Mittwoch, 9. Oktober 2013

mit dem Rennrad von Koblenz aus quer durch die Eifel bis Sinzig

Koblenz, Deutsches Eck
Ich war ratlos, was ich anziehen sollte. Klirrende Kälte war mir in die Gliedmaßen gefahren, als ich zum Bonner Hauptbahnhof geradelt war. Die Fingerhandschuhe übergestülpt, in einem Poloshirt und einer Fahrradjacke aus Frotteestoff eingepackt, hatte ich mich in die Mittelrheinbahn geschlichen.

Als die Mittelrheinbahn in den Koblenzer Hauptbahnhof einfuhr, zog ich mein Poloshirt wieder aus, weil die Sonne wärmte. Für anstregende und schweißtreibend Streckenabschnitte steckte zusätzlich ein Kurzarmtrikot in meinem Rucksack.

8 Uhr 30. Bevor ich ausstieg, gesellte sich eine alte Dame mit einem Tourenrad zu mir. Die Fahrradtaschen waren aufgebläht wie ein Ballon. Ich stieg aus, sie stieg um und reiste weiter mit dem Regional-Express nach Bullay, von dort aus die Mosel entlang nach Traben-Trarbach und Bernkastel-Kues. Ich zollte ihr großen Respekt. Sie war 71 Jahre alt, agil, entschlossen. Mit ihrem blau-schwarz gemusterten Fahrradhelm sah sie glatt zehn Jahre jünger aus.

Vor dem Ausgang des Koblenzer Hauptbahnhofes traf ich ihn: meinen Fahrradkumpel, mit dem ich es immerhin vier Jahre lang hintereinander geschafft hatte, eine Tour durch die Eifel zu machen. Am Deutschen Eck stellte er den Startpunkt auf seinem Fahrrad-Navigationsgerät ein; die Route, die einmal von Süd nach Nord quer durch die Eifel führte, hatte ich zuvor als Datei aus www.gpsies.com exportiert und ihm zur Verfügung gestellt. 120 Kilometer Eifeler Landschaftserlebnis wollten wir uns auf der Zunge zergehen lassen.


an der Mosel

Ich genoß das Moseltal in der Frische des noch frühen Morgens. Die Sonne ergoß sich zwischen den Weinbergen. Fünfzehn Kilometer folgten wir dem Moseltal, dann ging es ab in ein Seitental der Eifel, welches am Tag der Deutschen Einheit vor sich her dämmerte. Äcker bogen sich nach oben in die Höhe. Wir tauchten in die Landschaft des Maifelds ein. Dabei war meine Vermutung falsch, dass dieser fruchtbare Landstrich mit fruchtbaren Ackerböden als erstes von den Römern besiedelt wurde. Nein, erste Siedlungen entstanden in der Steinzeit, denn in Polch fand man Mammut-Fanggruben. Und den Namen erhielt das Maifeld von den Kelten, die diese Ebene „meginos“ nannten.

Bahntrassenradweg
Es war entmutigend, wie sich der erste heftige Anstieg in Münstermaifeld wie ein Strich nach oben zog. Als dieser geschafft war, registrierte ich höchst zufrieden, dass meine Recherchen im Internet stimmten. Ich war auf eine Homepage mit Bahntrassenradwegen in der Eifel gestoßen. Die Bahnstrecke von Mayen nach Münstermaifeld hatte 1982 dasselbe Schicksal wie so viele andere Bahnlinien in entlegenen Gegenden ereilt: sie wurde stillgelegt. Doch anstatt dass man die Bahngleise der Natur überließ oder sie zurückbaute, entschieden sich die Verantwortlichen für eine sinnvollere Variante: sie legten einen Radweg an. Das war genial. Auf ebenem Niveau umkurvte der Radweg Hügel und Berge. Das war elegant, wie sich ein Tunnel durch den Berg fraß, so dass Steigungen und Abfahrten sanft daher plätscherten.

Mayen, Genovevaburg
An der Genovevaburg in Mayen musste ich an die Bloggerin Aritha aus den Niederlanden denken, die einen historischen Roman über die Sage der Genoveva von Brabant geschrieben hat. Nach dieser Sage wurde Genoveva von einem Pfalzgrafen zur Zeit Karls des Großen umworben, dem sie aber einen Korb gab. Als Rache beschuldigte er sie des Ehebruchs und verurteilte sie zum Tode. Der Hinrichtung konnte sie entkommen, da der Henker sie freiließ. Danach versteckte sie sich sechs Jahre lang mit ihrem Sohn in einer Höhle, wo sie eine Hirschkuh versorgte. Nach sechs Jahren fand ihr Ehemann sie in der Höhle und baute eine Wallfahrtskirche. Hier, auf der Genovevaburg in Mayen, sollte sie hingerichtet werden.

