Den Dachstuhl haben Bomben
und Granaten des zweiten Weltkrieges weggerissen. Unter dem Dachstuhl geschah
ein Wunder, denn die Gewölbe mit den Deckenmalereien aus dem Jahr 1230 blieben
unversehrt. Maria Lyskirchen und der Dom – das sind ungefähr die einzigen
Kölner Kirchen, die den Bombenhagel des zweiten Weltkriegs halbwegs überlebt
haben. Während in den übrigen elf romanischen Kirchen die Kriegsschäden erst
1984 komplett beseitigt worden waren, kam Maria Lyskirchen glimpflich davon.
948 erstmals urkundlich
erwähnt, unterscheidet sich Maria Lyskirchen nicht nur durch den
Zerstörungsgrad nach dem Krieg, sondern auch durch die Größe von den anderen
romanischen Kirchen. Oder vielmehr: Maria Lyskirchen ist klein, kompakt, übersichtlich,
reich gegliedert. Getrennt durch die Rheinuferstraße, steht die kleinste
romanische Kirche in einer angenehmen Entfernung zum Rhein. Ich wundere mich
nicht, dass über dem Türsturz der Rheinpegel am 28. Februar 1784 angezeigt
wird, wenngleich die Hochwasser des letzten Jahrhunderts die Kirche verschont
hatten.
Ein Stück über der
Hochwassermarke ermahnt mich das mächtige Kirchenportal. Die sieben Todsünden
sind über dem Kirchenportal zu vier Todsünden zusammengeschrumpft. Feinste
Stuckarbeiten verdeutlichen menschliche Charaktereigenschaften, die uns
besessen machen können, uns quälen und nicht mehr loslassen: invidia (Neid), superbia
(Stolz), avaria (Geiz) und avaritia (Habgier). Menschliche Gesichter verheddern
sich in der versponnenen Struktur der Ornamentik, mit ihren Körpern sind sie
eingesperrt in halbkreisförmige Nischen.
Kirchenportal mit Hochwassermarke und Ornamentik |
Deckenmalereien |
Im Inneren bräuchte ich einen
Führer und viele Informationen, um all die Deckenmalereien zu verstehen. Die
Deckenmalereien teilen sich auf in
Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament. Dahinter steckt ein System: Propheten
und Geschichten aus dem Alten Testament werden als Verkündigung begriffen, die
Begebenheiten im Neuen Testament nach sich ziehen. So wird das Gastmahl der
Ahaaver im Alten Testmant mit dem letzten Abendmahl im Neuen Testament in
Verbindung gebracht, die Hiobslegende aus dem Alten Testament mit der Geißelung
Christi im Neuen Testament usw. Das ufert aus, weil mehr als 50 Szenen
zuzuordnen sind. Wälzer von Büchern sind darüber geschrieben worden.
Gemälde im Altarraum |
948 wird Maria Lyskirchen als Kirchlein bezeichnet – lateinisch „ecclesiola“.
In derselben Urkunde erscheint der Name „Lisolph“, woraus später das Wort
„Lyskirchen“ entstanden ist. Zum Leidwesen der Kölner Bürger ließ sich die
Entstehungsgeschichte vor 948 nicht weiter zurück verfolgen, zumal in
historischen Quellen nichts gefunden wurde. Die Kölner hätten gerne ein weitaus
höheres Alter der Kirche für sich beansprucht. Die Krypta, wie man sie heute
vorfindet, stammt aus dem 13. Jahrhundert. Man vermutete eine Gebetsstätte zum
Gedenken an den Heiligen Maternus, der von 313 bis 314 Bischof von Köln war. Da
der Heilige Maternus mit dem Apostel Paulus in Verbindung gebracht wurde,
verlegten die Kölner die Entstehungszeit von Maria Lyskirchen kurzerhand in die
tiefste Römerzeit. Die Spekulationen entfachten einen Streit um Reliquien.
