Quelle: Wikipedia (creative commons license) |
Kernkraftwerke müssen so
gebaut sein, dass sie beständig sind wie das römische Reich. Mehrere Jahre lang
bin ich regelmäßig mit dem Zug von Bonn aus über Koblenz das Rheintal entlang
gefahren. Nachdem ich zwischen den Hängen von Eifel und Westerwald die Rheinromantik
bestaunen konnte, wurde ich hinter dem Andernacher Trichter aus den Träumen
gerissen. Das Kernkraftwerk in Mülheim-Kärlich beherrschte das Neuwieder
Becken, es platzierte sich direkt neben die Bahnlinie, der Kühlturm schoß mit
seinem wuchtigen Koloss in die Höhe. Das Atomzeitalter hatte begonnen. Die
neuen Kathedralen der Energieversorgung sollten für die Ewigkeit gebaut sein.
So beständig wie das römische
Reich, genauso musste das Innere des Kernkraftwerks strengsten
Sicherheitsvorschriften und schlimmsten Szenarien genügen. Im Umkreis musste
die radioaktive Belastung gleich Null sein. Bei einem eventuellen
Flugzeugabsturz mussten Reaktor und Brennstäbe bombenfest ummantelt und
gesichert sein. Die Planungsverantwortlichen dachten nicht in zehn oder hundert
Jahren, sondern noch länger. Das waren historische Zeiträume. Generationen von
Menschen würden mit dem Kernkraftwerk leben, Revolutionen würden darüber hinwegfegen,
das Kernkraftwerk würde weitere Weltkriege überdauern, von denen wir heute noch
nichts erahnen.
Halbwertszeiten haben die
Ewigkeit dieses Kernkraftwerks bestimmt. 28 Jahre Halbwertszeit kann ich mir
bei Strontium gerade noch so vorstellen, während 24.000 Jahre bei Plutonium in Ewigkeiten
von Lichtjahren verschwinden.
„Atomkraft nein danke“: der
Baubeginn von Mülheim-Kärlich fiel 1975 genau in diejenige Phase hinein, als
sich die AKW-Bewegung formiert hatte und erste Erfolge verbuchen konnte. Die
AKW-Bewegung protestierte, besetzte, thematisierte die Risiken der Kernkraft.
In Mülheim-Kärlich sezierten sie das Genehmigungsverfahren und zog vor Gericht.
Die AKW-Gegner verwiesen auf die Erdbebengefährdung im Neuwieder Becken.
Entlang des Rheins und in der Eifel bebte die Erde unregelmäßig – sogar kurzzeitig bis
zu einer mittleren Stärke. Sie argumentierten mit dem Kratersee im
fünfzehn Kilometer entfernten Maria Laach. Dort war nachweislich von 10.000
Jahren ein Vulkan ausgebrochen. Die Mühlen der Gerichte mahlten im
Zeitlupentempo, doch 1988 war es soweit: in der Baugenehmigung hatten die
Planenden es unterlassen, ein mögliches Erdbeben zu berücksichtigen. Dazu hätte
ein neues Planungsverfahren angestoßen werden müssen. Mülheim-Kärlich hatte
gerade zwei Jahre lang Strom produziert, da musste es wieder vom Netz genommen
werden.
Die Kraftwerkssilhouette ist
ein markantes Zeichen des Neuwieder Beckens geworden. Zwischen Eifel und
Westerwald eingequetscht, läuft das Rheintal seitwärts bequem in einer Ebene
aus. Industriegebiete haben sich seitwärts der B9 zwischen Andernach und
Koblenz hin gepflanzt. Es ist der häufige Mix aus mittelständischen Betrieben,
IT-Unternehmen und produzierendem Gewerbe. Neben dem Forschungsreaktor in
Jülich ist Mülheim-Kärlich das einzige Kernkraftwerk im Rheinland.
Das gerichtliche Hickhack
ging weiter. Geänderte Baugenehmigung, Klage, neue Auflagen. 1998, nach
zehnjährigem Rechtsstreit, hob das Bundesverwaltungsgericht die Baugenehmigung
in letzter Instanz auf. Der Kraftwerksbetreiber, die RWE Power AG, hatte sich
schließlich damit abgefunden und 2004 die Genehmigung eingeholt, das Kernkraftwerk
zurückzubauen, also abzureißen.
Goten, Vandalen, Alemannen,
Franken, Burgunder, Slawen, Hunnen waren nicht in einem Schub in das römische
Reich eingedrungen. Das römische Reich war in Zeiträumen von Jahrhunderten
zerfallen. Es gab Provinzen, in denen sich die Römer über Jahrzehnte und
Jahrhunderte behaupteten. Entscheidende Schlachten ließen auf sich warten. Die
erobernden Völker sickerten schließlich durch und gründeten neue Siedlungen. In
ähnlichen Zeithorizonten müssen die Verantwortlichen an ein Kernkraftwerk
herangehen. Die schlacksige Gestalt des Kühlturms bröselt nicht vor sich hin.
