St. Martin Euskirchen |
Nach der Jahrhundertwende sollte die Kirche
abgerissen werden. Die Textilindustrie boomte, Euskirchen war
Eisenbahnknotenpunkt nach Köln und Bonn, es herrschte Aufbruchstimmung in neuen
Industriebranchen. Die Einwohnerzahl wuchs und wuchs, so dass die Gottesdienste
überquollen. Zweihundert Meter weiter, sollte die Herz-Jesu-Kirche ein
vielfaches größer gebaut werden und St. Martin abgerissen werden. Dem
Architekten Aloys Schlösser ist es zu verdanken, dass beide Kirchen, St. Martin
und die Herz-Jesu-Kirche erhalten blieben. Glück hatte St. Martin genauso im Zweiten
Weltkrieg, als das komplette Euskirchen 1944 nach Dauer-Bombardements zerstört
wurde – mit Ausnahme der Pfarrkirche St. Martin.
Praller Sonnenschein hatte mich im Oktober mit
meinem Rennrad nach Euskirchen gelockt, ein Ziel, um das ich sonst wegen der
flachen Strecke einen Bogen gemacht hatte.
Die Pfarrkirche St. Martin existierte bereits im Jahr
870, das beweisen Urkunden aus dem Vertrag von Meerssen, als das Reich Karls
des Großen geteilt wurde. Dass sie einmal eine romanische Kirche war, davon ist
heute gar nichts mehr zu sehen. Rund 500 Jahre später wurde jahrhundertelang an
ihr herum gebaut, so dass sie durch und durch gotisch aussieht.
Wieso Euskirchen als Ziel für eine Radtour ? Die
Verbindung von Antwerpen zum Rheinland hatte
mich neugierig gemacht. Es waren zwei Bewegungen, die zu Beginn der Neuzeit
ganz Europa erfassten und ein neues Denken begründeten. Die Reformation nahm
ihren Ursprung in Ostdeutschland und erreichte um 1600 sowohl Flandern wie das
Rheinland. Nachdem protestantische Bilderstürmer in Antwerpen für Schrecken und
Verwüstung der Kirchen gesorgt hatten, fand das Bürgertum einen Konsens, beide
Religionen als gleichrangig zu betrachten, während in den übrigen spanischen
Niederlanden Calvinisten und Katholiken mit blindem Fanatismus aufeinander
einschlugen. Im Rheinland war die Entwicklung ähnlich wie in Antwerpen. Hier
waren es Klöster wie Kamp-Lintfort oder auch Fürsten/Kurfürsten, die entweder eine
gegenseitige Toleranz der Religionen durchsetzten oder eine Dominanz des katholischen Glaubens unter Duldung der Protestanten.
Das Gedankengut beziehungsweise die Kunstepoche der
Renaissance breitete sich über Italien nach Flandern aus. An der Scheldemündung
gelegen, war Antwerpen eine der reichsten Handelsstädte Europas. Peter Paul
Rubens, der als Kind in Köln aufwuchs, zog mit seiner Familie nach Antwerpen.
Von dort aus reiste er nach Italien, um Tizian, Veronese und andere Maler
kennen zu lernen und kehrte nach Antwerpen zurück.
Rubens, Der Fall des Pheaton; Quelle Wikipedia |
Rubens‘ Malerei griff auf Motive der Antike zurück. Prometheus,
Herkules, Jupiter, Kallisto, Perseus oder Andromeda wurden im Geist der
Renaissance in seinen Gemälden wiedergeboren. In der heutigen Begriffswelt
würde man Antwerpen als „Think Tank“ bezeichnen: auf einer Insel der Ruhe
inmitten der Reformation sammelten sich die geistigen Bewegungen. Die Schriften
von Horaz, Homer, Ovid oder Seneca wurden wieder gelesen. Es entstanden neue
Schriften von Humanisten wie Erasmus von Rotterdam oder Grotius. Auftraggeber
für Gemälde, die in einer Art von Massenproduktion entstanden, waren Kirchen.
In derselben großen Stückzahl entstanden ab 1500 in Werkstätten holzgeschnitzte
Altäre.
Ich kettete mein Rennrad an die Eingangstafel,
betrat in meiner Radfahreraufmachung die Pfarrkirche St. Martin in Euskirchen.
Ich war irritiert, dass ich schüchterne Frauenstimmen hörte.
„Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“
der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“
Eine Handvoll älterer Frauen betete in der rechten
Stuhlreihe den Rosenkranz. Ich war unsicher, wie ich mich verhalten sollte,
denn ich schritt mit kurzer Hose, Fahrradhelm auf dem Kopf und Fotoapparat in
der Hand durch die Kirche, dessen gotische Fenster ungewohnt kurz in die Höhe
strebten.
