer Lernspiele gespielt :)
Wie alt warst du als du ins Internet durftest? 11/12 oder so, war aber noch nirgendwo angemeldet
und nun ist sie 16, hat also vor 8 od 9 Jahren ihren ersten PC bekommen. Klar, dass die Kids heute noch früher pc-reif sind.
Viele Grüße sendet Wieczorama (◔‿◔) | Mein Fotoblog
das ist ja ein wunderschöner Bericht über Breisach a. Rh., in das ich vor zwei Jahren gezogen bin. Uns reizten, von Frankfurt kommend, der Rhein und die Vogesen, auf die ich nun täglich schaue, und die Nähe zu den Nachbarländern Frankreich und Schweiz. Ihr Blick auf die Geschichte der Stadt und auch Ihr Eindruck vom Ort sind beindruckend. Danke. Herzlichen Gruß Ingrid Wenz-Gahler
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