Vorher beziehungsweise nachher war Maternus Bischof von Trier und Tongeren. Die
Trierer behaupteten, dass der Reliqiuenschrein im Trierer Dom Gebeine des
Heiligen Maternus enthalten würde. Was wäre gewesen, wenn Überreste des Heiligen
Maternus in Köln gefunden worden wären ? Der Streit endete endgültig 1972, als
Probebohrungen unter Maria Lyskirchen auf keinerlei Vorgängerbauten einer
Kirche gestoßen waren.
Wenn ich
lange in die 80er Jahre zurück blicke, habe ich in dieser Kirche sogar
zeitweise die sonntäglichen Gottesdienste besucht. Der Kirchenraum einer
romanischen Kirche ist wahrhaft imposant. Zwei wuchtige Gemälde thronen über
dem Altarraum. Altäre und Kirchenfenster sehen so aus, dass sie steinalt sind. Wie
in den 80er Jahren, beeindruckt mich der volksnahe Charakter der Kirche.
Neben dem
Hauptportal steht über den üppigen Blüten von Schneebällen eine Marienstatue –
der Namenspatronin von Maria Lyskirchen. Sie ist mindestens genauso steinalt
wie das übrige Inventar der Kirche, denn sie stammt aus dem Jahr 1420. Seitdem
wird sie mit ihrer Nähe zum Rhein als Schiffermadonna bezeichnet und gibt Volk
und Schiffsleuten ihren Segen.
Schiffermadonna |
Ave Maria auf Kölsch |
Dass sie auf
Kölsch angebetet wird, ist auf einer weißen Tafel dokumentiert:
„Meer jrößen
de Mutterjoddes
Meer jrößen
dich Maria
Do beß voll
vun Jnad
Der Här eß
met Däär
Do beß
gesänt unger de Fraue
Un jesänt eß
de Frooch in dingem Liev Jesus
Hellije
Maria, Mutter Joddes
Bedd vörr
ons wa mer schöldig sin
Jetz un en
unser letzte Stund
Amen.“
In der
Weihnachtszeit habe ich übrigens etwas wichtiges verpasst, nämlich mir die
sogenannte „Milieukrippe“ anzusehen. Die Szenen wechseln zwischen den Adventswochenenden,
wobei die Krippe bis Anfang Februar zu besichtigen ist. Die Umgebung der Krippe
wird in die 1930er Jahre verlegt, als das Stadtviertel um Maria Lyskirchen noch
in sich geschlossen war. Zerstört haben zum einen Kriegsschäden dieses
Stadtviertel, zum anderen der Bau der Severinsbrücke in den 50er Jahren.
Alle
Krippenfiguren sind Handarbeit. Lauter Außenseiter der Gesellschaft sind in der
Krippe dargestellt worden. Zum Beispiel das Roma-Mädchen, das mit ihren Eltern
aus ihrem Heimatland auf dem Balken eingewandert ist. Viele Kommunen grenzen
Sinti und Roma auf Wohnwagenstellplätzen ohne Wasser- und Stromanschluss aus. Politiker
wollen Maßnahmen ergreifen, um den Zuzug von Armutsflüchtlingen zu stoppen. In
der Milieukrippe hat sich auch der römische Volkszähler aus der
Weihnachtsgeschichte wiedergefunden. Er hat in der Wüste gestanden und reihenweise
Asylanträge abgelehnt. Andere Krippenfiguren waren Prostituierte, Waisenkinder,
Nichtsesshafte oder Drogenabhängige. Die Milieukrippe zieht Besucher weit außerhalb des Stadtgrenzen Kölns an.
Ich verlasse
Maria Lyskirchen und gehe zum Rheinufer zurück. Nahe dem Schokoladenmuseum
blicke ich auf die übersichtliche Gestalt von Maria Lyskirchen zurück. Abermals
habe ich kennen gelernt, dass nicht nur die großen Dome und Kathedralen
beeindrucken, sondern auch die kleinen Kirchen.
Danke Dieter für die schöne Kirche und den vielen Hintergrundinformationen. Da hast Du ein wunderschönes Gotteshaus ausgesucht.
