Mittwoch, 23. Oktober 2013

Stoffmarkt in Venlo (4)

Sie polterte daher.

 „In Deutschland wäre so etwas verboten … der ADAC kontrolliert so etwas … die 50 Cent sind eine Unverschämtheit … „

Sie meinte die Toiletten neben dem Aufzug des Parkhauses Nolensplein, die ihr zu verdreckt waren. Ihr hochroter Kopf ereiferte sich in Erregung. Die Toilette im Parkhaus war aber höchst praktisch, denn auch unsere Blase drückte. Also testeten wir allesamt die Toiletten. Darunter waren zwei Frauen und unsere Kleine, die nichts zu beanstanden hatten. Auch ich konnte nicht klagen: das Urinalbecken auf der Herrentoilette samt Waschbecken waren tadellos sauber.

Abgeschreckt durch den deutschen Wesenszug der Nörgler und Meckerer, schätzten wir uns glücklich, in dem Parkhaus Nolensplein einen der kostbaren Parkplätze ergattert zu haben. Das Parkhaus lag zentral, und am Ausgang fielen wir regelrecht in den Stoffmarkt hinein.


Es war unser vierter Stoffmarkt-Besuch in Venlo in den Niederlanden, so dass Venlo zu einer Art von Tradition geworden war. Gewohnheiten und Fixpunkte hatten sich bei den vorherigen drei Malen herauskristallisiert: Stoffmarkt – wobei der Umfang der eingekauften Stoffe im Zeitverlauf nachgelassen hatte -, Fritten essen, Einkaufsbummel, Zeitung kaufen, die 2 Brüder von Venlo und einiges mehr ...

Venlo war ein Kompromiß, aber ein guter. Ich bedauerte, dass Stoffmärkte uns in keine anderen sehenswerten niederländischen Städte führten: Maastricht oder s’Hertogenbosch kamen in der Stoffmarkt-Agenda nicht vor, der Stoffmarkt in Roermond fand gleichzeitig mit demjenigen in Hennef statt, Delft oder Alkmaar lagen unerreichbar weit im Kernbereich der Niederlande.

Also Venlo, das sich wahrscheinlich durchgesetzt hatte, weil der Einkaufstourismus aus dem nahen Rhein- und Ruhrgebiet blühte. WES, KR, MG, KLE, DU, BO, E: deutsche Autokennzeichen bevölkerten die Tiefgarage, und auch jenseits der Tiefgarage dominierte in Venlo die deutsche Sprache.

Das nahm ich als gegeben hin. Einkaufen dient der Völkerverständigung. Wenn der Kunde König ist, schauen die Einzelhändler nicht auf die Nation. Grenzstädte sind offen gegenüber fremdartigen kulturellen Einflüssen. Umgekehrt waren für mich die Einkaufsscharen von Belgiern und Holländern in Aachen selbstverständlich. Schweizer und Franzosen hatte ich bei unseren Besuchen in Freiburg als Bereicherung empfunden. Aber nirgendwo in den Grenzregionen in Deutschland waren mir Einkaufstouristen aus den Niederlanden, aus Belgien, Frankreich oder der Schweiz als Nörgler und Meckerer aufgefallen.

So hangelte uns unsere Neugierde durch die Fixpunkte der Fußgängerzone.

Die heutigen Fritten im Imbiß „Big Snack Parade“ waren lecker, aber steigerungsfähig. Der Geschmack nach frischen Kartoffeln drang durch, hätte aber intensiver sein können. Die Frittenbuden in Venlo waren denjenigen in Belgien hoffnungslos unterlegen. Die Ansammlung von Frittenbuden, die mit „friet uit verse aardappelen“ lockten, kam mir sogar unkontrolliert vor. Zweimal hatten wir bei unseren Stoffmarkbesuchen nach Restaurants gesucht, doch das Angebot war dürftig (wobei das Preis-/Leistungsverhältnis stimmte). Immerhin: zwischen der Qualität der Fritten in Venlo und in Deutschland lagen Lichtjahre; Loempia, Saté oder Kroket, die Imbisskulturen in Deutschland und den Niederlanden waren komplett anders geartet.

Meine Göttergattin kaufte eine hübschen Mantel mit geschwungenen, kreisförmigen Mustern. Ich kam mit der Tageszeitung „De Volkskrant“ auf meine Kosten und schmökerte in dem Buchladen  herum, während die Damen den einzigen Lego-Shop in den Niederlanden besuchten.

Normalerweise hätte ich Venlo als Konsum-Terror abgetan. In regelmäßiger Frequenz gibt es einmal monatlich in großen niederländischen Städten verkaufsoffene Sonntage. In Deutschland lockt mich kein einziger verkaufsoffener Sonntag hervor, wenn ich meine Rückstände der nicht gelesenen Tageszeitungen aufarbeite. Anders in den Niederlanden.

Wollt ihr den totalen Krieg ? Diese Rede von Josef Göbbels, die 1943 gehalten wurde, dröhnt in meinen Ohren. Wollt ihr den totalen Konsum ? So könnte man in Venlo formulieren. Die Ekstase der Einkaufsmassen ergießt sich im Warenhaus „2 Brüder von Venlo“. Die Kulturen von Deutschen und Niederländern definieren sich einheitlich über Prozentschilder und Rabattschlachten. Wir werden überrollt von Einkaufswagen. Kaffee und Zigaretten locken. Während in Deutschland Türken für überquellende Einkaufswage herhalten müssen, sind es in Venlo die Deutschen selbst. Konsumgewohnheiten verschieben sich. „Geiz ist Geil“ hat längst  in Venlo Einzug gehalten.



