Es gibt Momente, die beschreibt man am treffendsten
durch ihr Gegenteil. Weihnachten, das ist ganz viel Feierlichkeit, Familienfest,
Freude, Erwartung, Besinnlichkeit unter den Lichtern des mit viel
Glitzerschmuck behangenen Tannenbaums. Nun geht alles rückwärts. Einmalaktion
statt Feierlichkeit, Unaufgeregtheit statt Familienfest, Wegschauen statt
Erwartung, Sachlichkeit statt Freude, maschinelle Verarbeitung statt
Besinnlichkeit.
Schluss, aus, vorbei. So wie man das Licht
ausschaltet, wird in einem Moment die Weihnachtszeit für beendet erklärt. Bei
uns zu Hause ist es ein Abschied auf Raten, wenn stückweise die
Weihnachtsdekorationen aus den Zimmern verschwinden. Entsorgung steuert viel mehr auf einen einzigen Augenblick zu.
Entsorgung hat keine Dramatik. Die Weihnachtsbäume
warten auf den einen, unspannenden Moment. Wie sie den Straßenrand
bevölkern, ist sogar ein Massenphänomen,
denn sie kehren nach festen Handlungsmustern wieder. Ab vor die Haustüre, das
Weihnachtsfest wird in die Vergessenheit geschoben. Manche versperren den
Bürgersteig, die meisten Weihnachtsbäume achten aber auf ihre Mitmenschen und halten
sich jenseits von Laufwegen oder Autoverkehr auf. Oftmals ähneln sich die
Handlungsmuster. Unselbstständige Grünflächen sind begehrt. Dort, wo das Grün auf
genau zugewiesenen Flecken gegen die hoffnungslos zugepflasterte Stadt aufbegehrt,
wird dieses Stückchen Erde aufgewertet. Die grünen Zonen gewinnen an Üppigkeit,
wenn sich das Tannengrün gemächlich ausbreitet und querliegende Tannenbäume Unkraut
oder Matsch verdecken.
Was dann geschieht, läuft in einer durchgeplanten
Sachlichkeit ab. Weihnachtsbäume werden ihrer Wiederverwertung zugeführt. Die
Emotionen der Menschen laufen rückwärts ab, denn ungefähr elf Monate später
jährt sich das Weihnachtsfest aufs Neue, irgendwo aus dem Sauerland oder der
Eifel werden neue Weihnachtsbäume importiert. Es wird dafür gesorgt sein, dass
jeder Haushalt aufs Neue seinen Weihnachtsbaum bekommt, damit es dort fleißig
glitzert und dekoriert wird.
Die Müllabfuhr hat ihre Touren. Ein Plan organisiert
die Abfuhrbezirke. Da wir uns im industriellen Zeitalter befinden, schonen
Maschinen die Handarbeit beim Einsammeln und Wiederverwerten der
Weihnachtsbäume. Der Farbton in Orange hat Tradition. Er warnt, erregt
Aufmerksamkeit. Der Signalton hat auch den Eindruck in mir hinterlassen, dass die
Arbeit der Müllmänner wertvoll ist.
Die zwölf Kubikmeter Sammelvolumen bewegen sich von
Haus zu Haus vorwärts. Der Behälter ist so groß, dass ich meine, er könnte die
Weihnachtsbäume der halben Stadt schlucken. Die Müllpresse verrichtet ganze
Arbeit. Es rattert, reibt, zerreibt, zerkleinert, stampft mit Herkuleskräften zusammen,
die Müllpresse stöhnt. Langsam, im Schneckentempo, ohne Schwung, stochert der
LKW vorwärts. Der Dieselmotor brummt zwischen Doppelhaushälften.
Ein Handgriff genügt. Die orangene Schutzbekleidung
der Müllmänner sticht in den winterlichen Morgen, fest stapfen ihre Sicherheitsschuhe
über den Asphalt, der Müllwagen treibt sie hinter sich her. Ich erlebe das
Weihnachtsfest rückwärts. Die Weihnachtsgeschenke sind wieder vergessen, das
winzige Baby des Jesuskindes ist ein paar Wochen alt geworden. Christliche
Nächstenliebe wird zum nächsten Fest, dem Osterfest, wieder recycled.
Der eine Müllmann, ein stämmiger, derber Typ, macht
kurzen Prozess. Er greift in Vergängliches hinein. Die Einmaligkeit des Augenblicks
verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Er entsorgt das Weihnachtfest, indem er den
Tannenbaum am Stamm packt und senkrecht in die Höhe hebt. Ohne nachzudenken, sind
seine Handgriffe Routine. Der Weihnachtsbaum bäumt sich auf, streckt die Zweige
zur Seite, und der Müllmann übergibt Bündel von Tannennadeln an die nüchterne
Realität. Ein Schwung, und die Müllpresse schreddert und zerkleinert und
staucht das Weihnachtsfest zusammen.
ich habe vergangene Woche auch noch über die Weihnachtsbaumberge gestaunt ... und jetzt ist alles weg ... neee nicht weg ... wird in Humus verwandelt. Der Gedanke gefällt mir sehr. Wieder sehr schön geschrieben Dieter.
