Freitag, 19. April 2013

die Richmodis-Sage


Ich wage mich an das Unglaubliche und Unvorstellbare heran. Welches sind die schlimmsten Übel der Geschichte ? Kriege ? Völkermord ? Folter ? Hexenverbrennungen ? Unterdrückung ? Ausbeutung ? Tyrannen ? Dann war da noch der schwarze Tod im 14. Jahrhundert. Die Pest hatte sich von China aus über das Schwarze Meer über Straßen und Handelswege immer weiter ausgebreitet und entvölkerte ganze Landstriche in Europa. Die Pest war schlimmer als alle Kriege und in manchen Gegenden überlebte gerade ein Drittel der Bevölkerung.

Mit der zentralen Wasserstraße des Rheins machte die Pest natürlich auch vor dem Rheinland nicht Halt. 1349 erreichte die Pest Köln. Erst rund 500 Jahre später entdeckte die medizinische Forschung den Übeltäter: den Pestfloh.

Rund 600 Jahre später beschreibt Albert Camus in seinem Roman „Die Pest“ – der in Algerien spielt – wie es vielleicht in Köln 1349 ausgesehen haben könnte:
„Der Wind erhob sich und wehte mehrere Tage lang durch die verpestete Stadt. Der Wind wird von den Einwohnern besonders gefürchtet, weil sich in der Ebene kein natürliches Hindernis entgegenstellt und er deshalb mit seiner ganzen Heftigkeit in die Straßen hinein stürmt. Die Stadt war nach den langen Monaten, da Regen kaum Erfrischung gebracht hatte, mit einer grauen Schicht überzogen, die unter den Windstößen abblätterte. Staub- und Papierwolken wirbelten auf und peitschten gegen die Beine der seltener gewordenen Spaziergänger., die vorn übergebeugt über die Straßen eilten und ein Taschentuch oder die Hand auf den Mund drückten. Am Abend sah man kleine Gruppen von Leuten, die nach Hause oder ins Café eilten, um die Tage, von denen jeder der letzte sein konnte, möglichst zu verlängern. So waren die Straßen mehrere Tage in der Dämmerung, die um diese Zeit viel schneller herein brach, menschenleer, und nur der Wind klagte unaufhörlich. Die verlassene, staubgebleichte Stadt, erfüllt vom Heulen des Windes, stöhnte dann wie eine unselige Insel.“

Nicht unweit von der Haupt-Einkaufsmeile in Köln, dem Neumarkt, stößt man auf Zeitzeugen der Pest, die an das Jahr 1357 erinnern. Es sind zwei Pferdeköpfe, die aus einem Turm herausragen. Was haben ein Turm und Pferde mit der Pest zu tun ?

Eine medizinische Forschung in heutigem Sinne gab es noch nicht. Die Medizin hatte noch die Stellung in der Antike. Naturwissenschaftliche Denkansätze entwickelten sich erst in der Neuzeit. Daher waren die Menschen hilflos der Epidemie ausgeliefert. Pestbeulen, Fieber, Schüttelfröste wucherten vor sich hin. Die Totengräber kamen mit dem Ausheben der Gräber nicht nach. Auf den Friedhöfen fanden die Toten kaum noch Platz.

Die Menschen suchten Erklärungsmuster in der Religion. Oftmals wurde die Pest als Strafe Gottes für begangene Sünden betrachtet. Die Menschen wurden fromm, sie achteten auf einen moralisch einwandfreien Lebenswandel. Prozessionen wurden abgehalten. Die Menschen riefen den Pestheiligen Rochus an.

Als die Pest in Köln wütete, fand 1357 der Kölner Bürgermeister Rudolf Mennegin von Aducht seine Ehefrau Richmodis tot in ihrem Haus vor. Er trauerte sehr, ließ seine Ehefrau auf dem Friedhof der Kirche St. Aposteln begraben, wobei er kostbaren Grabschmuck in die Grabstätte hinein gab. In der Nacht nach dem Begräbnis öffneten Räuber das Grab, um den Schmuck zu klauen. Als sie den Deckel des Grabes öffneten, stieg Richmodis aus dem Grab, da sie gar nicht tot war. Die Grabräuber rannten weg, Richmodis nahm deren Laterne und rannte nach Hause zurück. Als Richmodis im Totenhemd anklopfte, wollte niemand sie herein lassen, weil man sie für einen Geist hielt. Selbst ihr Ehemann glaubte, es sei ein Geist, und er rief aus: „Eher galoppieren meine beiden Pferde die Turmtreppe hinauf, als dass meine Frau aus dem Grab aufersteht !“ In demselben Moment hörte er seine beiden Pferde wiehern. Sie trampelten den Turm hinauf, aus dem sie mit ihren Köpfen herausschauten. Er ging zur Haustüre. Es war tatsächlich seine Ehefrau, und sie lebten noch viele Jahre glücklich zusammen.

1650, als die Pest erneut Köln heimsuchte, wurde die Richmodis-Sage wieder belebt. Ein Kupferstich, der die Sage erzählte, wurde in der Kirche St. Aposteln aufgehängt. In dem Haus, in dem der Bürgermeister Rudolf Mennegin von Aducht 1357 gewohnt haben soll, wurde in dieser Zeit der Richmodisturm mit den beiden Pferdeköpfen gebaut, wie man ihn noch heute vorfinden kann.