AntwortenLöschenDie sogenannte "Milieukrippe" ist bestimmt interessant anzuschauen, vielleicht gibts die in diesem Jahr wieder.
Liebe Grüße
Angelika
Eine Kirche mit einer lebendigen Geschichte. Gut, dass sie erhalten blieb. Die Bilder von der Mileukrippe kannst du ja vielleicht dieses Jahr nachliefern...
AntwortenLöschenLG Calendula
Lieber Dieter,
AntwortenLöschenich finde die kleinen Kirchen auch immer sehr beeindruckend.
Sie "überfallen" einen nicht so.
Deine Hintergrundinfos sind wieder sehr lehrreich und gut.
Danke dafür.
Einen schönen Abend wünscht
Irmi
Lieber Dieter, gibts bald einen Führer zu den Baudenkmälern im Rheinland? -
AntwortenLöschenDie Krippe ist meiner Meinung nach die schönste in den Kölner Kirchen. Sie ist in jüngster Zeit wieder verändert & mit neuen Figuren ergänzt worden
( auf meiner Festplatte lungern noch Fotos herum...).
Mit dem Rad könntest du auch gut am Rhein entlang zu St. Amandus in Köln - Rheinkassel fahren. Auch eine sehr schöne kleine Kirche. Wahrscheinlich kennst du sie ja schon ;-)
Liebe Grüße
Astrid
Ich danke dir auch für die viele Information und die Bilder die du uns mitgebracht hast, und ja, diese kleinen Kirchen (wobei ich sie nicht mal so bezeichnen würde) haben auch ihre Geschichte und oftmals kann man in ihnen noch viel mehr entdecken.
AntwortenLöschenMit den Krippen ist natürlich ärgerlich, aber vielleicht passt es ja in diesem Jahr. Somit schon eine neues Vorhaben für die Adventszeit^^
Liebe Grüssle
Nova
Schön, dass du sie hier vorstellst. Die Krippe kannst du dir ja für nächsten Winter vormerken, der kommt nämlich sicher irgendwann ;-) Ich kenne sie allerdings auch nicht, aber vielleicht zeigt Astrid sie ja mal. Eine Führung habe ich mal mitgemacht und gedacht: unter den Deckenmalereien müsste man sich auf den Boden legen und gucken. Aber das habe ich mich dann doch nicht getraut. Inzwischen habe ich schon alles wieder vergessen; es ist doch zu komprimiert, wenn man nur zuhört. Aber ich wollte schon immer mal mit einem Buch dort sitzen und alles in Ruhe angucken.
AntwortenLöschenEines aber habe ich behalten. Unser 'guide' hat uns erzählt, dass Mütter aus dem Veedel, deren Kinder unter abstehenden Ohren litten, ihnen die Schiffermadonna und das Kind gezeigt und gesagt haben: "Luur ens, dat Jesuskindschen hat doch auch so Öhrschen ..." ;-)
Hallo Dieter,
AntwortenLöscheneigentlich sind Kirchen nicht mein Fall, aber du hast es sehr spannend erzählt.
VG
Elke
Leider haben Kriege so Vieles überall zerstört, umso mehr freut man sich, wenn man doch einige antrifft, die von totaler Zerstörung betroffen waren. Über diese hier hast du wundervolle Details zusammengetragen und auch gut dokumentiert, bravo!:-)
AntwortenLöschenVielleicht klappt es in der kommenden Adventszeit, dass du dir diese Krippe anschauen kannst. :-)
Liebe Grüße
Christa
Sehr interessant, auch wenn von außen eher unscheinbar. Je mehr man über Gebäude weiß, umso mehr macht das Besichtigen Spaß.
AntwortenLöschenSchönes langes Wochenende wünsche ich Dir!
die kleine Kirche ist durch deine Beschreibung zu einer großen Kirche geworden. Ich habe deinen Text wieder sehr gerne gelesen.
AntwortenLöschenliebe Pfingstgrüße von Heidi-Trollspecht