AntwortenLöschenlieber Gruß von Heidi-Trollspecht
Lieber Dieter,
AntwortenLöschenwieder ganz toll beschrieben. Ich habe in der Zeitung gelesen,
dass die Weihnachtsbäume für Elefanten ein Leckerbissen
sind und auch an Zoos geliefert werden. (Natürlich nur in den
Städten, in denen ein Zoo ist)
Einen schönen Abend wünscht
Irmi
Das ist ja ein schöner Text! Eine Superidee "das Rückwärtserzählen". Gefällt mir sehr ... und beantwortet nebenbei noch wunderbar die Fragen, die dein gestriges Posting bei mir aufgeworfen haben.
AntwortenLöschenIch poste den Link zu diesem Text dann unter meinen morgigen Text.
lieben Gruß
Brigitta
Habe bei HaPe auch sehen können dass die Ziegen dort fleissig an hingelegten Tannenbäumen knabbern. Finde ich auch eine gute Idee, jedenfalls alles was -nicht nur wegwerfen- zu tun hat.
AntwortenLöschenLiebe Grüssle
Nova
-Das gesegnete Weihnachtsfest wird sich danach in unseren Gärten wiederfinden.-
AntwortenLöschenHier hast du ja wirklich deine Gedanken kreisen lassen. So richtig. Deine Betrachtung des weihnachtlichen Kreislaufes gefällt mir sehr gut.
Gruß vonner Grete
ich zitiere: "das gesegnete Weihnachtsfest wird sich danach in unseren Gärten wiederfinden" ...
AntwortenLöschen.... um dem Leben auf die Füße zu verhelfen, um damit den Sinn von Weihnachten weiterzutragen.
Eher eine wunderbare Fortsetzung in unserer irdischen Welt.
Die gegensätzliche Stimmung hat etwas! Ausgezeichnet nachzuvollziehen bis ins Detail und das auch noch mühelos. Prima!
Gruß,
Beate
Ja, zo gaat dat. Hier lagen de kerstbomen in de gemeentetuinen. Tuinen langs de weg, eigendom van de gemeente. Ze werden opgehaald, ja. je beschrijft het heel goed. Schrijverstalent!
AntwortenLöschenHallo Dieter,
AntwortenLöschenach, das liest sich so traurig. Unser Baum ist zur Hälfte in der Biotonne gelandet und die andere Hälfte liegt noch im Garten.
Es gab Zeiten, da kam mir nur ein Baum mit Wurzeln ins Haus, damit er nach Weihnachten weiterleben durfte. Vielleicht sollte ich das wieder einführen.
Liebe Grüße,
Vera
Beinahe, beinahe, koennte mir so ein Weihnachtsbaum direkt leid tun.
AntwortenLöschenAber nur beinahe.
Das schaffst nur du, den Untergang eines Weihnachtsbaumes in ein Tragoedie umzuarbeiten.
Weihnachten rückwärts. All die Freude, das Glitzern, der Schmuck: für die Tonne. All die prächtigen Weihnachtsbäume - für die Tonne. All die schönen Gedanken von Liebe und Heiligkeit - dito. - Gut beobachtet, gut geschrieben. Genau mit der richtigen Portion Nüchternheit. Die ich in der Form nicht aufbringen kann, weil mein Mitleid mit den Bäumen jedes Jahr steigt (vor allen mit denen, die nicht verkauft wurden und sozusagen umsonst geschlagen wurden). Trotzdem - ein happy end. Mehr oder weniger.
AntwortenLöschenWer dankt eigentlich mal den Müllabfuhr-Leuten? Die unseren Müll, und nach Weihnachten zusätzlich noch all die Bäume entsorgen? (Übrigens: Das Wort "entsorgen" konnte ich noch nie besonders gut leiden. Es klingt so steril, kalt und technisch, bürokratisch und endgültig, daß ich es selbst so gut wie nie verwende. ;-) )
Zum Thema Weihnachtsbaum fällt mir eben noch ein Märchen von Hans Christian Andersen ein: Der Tannenbaum.
Viele Grüße, Sathiya
Hallo Dieter,
AntwortenLöschenhier haben sie gleich wieder übertrieben im Stadtpark und mitsamt den Weihnachtsbäumen auch gleich mal ganze Strauchgruppen entsorgt. Jetzt sehen viele Ecken im Park ganz kahl und leer aus. Da war es dann wohl nicht die Müllabfuhr, sondern der große Alleshäcksler des Umweltbetriebes...
VG
Elke
Sehr schöner Artikel, in dem erklärt wird wie sich der Kreislauf der Weinachtsäume Schließt.
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