Mittwoch, 15. Mai 2013

St. Maria Lyskirchen


Den Dachstuhl haben Bomben und Granaten des zweiten Weltkrieges weggerissen. Unter dem Dachstuhl geschah ein Wunder, denn die Gewölbe mit den Deckenmalereien aus dem Jahr 1230 blieben unversehrt. Maria Lyskirchen und der Dom – das sind ungefähr die einzigen Kölner Kirchen, die den Bombenhagel des zweiten Weltkriegs halbwegs überlebt haben. Während in den übrigen elf romanischen Kirchen die Kriegsschäden erst 1984 komplett beseitigt worden waren, kam Maria Lyskirchen glimpflich davon.

948 erstmals urkundlich erwähnt, unterscheidet sich Maria Lyskirchen nicht nur durch den Zerstörungsgrad nach dem Krieg, sondern auch durch die Größe von den anderen romanischen Kirchen. Oder vielmehr: Maria Lyskirchen ist klein, kompakt, übersichtlich, reich gegliedert. Getrennt durch die Rheinuferstraße, steht die kleinste romanische Kirche in einer angenehmen Entfernung zum Rhein. Ich wundere mich nicht, dass über dem Türsturz der Rheinpegel am 28. Februar 1784 angezeigt wird, wenngleich die Hochwasser des letzten Jahrhunderts die Kirche verschont hatten.

Ein Stück über der Hochwassermarke ermahnt mich das mächtige Kirchenportal. Die sieben Todsünden sind über dem Kirchenportal zu vier Todsünden zusammengeschrumpft. Feinste Stuckarbeiten verdeutlichen menschliche Charaktereigenschaften, die uns besessen machen können, uns quälen und nicht mehr loslassen: invidia (Neid), superbia (Stolz), avaria (Geiz) und avaritia (Habgier). Menschliche Gesichter verheddern sich in der versponnenen Struktur der Ornamentik, mit ihren Körpern sind sie eingesperrt in halbkreisförmige Nischen.

Kirchenportal mit Hochwassermarke und Ornamentik
Deckenmalereien
Im Inneren bräuchte ich einen Führer und viele Informationen, um all die Deckenmalereien zu verstehen. Die Deckenmalereien teilen sich auf  in Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament. Dahinter steckt ein System: Propheten und Geschichten aus dem Alten Testament werden als Verkündigung begriffen, die Begebenheiten im Neuen Testament nach sich ziehen. So wird das Gastmahl der Ahaaver im Alten Testmant mit dem letzten Abendmahl im Neuen Testament in Verbindung gebracht, die Hiobslegende aus dem Alten Testament mit der Geißelung Christi im Neuen Testament usw. Das ufert aus, weil mehr als 50 Szenen zuzuordnen sind. Wälzer von Büchern sind darüber geschrieben worden.

Gemälde im Altarraum
948 wird Maria Lyskirchen als Kirchlein bezeichnet – lateinisch „ecclesiola“. In derselben Urkunde erscheint der Name „Lisolph“, woraus später das Wort „Lyskirchen“ entstanden ist. Zum Leidwesen der Kölner Bürger ließ sich die Entstehungsgeschichte vor 948 nicht weiter zurück verfolgen, zumal in historischen Quellen nichts gefunden wurde. Die Kölner hätten gerne ein weitaus höheres Alter der Kirche für sich beansprucht. Die Krypta, wie man sie heute vorfindet, stammt aus dem 13. Jahrhundert. Man vermutete eine Gebetsstätte zum Gedenken an den Heiligen Maternus, der von 313 bis 314 Bischof von Köln war. Da der Heilige Maternus mit dem Apostel Paulus in Verbindung gebracht wurde, verlegten die Kölner die Entstehungszeit von Maria Lyskirchen kurzerhand in die tiefste Römerzeit. Die Spekulationen entfachten einen Streit um Reliquien. Vorher beziehungsweise nachher war Maternus Bischof von Trier und Tongeren. Die Trierer behaupteten, dass der Reliqiuenschrein im Trierer Dom Gebeine des Heiligen Maternus enthalten würde. Was wäre gewesen, wenn Überreste des Heiligen Maternus in Köln gefunden worden wären ? Der Streit endete endgültig 1972, als Probebohrungen unter Maria Lyskirchen auf keinerlei Vorgängerbauten einer Kirche gestoßen waren.