Die Arbeiter, die das Kernkraftwerk zerlegen, tasten sich vom Äußeren ins
Innere. Sie haben mit nicht radioaktiv belasteten Kraftwerksteilen begonnen.
Davon ist im September des letzten Jahres ein 450 Tonnen schwerer
Notstromgenerator samt Turbinen demontiert worden, in haarkleiner
Präzisionsarbeit aus dem Inneren geschafft worden und mittels Schwertransporter
auf ein Schiff verladen worden. Turbinen und Generator sollen nun Strom in
einem Gaskraftwerk in Ägypten produzieren.
Dann schreitet der Rückbau in
die leicht verstrahlten Kraftwerksteile fort. Diese Phase steht Mülheim-Kärlich
noch bevor. Damit die Teile wiederverwertet werden können, muss ein mehrstufiger
Wertstoffkreislauf durchlaufen werden: die Teile werden demontiert, zerlegt,
zerkleinert, mit Sandstrahlern gereinigt, wobei permanent die Strahlenbelastung
gemessen wird. Die Reinigung wird solange wiederholt, bis die Grenzwerte eingehalten
werden.
Wenn es an die stark
verseuchten Kraftwerksteile heran geht, dann ziehen sich die Zeiträume zu
Endlosspannen in die Länge. Das ist vor allem der Reaktorbehälter, in dem die
Brennstäbe mittels Kernspaltung Strom erzeugt haben. Die Brennstäbe sind
bereits 2002 abtransportiert worden. Da der Rückbau dieser Teile
lebensgefährlich ist, übernehmen Industrieroboter diese Arbeit. Sägen,
Seilsägen, Hydraulikscheren, Schneidbrenner werden zum Einsatz kommen, um
dieses Kernstück des Atomkraftwerks zu zerlegen. Um eine Verwirbelung des
Staubs in der Luft zu minimieren, müssen diese Werkzeuge in einem möglichst
langsamen Tempo laufen. Dabei sind die Zeiträume begrenzt, wie lange die Teile
zerlegt werden dürfen. Einer Zerlegezeit muss eine Ruhezeit folgen, in der sich
der kontaminierte Staub absetzen kann. Staub und verstrahlter Atomschrott werden am Ende in doppelwandigen Metallbehältern, besser bekannt als Castoren, landen.
Diese jahrelange mühselige
Kleinarbeit wird dauern – die RWE Power AG hat zuletzt einen Endtermin 2021
genannt. Und die Kleinarbeit wird Millionen oder Milliarden Euro-Beträge
verschlingen. Erfahrungswerte gibt es kaum oder sie schwanken extrem. So
kostete der Rückbau des Kernkraftwerks Würgassen in NRW 700 Millionen Euro,
während Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern 4 Milliarden Euro gekostet hat.
Mit diesen Größenordnungen könnte ein Szenario eintreten, dass
Kraftwerksbetreiber infolge des Rückbaus Pleite gehen und im Endeffekt der
Staat – also der Steuerzahler – diese Kosten zu übernehmen hat.
In dem Theaterstück von
Dürrenmatt hatte es Romulus der Große vergleichsweise einfach, damit sein Reich
zerfiel. Er stand kurz vor dem Niedergang des römischen Reiches. Er rief die
Germanen, dass sie in seinen Palast eindringen sollten. Als sie eindrangen,
löste er sein Imperium auf. Er ließ sein Reichsschwert sinken und übergab seine
Statue den Germanen.
Ganz so einfach ist dies bei
einem Kernkraftwerk nicht.
Ich wohne in Obrigheim. Hier wurde 1968 das AKW in Betrieb genommen und am 11.05.2005 als erstes Kernkraftwerk vom Netz genommen. Der Rückbau soll 500 Millionen Euro kosten und wird noch mehr als 10 Jahre dauern. Vor zehn Jahren waren noch 19 kommerzielle AKW in Betrieb, heute erzeugen noch 9 davon Strom. Allein am 6.8.2011 stellten 8 Kraftwerke ihren Betrieb ein. Im Rückbau befinden sich neben Obrigheim die AKW in Stade, Würgassen und Greifswald.
AntwortenLöschenDein Vergleich mit dem Untergang des römischen Reichs ist gut. Nur hinterließen diese keinen strahlenden Müll.
Eine schönen Restabend wünscht dir
Irmi
Tja, die Müllfrage wird uns wohl intensiver und länger beschäftigen, wie das römische Reich.