Mit Ausnahme von Münstermaifeld hatten wir keine gravierenden Steigungen zu überwinden, und dies sollte sich vorläufig nicht ändern, denn wir fuhren durch das Nettetal. Die Nette plätscherte seicht dahin. Seitwärts erhoben sich die bewaldeten Hänge der Eifel wie eine Mauer. Linkerhand grüßte Schloß Bürresheim, das mit seinem Baugerüst nicht in voller Schönheit erstrahlte. Die Sonne zeigte sich von ihrer großzügigen Seite. Die Einsamkeit hätte kaum idyllischer sein können, wenn nicht in beständigem Rhythmus Motorradfahrer diese Stille zerschnitten hätten.

Hinter den Riedener Mühlen hatte mich die Route aus www.gpsies.com gewarnt: auf wenigen Kilometern mussten wir eine Höhendifferenz von 360 Metern abarbeiten. Das war Schwerstarbeit, denn auf zwei Kilometern ging es tatsächlich 12% Steigung hoch. Muskeln und Beine spornte ich zur Höchstleistung an. Im allerkleinsten Gang kroch ich Serpentine für Serpentine hoch, die sich nichts ahnend in dem Tannenwald versteckten.

Der nächste Ort, Langenfeld, gönnte uns eine kurze Atempause. Eine Lore am Wegesrand verriet, dass hier einst Bergbau betrieben wurde. Der Ort lag so vergessen auf den Höhen der Eifel, dass sich um den Flickenteppich von Schlaglöchern niemand gekümmert hatte.

Als ob es mit der sportlichen Ambition nicht genug sei, zog hinter Langenfeld die Steigung abermals an, wenngleich nicht mit einer solchen Bissigkeit wie zuvor. Wanderparkplätze hatten sich auf die Höhe gepflanzt, auf der Wacholderheide wuchs und gedieh. Das war eine Premiere, denn Heidegebiete in der Eifel kannte ich nur aus Reiseführern.

Hohe Acht
Bergabwärts öffnete sich der Blick auf die Hohe Acht, mit 747 Metern die höchste Erhebung der Eifel. So hoch wollten wir nicht hinaus. Anstatt dessen machten wir nach dieser Extremleistung Pause. Ganz einfach, hockten wir uns mitten ins Gras. Die Oktobersonne fiel schräg auf unsere Köpfe. Wir tranken Mineralwasser, was das Zeug hielt, streckten die Beine in die Länge, dachten an gar nichts. Ich hoffte, dass das Höhenprofil aus www.gpsies.com stimmte, denn die restliche Strecke bis Sinzig versprach eine herrliche Abfahrt. Von den 120 Kilometern Gesamtstrecke hatten wir bereits 75 Kilometer geschafft. Demnach blieben nach dieser zweiten Pause – die erste Pause hatten wir auf dem Bahntrassenradweg gemacht – noch 45 Kilometer bis Sinzig übrig. Das schlimmste hatten wir also geschafft.

Abfahrt ins Ahrtal
Ein unmerklicher Anstieg auf der B412, dann kam die ersehnte Abfahrt. Ich rollte an Skiliften vorbei, die die Bedeutung als Wintersportgebiet unterstrichen. Ab Jammelsbach folgten wir dem Flußtal. In einer Art von Niemandsland war kaum eine Menschenseele zu sehen. In einsamen Orten grüßten einsame Kirchen auf einsamen Hügeln. Endlos hätten wir das Tal hinunter rollen können, wenn wir nicht das nächste Tal, das Ahrtal, erreicht hätten.

Dort wandelte sich abrupt das Straßenbild. Es war Anfang Oktober, Feiertag, Weinlese, Weinfeste in fast jedem Kaff entlang der Ahr. Das Menschengewimmele ging in Altenahr los. Die Autofahrer standen Stoßstange an Stoßstange. Die Stimmung war gereizt, wenn wir die Autofahrer im Stau mühelos mit unseren Rennrädern überholten. Wenn die Autofahrer freie Fahrt hatten, ernteten wir wütende Blicke und eindeutige Gesten, dass wir auf der Straße nichts zu suchen hätten, sondern dass wir uns bitte auf dem Ahrtalradweg zu bewegen hätten. Doch dieser war mit Familien mit Kindern und jede Menge Ausflüglern rappelvoll. Dazu führte die Fahrstrecke kreuz und verquer mit zu vielen Umwegen die Ahr entlang.

16 Uhr 15, nachdem ich vor Mayschoß einen platten Vorderreifen reparieren durfte, erreichten wir den Bahnhof Sinzig. Als der Regional-Express eintrudelte, hatte ich Glück. Am nächsten Bahnhof, Remagen, stürmten so viele Fahrradfahrer das Fahrrad-Abteil, dass sie bis zur Eingangstüre standen.