Wenn ich lange in die 80er Jahre zurück blicke, habe ich in dieser Kirche sogar zeitweise die sonntäglichen Gottesdienste besucht. Der Kirchenraum einer romanischen Kirche ist wahrhaft imposant. Zwei wuchtige Gemälde thronen über dem Altarraum. Altäre und Kirchenfenster sehen so aus, dass sie steinalt sind. Wie in den 80er Jahren, beeindruckt mich der volksnahe Charakter der Kirche.

Neben dem Hauptportal steht über den üppigen Blüten von Schneebällen eine Marienstatue – der Namenspatronin von Maria Lyskirchen. Sie ist mindestens genauso steinalt wie das übrige Inventar der Kirche, denn sie stammt aus dem Jahr 1420. Seitdem wird sie mit ihrer Nähe zum Rhein als Schiffermadonna bezeichnet und gibt Volk und Schiffsleuten ihren Segen.
Schiffermadonna
Ave Maria auf Kölsch
Dass sie auf Kölsch angebetet wird, ist auf einer weißen Tafel dokumentiert:
„Meer jrößen de Mutterjoddes
Meer jrößen dich Maria
Do beß voll vun Jnad
Der Här eß met Däär
Do beß gesänt unger de Fraue
Un jesänt eß de Frooch in dingem Liev Jesus
Hellije Maria, Mutter Joddes
Bedd vörr ons wa mer schöldig sin
Jetz un en unser letzte Stund
Amen.“

In der Weihnachtszeit habe ich übrigens etwas wichtiges verpasst, nämlich mir die sogenannte „Milieukrippe“ anzusehen. Die Szenen wechseln zwischen den Adventswochenenden, wobei die Krippe bis Anfang Februar zu besichtigen ist. Die Umgebung der Krippe wird in die 1930er Jahre verlegt, als das Stadtviertel um Maria Lyskirchen noch in sich geschlossen war. Zerstört haben zum einen Kriegsschäden dieses Stadtviertel, zum anderen der Bau der Severinsbrücke in den 50er Jahren.

Alle Krippenfiguren sind Handarbeit. Lauter Außenseiter der Gesellschaft sind in der Krippe dargestellt worden. Zum Beispiel das Roma-Mädchen, das mit ihren Eltern aus ihrem Heimatland auf dem Balken eingewandert ist. Viele Kommunen grenzen Sinti und Roma auf Wohnwagenstellplätzen ohne Wasser- und Stromanschluss aus. Politiker wollen Maßnahmen ergreifen, um den Zuzug von Armutsflüchtlingen zu stoppen. In der Milieukrippe hat sich auch der römische Volkszähler aus der Weihnachtsgeschichte wiedergefunden. Er hat in der Wüste gestanden und reihenweise Asylanträge abgelehnt. Andere Krippenfiguren waren Prostituierte, Waisenkinder, Nichtsesshafte oder Drogenabhängige. Die Milieukrippe zieht Besucher weit außerhalb des Stadtgrenzen Kölns an.

Ich verlasse Maria Lyskirchen und gehe zum Rheinufer zurück. Nahe dem Schokoladenmuseum blicke ich auf die übersichtliche Gestalt von Maria Lyskirchen zurück. Abermals habe ich kennen gelernt, dass nicht nur die großen Dome und Kathedralen beeindrucken, sondern auch die kleinen Kirchen.