AntwortenLöschenEin sehr gelungener Vergleich, ich bin immer wieder fasziniert, auf was für Ideen Du kommst :-).
Wir haben hier ja den maroden Reaktor in Fessenheim im Elsass vor der Nase. Und der ist ja immer noch allen Protesten und dort immer wieder vorkommenden Reaktorpannen zum Trotz am Netz. Wird Zeit, dass sich die Gallier mal auf Asterix und Obelix besinnen und die Römer bekämpfen. Denn hier in der Region (und inzwischen auch im Elsass!) ist Fessenheim ein Damoklesschwert.
AntwortenLöschenAber auch hier ist die Frage, wohin mit dem radioaktiven Müll und wohin mit den noch Jahrtausende strahlenden Reaktorbestandteilen!
LG Calendula
Lieber Dieter! Da hast du ja wieder gründlich recherchiert & anschaulich geschildert! Ich erinnerte mich an die unendlichen Diskussionen in den 70ern mit Forschern aus Jülich, die wir als intelligente Menschen bei Veranstaltungen im Bildungsbereich kennengelernt hatten, und die die geschilderten Probleme immer wieder klein geredet haben. Mein Mann, ein Physiker, hatte glücklicherweise auch so seine Kenntnisse und Schlussfolgerungen.
AntwortenLöschenWas mich richtig aufregt ist, dass wir hier in unserem Land seit dem avisierten Ausstieg ja wohl gut ohne die Dinger mit Strom versorgt werden können.
Ein heißes Kapitel!
LG
Astrid
Hi Dieter,
AntwortenLöschenzu diesem Thema halte ich mich immer zurück, verfolge nur in den Nachrichten, wo der Mainstream und die Diskussion hingeht. Dein Vergleich mit dem Untergang des römischen Reichs finde ich gelungen.
Danke für deinen cmt: Sonntag war der Umzug der Erwachsenen mit ca. 75 Wagen (früher waren es knapp 100) und Samstag ist immer der Umzug vom Kinderkarneval der Kulturen....und wie gesagt mit dem Motto: Meeresschildkräten retten.
Grüssle zum gemütlichen Feierabend, Wieczora (◔‿◔) | Mein Fotoblog
Das ist eine Sache, die uns noch lange beschäftigen und Kopfzerbrechen bereiten wird.
AntwortenLöschenGlaubst du daran, dass man diese Meiler wirklich so bombenfest bauen kann/wird, dass sie allen Widrigkeiten Stand halten?
Genauso verhält es sich mit dem Müll!
Deinen Vergleich zum Römischen Reich finde auch ich gelungen!
Liebe Grüße
Christa
Sehr interessant Dein Beitrag. Das isrt nicht einfach und auch nicht billig.
AntwortenLöschenEigentlich müssten die Kraftwerksbesitzer das bezahlen. Aber sie machen es nicht, so wenig sie die Entsorgung der brennstäbe übernommen haben, das bezahlte mis jetzt auch immer der Steuerzahler. Wenn es mit den AKW´s so weiter gegangen wäre, ständen diese Kosten eben auch zu Buche und den Gewinn strich immer nur das AKW ein.
Man könnte also aich sagen, lieber ein Ende mit Schrecken, sprich hohen Kosten, als ein Schrecken ohne Ende, wenn ich an die vielen bekannten und unbekannte AKW Unfälle denke.
Natürlich , das relativ kleine Deutschland kann nicht die Welt retten und die Polen bauen ein neues AKW auf, vielleicht geht der Brüter dorthin gleich mit glühendem Brennstab?
Mensch besinne Dich, die Erde ist nicht nur für Dich da, und wenn es keine Menschen mehr gäbe, die erde würde noch weiter existieren, bis sich das Universum neu formatiert.
Liebe Grüße Ulrike
und Grüße an Deine familie
Ein interessanter Artikel. Ich gestehe, ich bedaure diese Rückbaumaßnahmen. Soll niemand glauben der Strom den wir dafür aus dem Ausland kaufen müssen, weil die landeseigne Versorgung nicht genügt stammt nicht aus Akw's. Nur dass unsere wohl höhere Sicherheitsstandarts erfüllt haben.
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
N.
Vielen Dank für den tollen informativen Bericht Dieter.
AntwortenLöschenDer Reaktor verschandelt wirklich die ganze Gegend. Ich bin froh, dass dort nicht mehr prodziert wird. Atomstrom - nein danke ! Da schließe ich mich an und zahle gern ein wenig mehr, um in den Naturstrom zu investieren. Ich hoffe, dass wir das Thema Atomstrom in Deutschland zumindest bald mal abschließen können.