Im Jahr 2000 wurde übrigens die Pest in Köln zu neuem Leben erweckt. In einem Fernsehfilm wurde das Katastrphen-Szenario gespielt, dass die Kanalisation von Ratten überquillt und dass ein Obdachloser an der Pest erkrankt ist. Der Tatort-Kommissar Dietmar Bär spielte übrigens eine Hauptrolle in dem Film.

Krankheitserreger können mutieren und resistent werden. Die Pest griff in dem Film um sich, bis die medizinische Forschung ein Gegenmittel entwickelte, die Seuche eindämmte und die Todesfälle gegen Null gingen. Das Unglaubliche und Unvorstellbare war zum Greifen nah. Das war fiktiv, Film, Phantasie, abseits der Realität.

Als ich den Film sah, war mir zumute, als ob mir der Atem stehen geblieben war.

10 Kommentare:

  1. Lieber Dieter, beachtlich der Bogen, den du heute schlägst! Hat Spaß gemacht, den Post zu lesen! Nur wenn es um Fernsehfilme geht, da kann ich als Abstinenzler nicht mehr mithalten ;-).
    Ein schönes Wochenende!
    LG
    Astrid

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  2. Eine spannende Geschichte Dieter, ja die Pest hat überall im Land gewütet und die Menschen sahen es als Strafe Gottes an.
    Den Film habe ich wohl nicht gesehen.

    Danke für die interessanten Hintergrundinfos.

    Schönes Wochenende und liebe Grüße
    Angelika

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  3. Eine sehr interessante Geschichte. Seuchen begleiteten die Menschheitsgeschiche sehr lange. Sogar noch Anfang des 20. Jahrhunderts grassierte z.B. die Spanische Grippe, ohne dass viel dagegen getan werden konnte. Bis es die Möglichkeit der Impfung gab, war noch ein langer Weg.

    Jetzt weiß ich, wieso da oben am Turm zwei Pferde zu sehen sind! Habe ich nicht gewusst!
    Liebe Grüße
    Calendula

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  4. Ja, an die Geschichte, den Turm und die Köpfe kann ich mich auch noch erinnern. Danke dass du sie mir wieder ins Gedächnis zurückgerufen hast :-)

    Die Pest auf die heutige Zeit bezogen braucht es nur einen "Idioten" der Biowaffen einsetzt und schon wäre das Szenario viel heftiger. Möchte man sich gar nicht vorstellen :-(((

    Hab ein schönes Wochenende mit viel Sonnenschein

    liebe Grüssle
    Nova

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  5. Wie gut, dass es heute Antibiotika gibt und auch schnell übertragende Informationssysteme, die uns rechtzeitig vorwarnen, wenn in China wieder eine neue Vogelgrippe-Variante auftritt. Manche Vorsorgeaktivitäten sind sicher übertrieben, aber wenn man die Informationen, die es in der heutigen Zeit gibt ignorieren würde, könnte es eben auch mal ganz schnell fahrlässig werden. Da ist ein gesundes Mittelmaß gefragt.

    Viele Grüße und ein schönes Wochenende wünscht dir
    Arti

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  6. Halluuu Dieter, (◠‿◠)
    Ein interessanter Post, mit einer spannenden Geschichte, die du uns heute präsentierst. Ich finde es gut, sich an solche Dinge von Zeit zu Zeit mal wieder zu erinnern. Wir bekommen von allen Seiten so viel Input und vieles von dem früher gelernten und gelesenen Wissen geht verloren.
    Danke für deinen Kommentar. (≧◡≦) Die Manigfaltigkeit der Meinungen finde ich immer sehr interessant. Ich habe diesemal im neuen Post darauf geantworte, da ich heute noch eine Fortsetzung von der Demo gebloggt habe.
    Dir und deiner kleinen Familie ein wunderschönes Wochenende, Gruss - Wieczora (◔‿◔) | Mein Fotoblog

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  7. Sehr informativ,
    sehr interessant und vor allem -
    sehr spannend...war dieser Post!

    Ich mag deine Themenauswahl sehr...die Geschichte kannte ich zum Beispiel noch nicht.

    Viele Grüße,
    Line

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  8. Ich liebe historische Romane und da war das schon ein richtiger Leckerbissen. Vielen Dank.

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  9. Sehr interessant, und gut und fesselnd geschrieben.

    Ich kenne "Die Pest in London" von Daniel Defoe, "Die siebte Geißel" von Ann Benson und auch den Film, den Du erwähnst. Ich hoffe nur, daß für einen solchen Fall tatsächlich funktionierende Katastrophen-Notfallpläne existieren... :-)

    Ein schönes Wochenende, Sathiya

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  10. Dieter, eine anschauliche Schilderung.Ich kenne auch die vorgenannten Bücher.
    Den Film mit Dietmar Bär habe ich nicht gesehen.
    Hoffentlich kann diese Krankheit nicht mehr aufflammen und wenn ja, haben
    wir das richtig Medikament.
    Einen schönen Samstagabend wünscht Dir
    Irmi

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