Der zentrale Blickfang, den ich gesucht hatte, lag
mitten im Chorraum der Kirche. Es war ein Hochaltar, der 1510 in der Werkstatt
von Adrian van Overbeck in Antwerpen entstand. Die holzgeschnitzten Motive
entstammten aus der Bibel: die Heilige Sippe mit Maria, die Vermählung Josefs
mit Maria, der Tempelgang Marias, die Almosenverteilung durch die Eltern
Marias, der Heilige Jakobus der Ältere und der Evangelist Johannes. Die
Werkstatt von Adrian van Overbeck, in der auch Tischler, Holzschnitzer,
Bildhauer und Maler tätig waren, belieferte weitere Kirchen im Rheinland mit
Altären, so Kempen und den Kölner Dom.
Dies war die Verbindung von Antwerpen nach
Euskirchen. Weitere Altäre aus anderen Werkstätten in Antwerpen standen quer
verteilt über das Rheinland – so in Rees, Kalkar, Xanten, Rheinberg, Dinslaken,
Linnich und vieles mehr ….
Vorsichtig wie ich gekommen war, verließ ich dieses
Stück Renaissance in Euskirchen. Die Rosenkranz-betenden Frauen nahmen keine
Notiz von mir. Als ich nach draußen trat, wärmte die herrliche Herbstsonne.
Lieber Dieter
AntwortenLöschenDas hört sich sehr interessant an. Danke für die tollen Eindrücke!
Einen gemütlichen Abend wünscht Dir Yvonne
Interessante Informationen und schöne Bilder.
AntwortenLöschenDen "Übergang" von einer schön kühlen Kirche an einem warmen Sonnentag nach draußen mag ich auch gerne.
lieben Gruß
Brigitta
Lieber Dieter, nun war ich schon so oft in Euskirchen - aber diese Kirche habe ich nicht im Visier gehabt. Danke für den Post!
AntwortenLöschenLG
Astrid
Ja, die Kirche ist schon toll. Auch wenn ich evangelisch bin, ich kenne sie auch von innen. Schließlich ist Euskirchen seit mehr als 30 Jahren meine Heimat. Schön, dass du hier warst.
AntwortenLöschenVielleicht noch nicht ganz passend, aber da kommt die Kirche drin vor.
Advent ( Am Fenster )
Gezuckert liegt die Stadt zu meinen Füßen.
Ein Blick nach rechts, die Felder sind in weiß getaucht.
Ein helles Tuch, so rein als wär´s noch nie gebraucht.
Die Glocken von St. Martin lassen grüßen.
Aus manchen Dächern quellen graue Fahnen.
Sie weben einen Reigen der von Wärme zeugt,
der sich erhebt und trotzt und nicht der Kälte beugt.
Die Menschlichkeit darin lässt sich erahnen.
Ich steh am Fenster, denke an Sonette,
an Thesen, Antithesen und Terzette.
An Schein und Wirklichkeit und an die Quintessenzen.
An das was war, was kommen mag im Leben,
an die, die ihre Träume aufgegeben.
Und bin wie meine Stadt, hab Mauern und auch Grenzen.
©Perdita Klimeck
Ich bin das übrigens selbst. Die Grete ist ja nur eine Kunstfigur.
Hallo Dieter, ein herliches Gotteshaus und viele Hintergrundinfos, ein toller Beitrag.
AntwortenLöschenIch liebe so alte ehrwürdige Gotteshäuser sehr. Da hast du wieder eine schöne Radtour gemacht.
Liebe Abendgrüße
Angelika
Eine wunderschöne Kirche und da wäre ich auch reingegangen. Die Tage des Rosenkranzes...das sind dann Tage die alle Welt miteinander verbinden bzw. eins haben. Hier fanden auch überall diese Feste statt und mein Dia del Rosario wird mein nächster Glockenturm^^
AntwortenLöschenSchön auch zu lesen dass du noch solch wärmende Sonnenstrahlen genießen kannst. Wünsche sie dir von Herzen
Liebe Grüssle
Nova
So schön zu lesen, dass diese Kirche stehen bleiben durfte. Ich freue mich, dass du auch Fotos ihres Innenraumes mitgebracht hast.
AntwortenLöschenHast du schon mal bemerkt, dass gerade in den Altarbereichen eine unheimlich schöne Energie zu spüren ist. Dieser Hochaltar hier ist schon sehenswert. :-)
Weiterhin gutes Licht und wärmende Strahlen für weitere Radtouren.:-)
Liebe Grüße und dir noch einen schönen Abend
Christa
Ein sehr aufschlussreicher Bericht. Ich habe viel gelernt.
AntwortenLöschenEs ist besonders anzuerkennen, dass du auf deinen Radtouren Wert darauf legst, auch den inneren Menschen zu Wort kommen zu lassen und nicht nur den Sportler.
Hallo Dieter,
AntwortenLöschenschön dass du eine unserer drei katholischen Kirchen in Euskirchen besucht hast und hier vorstellst. Sie hat übrigens einen total schiefen Kirchturm, was besonders aus der Entfernung auffällt.
Ich wünsche dir noch viele angenehme herbstliche Radtouren.
Viele Grüße
Arti
This church is a very nice and pleasant, fortunately it has not been demolished and we can enjoy your pretty chronic.
AntwortenLöschenHave a fantastic week ahead*:)