Freitag, 10. Januar 2014

Formlos (1) - Kochen

Brigitta hat ein neues Projekt "Formlos" initiiert, für das sie bereits fleißig Beiträge geschrieben hat. Es sollen Momente beschrieben werden, die "allgemeingültig" sind und den Leser berührend einfangen. 1x pro Woche möchte ich mich an dem Projekt mit einem eigenen Beitrag beteiligen. In meinem ersten Beitrag befasse ich mich der Kocherei, die für mich als Mann Momente der Höchstkonzentration sind.



Einsam war der Augenblick, als ich unseren Flur betrat. Die Kinder hatten sich in ihre Zimmer verteilt, meine Gattin war zur Abendschule enteilt, die sie zweimal wöchentlich besuchte. Der Feierabend empfing mich mit offenen Armen. breitete sich in der Leere des langen Korridors aus, der sich am Treppengeländer mit viel Grün und Engeln und glitzernden Sternen geweigert hatte, Abschied vom Weihnachtsfest zu nehmen.  Ich schüttelte den Büroalltag ab, indem ich meine Jacke auf einen Garderobenhaken schmiß. Auf den Bodenfliesen hallten meine Schritte wider, bis ein Läufer den hohlen Klang verwischte.

Derweil ich die Umklammerung durch den Büroalltag losgeworden war, wartete die nächste Umklammerung auf mich. Ich erreichte sie, als ich die Schiebetüre zur Küche beiseite stieß. Hunger meldete sich nach Feierabend, und ich durfte unsere beiden Kinder bekochen. Streßmomente blitzten auf, als mich die Unordnung auf der Küchenanrichte empfing.

Als Mann hatte ich meine eigenen Umgangsformen entwickelt, um mit der Kocherei klar zu kommen. In der Ruhe liegt die Kraft. Ich bin glücklich, dass es diese Momente gibt, dass Mann und Frau manche Dinge getrennt organisieren müssen. Beim Kochen habe ich ein schlechtes Teamverständnis. Frau hatte sich stets um die Kocherei gekümmert. Würzen, Soßen, Salate, Gemüse, Garzeiten, die Handhabung des Schnellkochtopfs: bei mir wimmelt es vor Unzulänglichkeiten – vorsichtig ausgedrückt, sind meine Kenntnisse ausbaufähig.

Kochen ist ein Stück Meditation. Kochen fördert klares Denken. Abläufe müssen komplett vom Anfangszeitpunkt bis zum Endzeitpunkt – wenn alles gar ist – durchdacht werden. Ich habe mich arrangiert mit den Momenten des Kochens, versuche, Neues auszuprobieren und Lerneffekte zu erzielen. Ganz von vorne beginnen, an den Wurzeln der Kochkünste, mit einfachen und handhabbaren Gerichten. Meine Konzentration lief auf Hochtouren. Ungestört, ohne dass mir jemand hinein redete, vermochten mich die Streßmomente nicht aufzuschrecken.

Heute sollte ich kennen lernen, dass Momente im Kleinen ihre Größe entwickeln können. Für die Kinder bereitete ich Zucchini mit Gnocchi in der Auflaufform zu – das geschah mit einer Fertig-Soße von Maggi-Fix. Für mich selbst war ich bescheiden, kochte auf einfachem Niveau: ich schnitt rohe Kartoffeln in kleine Scheiben, würzte sie mit Paprika und Salz, bratete sie in Öl in der Pfanne.

In unseren Garten hatte sich längst die Dunkelheit hinab gesenkt. In der Küche ergoß die Neonröhre ihr Licht, leuchtete die überquellende Papiertonne aus. In wirrer Anordnung lungerten Gläser auf der Spüle herum, während in der notdürftig eingeräumten Spüle eine gähnende Leere herrschte.

Ich war in meinem Element, schaltete das Internet-Radio ein. Ich sinnierte, meine Gedanken kreisten, bis sie sich am Rezept festhakten. Die Katzen wuschelten um meine Beine herum. Schnell aufräumen, wegräumen. Das Schöne am Kochen ist, dass man sein Gehirn einschalten muss, bevor man einen Handgriff macht. Ich fischte die beiden Zucchini aus unserer Obstschale, zerkleinerte sie in Scheiben, prüfte die bruzzelnden Kartoffelscheiben, schaute auf unsere Küchenuhr, schaltete den Backofen ein, wog die Gnocchis ab, mischte Gnocchis mit Zucchini, beförderte das Gemisch aus dem Kochtopf in die Auflaufform, streute Käse darüber, ab in den  Backofen.