10 Kommentare:

  1. Danke Dieter für die schöne Kirche und den vielen Hintergrundinformationen. Da hast Du ein wunderschönes Gotteshaus ausgesucht.
    Die sogenannte "Milieukrippe" ist bestimmt interessant anzuschauen, vielleicht gibts die in diesem Jahr wieder.

    Liebe Grüße
    Angelika

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  2. Eine Kirche mit einer lebendigen Geschichte. Gut, dass sie erhalten blieb. Die Bilder von der Mileukrippe kannst du ja vielleicht dieses Jahr nachliefern...
    LG Calendula

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  3. Lieber Dieter,
    ich finde die kleinen Kirchen auch immer sehr beeindruckend.
    Sie "überfallen" einen nicht so.
    Deine Hintergrundinfos sind wieder sehr lehrreich und gut.
    Danke dafür.
    Einen schönen Abend wünscht
    Irmi

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  4. Lieber Dieter, gibts bald einen Führer zu den Baudenkmälern im Rheinland? -
    Die Krippe ist meiner Meinung nach die schönste in den Kölner Kirchen. Sie ist in jüngster Zeit wieder verändert & mit neuen Figuren ergänzt worden
    ( auf meiner Festplatte lungern noch Fotos herum...).
    Mit dem Rad könntest du auch gut am Rhein entlang zu St. Amandus in Köln - Rheinkassel fahren. Auch eine sehr schöne kleine Kirche. Wahrscheinlich kennst du sie ja schon ;-)
    Liebe Grüße
    Astrid

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  5. Ich danke dir auch für die viele Information und die Bilder die du uns mitgebracht hast, und ja, diese kleinen Kirchen (wobei ich sie nicht mal so bezeichnen würde) haben auch ihre Geschichte und oftmals kann man in ihnen noch viel mehr entdecken.

    Mit den Krippen ist natürlich ärgerlich, aber vielleicht passt es ja in diesem Jahr. Somit schon eine neues Vorhaben für die Adventszeit^^

    Liebe Grüssle
    Nova

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  6. Schön, dass du sie hier vorstellst. Die Krippe kannst du dir ja für nächsten Winter vormerken, der kommt nämlich sicher irgendwann ;-) Ich kenne sie allerdings auch nicht, aber vielleicht zeigt Astrid sie ja mal. Eine Führung habe ich mal mitgemacht und gedacht: unter den Deckenmalereien müsste man sich auf den Boden legen und gucken. Aber das habe ich mich dann doch nicht getraut. Inzwischen habe ich schon alles wieder vergessen; es ist doch zu komprimiert, wenn man nur zuhört. Aber ich wollte schon immer mal mit einem Buch dort sitzen und alles in Ruhe angucken.
    Eines aber habe ich behalten. Unser 'guide' hat uns erzählt, dass Mütter aus dem Veedel, deren Kinder unter abstehenden Ohren litten, ihnen die Schiffermadonna und das Kind gezeigt und gesagt haben: "Luur ens, dat Jesuskindschen hat doch auch so Öhrschen ..." ;-)

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  7. Hallo Dieter,
    eigentlich sind Kirchen nicht mein Fall, aber du hast es sehr spannend erzählt.
    VG
    Elke

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  8. Leider haben Kriege so Vieles überall zerstört, umso mehr freut man sich, wenn man doch einige antrifft, die von totaler Zerstörung betroffen waren. Über diese hier hast du wundervolle Details zusammengetragen und auch gut dokumentiert, bravo!:-)
    Vielleicht klappt es in der kommenden Adventszeit, dass du dir diese Krippe anschauen kannst. :-)

    Liebe Grüße
    Christa

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  9. Sehr interessant, auch wenn von außen eher unscheinbar. Je mehr man über Gebäude weiß, umso mehr macht das Besichtigen Spaß.

    Schönes langes Wochenende wünsche ich Dir!

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  10. die kleine Kirche ist durch deine Beschreibung zu einer großen Kirche geworden. Ich habe deinen Text wieder sehr gerne gelesen.

    liebe Pfingstgrüße von Heidi-Trollspecht

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