Beinahe langweilten mich die Gespräche der leidenschaftlichen Fahrradtouristen. Rheintal, Moseltal, Wesertal, Donautal, sie ereiferten sich in Diskussionen, welches Tal nun mit der Brille eines Fahrradfahrers als am schönsten zu bewerten sei. Das ließ mich kalt. „Der nächste Berg ist der schönste“ so lautete mein eigenes Fahrradfahrer-Motto. Täler werden in meiner Fahrrad-Philosophie auch ihren Platz finden. Spätestens, wenn ich 71 Jahre alt sein werde. Dabei dachte ich an die 71 jährige Frau, der ich auf der Hinfahrt in Koblenz begegnet war.

13 Kommentare:

  1. Einfach rundum schön berichtet - das lese ich sehr gerne - und das, obwohl es doch meine Heimat ist (oder vielleicht,gerade deshalb?) - vielen Dank für Deine Arbeit.

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  2. Hej Dieter,
    eine wundervolle Reportage. Man sieht die Landschaft vor dem inneren Augen vorüberziehen. Was besonders gelungen ist:: es liest sich unangestrengt, obwohl man immer wieder die körperliche Verausgabung hindurch spürt.

    Gruß
    Beate

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  3. Die Gegend kenne ich und jetzt hast Du noch mehr Respekt, weil es dort doch sehr bergig ist. Die Landschaft ist aber atemberaubend schön.
    Liebe Grüße!

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  4. Was für eine Riesentour. Da habt ihr aber eine Menge erlebt und gesehen. Das Ahrtal und auch einige Rheinorte sind um diese Jahreszeit total überlaufen; wir meiden die dann. Radfahrer auf der engen Straße im Ahrtal gibt es auch wochentags :-( Ich finde es sehr gefährlich. Gut, dass ihr heil wieder zurückgekommen seid. Obwohl: ein defekter Reifen ist auch nicht so schön.
    LG, 'Franka'

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  5. Dieter, wieder eine tolle Tourenbeschreibung.
    Und ich dachte schon, ich hätte alles gekannt.
    Weit gefehlt.
    Einen schönen Mittwochabend wünscht dir
    Irmi

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  6. Meine Bewunderung hast du für die Bewältigung dieser Strecke mit dem Fahrrad! Ich bin früher sehr viel im Maifeld, in der Gegend um Mayen, Rieden usw. umhergewandert, habe Wanderwege für andere erschlossen usw. Interessante Gegend! Mit der Genovevalegende bin ich schon von den Nonnen im Kindergarten traktiert worden & der Ton dabei war oft unerträglich....
    Jetzt war ich schon lange nicht mehr dort. Deshalb war dein Bericht für mich sehr interessant. Ich bleib zur Zeit lieber ganz in meiner engsten Umgebung. Muss mich ja auch noch regellmäßig ins Krankenhaus begeben.
    Liebe Grüße
    Astrid

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  7. Eine tolle gigantische Tour Dieter, ich bewundere immer wieder, wie du sie bewältigst. Hast die Strecke schön beschrieben.

    Liebe Abendgrüße
    Angelika

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  8. Wieder mal klasse dir so folgen zu können, so lässt sich die Natur bestimmt am Besten auf dem Fahrrad erkunden. Man ist viel flexibler und nimmt zudem noch alle Gerüche wahr.

    Eine ganz schöne Hammertour, meine Bewunderung wie immer.

    Hab einen schönen Tag und liebe Grüsse

    Nova

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  9. Dieter, Du solltest glatt mal ein Fahrradtour-Erlebnis-Buch schreiben!!!
    Liest sich wirklich klasse und man ist mittendrin. Meine Bewunderung für diese Mammuttour!
    ---------------
    Dieter, Du kannst gerne kommen zur Krimilesung, ist für Dich ja nicht gerade um die Ecke, aber bei Interesse, kannst Du mich anrufen, gerne! Kosten 14, 90 €, inkl. Buch und Fingerfood.

    LG Marita

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  10. Deine Tourenbeschreibungen sind immer einmalig, du formulierst so Detail getreu, dass man glaubt, neben dir herzuradeln, bravo!

    Hast du diese Tour erst kürzlich gemacht? Sieht alles schon schön herbstlich aus.

    Liebe Grüße schickt dir
    Christa

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  11. Hallo Dieter,
    was für ein Glück, bei so schönem Wetter diese Tour zu machen.
    In Koblenz war ich leider noch nie, lohnt das für ein ganzes Wochenende?
    VG
    Elke

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  12. Oh bei euch ist noch so schönes Wetter... hier "riecht" man den schnee bereits :-)

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  13. Ein schöner und vor allem interessanter Bericht, den ich wieder mal gerne hier gelesen habe. Das mit den Bahntrassen hört sich echt gut an.
    Gruß vonner Grete

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