Der Auflauf brodelte vor sich her, ich lehnte mich zurück. „Whisky in the Jar“ von Thin Lizzy dudelte aus dem Internet-Radio. Ich versuchte, die Reibeisenstimme von Phil Lynott nachzusingen, ohne Erfolg, und es lag außerhalb meines Vorstellungsvermögens, wieviel Whisky ich saufen müsste, um solche eine heisere Stimme heraus zu posaunen.

Nun war Kochen Pause, Erholung, Meditation, Inspiration. Ich ruhte in mir selbst. Bis das Essen fertig war, der Tisch gedeckt. Die gebratenen Kartoffelscheiben waren eine Granate, eine wahre Delikatesse. Die Kinder ließen sich ihren Zucchini-Auflauf schmecken, während die gebratenen Kartoffelscheiben kross bis weich waren, herzhaft auf der Zunge zergingen, der Geschmack nach Kartoffeln so gepflegt war wie in Belgien Fritten zubereitet wurden. Die Kartoffelscheiben lachten mich in der Pfanne an. Ich war verdutzt, mit welchen einfachen Mittel man welches leckeres Essen hervor zaubern konnte.

Der Augenblick wirkte nach. Noch am nächsten Tag, als ich im Büro saß, plagte mich vor der Mittagspause der Hunger. Ich hatte Appetit auf diese gebratenen Kartoffelscheiben. Glücksmomente schwappten herüber. Wie aus kleinen Momenten ganz große werden.

8 Kommentare:

  1. Herzlichen Glückwunsch zum Start! Das freut mich!
    Klingt nach einem prima Moment, der mir direkt Appetit gemacht hat.
    Gefällt mir.

    Herzlichen Gruß
    Brigitta

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  3. Und wenn die Phase mit den Fertig-Würzmischungen überwunden ist wirst du erstaunt sein, mit welch einfachen Mitteln man auch ohne Maggi, Knorr und Co kochen kann.

    Dann brauchst du auch irgendwann dieses Rezept nicht mehr: Klick mich

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  4. Eien schöne Momentbeschreibung. Erstaunlich, was man mit Worten aus einer alltäglichen Situation machen kann. Dein Text wirkt auf mich, wie auf dich deine Bratkartoffeln.
    Samstäglichen Gruß vonner Grete

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  5. Hej Dieter,
    ha, wenn ich koche, dann bin ich am liebsten alleine. Nicht nur für Dich sind es Momente der höchsten Konzentration, auch bei mir geht da nix "ex ärmulo"! Aus der Not heraus hielt ich mich bisher immer an die Aussage meiner Mutter:"Wer lesen kann, kann kochen". Im Grunde hat sie recht :-).
    Die Idee von Brigitta gefällt mir übrigens. Ich überlege auch mitzuschreiben. Eine schöne Aufgabe, finde ich! Dir ist es sehr gut gelungen, denn man bekommt Appetit beim Lesen!

    Gruß Beate

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  6. Haste klasse beschrieben, und wenn es dann noch gelobt wird dann ist es das größe Geschenk. Für mich selbst ist kochen eine Entspannung pur. Meist nach Schnauze probiere und teste ich einfach, alles was der Kühlschrank und Garten hergibt. Vor allem Kräuter sind ein Muss. Dabei immer Musik oder ein Hörbuch wenn nicht gerade Freunde mit dabei sind.

    Wünsche dir ein schönes Wochenende und sende herzliche Grüsse

    Nova

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  7. das dachte ich mir dass du bei dem Projekt dabei bist ... dabei sein musst :-)
    deine Beschreibung vom Koch-Abend habe ich gerne gelesen - und der Absatz mit dem Whisky hat mich zum Schmunzeln gebracht. Irgendwie habe ich jetzt auch Appetit auf gebratene Kartoffelscheiben ...

    lieber Wochenendgruß von Heidi-Trollspecht

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  8. Wow, wat een goede blog. Je schrijft zo beelden, dat ik bijna de geuren uit je keuken kan ruiken ... Je bent sterk in sfeer beschrijven. Leuke blog.

    Groetjes: Aritha

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