Ich bemerkte ihn erst spät, als
er auf mich zutrat. Ich bestaunte die blau gestrichenen Fassaden, die ein
wunderbares Farbenspiel gegen den blauen Himmel und gegen die zerfaserte weiße
Masse von Wolken pinselten. Ich machte vier bis fünf fotografische
Schnappschüsse von dieser heimeligen Fassade. Mit Ecker und Stuckarbeiten waren
die Fassaden wie geleckt. Im Stil nachempfundenen Fachwerks plazierten die
obersten Erker ihre Ruhe und Gelassenheit auf die übrigen zwei Stockwerke.
Er zog das rechte Bein nach.
Die Masse seines Körpers lastete auf einer Krücke in seiner rechten Hand.
Obschon sein rechtes Bein und sein Gang durch irgendeine Krankheit gehemmt war,
waren seine Gesichtszüge entspannt. Schwerfällig schritt er mit seinem
durchdringenden Vollbart auf mich zu, der blaß war, aber noch nicht vollständig
ergraut.
„Was machen Sie da ?“ fragte
er mich direkt in mein Gesicht hinein.
Ich war irritiert und
überlegte. Ich war unterwegs in meiner Identität als „rheinland-blogger“. Die
Motive verdichteten sich auf dem kleinen Platz: die zusammengeklappten Tische
und Stühle eines Restaurants, satte Schneereste Mitte März, die Baumkronen als
Titel für meinen nächsten Wochenend-Post, das bereits beschriebene Farbenspiel.
Hatte ich etwas unerlaubtes
fotografiert ? Gesichter ? Nein. In Vorgärten hinein ? Auf diesem Platz gab es
keine. Die blaue bürgerliche Fassade ? Das wäre mir neu, dass ich Hausfassaden
an einem Platz nicht fotografieren durfte.
„Sind Sie von der
Stadtverwaltung ?“
„Nein. Meinen Sie, ich wäre
ein Unheil verkündender Beamter !?!?!?“
Er war beruhigt.
Wahrscheinlich hatte er mit Bürokraten von der Stadt schlechte Erfahrungen
gemacht. Irgendwelche Wichtigtuer, die ihn drangsaliert hatten, ohne dass großartig
etwas dabei heraus gekommen war.
„Ich bin Blogger und habe
eine eigene Internet-Seite“ traute ich mich nach einigem Nachdenken zu sagen.
Im Freundeskreis habe ich keine Hemmungen, mit meiner Identität als Blogger
heraus zu rücken. Aber gegenüber Fremden auf der Straße ? Wusste er etwas damit
anzufangen ? Oder betrachtete er es als Spinnerei, Realitätsferne oder
Verdrängung ? Mit meinem Bekenntnis zum Bloggen gab ich mich eher schüchtern. Fremden
gegenüber traute ich mich weniger in die Identität des Bloggers hinein.
„Ich wüsste nicht, dass ich
auf diesem Platz etwas Verbotenes fotografiert habe.“
Dabei fiel mir ein Erlebnis
von Weihnachtsmarkt ein.
„Hätten Sie vermutet, dass
man Stände auf dem Weihnachtsmarkt nicht fotografieren darf ? …. Einen Stand,
der mir besonders gefiel, hatte ich fotografiert. Der Verkäufer kam mir mit
Hausrecht an. Das Innere des Standes darf nicht fotografiert werden. Er bat
mich, sofort die Fotos zu löschen.“
„Typisch deutsch“ entgegnete der Mann auf der Krücke. „Die fangen direkt mit der Juristerei an. Finde ich auf einem
Weihnnachtsmarkt überzogen. Die wollen ja gesehen werden. Die wollen ja auch, dass die Menschen bei Ihnen etwas kaufen. Lächerlich.“
Ich kreuzte den Platz mit
meinen Blicken. Er hatte auch Stilbrüche und Gegensätzliches. Das
Mulitplex-Kino streute Anzeigetafeln des laufenden Kinoprogramms auf die
Frontseite. In der anderen Richtung war von der Burg nichts zu sehen, die sich wegen
Renovierungsarbeiten in ein Korsett von Staubschutzwänden zwängte. Auf dem
Platz mischten sich die aalglatten Fassaden von Banken in das bürgerlich-gehobene
Niveau verzierter Mauern hinein. Ich bewegte mich in meinem Element als
Blogger. An allen Ecken lauerten Besonderheiten auf mich. Meine Neugierde nahm
kein Ende.