Die Niederländer profitieren auch von Gesetzgebungen und krummen Steuerregelungen, die der preisbewußte Konsument geistesgegenwärtig durchdringt. So das Dosenpfand. Wir deckten uns ein mit Paletten von Coladosen. 9,60 € für 24 Coladosen, das war unerreichbar. In den Niederlanden war die grüne Bewegung zwar stark, Regelungen über das Dosenpfand waren den Niederlanden erspart geblieben. Es darf fleißig Cola (oder Fanta oder Sprite) aus Dosen getrunken werden und ohne Pfand in Mülleimern entsorgt werden. Ein ungeheures Gefühl der Freiheit. Seitdem ich die Niederlanden in den 80er Jahren kennen gelernt habe, war es für mich ein Land ohne Schranken und voller Freiheit.

Bei Bezahlen an der Kasse beobachteten wir deutsche Kunden, die ins Leere liefen. Ein-und-zwei-Cent-Stücke hatten die Niederländer abgeschafft, während die Schwellenpreise erhalten blieben. 19,99 € kostete die Ware. Die deutschen Kunden bezahlten mit 20 € und bekamen keinen Cent zurück.

Die Erregung konnte ich nachvollziehen. Sie nörgelten und meckerten und  verwiesen darauf, dass nichts mehr Bestand hatte. Deutsche können bohren und nerven und ihren Standpunkt behalten.  Wahrscheinlich sehnten sie sich nach dem guten alten Kaiser Wilhelm zurück, auf den noch Verlass war.

6 Kommentare:

  1. Ein schöner Bericht. :-)))

    Auch ich liebe die Nähe zu Holland und Belgien UND die holländischen Stoffmärkte!

    Maastricht steht auf der Agenda. Ich war selbst schon dort. Am 17.11. ist der nächste. http://www.stoffenspektakel.nl/stoffenspektakel-agenda/informatie/436

    Und wenn es nur um den Stoff-Markt geht: Jedes Jahr am 1. Mai und am 3. Oktober in Kerkrade.

    Das mit den abgeschafften Centstücken wusste ich nicht. Klingt aber klug. Und die Freiheit in Sachen Dosen, die man einfach in Mülleimern entsorgen kann kenne ich aus Spanien. Finde ich auch wunderbar.

    Schönen Gruß
    Brigitta

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  2. Hast du schön geschrieben mit dem Wesenszug...denn das kann ich hier auch öfters feststellen. Da muss ich mich dann immer sehr zusammenreißen um nicht meinen Senf dazu abzugeben.

    Allerdings das mit dem Bezahlen finde ich schon eine kleine Frechheit. Da sollten sie die Preise angleichen, nur noch runde Summen haben oder sich etwas einfallen lassen. So im Gegenzug z.B. ein Bonbon geben. Ich hätte das z. B. gar nicht gewusst und wahrscheinlich dumm aus der Wäsche geschaut wenn es kein Wechselgeld gegeben hätte^^

    Alles in allem aber wieder ein schöner Ausflug, kann mich noch an eure anderen Besuche erinnern. Sind ja immer mit kleinen Erfolgen gekrönt :-)

    Liebe Grüsse

    Nova

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  3. Moin Moin...

    man muss sich ja heutzutage nicht mehr darüber wundern, dass man für die Benutzung öffentlicher Toiletten immer öfter in die Tasche greifen muss.

    Letztlich reicht es ja, wenn man sich die "kostenlosen" Toiletten mal nach der Benutzung einiger Gäste anschaut...Da kann es einem nur schlecht werden, und ich frage mich dann immer wie es bei einigen Zuhause aussieht.

    Ansonsten ein sehr interessanter Berich...ich glaube irgendwann müssen wir auch mal wieder nach Holland rüber fahren....Ich war da eine gefühlte Ewigkeit schon nicht mehr gewesen !

    Grüße aus Berlin

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  4. Hallo meine Lieber, ich zahle lieber 50 Cent und habe eine saubere und gepflegte Toilette, anstatt so eine verschmutze kostenlose.
    Na das war ja wieder ein toller Tag auf dem Stoffmarkt. Eure Einkäufe habt ihr gleich dazu erledigt, also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Interessant geschrieben dein Bericht. Ich glaube ich muß den Stoffmarkt auch mal besuchen. Hier in Hückelhoven ist auch immer einer, aber sehr klein.

    Liebe Grüße
    Angelika

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  5. Hallo Dieter,
    ich bin auch einmal im Jahr in Venlo, zum Bummeln und lecker Kibeling essen... den Stoffmarkt kenne ich nicht. Venlo kann man nicht mit dem schönen en BesucMaastricht vergleichen, dieses hat beinahe französisches Flair.
    Aber ich liebe dieses bunte Treiben in Venlo sehr. Ich habe mich auch beim letzten Besuch mit vier Paletten Getränkedosen eingedeckt, meine Kinder freuten sich, es gibt in den Niederlanden ja Sorten, die man hier nicht kennt.

    Viele Grüße
    Marita

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  6. Dieter, wieder ein inhaltsreicher, humoriger Bericht.
    Diese Nörgler werden wohl nie aussterben und denen
    fehlt was, wenn es nichts zu Nörgeln gibt.
    Einen schönen Mittwoch wünscht Dir
    Irmi

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