Gerichtsinsel in Wuppertal; Quelle: www.wuppertal.de |
… das verheißt im Rheinland
nichts Gutes. Nicht Unheil verkündend, sondern verwirrend schlängelt sich
dieser 119 Kilometer lange Fluß durch das Bergische Land, als habe er die
Orientierung verloren. Im Oberlauf, wo die Wupper sich noch Wipper nennt,
sticht sie nach Norden, dreht bei Wuppertal nach Westen, quetscht die Metropole
des Bergischen Landes in einen engen Talkessel hinein, dreht dann nach Süden
zurück, mäandriert sich an Burg an der Wupper vorbei, gleitet bei Leverkusen, eingekreist
vor lauter chemischer Industrie, in den Rhein aus.
Dennoch: „über die
Wupper gehen“ klingt Unheil verkündend. Diese Redensart ist auch im rheinischen
Dialekt angekommen. So sagt der Kölner „he es üvver de Wupper“ und er meint
dabei, dass jemand der Stadt verloren gegangen ist. Oder dass er sie verlassen
hat.
Wie bei anderen Redensarten,
sind die Erklärungen nicht eindeutig. Sämtliche Erklärungen haben mit der Stadt
Wuppertal zu tun, beziehungsweise mit den Stadtteilen Barmen, Elberfeld,
Vohwinkel, Ronsdorf, Beyenburg woraus 1930 die Stadt Wuppertal gebildet wurde.
Andere Erklärungsansätze weisen auf die Grenze des Rheinlandes kurz hinter
Wuppertal.
Aus heutiger Sicht klingt es
unglaublich, dass Wuppertal im 19. Jahrhundert die größte Industriestadt in NRW
war. So zählten im Jahre 1880 Elberfeld und Barmen 189.000 Einwohner gegenüber
145.000 in Köln, 95.000 in Düsseldorf oder 57.000 in Essen. Die Einwohnerzahlen
kletterten, die Massen der Arbeiter lebten in Armut, die Kriminalität stieg,
Recht und Gesetze wurden vielfältiger. Für die steigende Zahl von Gerichtsprozessen
wurde 1852 der Neubau eines Gerichtskomplexes gebaut.
Noch heute klammern sich die
Häuseransammlungen der Stadt eher unsystematisch an die Wupper. An einer Stelle
– in Elberfeld – verzweigt sich die Wupper und fließt um eine Insel herum.
Genau auf dieser Insel wurde 1852 dieser Gerichtskomplex gebaut, bestehend aus
Amts- und Landgericht. Mit diversen Umbauten, Kriegszerstörungen, Abrissen,
Neubauten ist diese Gerichtsinsel bis heute erhalten geblieben. Kläger und
Beklagte mussten also über die Wupper gehen, um zum Amts- und Landgericht zu
gelangen. Den Gerichtsprozess zu überstehen, bedeutete an und für sich nichts
Böses und hing vom Urteil ab. Verschärft wurde diese Redewendung im
Zusammenhang mit Insolvenzen. Dies war im 19. Jahrhundert nicht anders als
heutzutage, dass sich in Zeiten von wirtschaftlichen Rezessionen die Fälle von
Insolvenzen häufen. Wenn Unternehmer über die Wupper gingen, war dies gleich
bedeutend mit einem Konkurs. „Opel geht über die Wupper“: mit diesen
Suchbegriffen habe ich zuletzt in Google ganz viele Suchergebnisse erhalten,
dass das Opel-Werk in Bochum dicht gemacht wird.
Mit der Exekution gingen die
Gerichtsprozesse weiter als heute. Da die Straftaten stiegen, wurde 1864 jenseits
der Gerichtsinsel ein Gefängnis gebaut. Über die Wupper gehen konnte auch
bedeuten, über die Gerichtsinsel zum gegenüberliegenden Ufer im Gefängnis
hinter Gittern eingelocht zu werden. Zu dieser Zeit war die Todesstrafe noch
nicht abgeschafft, so dass in dem Gefängnis ein Henker mit einem Fallbeil auch
Todesurteile vollstrecken konnte. Dies war die schlimmste Bedeutung der
Redensart „über die Wupper gehen“: die Todesstrafe.
Eine weitere Herleitung
dieser Redensart hängt mit der Rekrutierung von Soldaten zusammen. Im 18.
Jahrhundert markierte die Wupper die Grenze zwischen dem Rheinland (Herzogtum
Berg) und Westfalen (Grafschaft Mark). In der Grafschaft Mark herrschte
Wehrpflicht, so dass alle jungen Männer in der preußischen Armee dienen
mussten, während das Herzogtum Berg auf eine solche Wehrpflicht verzichtete.