„Wollen Sie den Platz von
oben fotografieren ?“
Ich verstand nicht. Aufs Dach
klettern ? War oben eine Aussichtsplattform ?
„Ganz oben dritter Stock. Dort,
wo die Erker mit den Fachwerkimitationen sind, wohne ich …
… kommen Sie !“
Dankend nahm ich seine
Einladung an. Der Gang mit seiner Krücke war ein wahres Hindernis. Es dauerte
eine Zeit lang, bis er diese Beeinträchtigung abschüttelte, aufrecht ging und
seine Schritte sich mit einem normalen Gehtempo durchsetzten. Im Aufzug spürte
ich eine Vertrautheit, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen. Sein Blick
wanderte locker zwischen den Wänden des Aufzugs hin und her. Unbestimmt schoben
sich seine Denkfalten ineinander.
„Hinein in mein Reich !“
öffnete er mir seine Eingangstüre. Parkettboden, eine geräumige Etagenwohnung,
an die einhundert Quadratmeter breiteten sich aus, eine aufgeräumte Küche. Er
öffnete das große Panoramafenster und ich durfte fotografieren. Bei solch einem
Ausblick musste es grandios sein, hier wohnen zu können.
„Worüber bloggt man so ?“
„Alles mögliche. Bilder vom
Burgfriedhof habe ich gepostet, die Fassadenmalerei an der Bushaltestelle, die
U-Bahn-Haltestelle oder die Michaelskapelle. Ich versuche, all den Dingen, die
man tagtäglich sieht, etwas schönes abzugewinnen.“
Ich gab ihm meine
Blog-Adresse. Er machte durchaus den Eindruck, dass ich ihn als regelmäßigen
Leser gewonnen hatte.
DR. JUR. las ich, als er mir
seine Visitenkarte reichte. Als Jurist hatte er ebenso eine eigene
Internet-Homepage. Ich bin gespannt, ob wir in Kontakt bleiben.
Netter Bericht. Das hat mich so an meine "Blogger-Erlebnisse" erinnert. Vor allem die immer wiederkehrende Frage, wenn ich irgendwo was fotografiere: "Was machen Sie da?". Irgendwann antworte ich: "Kartoffeln schälen, sieht man das nicht?". ;-)
AntwortenLöschenDas war eine nicht alltägliche Begegnung.
AntwortenLöschenIch bin auch gespannt, wie sie sich weiterentwickelt.
Einen schönen Abend wünscht
Irmi
:-D - manchmal ist die Welt aber doch ueberraschend unheimlich nett und heimelig, oder?
AntwortenLöschenKoennte da auch stoooories erzaehlen ....
LG, G.
Zuerst dachte ich daran dass er eventuell Angst wegen der Bäume hätte. Gerade wenn es sich um eine Veränderung handelt wird ja ebenfalls viel fotografiert, und ich habe schon alte Linden fallen sehen nur weil eine Straße verbreitert werden musste :-((( Alte Linden die Opfer geworden sind, gesund wohlgemerkt, und ärgerlich weil keine zwanzig Jahre eine Umgehung gebaut wurde und diese Straße wieder von vier auf zwei Spuren zurückgebaut wurde....hässlich zurückgebaut und ohne neue Linden.
AntwortenLöschenSeis drum, jedenfalls finde ich diese Begegnung wirklich wunderschön. Schon alleine ins Gespräch zu kommen und dann noch die Möglichkeit zu haben es sich von oben anzuschauen. Das war also das "Geheimnis" deines Fotos^^
Übrigens wusste ich das bzw. habe ich es auch hier schonmal auf einem Handarbeitsmarkt erlebt. Da wurde ich auch gebeten keine Fotos vom Stand zu machen, allerdings war es keine Spanierin ;-) Die Tinerfeños sind immer Stolz und wollen meist mit aufs Foto :-)
Liebe Grüssle
Nova
Ha! Man war das spannend.Und dabei habe ich gar keine Zeit!!
AntwortenLöschenDoch ich musste unbedingt wissen, wie dein Erlebnis endet. :-)
Jetzt muss ich mich aber beeilen...
Liebe Grüße,
Line
PS: Das mit den Ständen auf den Weihnachtsmärkten wusste ich noch gar nicht...
Hej Dieter,
AntwortenLöschenDein Beitrag ist für mich ein ausgezeichnetes Beispiel, wie aus einer objektbezogenen Erzählung eine sehr persönliche Geschichte werden kann, eine besondere Geschichte! Bloggen ist nicht nur Schreiben, sondern intensiver gelebtes Leben, in meinen Augen!
Gruß
Beate
Das ist eine der schönen Geschichten des Lebens - und wieder herrlich be- geschrieben.
AntwortenLöschenIch kenne das Gefühl auch, wenn man misstrauisch beäugt wird, weil man etwas fotografiert. Wenn sich das dann so weiter entwickelt wie in deiner Geschichte ist der Moment ebenso festhaltenswert wie das Bild - danke :-)
lieber Gruß zum Wochenende von Heidi-Trollspecht
Mooie ontmoeting. Echt genoten van je verhaal!
AntwortenLöschenWas für interessante Geschichte! Manchmal lohnt es sich, sich auch vor Fremden zu öffnen.
AntwortenLöschenHallo,
AntwortenLöschendas ist ein schöner Beitrag unterhaltsam und ansprechend. Niedlich, wie du oft formulierst. Auch enthält deine kleine nicht-alltägliche Annekdote interessante Details: Einerseits warst du schüchtern od hast dich selbst so eingeschätzt, andererseits hast du dem fremden Mann ganz schön viel erzählt. Diesen Satz konnte ich nicht so einordnen/ verstehen: "Der Gang mit seiner Krücke war ein wahres Hindernis. Es dauerte eine Zeit lang, bis er diese Beeinträchtigung abschüttelte, aufrecht ging und seine Schritte sich mit einem normalen Gehtempo durchsetzten." Liest sich nämlich, als hätte er die Gehbehinderung draussen nur vorgetäuscht.
Eine ähnliche Sache habe ich auch vor ein paar Wochen erlebt. Da machte ich Fotos von einem Wohnheim, was sich durch Schneefall etw schwieriger gestaltete. Dann kam ein Bewohner heraus, und ich sah nach, ob ich ihn erwischt hatte. Er kam auf mich zu, und ich rechnete schon damit, dass er die Befürchtung hat abgelichtet zu sein oder so... Für ihn sah ich aber wohl so aus, als wollte ich etwas. Er war aber auch neugierig, warum ich Fotos mache und ich war neugierig, wie das Wohnheim so ist und von innen aussieht. Der hat mich tatsächlich eingeladen, und ist mit mir wieder rein, obwohl er gerade zum Einkaufen raus war. Kurz hatte ich noch Bedenken, weil ich ja leider eine Frau bin und er ein Mann, aber da es keine Privatwohnung ist und ich viel zu neugierig war, habe ich diese Gedanken abgeschüttelt. War auch sehr interessant....
Beste Grüße zum zum Wochenende, Wieczora (◔‿◔) | Mein Fotoblog
Ich habe gerade deinen letzten posts nachgelesen. Du schreibst interessant und ausfuehrlich und deine Scriftsprache gefaellt mir sehr.
AntwortenLöschenDiese unverhofften Begegnungen bringen oft mehr als wenn man Bekannte trifft. Es lohnt sich immer, einen neuen Menschen naeher kennzulernen.
Es waere doch amuesant, wenn ihr euch nun auch im internet begegnet.
Schoene Gruesse an mein liebes Rhein- und Heimatland. Wo es anfaengt und wo es aufhoert koennte ich dir nicht sagen, ich weiss nur, dass es mich sehr an die Ufer des Flusses zieht.
In einem Gespraech mit einer alten Kusine habe ich neulich hoeren muessen, dass es lange nicht mehr so ist, wie es mal war, dass meine schoene Samt- und Seidenstadt laengst ihren Glanz verloren hat.
Wenn dich interessiert was du aus öffentlichem Raum heraus ablichten und veröffentlichen darfst dann schau mal unter Panoramafreiheit nach. Bei Bildern, die nicht von der Straße aus (öffentlicher Raum) sondern von höheren Etagen (privater Grund) aus aufgenommen wurden wird es besonders problematisch aber auch, wenn das Bildnis/Skultur/Kunstwerk nicht dauerhaft an dem Ort bleibt.
AntwortenLöschenLG Arti