Wegen Drill, Disziplin, Willkür und absolutem Gehorsam bis zur Selbstaufgabe
war der Wehrdienst in der preußischen Armee verhaßt. Die jungen Männer
flüchteten vor diesem Wehrdienst, indem sie in das freizügige Herzogtum Berg
wanderten und sich dort niederließen. Sie gingen über die Wupper. In dieser
Bedeutung verloren sie ihre Heimat in der Grafschaft Mark, was wiederum der
Kölschen Interpretation „he es üvver de Wupper“ entspricht.
Es bleibt dabei: „über die
Wupper gehen“ klingt Unheil verkündend. Die Redensart hat man sogar mit dem
Buch Josua aus dem Alten Testament in Verbindung gebracht. Nach dem Tod von
Moses wollen die Israeliten den Jordan überschreiten, um ins Himmelreich zu
gelangen. „Über den Jordan gehen“ bedeutet zu sterben, um über den Tod in den
Himmel zu kommen. Dies hat man mit „über die Wupper gehen“ gleich gesetzt.
Redensarten müssen angepasst,
gedehnt und interpretiert werden. Sie leben mit der Überlieferung und der
Sprache. Im Umfeld der eigenen Umgangssprache ist die Redewendung "über die Wupper gehen" seit langem
aus der Mode gekommen.
Vielleicht ändert sich dies
in der nächsten wirtschaftlichen Rezession. Dann kreist der Pleitegeier.
Konkursverwalter bekommen alle Hände voll zu tun. Firmen werden über die Wupper
gehen.
über die Wupper gehen ... den Spruch kenne ich auch ... und ich habe noch nie darüber nachgedacht ...
AntwortenLöschen... bisher :-)
danke für deine Info
lieber Wochenendgruß von Heidi-Trollspecht
Da hast du wieder einen tollen Post verfasst! So was macht Spaß zu lesen...
AntwortenLöschenEin schönes Wochenende!
LG
Astrid
Hej Dieter,
AntwortenLöschenDurch den geografisch festgelegten Flussnamen (Wupper) wird "über den Jordan gehen" ein regionales Sprichwort mit zusätzlichen Bedeutungen. Sprache ist flexibel und es liegt in der Deutung des Einzelnen, wie er sich für eine bestimmte Situation Begriffe zurecht legt.
Hier kommen interessante Dinge zutage.
Gruß
Beate
Vielen lieben Dank für den Post und die Erklärung. So kenne auch ich den Spruch und habe ihn immer so "hingenommen" wenn er ausgesprochen wurde. Wirklich sehr interessant wie sowas entstehen kann.
AntwortenLöschenWünsche dir ein schönes Wochenende und sende liebe Grüssle
Nova
Hallo Dieter,
AntwortenLöschendie Anlehnung an 'über den Jordan gehen' war mir bekannt, doch die Hintergründe und die weitere Bedeutung nicht, darum vielen Dank für den informativen, interessanten Beitrag.
Liebe Grüße und noch ein schönes, entspanntes Wochenende für dich und deine Familie!
N.
Danke Dieter für die Erklärungen, man sagt diesen Spruch einfach so daher und ist sich gar nicht seiner Geschichte bewusst.
AntwortenLöschenJa Wuppertal waren 1884 mehrer einzelne Städte, wie Elberfeld, die Größte und Barmen. Erst 1929 wurden sie zur Stadt Wuppertal zusammen geschlossen.
Wuppertal hat ein tolles Opernhaus, was ich Anfang der 80iger Jahre oft besucht habe. Von Hagen nach Wuppertal war ein Katzensprung. Auch mit der Schwebebahn bin ich als Kind oft gefahren.
Liebe Wochenendgrüße
Angelika
Vielen Dank für die Erklärung dieses berühmten Spruches, lieber Dieter. Es erstaunt immer wieder, wie eine solche Redensart entsteht und wie sich auch mit der Zeit die Deutung ändern kann.
AntwortenLöschenLiebe Grüße und ein schönes Wochenende
Christa
Lieber Dieter,
AntwortenLöschendiesen Spruch benutzten wir tagtäglich. Er war
uns so geläufig wie das tägliche Essen.
Als ich im Badischen landete, war er unbekannt.
Ein schönes Wochenende wünscht
Irmi
Interessanter Artikel! Den Ursprung des Spruchs kannte ich auch nicht!
AntwortenLöschenLG Calendula
Ein interessanter Bericht. Ich mag Redensarten und es ist immer wieder erstaunlich, zu erfahren, wo sie herkommen. Bei Burgenbesichtigungen gibt's auch immer welche, weil wohl vieles aus dem Mittelalter kommt und heute immer noch gebräuchlich ist.
AntwortenLöschenLG, 'Franka'
Bei mir heißt "über die Wupper gehen" nicht nur Unheilverkündendes, sondern ich verbinde damit sogar das Sterben.
AntwortenLöschenDer Artikel ist sehr interessant und beim Lesen schien mir die Asoziation mit der Gerichtsinsel am Einleuchtensten :-)